Protokoll der Sitzung vom 08.05.2019

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Carola Wolle AfD: Die politische Mit te gibt es nicht mehr! Die sind doch alle links!)

Nicht verschweigen wollen wir aber auch die Probleme, bei spielsweise die Tatsache, dass die Niedrigzinspolitik der Eu ropäischen Zentralbank, dass die Politik eines Mario Draghi für die Sparerinnen und Sparer und für die Altersversorgung der Menschen höchst problematisch ist.

(Zuruf des Abg. Anton Baron AfD)

Da ist innerhalb Europas eine Umfinanzierung zu konstatie ren – vom deutschen Sparer hin zu manchem unsoliden Fi nanzminister in südeuropäischen Staaten.

(Abg. Anton Baron AfD: Wie haben Sie beim Ret tungsschirm abgestimmt?)

Deshalb muss mit dieser Draghi-Politik in Europa in den nächsten Jahren Schluss sein.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Wir halten auch nichts von bestimmten Plänen, auch wenn sie aus Frankreich kommen. Herr Kollege Stoch, Sie haben ja moniert, dass die Kanzlerin nicht darauf antwortet. Wir hät ten uns an dieser Stelle auch eine Antwort gewünscht, aber ei ne Antwort, die deutlich macht, dass mit der Bundesrepublik Deutschland eine Schuldenunion in Europa nicht zu machen ist. Sie wäre nämlich nicht in unserem Interesse, meine Da men und Herren.

(Beifall bei der FDP/DVP – Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Und das Letzte, was auch in den folgenden Jahren vom zu wählenden Parlament und von der zu besetzenden Kommis sion zu lösen ist, ist die Flüchtlingsfrage. Wir müssen Flucht ursachen vor Ort bekämpfen, wir müssen die Grenzen sichern, indem wir Frontex stärken. Aber wir brauchen auch eine Ver teilungspolitik innerhalb der Europäischen Union. Wir brau chen Quoten für die Flüchtlinge, die wir aufnehmen können, wollen, vielleicht auch müssen.

Es war eben ein Fehler der Kanzlerin, mit einer naiven Will kommenspolitik den Konsens der Staaten innerhalb der Eu ropäischen Union von vornherein zu gefährden. Es ist not wendig, in den nächsten fünf Jahren zu einer neuen Regelung zu kommen, und zwar zu einer Regelung jenseits der Tatsa chen, die die Bundeskanzlerin 2015 geschaffen hat. Hier brau chen wir eine andere Flüchtlingspolitik, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Für die Landesregierung er teile ich Herrn Minister Wolf das Wort.

Frau Prä sidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist mehrfach an gesprochen worden – ich will mich dem Dank an die CDUFraktion durchaus anschließen –,

(Zuruf von der AfD: Eigenlob!)

dass es wichtig und richtig ist, in dieser Zeit auch den Land tag von Baden-Württemberg zu einem Ort der Debatte über Europa zu machen, und dies vor allem auch mit Blick auf den morgigen 9. Mai, an dem wir den Europatag feiern. Wir erin nern dabei an die wegweisende Erklärung des französischen Außenministers Robert Schuman aus dem Jahr 1950, in der dieser vorschlug, die französisch-deutsche Kohle- und Stahl produktion einer übergeordneten Ebene zu unterstellen und den anderen europäischen Ländern den Beitritt zu ermögli chen. Es war eine Erklärung, deren Dimension damals mög licherweise noch gar nicht überschaubar war, die aber, wie wir heute wissen, wegweisende Bedeutung für unseren Kontinent hatte, eine Erklärung, die letztlich den Weg in ein vereintes Europa geebnet hat, eine Erklärung, die uns auch im Hier und Jetzt ermuntern sollte, die Zukunft der Europäischen Union mutig und zupackend zu gestalten.

Deshalb freue ich mich, dass auch dieser Landtag heute pro minenter Platz und Ort ist, um über die Zukunft Europas zu diskutieren. Das zeigt nicht nur die hohe Wertschätzung in diesem Parlament für die europäische Idee; es zeigt auch, dass sich – sagen wir es mal so – die meisten Mitglieder des Ho hen Hauses ihrer persönlichen Verantwortung bewusst sind, Europa gemeinsam richtig zu machen.

(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der Grü nen und der FDP/DVP)

Der Zeitpunkt der Aktuellen Debatte könnte kaum besser ge wählt sein. Im rumänischen Sibiu treffen sich morgen die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedsstaaten. Der Sondergipfel wird sich damit befassen, welche Schwerpunk te die Europäische Union in den nächsten fünf Jahren setzen soll. Auch hier sind Zeitpunkt und Ort genau und bewusst ge wählt. Der Europatag am 9. Mai erinnert uns an den Grün dungsgedanken der EU. Sibiu – auf Deutsch Hermannstadt – steht wie kaum eine andere Stadt

(Zuruf des Abg. Dr. Wolfgang Reinhart CDU)

für die Verbindung zwischen West und Ost, für die gemeinsa me Vergangenheit und die gemeinsame Zukunft.

Meine Damen und Herren, ich erhoffe mir von diesem Son dergipfel auch ein klares Signal. In einem Europa, in dem vie

le beklagen, dass es immer mehr Fliehkräfte gibt, in einem Europa, in dem es als größte Aufgabe immer stärker darum geht, den Laden zusammenzuhalten, zusammenzuschweißen, brauchen wir weniger Fliehkräfte, sondern mehr Ziehkräfte. Das muss die Botschaft dieses Sondergipfels sein.

