Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf setzen wir nun die Vor gaben des Bundesverfassungsgerichts um, und wir gehen so gar noch einen Schritt weiter. Die Entscheidung des Bundes verfassungsgerichts betrifft die sogenannten Fünf- und Sie benpunktfixierungen. In Baden-Württemberg gelten die neu en Regelungen nun aber für alle Fixierungen – egal, welcher technischen Art sie sind –, die länger als eine halbe Stunde dauern. In der Praxis wird das in etwa so aussehen: Die rich terliche Genehmigung wird in der Regel erst im Nachhinein erfolgen. Eine richterliche Anordnung vor der Fixierung bleibt vermutlich eher die Ausnahme, denn häufig besteht akute Ge fahr für Leib und Leben der Betroffenen, aber auch Dritter. Deswegen wird ja die Fixierung oftmals notwendig.
Was nun den Bereitschaftsdienst von 6 Uhr bis 21 Uhr betrifft, ist absehbar, dass es für spätabends und nachts keine richter lichen Entscheidungen geben wird. Die Kliniken brauchen keine nachträgliche gerichtliche Entscheidung, wenn abseh bar ist, dass die Fixierung beendet ist, bevor die richterliche Entscheidung erlangt werden kann. Deshalb ist an diesem Punkt die im Gesetz vorgesehene Pflicht des medizinischen Personals besonders wichtig, die Betroffenen darauf hinzu weisen, dass sie ihre Fixierung nachträglich gerichtlich über prüfen lassen können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich an dieser Stelle noch ein paar wenige Sätze zu der von Ihnen, lieber Kollege Hinderer, im Vorfeld geäußerten Kritik sagen, dass das Gesetz keinerlei Auswirkungen auf den Landeshaushalt haben werde, obwohl das Justizministerium von einem zu sätzlichen Bedarf von 20 Richterstellen ausgeht.
Ja, es ist richtig: Das Justizministerium hat nach den derzei tigen Berechnungen seinerseits von ca. 20 zusätzlichen Rich terstellen gesprochen und ist davon ausgegangen. Der gemein same Blick auf das Justizministerium, das Finanzministerium und uns zeigt: Wir haben keinen Dissens. Die durch das Ge setz erforderlich werdenden personellen Mehrbedarfe werden wir decken; da dürfen Sie sicher sein, Kollege Hinderer. Aber wir wissen noch nicht, in welcher Höhe diese Stellen tatsäch lich gebraucht werden. Eine erste Erhebung nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat gezeigt, dass die Fixie rungszahlen signifikant zurückgegangen sind. Wir hatten von August bis Dezember landesweit monatlich ca. 300 Anträge – also eine deutliche Reduktion.
Wir haben derzeit noch keine gesicherte Datenbasis. Aber wenn wir diese haben, dann – davon können Sie ausgehen; wir pflegen das gemeinsam ganz sorgsam – wird die verfas sungsrechtliche Entscheidung tatsächlich so umgesetzt, dass dies auch personell und von den Ressourcen her abgebildet werden kann und wir im laufenden Verfahren reagieren kön nen.
Noch eine formale und formelle Begründung, warum der Ge setzentwurf keine Auswirkungen auf den Landeshaushalt hat, Kollege Hinderer: Der Kernbereich der Justiz, zu dem auch der Personal- und Sachaufwand der Gerichte gehört, ist von der Darstellungspflicht des Erfüllungsaufwands ausgenom men.
Meine Damen und Herren, wir verfolgen mit diesem Gesetz entwurf noch ein weiteres Ziel: Wir setzen die Vorgaben der EU-Richtlinie über Verfahrensgarantien in Strafverfahren für Kinder, die Verdächtige oder beschuldigte Personen in Straf verfahren sind, um. Hier führen wir Änderungen durch, die wiederum vor allem zwei Sachverhalte berücksichtigen. Ers tens: Inhaftierte Kinder müssen getrennt von Erwachsenen un tergebracht werden. Zweitens: Kinder haben ein Recht auf ei ne unverzügliche medizinische Untersuchung.
