Protokoll der Sitzung vom 16.05.2019

(Abg. Rainer Hinderer SPD: Das ist gut!)

aber Neoliberalismus ist nicht der richtige Ausdruck. Der Neo liberalismus war der Vorläufer unserer sozialen Marktwirt schaft. Sie sprechen von der Chicagoer Schule, den sogenann ten Neocons, aber das sei Ihnen verziehen. Das ist mittlerwei le Allgemeingut, aber ich kann es nicht mehr hören.

(Beifall bei der FDP/DVP – Zuruf des Abg. Peter Ho felich SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, „Fit für die Zukunft – Städte und Gemeinden in Baden-Württemberg“, lautet der Titel der Großen Anfrage der Regierungsfraktionen. Natürlich kommt die Landesregierung zu dem Ergebnis, dass die Kommunen in Baden-Württemberg fit für die Zukunft sind. Wie hätte es auch anders sein können? Um den Schein zu wahren, hätte man ja wenigstens ein Fra gezeichen hinter den ersten Teil der Überschrift setzen kön nen – anstandshalber sozusagen –: „Fit für die Zukunft?“ Ob die Städte und Gemeinden in Baden-Württemberg tatsächlich

fit für die Zukunft sind, kommt ganz darauf an, von welchen Rahmenbedingungen wir künftig ausgehen können.

Wir sind hier auf Prognosen angewiesen, und inzwischen ist ja hinlänglich bekannt, dass Prognosen immer dann besonders schwierig sind, wenn sie sich auf die Zukunft beziehen. Eine solche Prognose ist beispielsweise die aktuelle Steuerschät zung. Der Konjunkturhimmel verdunkelt sich, und die ersten Frühindikatoren zeigen nach unten. Nur die hohe Binnennach frage stützt das Wachstum auf niedrigem Niveau. Die Zu wächse bei den Steuereinnahmen fallen demnach ebenfalls niedriger aus. Aber genau in einer solchen Situation zeigt sich, ob die Kommunen fit sind für die Zukunft oder nicht. Wenn das Füllhorn nicht mehr ganz so üppig sprudelt wie ursprüng lich angenommen, dann muss man mit dieser Situation um gehen.

Ich will hier aber nicht falsch verstanden werden. Die Situa tion bei den Steuereinnahmen ist keinesfalls dramatisch, der Zuwachs ist nur nicht mehr ganz so hoch. Es fehlen rund 105 Millionen € in diesem Jahr und je 1 Milliarde € in den Jahren 2020 und 2021. Wenn diese Landesregierung einen weiteren aufgeblähten Rekordhaushalt vorlegen wird, sollte dies nicht zu stark ins Gewicht fallen – falls diese Prognose dann noch stimmt; denn je weiter man sich in die Zukunft vorwagt, um so größer wird die Fehleranfälligkeit.

Um unter Unsicherheit agieren zu können, muss man nicht die Prognosen immer weiter verfeinern; denn diese stimmen im Zweifel sowieso nicht. Vielmehr muss man das System Kommune flexibel und anpassungsfähig gestalten. Sowohl die Landesverfassung als auch das Grundgesetz geben die Ant wort auf dieses Bedürfnis nach Flexibilität und Anpassungs fähigkeit. Die Antwort lautet: kommunale Selbstverwaltung. Sie ermöglicht es Kommunen, selbstständig und eigenverant wortlich zu handeln. Sie gewährleistet Finanzhoheit, Perso nalhoheit, Organisationshoheit, Planungs- und Satzungsho heit. Das Land hat die Pflicht, diese Hoheitsrechte anzuerken nen, sie zu gewährleisten und zu schützen.

Für die Ausübung dieser Hoheitsrechte ist aber auch ein Punkt unabdingbar – dieser wurde heute auch schon angesprochen –: eine auskömmliche Finanzierung der Kommunen.

Wenn ein Vater zu seiner Tochter sagt, sie habe das Recht, zwischen einem Porsche und einem Mercedes AMG zu wäh len, ihr aber nur 50 € Taschengeld zur Verfügung stellt, ist es nicht weit her mit dem Wahlrecht der Tochter.

Jetzt sind die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in Ba den-Württemberg zum überwiegenden Teil sehr vernünftige Leute, und ihr Kopf hängt nicht in den Wolken. Alles, was sie verlangen, ist eine solide Basisfinanzierung über die Schlüs selzuweisungen, Zuweisungen, die sie in die Lage versetzen, in eigener Verantwortung und flexibel auf veränderte Rahmen bedingungen zu reagieren.

