Protokoll der Sitzung vom 04.04.2019

Danke schön.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Jetzt ist die Fraktion GRÜ NE an der Reihe. – Frau Abg. Schwarz, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsiden tin, werte Kolleginnen und Kollegen! Die Anfrage zum Ret tungsdienst ist bald zwei Jahre alt – zwei Jahre, in denen wir hier im Landtag, aber auch im Land mit den Beteiligten im Rettungsdienst gesprochen haben. Das Ergebnis ist nicht über raschend: Die Sachlage ist kompliziert, einfache Lösungen gibt es nicht. Aber dass etwas geschehen muss, das ist uns al len klar.

Die Lösungen für die Probleme des Rettungsdienstes liegen aber nicht nur in einem Ministerium; sie sind ressortübergrei fend, sie sind intersektoral und schließen eben auch die Zivil gesellschaft mit ein. Gerade der Zivilgesellschaft fällt z. B. beim Herzstillstand eine Schlüsselrolle zu. In zwei, drei Mi nuten vor Ort zu sein, das schafft kein Rettungswagen. Die Betroffenen brauchen Hilfe aus dem nächsten Umfeld.

Eine Studie des ADAC zeigte zwar nun, dass die Helfer vor Ort in Bayern bis zu 5,2 Minuten vor dem Rettungswagen am Einsatzort sind und damit natürlich eine Entlastung bringen. Aber was auch stimmt: Nur einer von fünf Menschen in Deutschland kann eine Laienreanimation durchführen. Das sind schlichtweg zu wenige. In Frankreich sind es 35 % und in Norwegen sogar 63 %.

Unsere Aufgabe als Politiker ist es deshalb u. a. eben auch, diese Laienreanimation zu stärken, wie z. B. mit der Initiati ve „Löwen retten Leben“.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Wir müssen den Menschen klarmachen: Auf euch kommt es an. Eure Reanimation rettet das Leben eurer Freunde und Ver wandten.

Aber natürlich bestehen auch strukturelle Probleme im Ret tungsdienst, die sich eben aus gesellschaftlichen Veränderun gen ergeben. Für nachhaltige Lösungen, wie es die Anfrage der FDP/DVP fordert, brauchen wir jedoch Zeit. Natürlich könnte das Land morgen von oben herab vieles neu regeln und doppelt so viel Geld für Rettungsmittel bereitstellen. Die Fra ge, die sich mir dabei stellt, lautet: Wäre denn diese Lösung wirklich nachhaltig? Ich denke, nicht. Denn wer glaubt, dass mehr Rettungsmittel die Allheilsbringer sind, versteht die Ur sachen der Probleme im Rettungsdienst nicht.

Ganz klar – das möchte ich nicht verschweigen –: Es gibt auch bestimmte Bereiche, die unterversorgt sind, weil eben Ret tungswagen fehlen. Hier brauchen wir neue Rettungsmittel. Ich möchte aber auch betonen: Durch dieses Mehr an Fahr zeugen finden wir ja nicht automatisch mehr Personal, die Zahl der Anrufe nimmt nicht ab, die Fahrten ins Krankenhaus werden nicht kürzer, und nicht zuletzt bleiben die unklaren Hilfeersuchen vieler Menschen. Gerade diese unklaren Hilfe gesuche unterhalb der Notfallschwelle stellen für den Ret tungsdienst heute ein Problem dar. Wie helfen wir diesen Menschen? Sollen wir einen RTW schicken oder nichts tun? Wir alle kennen die Antwort aus der Praxis: Im Zweifelsfall wird ein RTW geschickt; denn es könnte doch etwas sein.

(Abg. Peter Hofelich SPD: Genau!)

Dabei müssen wir verstehen: Die Menschen rufen die 112 nicht aus Jux und Tollerei an, sondern weil sie ein subjektives Notfallempfinden haben.

Aber – das sage ich Ihnen ganz deutlich – auch diese Hilfe gesuche müssen wir ernst nehmen. Dass ein RTW hier nicht immer die richtige Lösung darstellt, das ist uns allen klar.

Unsere Gesellschaft verändert sich. Diese Veränderungen müssen wir aufnehmen und nicht die Menschen, sondern die Strukturen dahinter ändern.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und des Abg. Ulli Hockenberger CDU)

Einstein sagte, man löse Probleme nicht mit derselben Denk weise, durch die sie entstanden sind. Deshalb haben wir Grü nen ein Eckpunktepapier für Verbesserungen im Rettungs dienst verabschiedet und geben Antworten auf die sich verän dernden Rahmenbedingungen. Wir sagen z. B., Leitstellen müssen zu echten Hilfezentralen weiterentwickelt werden. Gerade die Zusammenarbeit mit den Hausärzten und dem kas senärztlichen Notdienst muss deutlich ausgebaut werden.

