Protokoll der Sitzung vom 15.05.2019

Lieber Herr Kollege Ken ner, Sie haben das Wort für die SPD.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist natürlich immer spannend. Deshalb schreibe ich auch immer nur kleine Konzepte, damit man auf die Vorredner und Vorrednerinnen eingehen kann. Ich mache es ganz kurz. Kollegin Erikli, Ihnen sage ich: Natür lich gab es schon zivilgesellschaftliche Beteiligung, bevor der erste grüne Mensch die Welt betreten hat,

(Beifall der Staatssekretärin Friedlinde Gurr-Hirsch)

nämlich schon in Athen und in Rom.

Übrigens: In Rom, Frau Baum, gab es über 200 verschiedene Nationen, und dieses Reich hat 1 000 Jahre lang gehalten.

(Heiterkeit des Abg. Martin Rivoir SPD – Zurufe von der AfD – Unruhe)

Zivilgesellschaftliche Beteiligung gab es in Deutschland schon während des Feudalismus. Dann hatten sich die Menschen in Bürgervereinen zusammengeschlossen. Im Kaiserreich, als die SPD und liberale Parteien verboten waren, gab es Arbei tervereine, die Kolpingsfamilie, Arbeitergesangvereine, Sport vereine – all das war Zivilgesellschaft.

Zivilgesellschaft war übrigens historisch gesehen ein Mittel der Bevölkerung, sich gegen Feudalismus, Absolutismus, aber auch Faschismus oder Kommunismus und andere Dinge zu wehren.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Nico Weinmann FDP/DVP – Vereinzelt Beifall bei den Grünen)

Ich erinnere an die Dissidenten in den kommunistischen Län dern, die unter Lebensgefahr für Freiheit, Liberalität, Presse freiheit, Wahlrecht gekämpft haben und die 1990 belohnt wur den. Ich erinnere an eine baden-württembergische zivilgesell schaftliche Gruppe, die „Weiße Rose“, die ihr zivilgesell schaftliches Engagement mit dem Leben bezahlt hat. Das sind Vorbilder; die haben sich eingesetzt. Übrigens gab es 3 000 Jahre lang Zivilgesellschaft, bevor die AfD gekommen ist.

(Lachen bei Abgeordneten der AfD – Zuruf des Abg. Emil Sänze AfD)

Wenn Sie von den Gemeinden sprechen, Frau Baum, sage ich Ihnen eines: Gott sei Dank gibt es kaum eine Gemeinde in Ba den-Württemberg, in der es die AfD geschafft hat, überhaupt eine Liste zusammenzubekommen,

(Abg. Anton Baron AfD: Warten Sie einmal die SPD- Ergebnisse ab! – Zuruf des Abg. Emil Sänze AfD)

sodass in 95 % aller Städte niemand von der AfD Gelder ver teilt. Das ist das eine.

(Beifall bei der SPD und den Grünen sowie Abgeord neten der CDU)

Jetzt komme ich auf unser Programm zurück.

(Zuruf von der AfD)

Ich bedanke mich zuallererst einmal im Namen unserer Par tei bei allen, die in der Bundesrepublik die Tradition der Zi vilgesellschaft hochhalten. In Baden-Württemberg sind übri gens 50 % aller Einwohnerinnen und Einwohner des Landes engagiert: in Sportvereinen, in der Hospizgruppe, im Natur schutz, in der Flüchtlingsarbeit, in der Seniorenarbeit, in der Kulturarbeit, bei der Lebenshilfe, in den Tafelläden, bei der AWO, beim Albverein. Unser Land wäre nicht ärmer ohne Zi vilgesellschaft, nein, unser Land wäre arm ohne Zivilgesell schaft.

Wir müssen es als Parteien, als Parlament, als Gemeinderäte aushalten, dass sich Zivilgesellschaft auch gegen uns enga giert. Man hat das bei der Anti-Atom-Bewegung gesehen, bei S 21, aber die Grünen erleben es auch bei der Windkraft. Es gibt auch Bürger, die sich gegen Windkraft engagieren.

(Beifall des Abg. Jürgen Keck FDP/DVP – Abg. Karl Zimmermann CDU: Gott sei Dank!)

Zivilgesellschaft ist nicht nur dafür da, uns wohlgefällig zu sein.

Jetzt komme ich aber auf dieses Programm zurück. Dieses Programm ist erfolgreich. Übrigens haben wir das damals ge meinsam in die Wege geleitet. Ich sage nur: Ehrenamt ist an strengend. Ehrenamt verlangt sehr viel Kompetenz und braucht Unterstützung und Beratung. Genau das haben wir mit die sem Programm erreicht.

Wir haben auch gesagt: Wir müssen die Lebensbedingungen in den ländlichen Räumen stärken. Deswegen finde ich es be merkenswert, dass genau bei diesem Programm der Großteil der Empfängerkommunen – in denen insgesamt doch sehr, sehr viele Menschen leben – weniger als 10 000 Einwohner haben. Wir wollen auch verhindern, dass Menschen die länd lichen Räume verlassen. Deshalb sind solche Projekte richtig. Da unterstützen wir Menschen.

