Protokoll der Sitzung vom 07.12.2021

Auch das Rechtsgutachten, das ich in Auftrag gegeben habe, bestätigt diese Sichtweise. Dort wird auf das sehr große Ge wicht der Ziele einer Impfpflicht verwiesen: Bevölkerungs schutz, Schutz des Gesundheitssystems, Entfall weiterer Ein griffe in Freiheitsgrundrechte. Demgegenüber verweisen die Autoren auf das nur sehr geringe Risiko von Impfreaktionen und Nebenwirkungen.

(Zuruf von der AfD: Wer sagt das?)

Eine Impfpflicht sei auch deshalb gerechtfertigt, weil es keine milderen Mittel gibt, um den nötigen Schutz vor der Pande mie zu erreichen.

Auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Bundesnotbremse spricht eine klare Sprache. Das Gericht hat te zu entscheiden, ob Maßnahmen wie Kontaktbeschränkun gen und Ausgangssperren – beides ebenfalls Eingriffe in die Grundrechte – zulässig sind, um die Pandemie zu bekämpfen. In der Abwägung kommt das Gericht zu dem Schluss, dass dies der Fall ist, weil die Maßnahmen verhältnismäßig sind, um große Gefahren für die Gesundheit und das Leben weiter Teile der Bevölkerung abzuwenden.

Genau darum geht es auch bei der Impfpflicht: um den Schutz der Gesundheit und um das Leben vieler Menschen. Dabei hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, dass die Maßnah men nicht nur rechtens sind; nein, vielmehr m u s s der Ge setzgeber handeln. Es gibt eine Schutzpflicht des Staates für die Gesundheit und das Leben seiner Bürgerinnen und Bür ger.

Selbstverständlich müssen wir die Debatte um die Impfpflicht gründlich führen, da es sich um tiefe Eingriffe in die Grund rechte handelt. Aber wir müssen die Entscheidung auch zügig treffen. Wir haben nicht alle Zeit der Welt.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Deshalb ist es gut, dass zum einen die Abstimmung im Bun destag frei von Fraktionszwang erfolgen soll und zum ande ren bald entschieden wird, sodass die Impfpflicht ab Februar oder März in Kraft treten könnte.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, klar ist dabei aber auch: Wenn wir die Impfung von den Menschen fordern, müssen wir die Möglichkeiten zur Impfung weiter ausbauen. Alle, die bislang noch gezögert haben, müssen ein Impfangebot bekom men, bevor die Impfpflicht in Kraft tritt.

Dabei kommen wir gut voran. In den letzten zweieinhalb Wo chen wurden bei uns im Land 1,5 Millionen Impfungen vor genommen, davon 1,18 Millionen Auffrischungen und 320 000 Erst- und Zweitimpfungen. Das zeigt: Wir können das große Ziel erreichen, das wir uns in Baden-Württemberg gesetzt ha ben: 3,5 Millionen Impfungen von November bis Ende des Jahres.

Das bedeutet: Jeder und jede Dritte in unserem Land wird in diesem Zeitraum geimpft. Das ist natürlich sehr ehrgeizig. Aber nur so wird es gelingen, diese Welle dauerhaft zu bre chen – mit einer großen Gemeinschaftsleistung.

Deshalb war es wichtig, dass wir uns bei dem Bund-LänderTreffen darauf verständigt haben, den Kreis der Impfberech tigten auszuweiten. Künftig sollen auch Zahnärzte und Apo theken Impfungen anbieten. Auch Pflegefachkräfte dürfen impfen, etwa in Pflegeheimen.

In Baden-Württemberg gibt es etwa 2 400 Apotheken und über 6 000 niedergelassene Zahnärzte. Selbst wenn sich nur ein Teil an der Impfkampagne beteiligen würde, könnten wir dadurch unsere Impfkapazität auf einen Schlag deutlich erhöhen. Ich hoffe, dass der Bund nun zügig die entsprechenden Voraus setzungen schafft.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen jetzt einen Dreisprung, der uns aus dieser Pandemie herausführt.

(Zuruf des Abg. Rüdiger Klos AfD)

Der erste Sprung ist die Reduktion der Kontakte. Dadurch können wir die Zahl der Infektionen schnell und deutlich sen ken, um die angespannte Lage in den Krankenhäusern nicht noch weiter zu erschweren, sondern perspektivisch zu ent spannen.

Der zweite Sprung: impfen, impfen, impfen und boostern, boostern, boostern, mit aller Kraft und mit allen Kräften, die helfen können, um das Ansteckungsrisiko und den Anteil der schweren Verläufe zu senken.

Der dritte Sprung: die allgemeine Impfpflicht einführen, da mit wir eine ausreichend hohe Impfquote erreichen, um die ses Virus zurückzudrängen.