Es stellt sich nun auch die Frage, ob wir in Baden-Württem berg ein eigenes jugendforensisches Angebot schaffen. Der zeit sind wir dabei, einen Wirtschaftlichkeitsvergleich zwi schen einer landeseigenen jugendforensischen Einrichtung und einer vergleichbaren Einrichtung, die wir unter Umstän den mit den Nachbarländern – Kollege Sckerl – Hessen und Rheinland-Pfalz betreiben, anzustellen. Diese Prüfung haben wir in Auftrag gegeben.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluss feststellen: Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zeigt: In besonders grundrechtssensiblen Bereichen wie in der Psychiatrie, in der psychiatrischen Behandlung, müssen wir immer wieder die bestehenden Strukturen und Regelungen anschauen und diese überdenken.
Diese gesetzlichen Neuregelungen sind ein weiterer wichti ger Schritt, damit unser sehr, sehr gutes Psychisch-KrankenHilfe-Gesetz tatsächlich noch ein Stück besser und rechtssi cherer wird. Die Patientenrechte werden gestärkt, ebenso wie natürlich auch die Rechte der Mitarbeiterinnen und Mitarbei ter, weil das Gesetz klare Vorgaben schafft.
Sie wissen: Die Arbeit in psychiatrischen Institutionen ist ei ne herausfordernde Arbeit, eine sehr sensible Arbeit. Über vie le Jahrzehnte war dieser Bereich durchaus auch von Diskri minierung und Ausgrenzung geprägt. Mit unserem PsychischKranken-Hilfe-Gesetz und dem Psychiatrieplan des Landes ist es uns zu einem guten Teil geglückt, die Sorgen und Nöte von kranken Menschen in die Mitte der Gesellschaft zu rü cken und dies als Gemeinschaftsaufgabe zu definieren. Mit der nun vorgenommenen gesetzlichen Präzisierung setzen wir einen weiteren wichtigen Schwerpunkt. Wir bieten damit an, es noch besser zu machen.
Frau Präsidentin, liebe Kol leginnen und Kollegen! Freiheitsentziehende Maßnahmen sind mit die härtesten Eingriffe in das Leben von Menschen. Ob und inwiefern sie ethisch vertretbar sind, ob und inwie fern sie zum Schutz vor extremer Selbstschädigung und gele gentlich auch vor Fremdschädigung erforderlich sind, ist da her mit größter Sorgfalt zu definieren. Besondere Vorkehrun gen sind dafür unumgänglich – auch um dem damit verant wortlich befassten Personal die notwendige Rückendeckung zu geben. Dies gilt nochmals gesteigert bei Fixierungen, die die Bewegungsmöglichkeit der Betroffenen unmittelbar ein schränken oder gar verhindern.
Das Bundesverfassungsgericht hat im Juli 2018 festgelegt, dass es bei besonders stark eingreifenden freiheitsentziehen den Maßnahmen nicht ausreicht, dass diese ärztlich angeord net werden, sondern dass dafür eine richterliche Genehmigung erforderlich ist. Ebenso wurde festgelegt, dass die Fixierten über eine sogenannte Hinweispflicht darüber informiert wer den, wie sie gegen eine akut notwendige Maßnahme auch nachträglich Einspruch erheben können. Beides hat der vor liegende Gesetzentwurf in klarer, transparenter und schlüssi ger Weise umgesetzt.
Darüber hinaus wird vom Land ein Erkundungsverfahren ein geleitet – der Minister hat darüber gesprochen –, das es er möglichen soll, dass Jugendliche nicht mehr im Maßregelvoll zug untergebracht werden müssen, damit auch hier dem Grund satz der Verhältnismäßigkeit und der fachlichen Zweckmäßig keit noch besser Rechnung getragen werden kann.
Wir begrüßen sowohl das Urteil des Bundesverfassungsge richts als auch die konkrete Umsetzung durch den vorliegen den Gesetzentwurf, der zudem infolge der Anhörung weiter präzisiert wurde. Dafür ganz herzlichen Dank an das Minis terium für Soziales und Integration und an unseren Minister Manne Lucha.
Das Urteil und der Gesetzentwurf entsprechen voll und ganz unseren sozialpolitischen Grundsätzen. Eingriffe in das Selbst bestimmungsrecht sind in ihrer Unabwendbarkeit besonders sorgfältig zu begründen und rechtsstaatlich abzusichern. Nur dann wird der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vollumfänglich erfüllt. Der Richtervorbehalt bzw. die Hinweispflicht sind auch deswegen uneingeschränkt zu unterstützen.