Aber was beobachten wir seit geraumer Zeit? Einen Trend zu immer mehr Sonderzuweisungen, zur Finanzierung über be stimmte Programme. Hier hält man der Kommune eine Mohr rübe vor die Nase, und nur dann, wenn sie sich im Sinne des Landes verhält und die richtige Wegstrecke in vorgegebener Zeit zurücklegt, kann sie einen Teil der Mohrrübe haben, wenn sie dann auch noch die Hälfte davon bezahlt. Das ist auch ei

ne Art Fitnesstraining für die Kommunen. 25 % der Finanz zuweisungen des Landes erfolgen mittlerweile über solche Sonderzuweisungen.

Ein Beispiel: Sagt Ihnen das Programm Feldwegebau etwas?

(Abg. Andreas Schwarz GRÜNE und Abg. Gabi Rol land SPD: Ja!)

Diejenigen, die bei Bürgermeistern unterwegs sind, kennen es. Offiziell heißt es: Fördervorschrift zur Modernisierung Ländlicher Wege.

(Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Ja, klar!)

Sprechen Sie einmal irgendeinen Bürgermeister darauf an. Falls er nicht gleich bei der Antragstellung gescheitert ist und wohlweislich die Hände von diesem bürokratischen Pro gramm gelassen hat, wird er Sie eventuell bei Erwähnung die ses tollen Landesprogramms sofort aus dem Rathaus jagen.

(Zuruf von der SPD: Nein! – Zuruf des Abg. Karl Klein CDU)

Es kann nicht sein, dass Kommunen über Stöckchen springen müssen, um ihr Futter zu verdienen – um einmal ein anderes, aber ebenso unwürdiges Bild zu malen.

Die kommunale Selbstverwaltung hat Verfassungsrang und beinhaltet auch eine auskömmliche Finanzierung. Kommuna le Selbstverwaltung heißt auch, dass sich Kommunen gewis se Ziele selbst setzen und die Mittel zu deren Erreichung selbst wählen können.

Das hier ist weder ein Abgesang auf die kommunale Selbst verwaltung, noch gibt es ihn. Das wird auch immer wieder von allen Fraktionen betont. Ich will Sie nur sensibilisieren, dass sie in Gefahr gerät, wenn Sie so weitermachen. Die Kom munen werden nicht dadurch fit für die Zukunft, dass das Land immer mehr Feinsteuerung betreibt. Hier ist mehr Mut ge fragt. Entlassen Sie die Kommunen in die Freiheit, und ma chen Sie wieder Ernst mit der kommunalen Selbstverwaltung.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Liebe Grünen- und CDU-Abgeordnete, stellen Sie sich ein mal Folgendes vor: Sie sind nicht mehr an der Regierung – könnte ja passieren.

(Abg. Arnulf Freiherr von Eyb CDU: Unvorstellbar! – Vereinzelt Heiterkeit)

Unvorstellbar, sagt Herr von Eyb. – Die Landesregierung wird gebildet aus Ultrarechten – haben wir jetzt keine – und Radikalliberalen, also nicht aus so vernünftigen Freidemokra ten, wie wir es sind. Förderung erhält eine Gemeinde nur noch, wenn sie Kegelbahnen statt Bowlingbahnen einrichtet – die sind zu fremdländisch – und sie mit Projekten deutsches Liedgut unterstützt. Die Radikalliberalen setzen durch, dass alle Privatisierungsprojekte mit 75 % gefördert werden. Ein Horrorszenario? Ganz sicher.

Sie müssen nur mal andersherum denken. Es macht Sinn, dass das Land seine Prioritäten nicht bis ganz unten durchdeklinie ren kann. Es macht auch Sinn, dass Gemeinden Baugebiete nach eigenen Kriterien ausweisen dürfen, sodass nicht bei je

dem Euro, den sie ausgeben, wofür sie Förderung bekommen, der „Öko“-Stempel auf dem Vorhaben sein muss. Föderalis mus und kommunale Selbstverwaltung bedeutet, dass die Kommune eben nicht mit jedem Ziel der Landesregierung ein verstanden sein muss, sondern sich auch eigene Ziele setzen und die Mittel zu deren Erreichung ebenfalls frei wählen kann. Das verstehen wir darunter, dass Kommunen fit für die Zu kunft sind.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP: So ist es!)

