Protokoll der Sitzung vom 08.05.2019

Meine Damen und Herren, die Landesregierung redet nicht nur über Europa, sie hat mit dem Europaleitbild einen ganz konkreten Prozess auf den Weg gebracht, in dem es darum geht, auch gemeinsam mit den Menschen über die Zukunft Europas zu diskutieren, eine Agenda der EU mitzubestimmen. Dabei war ein klares Ergebnis dieser langen Debatte, dass die Menschen mit Blick auf Europa zwar auch über ökonomische Aspekte diskutieren wollen, diese ihnen auch wichtig sind, es den Menschen aber mit Blick auf Europa viel wichtiger ist, darüber zu diskutieren, dass Europa als große Wertegemein schaft entstanden ist und dass Europa auch in der Zukunft ei ne solche Werte- und Rechtsgemeinschaft bleiben muss. Das ist die Sehnsucht der Menschen mit Blick auf Europa, und dem müssen wir Rechnung tragen, liebe Kolleginnen und Kol legen.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen)

Europa steht für eine zuvor nie da gewesene Friedensperiode. Wer sich die Bedeutung dieses Werts immer wieder vor Au

gen führen will, den schicke man etwa auf den Hartmanns weilerkopf,

(Abg. Gabi Rolland SPD: Genau! – Zurufe: Ja!)

wo sich Tausende von Soldaten wegen nichts und wieder nichts sinnlos die Köpfe eingeschlagen haben – ein Schlacht feld der Sinnlosigkeit. So etwas darf sich in Europa nicht wie derholen. Dafür einzutreten, das ist Grund genug, für Europa die Stimme zu erheben, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei den Grünen, der CDU, der SPD und der FDP/DVP)

Dieses Europa ist eine Rechtsgemeinschaft.

(Zuruf von der AfD: Ach!)

Dies zu bewahren ist eine große Herausforderung. Da gibt es Angriffe, und da gibt es Entwicklungen, die man sorgfältig im Auge behalten muss.

Unser Einsatz für die Rechtsstaatlichkeit in allen EU-Staaten ist wichtig. Da richte ich den Blick in gleicher Weise nach Po len und Ungarn, wie ich ihn nach Rumänien richte, wo man offenbar Politiker straffrei stellen will, die korrupt geworden sind. All das hat mit unseren Vorstellungen von Rechtsstaat lichkeit nichts zu tun.

(Abg. Anton Baron AfD: So ist es!)

Wir brauchen in Zukunft wirksamere Instrumente, um die Ein haltung rechtsstaatlicher Prinzipien zu sichern. Wer sich in Zukunft nicht an die rechtsstaatlichen Spielregeln hält, der muss von den europäischen Institutionen das klare Signal be kommen, dass er künftig mit keinen Fördermitteln aus Brüs sel rechnen kann – so lange, bis die Herrschaft des Rechts in den betroffenen Mitgliedsstaaten wiederhergestellt ist, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen – Zuruf der Abg. Carola Wolle AfD)

Erlauben Sie mir, aus aktuellem Anlass auch einen Blick in die Türkei zu richten. Was wir dort erleben mit Blick auf die Annullierung einer Bürgermeisterwahl, diktatorisch vorgege ben, das ist ein weiterer Beleg, in welcher Weise sich die Tür kei von rechtsstaatlichen Grundsätzen entfernt und zu einer Diktatur entwickelt hat. Ein solches Land hat in der Europä ischen Union keinen Platz, und mit einem solchen Land kön nen wir nicht über die Frage der Mitgliedschaft in der Euro päischen Union diskutieren.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, nur eine zukunftsfähige EU ist für uns eine handlungsfähige EU. Europa ist zu Recht nach den Europäischen Verträgen von unten nach oben aufgebaut. Auch das ist heute mehrfach angeklungen. Ich will das unter streichen: Es geht um das Prinzip der Subsidiarität, das wir Baden-Württemberger selbstbewusst unterstreichen und bei Bedarf auch gegen jene Kräfte in Brüssel durchsetzen, die uns hier in unseren eigenen Kompetenzen und Möglichkeiten be grenzen und beschneiden wollen. Wir im Südwesten wollen eine Europäische Union, die sich um die großen Fragen küm

mert – Fragen, die eine europäische Dimension haben – und die sich bei den kleinen Dingen zurückhält.

