Meine Damen und Herren, ich denke, wir sind uns einig, dass die Haushaltsplanberatungen nicht nur für den Finanzaus schuss – ich verkürze es –, sondern auch für alle Abgeordne ten und für die Regierung einen Sitzungsmarathon dargestellt haben. Auch ich bedanke mich sehr herzlich bei allen, die zum reibungslosen Ablauf der Haushaltsplanberatungen beigetra gen haben. Dies gilt vor allem auch für die im Hintergrund wirkenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Regierung, der Fraktionen, aber natürlich auch der Landtagsverwaltung. Ihnen allen nochmals herzlichen Dank.
Meine sehr geehr ten Damen und Herren, verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir haben die Mittagspause hiermit beendet und setzen die Plenarberatung fort.
(Abg. Anton Baron AfD: Die CDU ist komplett weg! – Gegenruf des Abg. Andreas Sturm CDU: Nein, die CDU ist hier! – Gegenruf des Abg. Anton Baron AfD: Nur einer!)
Erste Beratung des Gesetzentwurfs der Landesregierung – Gesetz zu dem Vertrag des Landes Baden-Württemberg mit der Israelitischen Religionsgemeinschaft Baden und der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs zur Änderung des Vertrags vom 18. Januar 2010 – Druck sache 17/7822
Für die Einbringung und zur Begründung erteile ich das Wort zunächst Frau Ministerin Schopper. Bitte sehr.
Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Da men und Herren Abgeordneten! Wir erleben in unserer Ge sellschaft wie auch weltweit in den letzten Jahren wirklich ein erschütterndes Wiedererstarken von Antisemitismus und Ju denhass. Diese Entwicklung gilt es ohne Wenn und Aber mit aller Kraft zu bekämpfen.
Das haben uns nicht erst die grausamen Angriffe der Hamas auf Israel im vergangenen Jahr oder auch das Echo, das wir in der deutschen Gesellschaft dazu hatten, gezeigt.
Wir müssen nur einige Jahre zurückschauen. Wie man sieht, ist der Judenhass aus Europa nie ganz verschwunden. Ich er innere nur an das schreckliche Attentat auf die Synagoge in Halle 2019, das wir erleben mussten. Genau einen Tag danach erfolgte die Einbringung des ersten Antisemitismusberichts unseres Antisemitismusbeauftragten, aus dem wir ersehen konnten, wie mitten unter uns Antisemitismus um sich greift.
Antisemitismus scheint – auch angesichts unserer multiplen Krisen und noch einmal verstärkt durch die digitale Verbrei tung – wirklich ein trauriges neues Ausmaß angenommen zu haben. Der jüngste Bericht des Antisemitismusbeauftragten zeigt deutlich, welche Zunahme an antisemitischen Einstel lungen wir haben. Auch eine Zunahme der Zahl von antise mitischen Vorkommnissen und von antisemitischen Strafta ten wird darin festgestellt.
Sie werden es wahrscheinlich in Ihrem Umfeld, aber auch in den Medien wahrgenommen haben, dass seit der Eskalation im Nahen Osten, der Eskalation des Nahostkonflikts die Zahl der antisemitischen Vorfälle in Deutschland noch einmal zu genommen hat.
Ganz gleich, in welcher Form er uns begegnet – das will ich hier ausdrücklich noch einmal sagen –, ist Antisemitismus ei ne Gefahr, und zwar nicht nur für Jüdinnen und Juden, son dern für uns alle, für eine freiheitliche und demokratische Ge sellschaft.
Seine Bekämpfung erlaubt keine Nachlässigkeit. Wir müssen ihn in der Zivilgesellschaft und auch in unseren Behörden mit aller Kraft bekämpfen. Als Kultusministerin sage ich: Auch an den Schulen gehen wir dagegen vor.
Wir haben eine Vielzahl von Maßnahmen auf den Weg ge bracht, um das Übel des Antisemitismus an seinen Wurzeln zu packen und um die nur durch Lügen und Mythen hervor gerufene gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit auszumer zen. Das ist für uns alle hier, für uns Demokratinnen und De mokraten, das Ziel. Leider zeigt uns aber die Realität, dass es auch hier in Baden-Württemberg immer wieder Hass und Feindseligkeiten gegen Jüdinnen und Juden, aber auch gegen jüdisches Leben und jüdische Einrichtungen gibt.
Ich will nur noch mal an das Jahr 2021 erinnern. Wir feierten hier – coronabedingt leider nur in sehr reduziertem Rahmen – 1 700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland. Damals haben wir im Nachgang den Staatsvertrag mit den beiden Israeliti schen Religionsgemeinschaften, den IRGs, zum Schutz von jüdischen Einrichtungen und zur Abwehr von Antisemitismus entwickelt, abgestimmt und verabschiedet. Diesen wollen wir jetzt zukunftsfest aufstellen. Angesichts der neuen Lage wol len wir neue Aspekte in diesen Staatsvertrag einfließen lassen. Der Ministerpräsident hat den Vertrag bereits am 8. Novem ber unterzeichnet. Er wird aber erst durch die Zustimmung des Parlaments ratifiziert und tritt dann im Anschluss in Kraft.