(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der Grü nen, der SPD und der FDP/DVP)

Lieber Kollege Stoch, es amüsiert mich immer ein bisschen, wenn Kolleginnen und Kollegen der unterschiedlichsten Frak tionen Günther Oettinger zitieren.

(Abg. Rainer Stickelberger SPD: War’s verkehrt?)

Denn er gibt natürlich Anlass für jeden, auch die richtige Deu tung und Bewertung vorzunehmen.

(Zuruf des Abg. Andreas Stoch SPD)

Aber Günther Oettinger argumentiert sehr viel differenzier ter, als Sie es ihm kurzfristig zubilligen wollten.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Es kommt darauf an, zu welcher Tageszeit! – Gegenruf des Abg. Andreas Stoch SPD)

Wenn Günther Oettinger mit Blick auf die schwarz-rote Ko alition in Berlin von europäischem Klein-Klein redet, dann könnte man auf den verwegenen Gedanken kommen, dass er dabei auch Bundesfinanzminister Olaf Scholz – Vertreter Ih rer Partei – im Auge hat, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Andreas Stoch SPD: Wir sollten lieber darüber sprechen, was in Baden-Württemberg die Re gierung kann! – Gegenruf des Abg. Dr. Wolfgang Reinhart CDU: Wer ist denn alles in der Regierung in Berlin?)

Insofern muss man, glaube ich, immer auch diesen Günther Oettinger differenziert zitieren. Er ist ein Glücksfall in dieser europäischen Entwicklung, auch mit Blick auf seine große Aufgabe, und er sagt zu Recht – das will ich unterstreichen –, dass wir alle uns auch von dieser Bundesregierung mehr eu ropäischen Aufbruch erwarten, gerade in dieser schwierigen Zeit. Damit ist das Signal auch aus diesem Parlament gesetzt: Wir wollen diesen Aufbruch für Europa!

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen sowie des Abg. Andreas Stoch SPD – Abg. Andreas Stoch SPD: Zaghaftes Klatschen bei der CDU!)

Niemand hat Ihnen untersagt, sich dem Klatschen anzu schließen.

(Abg. Andreas Stoch SPD: Habe ich gemacht!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Debatte richtet aber den Blick natürlich auch auf den Wahltag am 26. Mai 2019. Da haben nämlich nicht die Regierungschefs, sondern der Souverän, die Bürgerinnen und Bürger, die Möglichkeit, eine europäische Chance wahrzunehmen. Das Wahlrecht unter scheidet den Bürger vom Untertan. Dieses Wahlrecht auch in Anspruch zu nehmen, von ihm Gebrauch zu machen, heißt, eine Chance wahrzunehmen. Chancen nicht wahrzunehmen

heißt, Chancen zu verspielen. Wir wollen aber, dass Europa nicht ein Kontinent der verspielten Chancen wird, sondern dass Europa ein Kontinent der wahrgenommenen Chancen bleibt.

(Abg. Willi Stächele CDU: Sehr gut!)

Deshalb geht es darum, am 26. Mai nicht nur die Stimme zu erheben, sondern auch die Stimme für Europa abzugeben, lie be Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen)

Nun kann man, Kollege Sänze, in diese Debatte immer wie der mit der Frage eintreten: Was kostet uns dieses Europa auf Euro und Cent? Wie verhält sich das? Das klingt ein bisschen wie die Diskussion über eine buchhalterische Bilanz.

Ich habe mir einmal überlegt: Was sagen Sie jemandem, der Sie beobachtet, wenn Sie durch den Supermarkt gehen, mit einem vollen Wagen an der Kasse ankommen, dann die Rech nung präsentiert bekommen, Ihr Geld bezahlen, die Kasse pas sieren und dann gefragt werden: „Herr Sänze, jetzt haben Sie der Kassiererin gerade 102 € bezahlt. Sind Sie noch zu retten? Für was?“

(Abg. Dr. Bernd Grimmer AfD: Für Ware!)

Dann würden Sie in Ihren Warenkorb schauen und aufzählen, was Sie dafür alles an Gegenleistung bekommen haben.

(Abg. Emil Sänze AfD: Dann tun Sie es doch!)

Wir Baden-Württemberger im Herzen Europas profitieren tat sächlich. Jeder dritte Arbeitsplatz bei uns hängt an Europa.

(Zuruf der Abg. Carola Wolle AfD)

84 Cent zahlen wir pro Tag und Bürger für Europa. Das ist – für die Raucher – der Gegenwert von zwei Zigaretten. Das ist uns Europa wert, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei den Grünen, der CDU, der SPD und der FDP/DVP)

Meine Damen und Herren, die Landesregierung redet nicht nur über Europa, sie hat mit dem Europaleitbild einen ganz konkreten Prozess auf den Weg gebracht, in dem es darum geht, auch gemeinsam mit den Menschen über die Zukunft Europas zu diskutieren, eine Agenda der EU mitzubestimmen. Dabei war ein klares Ergebnis dieser langen Debatte, dass die Menschen mit Blick auf Europa zwar auch über ökonomische Aspekte diskutieren wollen, diese ihnen auch wichtig sind, es den Menschen aber mit Blick auf Europa viel wichtiger ist, darüber zu diskutieren, dass Europa als große Wertegemein schaft entstanden ist und dass Europa auch in der Zukunft ei ne solche Werte- und Rechtsgemeinschaft bleiben muss. Das ist die Sehnsucht der Menschen mit Blick auf Europa, und dem müssen wir Rechnung tragen, liebe Kolleginnen und Kol legen.