Das wird uns viel abverlangen. Aber wenn jeder und jede mit macht, wenn jeder an seiner Stelle seinen Beitrag leistet, dann haben wir die Aussicht, unsere Freiheit zurückzugewinnen – und das auf Dauer.

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU sowie auf der Regierungsbank)

Meine Damen und Herren, für die Aussprache zu den Buchstaben a und b der heutigen Ta gesordnung haben die Fraktionen eine Redezeit von 15 Mi nuten je Fraktion vereinbart.

In der Aussprache erteile ich das Wort für die SPD-Fraktion Herrn Fraktionsvorsitzenden Stoch.

Frau Präsidentin, liebe Kollegin nen und Kollegen! Die vierte Welle dieser Pandemie türmt sich weiter auf, und es ist schon jetzt die schlimmste Welle, die wir seit dem Ausbruch von Covid-19 erleben müssen. Es ist deswegen notwendig und zunächst einmal gut und richtig, dass die Landesregierung Maßnahmen verschärfen und auch stärker gegen die Pandemie vorgehen will. Diesen Willen möchten wir Ihnen nicht absprechen; das gehört zur Wahrheit dazu. Zur Wahrheit gehört aber leider auch, dass Wollen noch nicht Können bedeutet.

Baden-Württemberg steht in dieser vierten Welle sehr schlecht da. Die Inzidenzzahlen im Land Baden-Württemberg sind zweieinhalbmal höher als z. B. in Niedersachsen. Bei der Impfquote haben wir den schlechtesten Wert aller alten Bun desländer.

Seit Jahren und in vielen Politikfeldern kritisieren wir, die SPD, einen Bummelkurs dieser Regierung, die gern zuschaut und hofft, dass sich Dinge von allein regeln.

(Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE: Na, na, na! Beim letzten Mal haben Sie was ganz anderes vorgelesen!)

Dieser Kurs ist immer gefährlich; in der Pandemie ist er le bensgefährlich. Und er hat verheerende Folgen für das Ver trauen in den Staat, für die Akzeptanz gegenüber der Politik.

Die Landesregierung wollte am Freitag vergangener Woche neue Regeln einführen, doch es hat mal wieder am Können gefehlt. Und was dabei herauskam, kann man nur als Chaos bezeichnen.

(Beifall bei der SPD und der FDP/DVP)

Nehmen wir mal die Gastronomie. Ankündigung war am Frei tag: 2G Plus für alle. Das hielt dann ein paar Stunden, dann wurde eilig eine Ausnahme für dreifach Geimpfte nachgescho ben, so jedenfalls im Verordnungstext. Weitere Änderungen haben die Öffentlichkeit dann am Samstag erreicht, interes santerweise über die Social-Media-Kanäle der CDU-Frakti on und von CDU-Abgeordneten, die Dinge verkündet haben, die der Verordnung widersprechen. Dabei haben sogar Minis terinnen dieser Regierung, die am Tag vorher im Umlaufver fahren diese Verordnung beschlossen haben, Dinge verkün det, die nicht in der Verordnung stehen. Chaos, Chaos, Cha os, liebe Kolleginnen und Kollegen!

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Offensichtlich haben CDU-Abgeordnete von Personen des öf fentlichen Lebens, möglicherweise aus Verbänden, Druck be kommen, auf Kritik reagiert, und die Regierung war nicht mehr Herr des Handelns. Es wurden Dinge verkündet, die of fensichtlich nicht der Regierungslinie entsprachen. Ein Teil der Koalition macht Politik über die sozialen Medien und ver kündet Dinge, die den Vereinbarungen widersprechen. Dazu kommen dann ein Amtschef im Sozialministerium, der feh lende Regelungen im Rundfunk erklärt, und ein Ministerprä sident, der weitere Ausnahmen ankündigt. Tatsächlich gere gelt ist nichts.

Uns schreiben die Menschen im Land: „Nach diesem Wochen ende haben wir endgültig den Glauben an die Handlungsfä higkeit dieser Landesregierung verloren.“

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Und was dann in einem Rechtsstaat ganz besonders pikant ist: Man erklärt im Nachgang noch, dass es ja keine strengen Kon trollen und auch keine Sanktionen geben soll. Im Klartext heißt das: Die Landesregierung gibt selbst zu, dass man ihre eigenen Regeln erst einmal nicht ernst nehmen sollte. Haben Sie eine Vorstellung, wie viel unnötigen Schaden Sie damit allein am vergangenen Wochenende angerichtet haben? Wis sen Sie, wie viele Gäste abgesagt haben, weil es ihnen nicht an Impfungen, wohl aber an Tests fehlte – Tests, von denen Sie jetzt sagen, dass man sie in vielen Fällen gar nicht ge braucht hätte?