Vielleicht brauchen wir auch ein neues Berufsbild wie den Gemeindenotfallsanitäter – ich bin davon überzeugt, dass man dieses Berufsbild braucht –, der bei den Hilfsorganisationen angesiedelt ist. Er könnte bei unklaren Hilfeersuchen unter halb der Notfallschwelle tätig werden und so die Rettungswa gen entlasten. Dazu läuft übrigens derzeit ein Modellprojekt im Ammerland.

Wir müssen die Standorte der Rettungswachen landesweit pla nen. Wir brauchen ein Leitstellengesetz, ein onlinebasiertes

Bettennachweissystem und mehr Kompetenzen – Herr Goll, Sie haben es angesprochen – für die Notfallsanitäter und Not fallsanitäterinnen. Es gäbe noch vieles mehr zu erwähnen. Ei ne Aufzählung lässt mir die begrenzte Redezeit leider nicht zu.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, unsere Ideen und Verbesserungsvorschläge sind vorhanden. Nun geht es an die Umsetzung. Ich freue mich deshalb auf die politische Debat te, die uns in diesem Jahr im Rettungsdienst erwartet, und auf den konstruktiven Austausch hier im Parlament.

Danke.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Für die CDU bitte ich Herrn Kollegen Hockenberger ans Mikrofon.

Sehr geehrte Frau Präsiden tin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben es ge hört: Wir beschäftigen uns heute, rund zwei Jahre nach ihrer Einbringung, mit der Großen Anfrage der FDP/DVP. Einige Punkte, Herr Kollege Dr. Goll, ziehen sich sozusagen wie ein blau-gelb-magenta-farbener Faden durch die ganze Diskussi on. Herr Kollege Hinderer, rote Fäden sind auch dabei, um damit ein Bild zu geben von den vielen Anfragen, die wir hat ten und mit denen wir uns auseinandergesetzt haben.

Im Mittelpunkt der Diskussion geht es immer wieder um die Hilfsfrist. Wir wissen, dass die Hilfsfrist als solche kein Indi kator für einen guten Rettungsdienst oder für eine gute Ret tungsdienstleistung ist. Sie sagt über die Gesamtqualität eines Notfalleinsatzes nichts Abschließendes aus.

Dafür kommt es auf die gesamte Rettungskette an, vom Ein gang der Notrufmeldung bis zur Einlieferung des Patienten ins Krankenhaus. Wir haben im Land reagiert, und mit der in terdisziplinären, fachlich unabhängig besetzten Stelle zur trä gerübergreifenden Qualitätssicherung im Rettungsdienst, kurz SQR-BW, gelingt es zunehmend, Verbesserungspotenziale für Einsatzabläufe aufzuzeigen.

Nachdem die häufigste Ursache für regelmäßige Ausfälle im Rettungsdienst Personalprobleme sind – wir haben es gehört –, will die Landesregierung jetzt mit einem engmaschigen Kontrollsystem dagegen vorgehen. Ich darf den Staatssekre tär zitieren, der dazu nachher sicherlich noch Ausführungen im Detail machen wird:

Wir wollen ab diesem Jahr zeitnah, nämlich monatlich, diese Auswertungen von den Leitstellen bekommen, so dass wir auch unmittelbar nachfragen können, inwieweit die Ursachenforschung betrieben wurde und Gegenmaß nahmen eingeleitet wurden.

Wir haben auch gehört, welche Faktoren die Hilfsfrist belas ten. Das sind zum einen die ständig steigenden Einsatzzahlen. Die Einsatzzahlen fressen das auf, was wir sozusagen an neu en Standorten, an neuen Fahrzeugen auf die Straße bringen.

Das hängt sicher auch damit zusammen – auch das ist erwähnt worden –, dass viele Menschen den Unterschied zwischen den Telefonnummern 110, 112 oder 116117 überhaupt nicht ken

nen. Sie wissen nicht, dass unter der Rufnummer 116117 so zusagen bundesweit rund um die Uhr ein Hausarzt zur Verfü gung steht. Wenn das subjektive Empfinden so ist, wie es Frau Kollegin Schwarz beschrieben hat, und es auf diesem Weg zu lange dauert, wählt man eben die 112. Und wenn das wiede rum nicht schnell genug geht, dann fahren die Menschen – das machen viele – in die Klinik zur Notfallaufnahme. Dort ent steht ein Stau, weil sie von Menschen aufgesucht wird, die dort eigentlich nicht hingehören.