Für die Landesregierung er teile ich das Wort Frau Ministerin Sitzmann.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich war schon ein wenig erstaunt, Herr Kollege Brauer, dass gerade Sie den Titel dieser Initiative kritisieren, ein Fragezeichen einfügen wollen. Wenn jemand Grund gehabt hätte, bei der Aktuellen Debatte, die Sie selbst heute als TOP 1 beantragt haben, ein Fragezeichen zu setzen, dann wäre es die FDP/DVP gewesen.

Wir können jedenfalls sagen, dass unsere Kommunen tatsäch lich fit für die Zukunft sind, dass unsere Kommunen stolz da rauf sein können, dass sie im bundesweiten Vergleich wirk lich hervorragend dastehen. Ich denke, die Antwort mit über 70 Seiten mit sehr vielen Details zeigt auch, dass unsere Kom munen in guter Verfassung sind und die Landesregierung den Kommunen ein fairer und verlässlicher Partner ist.

Wir achten und stärken die kommunale Selbstverwaltung; denn wir wissen um die großen verantwortungsvollen Aufga ben unserer Kommunen. Wir sorgen nicht nur aus gesetzli cher Verpflichtung, sondern auch aus Überzeugung dafür, dass die finanzielle Ausstattung stimmt.

Uns sind solide Finanzen unserer Kommunen sehr wichtig, und wir sind stolz, dass unsere Städte und Gemeinden in Ba den-Württemberg im Bundesvergleich tatsächlich eine Spit zenposition einnehmen. Ich glaube, ich kann im Einverneh men mit den Regierungsfraktionen sagen, dass wir unbedingt wollen, dass dies in Zukunft so bleibt, meine Damen und Her ren.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Entscheidende Weichenstellungen der grün-schwarzen Lan desregierung und der sie tragenden Fraktionen haben die Kommunen weiter gestärkt. Lassen Sie mich dazu ein paar aktuelle Zahlen nennen. Das kann man nämlich belegen. Schon 2016 lag der Finanzierungsüberschuss bei 1,2 Milliar den €, 2017 stieg er auf rund 1,3 Milliarden €, und 2018 liegt er nach den Daten der Kassenstatistik sogar bei 2,1 Milliar den €. Meine Damen und Herren, der Überschuss ist also noch mal um 800 Millionen € angewachsen. Das zeigt beeindru ckend, dass wir, die Landesregierung und die Regierungsfrak tionen, die Kommunen an der sehr guten wirtschaftlichen Ent wicklung, die das Land hatte, haben teilhaben lassen.

Auch wenn Sie sich die Verschuldung der Kommunen im Land im bundesweiten Vergleich ansehen, dann werden Sie sehen: Die kommunalen Kernhaushalte liegen mit einer Ver schuldung von 560 € pro Einwohner auf Platz 1 unter den deutschen Bundesländern. Jetzt kann man sich vielleicht fra

gen: Ist das viel, oder ist das wenig? Deshalb zur Einordnung, zum Vergleich: Die durchschnittliche Verschuldung aller Flä chenländer liegt mit 1 704 € pro Einwohner mehr als dreimal so hoch wie hier in Baden-Württemberg. Von den Stadtstaa ten brauchen wir, glaube ich, an dieser Stelle gar nicht zu spre chen.

Wir können stolz sein, dass über 100 der rund 1 100 badenwürttembergischen Gemeinden Ende des Jahres 2017 im Kernhaushalt sowie bei den Eigenbetrieben und Eigengesell schaften schuldenfrei waren. Wir wissen, das ist kein Spazier gang. Auch bei guter Finanzlage ist der Schuldenabbau tat sächlich eine schwierige Aufgabe. Er funktioniert nur, wenn man Prioritäten setzt, Haushaltsdisziplin übt und kreative Lö sungen findet. Deshalb spreche ich hier unsere Anerkennung für die Gemeinden aus, die es geschafft haben, schuldenfrei zu werden.

Aber auch das Land Baden-Württemberg hat seinen Beitrag dazu geleistet. Die Leistungen an die Kommunen beliefen sich im Jahr 2017 auf 10,3 Milliarden €, im Jahr 2018 auf 11,3 Mil liarden € – das sind die Nettozahlen –, und für das Jahr 2019 sieht der Staatshaushaltsplan – Stand Nachtrag – rund 12 Mil liarden € vor. Damit liegt der Anteil der Zuweisungen des Lan des bei rund 40 % der kommunalen Einnahmen und ist neben den Steuern der Kommunen deren wichtigste Einnahmequel le.