Die Änderungen des Staatsvertrags sind im Wesentlichen von zwei Säulen getragen: Sicherheit für jüdisches Leben und För derung von jüdischem Leben in Baden-Württemberg. Für die erste, gerade in der aktuellen Zeit besonders wichtige Säule Sicherheit stellt das Land zukünftig noch mal 1,5 Millionen € jährlich mehr zur Verfügung, um die Sicherheit der Israeliti schen Religionsgemeinschaften zu gewährleisten, sodass das Vertragswesen insgesamt einen Umfang von 13 Millionen € aufweist. Ich denke, das ist wichtig, um die Sicherheit in den jüdischen Gemeinden zu gewährleisten, um jüdisches Leben hier in Baden-Württemberg sicher zu machen und um alles dafür zu tun, dass Menschen angstfrei in die Synagogen ge hen können und sich innerhalb ihrer Einrichtungen sicher füh len.
In der zweiten wichtigen Säule stellt das Land für den Erhalt des deutsch-jüdischen Kulturerbes in Baden-Württemberg zu sätzlich 670 000 € zur Verfügung, sodass wir in diesem Be reich Mittel in einem Umfang von 2,7 Millionen € zur Verfü gung stellen. Jüdisches Leben war und ist Teil der deutschen Kulturlandschaft. Mit der deutlichen Aufstockung der Mittel zeigen wir, dass uns die Bewahrung des gemeinsamen Kul turerbes ein wichtiges Anliegen ist.
Bildung, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist – das wissen Sie alle – ein wichtiger Schlüssel zur Prävention von extremistischen Positionen. Mehr Wissen über den vermeint lich anderen führt zu mehr Verständnis für den anderen. Aus diesem Grund unterstützen wir die Israelitischen Religions gemeinschaften beim Aufbau des Jüdischen Bildungswerks. Damit soll es den Gemeinschaften ermöglicht werden, das jü dische Leben in unserem Land einem breiteren Publikum zu zeigen und Vorurteile abzubauen.
Der Wahrnehmung von und dem Respekt vor jüdischem Le ben in Baden-Württemberg dient auch die erweiterte Darstel lung der jüdischen Feiertage. Chanukka beginnt in diesem Jahr am 25. Dezember. Wir haben auch schon häufiger ge meinsam die Lichter auf dem Schlossplatz entzündet. Daher weiß ich, dass dieses Haus immer auch mit sehr großer Soli darität, aber auch mit sehr viel Verbundenheit dabei ist.
Ich freue mich auch sehr, dass der neue Staatsvertrag und der finanzielle Mehrbedarf von der gesamten Breite des Hauses mitgetragen werden. Das ist ein gutes und wichtiges Zeichen.
Meine Damen und Herren, ich möchte an dieser Stelle noch einmal klar sagen: Es ist nicht hinnehmbar, wenn jüdisches Leben in Deutschland in seiner freien Entfaltung bedroht ist, es ist ebenso nicht hinnehmbar, wenn jüdische Menschen Angst vor Demütigungen oder Verletzungen haben müssen. Das Bekenntnis zum „Nie wieder!“ und „,Nie wieder!‘ ist jetzt“ nach dem Angriff der Hamas auf Israel verträgt keine Neutralität, kein Zuschauen und kein Danebenstehen. Viel mehr fordert es Zivilcourage und eine gemeinsame Basis von demokratischen Werten.
(Beifall bei den Grünen, Abgeordneten der CDU, der SPD und der FDP/DVP sowie der Abg. Anton Baron und Daniel Lindenschmid AfD)
Ich sage ganz deutlich: Der Kampf gegen Antisemitismus und Extremismus hat weder einen Endpunkt noch gibt es einen Schlussstrich. Er ist eine Daueraufgabe
für jede Generation aufs Neue; denn die Frucht der Erinne rung und der Erkenntnis tradiert sich leider nicht automatisch.
Den Frieden und den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft zu bewahren, kann nur gelingen, wenn wir gemeinsam für ei nen breiten gesellschaftlichen Konsens aller Demokratinnen und Demokraten für jüdisches Leben in unserem Land einste hen und wenn wir auch eine lebendige und reflektierte Erin nerungskultur pflegen. Lassen Sie uns mit aller Kraft daran arbeiten.
(Beifall bei den Grünen, Abgeordneten der CDU, der SPD und der FDP/DVP sowie der Abg. Anton Baron und Daniel Lindenschmid AfD)
Vielen Dank, Frau Ministerin. – Wir treten jetzt in die Aussprache ein. Wir ha ben eine Redezeit von fünf Minuten je Fraktion festgelegt.
Sehr geehrter Herr Präsi dent, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Abgeord nete, liebe Ministerin! Als das Land 2010 den Staatsvertrag mit den Israelitischen Religionsgemeinschaften Baden und Württembergs geschlossen hat – ich nenne sie in der Folge IRGs –, hat man an vieles gedacht und in diesem geregelt. Die Situation ist heute aber eine ganz andere.
Schon nach dem terroristischen Anschlag von Halle haben wir die Unterstützung ausgeweitet und haben in Sicherheit und Bildung investiert. Seit dem Überfall der Hamas auf Israel und dem sich anschließenden Krieg steht aber leider fest: Die Si cherheitslage für jüdische Einrichtungen in Baden-Württem berg wird weiterhin schwierig sein.