Die Landesregierung macht sich Gedanken, wie man diese Si tuation verbessern kann. Das wäre z. B. dadurch möglich, dass man sich mit der Qualität der Leitstellendisponenten ausein andersetzt, dass man Notrufanfragen standardisiert und struk turiert, um damit wirklich Grundlagen für die Entscheidung zu haben: Wen schickt man am sinnvollsten vor Ort?

Die Umstrukturierung der Krankenhauslandschaft und die Ausdünnung des ärztlichen Bereitschaftsdienstes sind weite re Gründe, die die Hilfsfrist belasten.

Was tut die Landesregierung? Es geht um eine bereichsüber greifende landesweite Planung und um die bedarfsgerechte Einrichtung für Vorhaltungen in der Notfallhilfe. Wir überprü fen die Leitstellenstruktur, überlegen, ob wir gegebenenfalls in einem Leitstellenstrukturgesetz darauf reagieren, wie sich die Situation verändert hat. Das Innenministerium ist an die sem Thema dran.

Die Ärztlichen Leiter Rettungsdienst sind installiert. Die Aus bildungskapazitäten für Notfallsanitäter wurden ausgebaut. Hierzu verweise ich ausdrücklich auf die Stellungnahme des Ministeriums für Soziales und Integration zu einem Antrag der SPD zu dieser Frage. Da geht es nämlich um Ausbildungs kapazitäten und darum, dass man diese Kapazitäten vorüber gehend erhöht hat.

Was die Kompetenz der Notfallsanitäter anbelangt, dürfen Sie sicher sein, dass die Landesregierung da auch in Richtung Berlin Druck macht. Sowohl die Minister Strobl und Lucha als auch Staatssekretär Klenk sind bei Bundesminister Spahn schon vorstellig geworden. Wenn ich an die letzten Verlaut barungen denke, glaube ich, dass das auch angekommen ist.

Wir müssen die Notfallsanitäter aus dem Konflikt zwischen unterlassener Hilfeleistung einerseits und Körperverletzung andererseits befreien. Sie sind ausgebildet, sie haben die Kom petenz. Sie können die Hilfsfrist entscheidend verkürzen und damit Reserven für das wichtige Gut Notarzt schaffen. Da muss etwas gehen. Und wenn nichts geht, machen wir ein ei genes Gesetz in Baden-Württemberg, wie das andere Bundes länder auch schon gemacht haben.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen)

Auf die anderen Punkte, die Frau Kollegin Schwarz und Herr Professor Goll schon angesprochen haben – Helfer vor Ort –, möchte ich nur noch stichwortartig eingehen. Ich möchte auch darauf hinweisen, dass wir alle uns – sozusagen fraktionsüber greifend – in der Tat dagegen verwahren, was an den Unfall orten stattfindet. Wer gafft und rumsteht, soll wenigstens nicht im Weg stehen,

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

damit die Leute, die die Arbeit machen, vor Ort auch den Men schen, die Hilfe brauchen, helfen können. Behindern und be leidigen von Rettungsdiensten, das geht gar nicht.

(Beifall bei Abgeordneten aller Fraktionen)

Ich möchte mit einem Zitat aus dem Protokoll der 16. Sitzung des Landtags von Baden-Württemberg vom 9. November 2016 enden:

Das Rettungswesen insgesamt ist eine wichtige Aufgabe. Das wissen nicht nur wir Abgeordneten, sondern das wis sen auch die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes, sei es als Betroffener oder als Angehöriger eines Notfallpa tienten, sei es als Mitglied einer der zahlreichen Hilfsor ganisationen, namentlich ASB, DRK, Johanniter, Malte ser, DLRG, Bergwacht, Feuerwehren und THW. Die An gehörigen dieser Hilfsorganisationen haben deshalb par teiübergreifend unsere Unterstützung

sowie unseren Respekt und unseren Dank –

Diese Aussage könnte von mir sein. Sie ist aber von meinem Kollegen Siegfried Lorek. Ich widme ihm dieses Zitat heute, weil er gestern Vater geworden ist.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der Grü nen, der SPD und der FDP/DVP)

Frau Abg. Wolle, bitte, für die AfD.