Sie sind zudem alles andere als ein Misstrauensvotum gegen über den beteiligten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern; im Gegenteil. Dies kann ich vor dem Hintergrund meiner beruf lichen Erfahrung in der Behindertenhilfe nur unterstreichen. Ich habe bei freiheitsentziehenden Maßnahmen immer darauf bestanden, dass für diese richterliche Genehmigungen einge holt werden, und zwar auch da, wo Gerichte der Meinung wa ren, sie müssten sich nicht unbedingt damit befassen, etwa bei Kindern. Wir wissen aber aus der Praxis: Ein Richtervorbe halt schützt die Mitarbeitenden, indem ihnen zusätzlich Hand lungssicherheit verschafft wird.
Die Checks and Balances durch die Einbindung der Gerichte haben einen weiteren Nutzen: Sie beugen außerdem der sicher sehr seltenen, aber in der Praxis nie ganz auszuschließenden Versuchung vor, dass Fixierungen aufgrund von Personalman gel früher als unbedingt erforderlich vorgenommen werden. Check and Balances regen auch die institutionelle Kreativität an, wie – z. B. durch zusätzliche technische Warnvorrichtun gen – stärkere freiheitsentziehende Maßnahmen vermieden werden können.
Dies alles verbessert nicht nur die Rechtssicherheit, sondern dient zusätzlich auch der Qualitätssicherung in dem hochsen siblen Regelungsbereich der Behindertenhilfe, insbesondere des PsychKHG, also des Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetzes. Den etwas höheren personellen Aufwand – das steht auch im Gesetzentwurf –, der mit dem Urteil des Verfassungsgerichts und dem vorliegenden Entwurf verbunden ist, ist das allemal wert.
Nun hat unsere Kollegin Neumann-Martin das Wort – wenn ich das richtig sehe, für ei ne Weile das letzte Mal,
Sehr geehrte Frau Landtagspräsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ob Depressionen, Sucht, Ess- oder Angststörungen oder die Folgen von Burn-out – die Zahl der Menschen, die wegen see lischer Leiden Hilfe benötigen, nimmt zu. Untersuchungen gehen davon aus, dass bundesweit durchschnittlich jeder vier te Erwachsene im Zeitraum eines Jahres einmal die Kriterien einer psychischen Erkrankung erfüllt. Während psychische Erkrankungen vor 20 Jahren in der Gesamtheit noch nahezu bedeutungslos waren, sind sie heute die zweithäufigste Diag nosegruppe bei den Krankschreibungen.
Auch die Zahl der schweren Störungen und Krankheiten, die mit einer Gefahr für sich selbst und für andere einhergehen, hat zugenommen. Deshalb ist es richtig, genau hinzuschauen, wie wir mit den verschiedenen Krankheitsbildern umgehen und wie wir den betroffenen Menschen und ihren Angehöri gen helfen können.
Das Land Baden-Württemberg hat deshalb bereits 2015 ein Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz verabschiedet, mit dem die Rechtsstellung psychisch kranker Personen gestärkt werden sollte. Die Hilfen und Schutzmaßnahmen wurden zusammen geführt, und auch die bislang im Unterbringungsgesetz getrof fenen Regelungen zur öffentlich-rechtlichen Unterbringung und zum Maßregelvollzug wurden in das Gesetz integriert.
Bei dem nun vorliegenden Gesetzentwurf, über den wir heu te beraten, geht es um Ergänzungen und Korrekturen dieses Gesetzes. Damit setzt die Landesregierung ein Urteil des Bun desverfassungsgerichts um, mit dem die Vorgaben für Fixie rungsmaßnahmen neu geregelt werden, und ebenso eine EU
Richtlinie über Verfahrensgarantien in Strafverfahren für Kin der, die Verdächtige oder beschuldigte Personen in Strafver fahren sind. Sie müssen in diesem Fall getrennt von Erwach senen untergebracht werden.