Übrigens: „Volk“. Wir sprechen von der „Bevölkerung“. Die Bevölkerung setzt sich aus allen Menschen zusammen, die hier leben, die hier wohnen, und vor allem, die sich hier en gagieren wollen – egal, wo sie herkommen oder wo sie gebo ren sind.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Susanne Bay GRÜ NE – Zuruf des Abg. Emil Sänze AfD)

Immer wenn ich Ihnen zuhöre, frage ich mich, ob wir eigent lich auf demselben Kontinent leben. Ich weiß immer gar nicht, von welchem Land Sie sprechen.

(Abg. Dr. Christina Baum AfD: Ja, genau! Zum Wohl des deutschen Volkes!)

Ich meine, Herr Palka hat hier bei seiner letzten Rede zum Klimawandel gesagt: „In der Eiszeit, als es noch keine Men

schen gab.“ Wir haben das Weltkulturerbe Eiszeit. Vor 40 000 Jahren gab es hier schon Menschen, die Kulturgüter herge stellt haben.

(Abg. Udo Stein AfD: Das haben Sie falsch verstan den, Herr Kollege!)

Es gibt übrigens keinen Hinweis, dass da jemand von der AfD dabei gewesen ist – in keiner Höhle.

(Abg. Carola Wolle AfD: Aber auch nicht von der SPD!)

Das muss man dazusagen.

Um auf dieses Projekt zurückzukommen: Was uns Sorge macht – es wurde hier schon gesagt: dieses Projekt ist ein Erfolg –, ist: Dieses Projekt muss weitergeführt werden. Deswegen wer den wir es auch unterstützen, Herr Minister – Frau Erler ist ja leider krank; übrigens gute Besserung auch von unserer Sei te –, dass dieses Projekt im Haushalt abgesichert wird. Wenn Sie da auf unsere Stimmen angewiesen sind, werden Sie un sere Stimmen erhalten.

(Abg. Thomas Blenke CDU: Ui!)

Wir haben dieses Projekt im Jahr 2015 mit auf den Weg ge bracht. An uns wird es nicht scheitern.

(Abg. Thomas Blenke CDU: Das ist ein Wort!)

Es ist eine wichtige Weiterentwicklung unserer Zivilgesell schaft, auf die, denke ich, 90 % der Abgeordneten in diesem Parlament stolz sind.

Lieber Herr Abg. Kenner, vielen Dank.

Und die anderen müssen halt in diesem Land leben.

Vielen Dank fürs Zuhören.

(Beifall bei der SPD und der FDP/DVP sowie Abge ordneten der Grünen und der CDU – Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU)

Wunderbar. – Jetzt darf Herr Abg. Professor Dr. Goll für die FDP/DVP die historische und philosophische Debatte fortsetzen.

Frau Präsidentin, liebe Kol leginnen und Kollegen! Spontane Vorbemerkung: Lieber Herr Kenner, vielleicht gab es auch schon in der Steinzeit in den letzten Ecken der finstersten Höhlen Rechtspopulisten.

(Heiterkeit – Zuruf: Da gab es noch keine Rechten! – Gegenruf des Abg. Thomas Axel Palka AfD: Auf jeden Fall noch keine SPD!)

Dazu, dass es sie gibt, und zu dem, was sie verbreiten, kann ich, fürchte ich, wieder nichts sagen, weil ich keinen Ord nungsruf will. Es ist am besten, es zu ignorieren, soweit es geht.

(Beifall bei der FDP/DVP – Vereinzelt Beifall bei den Grünen)

Meine Damen und Herren, nach mehreren Anläufen ist jetzt die Gelegenheit für die die Regierung tragenden Fraktionen gekommen, sich selbst und damit auch die Regierung – oder umgekehrt: die Regierung und sich selbst – für dieses schöne Programm „Gut Beraten!“ zu loben. Es ist ein schönes Pro gramm. Man ist versucht, zu sagen: fast so schön wie die Hö ri. Darum werden wir in dieses Lob auch einstimmen. Ich bit te allerdings um Verständnis, dass ich mich nicht in der Pflicht sehe, dabei die Redezeit auszuschöpfen.

(Heiterkeit)

Es geht – das ist nun mehrfach gesagt worden – um zivilge sellschaftliche Aktivitäten in wichtigen Gebieten: Bürgerbe teiligungen, Dorftreffs, Nachbarschaftshilfe, Jugendbeteili gung, Nahversorgung.

Aus gegebenem Anlass möchte ich nur eines noch ergänzen: An diesen Aktivitäten sind in erheblichem Umfang auch Men schen mit Migrationshintergrund beteiligt, die im Übrigen auch in wesentlichem Umfang Verdienste dabei erworben ha ben, unser Land aufzubauen. Das ist der einzige Punkt, auf den ich eingehe, weil es eigentlich eine Beleidigung ist, so zu tun, als hätten sie unser Land nicht mit aufgebaut. Sie sind auch bei diesen Aktivitäten dabei. Das ist gut so.