Wir haben ein Verständnis davon, dass Regionen und Kom munen Kraft und Potenzial haben und Entscheidungen vor al lem dort getroffen werden, wo sie am besten getroffen wer den können: nah bei den Menschen. Das ist unser Verständ nis von Subsidiarität. Ein solches Europa von unten nach oben entspricht unseren Vorstellungen, liebe Kolleginnen und Kol legen.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der CDU – Abg. Anton Baron AfD: Das wäre schön, wenn es so wäre!)

Meine Damen und Herren, die EU sollte in meinen Augen in Zukunft vorrangig das Instrument der Richtlinie nutzen, um noch mehr Spielräume für nationale und regionale Umset zungswege zu lassen. Lassen Sie uns aber auch selbstkritisch sein: Auch wir müssen noch mehr darauf achten, bei der Um setzung von EU-Recht nicht immer noch eins draufzusatteln.

(Abg. Joachim Kößler CDU: Gold Plating!)

Stichwort „Gold Plating“. Dies gilt in Berlin, aber – seien wir selbstkritisch – manchmal auch in Stuttgart. Hier sollten wir uns ein Vorbild an manchen unserer europäischen Nach barn nehmen. Diese finden oft pragmatischere und weniger belastende Wege, wenn sie EU-Recht anwenden. Lassen Sie uns dies auch mit Blick auf die Umsetzung von EU-Recht in Landesrecht noch verbessern. In unserem Koalitionsvertrag steht – ich zitiere –:

Bei der Implementierung von EU-Recht im Land nutzen wir alle Spielräume und Möglichkeiten der Bürokratie vermeidung aus.

Ich sage: Auch an dieser Stelle können wir möglicherweise noch besser werden, und wir sollten nichts unversucht lassen, um unnötige Bürokratie abzubauen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der Grü nen und der FDP/DVP)

Wenn wir den Titel der heutigen Debatte ernst nehmen, dann gehören eine Vielzahl von weiteren Faktoren dazu, um Euro pa richtig zu machen; sie sind angeklungen. Wir stehen für ei ne Währungsunion, in der weiterhin – Kollege Dr. Rülke hat darauf hingewiesen – das Prinzip der Einheit von Risiko und Haftung gilt. Wir wollen kein europäisches Wunschkonzert, sondern eine sinnvolle Weiterentwicklung des Binnenmarkts und keine Vergemeinschaftung von Schulden, liebe Kollegin nen und Kollegen.

Die globale Sicherheitslage führt uns leider allzu oft vor Au gen, dass das Thema Sicherheit in der Zukunft eine größere Rolle auf der europäischen Ebene spielen muss, ob bei der Be kämpfung der organisierten Kriminalität, der Cyberkrimina lität oder des internationalen Terrorismus. Hier ist eine enge re europäische Zusammenarbeit dringend notwendig.

Gleiches gilt auch für die äußere Sicherheit. Wir müssen Schritt für Schritt den Weg hin zu einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik gehen. Ein europäischer Sicherheitsrat könnte eine wichtige Aufgabe übernehmen, vor allem dann,

wenn wir uns im EU-Außenministerrat vom Einstimmigkeits prinzip verabschieden und Mehrheitsentscheidungen treffen würden. Europa muss handlungsfähiger werden, liebe Kolle ginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der Grü nen und der FDP/DVP)

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, über fast alle diese Themen entscheiden neben der Kommission und dem Rat auch die Abgeordneten im Europäischen Parlament. Am 26. Mai ist die Bevölkerung aufgerufen, dieses Parlament zu wählen. Wir im Ministerium der Justiz und für Europa füh ren eine große Europawahlkampagne durch, die das einzige Ziel verfolgt, die Menschen damit zu konfrontieren, dass am 26. Mai Europawahlen stattfinden. Noch wissen das zu weni ge. Da gilt es in den nächsten zweieinhalb Wochen noch eini ges zu tun.