Im Kern geht es im Bundesverfassungsgerichtsurteil darum, die Rechte von Patienten zu stärken, und aus meiner Sicht auch darum, für das medizinische Personal Rechtssicherheit zu schaffen. Denn über die Fixierung der Patienten entschei den die Ärzte nicht mehr allein. Fixierungen, die voraussicht lich länger als 30 Minuten dauern, müssen von einem Rich ter vor Ort genehmigt werden. Auch müssen die Patienten, so bald sie wieder ansprechbar sind, darüber aufgeklärt werden, dass sie Rechtsmittel gegen diese Fixierung einlegen können.
Anstoß für diese Gesetzesänderungen waren für die Landes regierung die Vorgaben des Verfassungsgerichts. Mir persön lich ist aber wichtig, dass wir uns auch mit dem Thema aus einandersetzen und um gute und praktikable Lösungen rin gen. Wir, das Land, zeigen: Wir nehmen die Sorgen der Be troffenen ernst und handeln entsprechend.
Wir, die CDU-Fraktion, wollen ein Gesetz, vor dem niemand Angst hat, ein Gesetz, das die Rechte der Patienten stärkt, aber auch die schwierige Situation der Ärztinnen und Ärzte sowie der Pflegerinnen und Pfleger berücksichtigt,
Die Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts wird zu einer deutlichen Mehrbelastung der Amtsgerichte so wohl im betreuungsgerichtlichen als auch im bereitschafts richterlichen Bereich führen. Neue Richterstellen werden not wendig sein. Justizminister Guido Wolf rechnet mit zusätz lich 20 Stellen. Dies ist richtig und auch notwendig. Ein be sonderes Augenmerk sollten wir aber auch auf die Stärkung der Zusammenarbeit und der Vernetzung in den Systemen und vor allem auf die Weiterbildung und Sensibilisierung der Rich terinnen und Richter legen.
Aus meiner eigenen Praxis in der Jugendhilfe weiß ich, wie wichtig es ist, dass die Kommunikation zwischen der Justiz und dem Personal in den Einrichtungen kooperativ verläuft und dass die Rechte der Patientinnen und Patienten tatsäch lich gestärkt werden und nicht zwischen Überforderung und Frust irgendwo auf der Strecke bleiben.
Deshalb bin ich davon überzeugt, dass wir mit diesem Gesetz entwurf auf dem richtigen Weg sind, aber dass wir die gute praktische Umsetzung sehr genau beobachten müssen.
Frau Präsidentin, meine sehr geehr ten Damen und Herren! Wir befassen uns heute mit dem Ge setzentwurf der Regierung zur Änderung des Psychisch-Kran
ken-Hilfe-Gesetzes des Landes Baden-Württemberg aus dem Jahr 2014, das 2015 schon einmal geändert worden ist.
Dieses Gesetz bezieht sich auf ein Teilgebiet der Medizin, das auch als Seelenheilkunde bezeichnet wird. Es befasst sich mit der Erkennung und Behandlung von geistigen und psychi schen Störungen. In dieses Gesetz soll die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Juli eingearbeitet wer den; denn die einschlägige Vorschrift des Landes Baden-Würt temberg wurde für verfassungswidrig erklärt, und es wurde bestimmt, dass der Landtag von Baden-Württemberg ver pflichtet ist, bis zum 30. Juni dieses Jahres einen verfassungs konformen Zustand herzustellen.
Insbesondere geht es um den Bereich der sogenannten Fixie rungen. Unter bestimmten Voraussetzungen dürfen Personen – und zwar als allerletzte Maßnahme – fixiert werden. Wir ha ben vorhin von der Fünfpunktfixierung und der Siebenpunkt fixierung gehört. Der Unterschied ist, dass in dem einen Fall – bei der Fünfpunktfixierung – alle Extremitäten fixiert wer den, zusätzlich wird ein Bauchgurt angelegt. Bei einer Sie benpunktfixierung werden daneben der Brustbereich und zu sätzlich auch noch der Kopfbereich fixiert.
Das Gesetz greift jetzt alle Formen von Fixierungen auf, nicht nur diese beiden Fixierungen, die das Bundesverfassungsge richt bewertet hat.
Es handelt sich hier um schwerste einschränkende Maßnah men, die für die Betroffenen von extrem beklemmender Na tur sind. Das Bundesverfassungsgericht hat eindeutig klarge stellt, dass dies nur unter Richtervorbehalt erfolgen kann.