Jetzt zum Thema „Rückgabe der Witbooi-Bibel und der Peit sche“. Hier stellt sich die Frage, was daran eigentlich so wich tig ist und was wir aus der Rückgabe gelernt haben. Es gab im Vorfeld einige hämische Bemerkungen über die „Ministe rin mit der Peitsche“ – ha, ha –, es wurde die Frage gestellt, was der Aufwand soll und ob man nicht das ganze Zeug in ei ne Kiste packen und mit dem Schiff rüberschicken könnte.
Sie kennen das ja alle. Manche haben selbst solche Bemer kungen gemacht. So kann man aber nur daherreden, wenn man die Bedeutung dieser Objekte nicht erkannt hat. Das ist auch nicht wirklich verwunderlich; denn diese beiden Objekte la gen über hundert Jahre lang wohl konserviert und nahezu ver gessen im Depot des Linden-Museums. Es waren Objekte, die sozusagen stumm im Depot waren.
Sie sagten es vorhin bereits völlig zu Recht: Objekte können Geschichten erzählen. Sie können Geschichte erzählen, wenn der Kontext verstanden wird, wenn sie in Beziehung gesetzt werden zu den Menschen, für die sie da waren, die mit ihnen gearbeitet haben. Wenn wir dies in den Blick nehmen, dann können wir die Bedeutung von Objekten erfassen.
Die Bibel und die Peitsche waren eben für uns bis vor Kur zem stumm. Bei der Rückgabe haben wir selbst gemerkt, trotz aller Aufarbeitung, die wir seit Jahren betrieben haben, was für einen Unterschied es macht, wenn solche Gegenstände Be
deutung erlangen, weil sie Menschen wichtig sind. Alle, die dabei waren, können davon erzählen, dass es einen in der Tat auch berührt. Man merkt, dass es für uns einfach Gegenstän de waren, aber dass sie dort mit einer Bedeutung aufgeladen sind, weil es eben die wenigen Hinterlassenschaften sind, die es von ihrem Nationalhelden – so muss man ihn nennen – Hendrik Witbooi als frühem Kämpfer gegen die deutsche Ko lonialmacht in Namibia gibt.
Wenn man sieht, wie Kinder mit großen Augen einen Blick auf diese Gegenstände erhaschen wollen, wie alte Menschen stundenlang Schlange stehen, um einmal darauf schauen zu können, wie das Menschenmassen bewegt, wie Freudenträ nen fließen und Freudentänze aufgeführt werden, wenn man das erlebt, dann versteht man diese Aussage von den Objek ten und ihrer Fähigkeit, uns etwas zu erzählen – oder eben auch nicht.
Deswegen haben wir dort erst wirklich gelernt, welche Be deutung diese Gegenstände für Namibia haben, und zwar so wohl für die Familie Witbooi, für den Witbooi-Clan, für die Nama, für die Herero, für die Ovambo, als auch für die Re gierung insgesamt. Wir haben es dort erlebt.
Ich bin deshalb zutiefst davon überzeugt, dass wir richtig ge handelt haben – und auch nicht zu früh. Diese Rückgabe war überfällig; sie war sorgfältig vorbereitet, recherchiert. Die Be sitzverhältnisse waren geklärt; denn mehr kann man gar nicht aufklären. Die komplizierte Rechtslage war trotzdem so, wie sie ist. Es war eine bewusste und wohlüberlegte Entscheidung, diese Kulturgüter als Kulturgüter nationalen Ranges – als na tionale Kulturgüter, wie wir sie hier in Deutschland auch ken nen – an den Staat Namibia zurückzugeben. Das war sehr gut durchdacht, sauber recherchiert.
Im Übrigen war diese Einschätzung – die Sorge kann ich Ih nen nehmen – auch umfassend mit dem Bund abgestimmt. Wir sind uns sehr bewusst gewesen, in welchem sensiblen Umfeld der Debatte wir eine solche Rückgabe machen. Des wegen können Sie sich ganz sicher sein: Wir haben von An fang an in engem Schulterschluss mit dem Auswärtigen Amt agiert und unsere juristischen Auffassungen ausgetauscht. Das ging so weit, dass wir noch auf der Reise bei der Klärung neu aufgekommener Fragen in enger Verbindung standen. Wir sind ja nicht blöd.
Wir können unsere Verantwortung dafür, dass Objekte in un seren Museen und in unseren Sammlungen sind, nicht bis Ul timo verschieben, bis alle Fragen bundesweit oder internati onal geklärt sind, bis wir dann handeln. Das würde internati onal als Verzögerungstaktik wahrgenommen – und man muss sagen: Es kann auch eine sein. Wir sind ausgestiegen. Wir ma chen da nicht länger mit.
Da, wo wir Klarheit haben und durchrecherchiert haben, da, wo wir es moralisch und ethisch für gerechtfertigt halten, zu rückzugeben, da geben wir zurück – und auch nur da.