Ich will auf einen Punkt hinweisen, meine Damen und Her ren, den ich sehr wichtig finde. Die FDP hat Sonderprogram me kritisiert; das finde ich ganz und gar nicht kritikwürdig. Nehmen wir z. B. den Pakt für Familien, der 2011 mit den Kommunen geschlossen wurde: Damals betrugen die Zu schüsse des Landes für die U-3-Betreuung rund 150 Millio nen € inklusive Bundesmittel; heute sind wir bei über 900 Mil lionen € – reine Landesmittel. Damit sehen Sie, meine Damen und Herren: Eine gute frühkindliche Bildung und Betreuung ist uns sehr wichtig, und wir sind bereit, dafür zu investieren.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Und weil wir immer wieder über die Forderung „Jetzt senkt doch mal die Grunderwerbsteuer“ diskutieren, will ich an die ser Stelle noch einmal sagen: Genau für diese Finanzierung der U-3-Betreuung, bei der wir, das Land, den Kommunen 68 % ihrer Betriebskosten erstatten, haben wir die Grunder werbsteuer von 3,5 % auf 5 % erhöht.

Meine Damen und Herren, Tatsache ist doch, dass diese Mehr einnahmen die Mehrausgaben für die U-3-Betreuung bis heu te nicht decken. Es fehlen rund 200 Millionen €, und das Del ta wird weiter auseinandergehen, weil die Nachfrage nach Be treuungsplätzen für Kinder unter drei Jahren allerorten kräf tig steigt. Sie liegt deutlich über den Bedarfsprognosen, die man ursprünglich angenommen hatte. Diese Mittel aus der Grunderwerbsteuer sind und bleiben künftig ein wichtiges Element der Finanzierung der Kleinkindbetreuung.

Damit unsere Kommunen auch in Zukunft stark bleiben – wir haben bereits über die Grundsteuer diskutiert –, ist es ganz entscheidend, dass wir die Grundsteuer über den 1. Januar 2020 hinaus für die Finanzierung der Kommunen sichern. Diese Landesregierung ist gerade einmal drei Jahre alt. Ziem lich genau auf den Tag vor drei Jahren ist diese Landesregie

rung ins Amt gekommen, meine Damen und Herren. In die sen drei Jahren haben wir uns zwei Mal mit den kommunalen Landesverbänden einvernehmlich und einstimmig auf eine ge meinsame Empfehlung geeinigt, und der Landtag von BadenWürttemberg hat beiden Empfehlungen zugestimmt.

Um noch einmal eine Mär auszuräumen, die die SPD immer wieder zu schüren versucht: Die erste Empfehlung der Ge meinsamen Finanzkommission hatte eine Laufzeit von 2016 bis Ende 2021. Das heißt, die Kommunen hatten von Anfang an Planungssicherheit, lieber Herr Hofelich. Die Kommunen haben in dieser ersten Empfehlung schriftlich die Garantie be kommen, dass wir an der Steuerverbundquote von 23 % fest halten. Sie sehen, uns ist es wichtig, dass wir mit den Kom munen eine gute und faire Partnerschaft auf Augenhöhe pfle gen.

(Zuruf des Abg. Rainer Stickelberger SPD)

Ich kann Ihnen nur sagen: Der Klimawandel findet statt, aber es ist ein Klimawandel, den wir draußen haben. Das Klima zwischen den kommunalen Landesverbänden und der Lan desregierung sowie den sie tragenden Fraktionen ist durch weg gut. Ich bin oft vor Ort unterwegs und führe Gespräche mit Bürgermeistern. Ich kann sagen: Die Zufriedenheit mit diesen beiden Vereinbarungen ist sehr groß. Das wird uns dort auch immer wieder versichert, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Natürlich haben wir für die letzte gemeinsame Empfehlung an den Landtag ein wenig Verhandlungszeit gebraucht. Aber die Themen waren vielfältig, und sie waren auch komplex. Es ging um sehr hohe Summen. Am Ende haben wir eine gemein same Vereinbarung getroffen, die sich meines Erachtens wirk lich sehen lassen kann: immerhin 1,6 Milliarden € zusätzliche Mittel für wichtige kommunale Aufgaben. Ich kann all dieje nigen, die daran etwas zu kritisieren haben, überhaupt nicht verstehen, meine Damen und Herren.