Am Montag haben wir als Höhepunkt der Kampagne eine Bustour durch alle zwölf Regionen Baden-Württembergs auf den Weg gebracht. In den letzten drei Wochen bis zur Wahl wird der Europabus der Landesregierung in 14 Städten Stati on machen und unter dem Motto „Deine Stimme zählt“ für ei ne hohe Wahlbeteiligung werben.

Wir alle können unseren Beitrag leisten. Wir alle können be sondere Botschafter der europäischen Idee sein. Sprechen Sie draußen im Land mit den Menschen in Ihrem persönlichen Umfeld. Der amerikanische Informatiker und Computerpio nier Alan Kay hat einmal gesagt:

Die Zukunft kann man am besten voraussagen, wenn man sie selbst gestaltet.

Lassen Sie uns unsere Zukunft in die Hand nehmen, lassen Sie uns gemeinsam für die Zukunft Europas eintreten.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der Grü nen und der FDP/DVP)

In der zweiten Runde erteile ich das Wort für die CDU-Fraktion Herrn Abg. Kößler.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Im Grunde würde ich mich gern am Redebeitrag von Ihnen, Herr Sänze, abarbeiten. Ich werde es aber nicht tun. Drei Punkte müssten angesprochen werden. Heute Mittag tagt der Europaausschuss. Dann werden wir uns näher mit Ihren Ar gumenten auseinandersetzen.

Eines ist aber klar: Jeder dritte Arbeitsplatz in Baden-Würt temberg hängt von der EU ab. 5 Milliarden € gab es in der letzten Förderperiode und natürlich vieles, vieles mehr. Ge hen Sie durch das Land; dann werden Sie sehen, was mit die sen Mitteln der EU gemacht wird.

Ich will mich kurz mit der Zukunft der EU befassen und will zuerst einmal ein paar Herausforderungen nennen, die ganz wichtig für die Zukunft sind. Herr Rülke, es handelt sich nicht um Probleme, sondern um Herausforderungen. Wenn man sie richtig anpackt, kann man diese auch bewältigen.

Brexit: Der Ausgang ist im Moment ungewiss. Bei der mittel fristigen Finanzplanung müssen die politischen Schwerpunk te in der EU gesetzt werden. In einigen Mitgliedsstaaten gibt es nationalistische Kräfte, die die EU sehr stark bekämpfen. Das werden wir aber alles bewältigen.

Ich will auch einmal auf die europäische Industriepolitik ein gehen, die meines Erachtens die Grundlage für den Wohlstand in Europa ist. Wir müssen davon ausgehen, dass der Binnen markt weiterhin der größte Marktplatz der Welt ist, und wir müssen uns rüsten, damit wir in Europa nicht ins Hintertref fen und nicht zwischen die Mühlsteine USA und China gera ten.

Daher müssen wir versuchen, Handelsabkommen abzuschlie ßen. Ich bin froh, dass der Europäische Gerichtshof jetzt den Weg für CETA vollständig frei gemacht hat.

(Zuruf des Abg. Dr. Erik Schweickert FDP/DVP)

Wir müssen unsere Wettbewerbsfähigkeit stärken. Wir müs sen zukunftsfähige Technologien wie z. B. Digitalisierung, künstliche Intelligenz, Batterie- und Chipproduktion in Euro pa fördern. Hier dürfen wir nicht ins Hintertreffen kommen.

(Beifall bei der CDU – Vereinzelt Beifall bei den Grünen)

Wir müssen uns zukünftig besser aufstellen. Das geht nur ge meinsam. Wir müssen hier an einem Strang ziehen. Das gilt natürlich auch für die Sicherheits- und die Außenpolitik.

Ich will aber bei den Schwerpunkten noch einmal etwas drauf legen: Wir können in Europa nur gemeinsam handeln. Natio nale Alleingänge bringen nichts. Sie schaden uns allen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP – Abg. Anton Baron AfD: Wieso?)