Herr Ministerpräsident, reicht Ihnen das als Leistung Ihres Gesundheitsministers? Reicht es Ihnen, wenn er mit dem Blick auf die langen Schlangen vor den Impfangeboten zetert, die Leute hätten halt im Sommer kommen müssen? Reicht es Ihnen, wenn Ihr Gesundheits- und Sozialminister Leute für drei oder vier Stunden in der Kälte stehen lässt, die ihre Boos terimpfung haben wollen, Leute, die oft 70 Jahre und älter sind und die von ihren Hausärzten erfahren, dass der nächste Termin irgendwann im Februar ist? Reicht Ihnen das in einem Land, in dem die Impfteams regelmäßig Polizeistreifen anfor dern, wenn sie Leute nach stundenlangem Anstehen wegschicken müssen, weil die Impfeinheiten ausgegangen sind? Reicht Ih nen das in einem Land, in dem Menschen an den Wochenen den kreuz und quer durch das Land kurven, um offene Impf stationen zu suchen – in einem Land, in dem man auf unnöti ge Reisen eigentlich verzichten sollte? Und reicht es Ihnen, wenn Minister Lucha austeilt und auf andere zeigt, wenn er den neuen Bundeskanzler schon vor dessen Amtseinsetzung

kritisiert, statt sich für die verkorkste Lage im eigenen Land zu entschuldigen – ein Land, in dem er und sein Haus ver pfuschte Regelungen liefern, die nicht nach Gesetzen, son dern nach Gefasel klingen?

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Das kann Ihnen nicht reichen; vor allem reicht es diesem Land nicht und den Menschen nicht, die jetzt in der schlimmsten Phase der Pandemie Hilfe bräuchten, den Impfwilligen, aber vor allem auch den überlasteten Kliniken, den überlasteten Arztpraxen, den vielen Menschen, die um das Leben von In fizierten kämpfen.

Deswegen fordern wir Sie heute gemeinsam mit der FDP/ DVP-Fraktion dazu auf, das Coronamanagement endlich in andere Hände zu legen. Minister Lucha und sein Haus sind offensichtlich völlig überfordert. Wir brauchen in dieser La ge endlich ein Coronamanagement, das liefert und nicht la bert, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD und der FDP/DVP)

Es gibt in diesem Land so viel zu tun. Wir haben im Sommer davor gewarnt, die Impfzentren ersatzlos zu streichen. Wir ha ben gesagt, es braucht keine Messezentren mehr, aber kleine re und vor allem niederschwellige stationäre Impfangebote wären wichtig. Nichts ist passiert. Genau diese dezentralen Impfangebote haben uns in den letzten Wochen gefehlt. Sie lassen die Menschen buchstäblich eiskalt stehen.

Wir haben gefordert, aus dem Chaos im Frühjahr zu lernen und nicht nur in Heimen zu boostern, sondern älteren Men schen bevorzugt Termine anzubieten. Nichts ist passiert. Wie der gilt das Windhundprinzip. Wir haben auch gefordert, Imp fungen an Schulen vorzubereiten – schon vor den Sommerfe rien, in den Sommerferien, nach den Sommerferien. Dem Kol legen Schwarz ist jetzt eingefallen, dass man ja vor Weihnach ten an den Schulen impfen könnte. Herr Kollege Schwarz, richtig! Aber haben Sie wirklich sechs Monate gebraucht, um auf die Richtigkeit dieses Vorschlags zu kommen?

(Zuruf des Abg. Oliver Hildenbrand GRÜNE)

Seit Monaten wissen wir, dass die Zahl der Impfungen nicht ausreicht und drastisch gesteigert werden müsste. Das weiß eigentlich auch die Landesregierung, aber sie hofft, dass alle anderen steigern und sie selbst es nicht muss.

Minister Lucha freut sich, dass seine Impfteams 20 000 Do sen am Tag schaffen. Im Mai haben die Impfzentren im Land mehr als das Dreifache geschafft. Allein die Ärzte und die kommunalen Impfangebote retten im Moment die Zahlen. Die Lage ist schlimmer als im Frühjahr. Warum tut das Land dann jetzt weniger? Und das Wenige tun Sie noch dazu im Schne ckentempo.

Am 11. November hat Herr Minister Lucha großspurig ange kündigt, dass eine Impfoffensive gestartet werde, so, als ob sie ab diesem Tag laufe. Dabei hat er erst geschlagene zwei Wochen später im Finanzausschuss überhaupt die Mittel be antragt, um diese Impfteams einrichten zu können –

(Zuruf des Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE)

zwei Wochen, in denen sich im Land rund 80 000 Menschen mit Covid-19 angesteckt haben. Als er dazu im Finanzaus schuss des Landtags befragt werden sollte, hat er sich seiner Verantwortung entzogen und sich gedrückt, liebe Kollegin nen und Kollegen. Das ist eine inakzeptable Missachtung des Parlaments.

(Beifall bei der SPD und der FDP/DVP)