In Bezug auf diese Rückgabe kann ich Ihnen sagen: Wir ha ben in Namibia nicht den Streit vergrößert, und wir haben mit der Rückgabe nicht polarisiert. Ganz im Gegenteil: Durch die Rückgabe saßen der große Witbooi-Clan – mit ganz unterschied lichen Auffassungen –, die Nama, die Herero, die Ovambo an einem Tisch. Die waren bei dem Staatsakt alle dabei. Wir ha ben viele persönliche Gespräche geführt.
Ich möchte ganz persönlich auch noch einmal meiner Staats sekretärin Petra Olschowski danken, die die Gespräche inten siv mit vorbereitet hat, die bei den Gesprächen auf allen Ebe nen immer dabei war. Wir haben also gewusst, wo wir uns be wegen. Die Gespräche gingen so weit, dass wir, wie ich glau be, sagen können: Wir haben auch Freundschaften geschlos sen. Da ist Vertrauen gewachsen; da ist mit der Rückgabe ei ne neue Basis entstanden, auf der wir miteinander durch ein tieferes Verständnis für die Vergangenheit in eine gemeinsa me und bessere Zukunft schauen können.
Ich komme zum Schluss. Ich bin davon überzeugt – unser Lin den-Museum hat jetzt zwei Originalobjekte weniger, in Na mibia sind zwei Originalobjekte mehr –: Niemand ist ärmer geworden, sondern wir sind dadurch alle reicher geworden. Denn die Faksimile, die hier in Stuttgart geblieben sind, er zählen heute so viel mehr als die Originalobjekte zuvor, so dass wir hier mehr wissen und die Menschen in Namibia auch. Die Verbundenheit zwischen unseren beiden Ländern ist ge wachsen.
Die Rückgabe war ein Beitrag zur Versöhnung, zur gegensei tigen Verständigung und zur Verbesserung der Basis für eine gemeinsame Zusammenarbeit in der Zukunft. Daher sage ich noch einmal vielen Dank an alle, die sich sozusagen „einge dacht“ haben, die sich ein vertieftes Verständnis erarbeitet ha ben, die mitgefahren sind – Frau Rolland und Frau Lösch. An sie und alle Partner, die an den Kooperationen mit Namibia weiterarbeiten, deshalb ein Dankeschön.
ja, das war etwas schräg –: Es geht hier um internationale Beziehungen. Der französische Präsident wurde hier mehr fach zitiert. Auch auf das deutsche Außenministerium wurde Bezug genommen. Aber Sie begeben sich hier in eine unsäg liche kleinkarierte Provinzialität.
Schlusssatz Ihnen gegenüber, Herr Stein: Sie sind der in Stein gemeißelte Beweis dafür, dass diese Debatte heute hier rich tig platziert ist.
Zu Frau Rolland darf ich sagen: Die Provenienzforschung durch das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst hat nicht erst begonnen, als plötzlich die Ministerin wegen ir gendwelcher Ludwigsburg-Affären oder sonst etwas öffent lich angegangen wurde, sondern das war schon in der letzten Legislatur.
Da haben Sie etwas Falsches gesagt. Sie haben gesagt, das Ganze wäre eine Reaktion auf irgendwelche Bedrohungen für die Ministerin. Dem darf man, denke ich, ganz stark wider sprechen.
Zum Schluss möchte ich mich noch dem Dank der Ministe rin an Staatsekretärin Petra Olschowski anschließen. Das ist mir vorhin einfach durchgerutscht. Entschuldigung! Das war eine ganz tolle Leistung, die Petra Olschowski hier erbracht hat.
Nun erteile ich Herrn Abg. Dr. Fiechtner das Wort. – Entschuldigung, Herr Dr. Fiechtner, Mo ment! Es gab keine aktiven Wortmeldungen seitens der Frak tionen. Nun hat sich aber für die AfD-Fraktion Herr Abg. Stein gemeldet, der zunächst das Wort erhält.
Danke, Frau Präsidentin. – Herr Kern, wem gehört Geschichte, und wem gehören die Objekte der Geschichte? Das ist doch eine Frage, die man auch einmal stellen muss.
Zu dem Punkt Wiedergutmachung. Egal, was wir hier machen: Wir können die Menschen, die damals gestorben sind, heute nicht mehr zum Leben erwecken,
sowohl die getöteten Schwarzen nicht als auch die getöteten Weißen nicht; es geht nicht mehr. Aber wir können einmal an erkennen, dass Geschichte jedem gehört.
In Zeiten, in denen globale Ausstellungen stattfinden und Kunstobjekte, Geschichtsobjekte um die ganze Welt gekarrt werden, muss man sich wirklich fragen, ob wir unseren Teil der Geschichte, mit Ihren moralischen Vorstellungen hinter legt, wirklich verschenken müssen oder ob wir nicht sagen
können: „Wir geben es euch zu einer Ausstellung und bekom men es irgendwann zurück, wenn wir es möchten.“ Muss man da Landeseigentum verschenken? Das sind die Fragen, die man einfach auch einmal stellen muss. Denn es hängt sehr viel Blut an solchen Objekten,
und egal, was wir machen, wir machen es dadurch nicht bes ser. Aber man sollte eines machen, nämlich aus der Geschich te lernen.