Kurz: In Baden-Württemberg haben wir strengere Regeln als in anderen Ländern. Das ist so, weil es nötig ist.
Der Anstieg der Infektionszahlen ist nicht mehr so rasant wie noch vor einigen Tagen. Dennoch erwarten wir, dass der Bund das Infektionsschutzgesetz grundlegend überarbeitet und den Ländern wieder den vollen Instrumentenkasten an die Hand gibt, damit wir reagieren können, wenn sich die Lage nicht dauerhaft bessert. Also: Ausgangsbeschränkungen, die Unter sagung von Veranstaltungen und Versammlungen, die Schlie ßung der Gastronomie, von Betrieben, Gewerken und Handel und im äußersten Notfall auch die Schließung von Schulen und Kitas; zudem die Beschränkung von Reisen und Ein schränkungen bei Übernachtungsangeboten sowie die Unter sagung der Sportausübung.
Das habe ich gestern noch einmal in einem Schreiben an Olaf Scholz und die anderen führenden Köpfe der designierten Bundesregierung gefordert. Der designierte Bundeskanzler
Ich hoffe allerdings inständig und bin auch optimistisch, dass wir in Baden-Württemberg diesen ganzen Instrumentenkas ten nicht ausschöpfen müssen, um diese vierte Welle zu bre chen. Aber ich wäre ein schlechter Regierungschef, wenn ich nicht auf das Schlimmste vorbereitet sein wollte.
Wenn wir eines aus der Pandemie lernen können, dann ist es doch, dass man nichts ausschließen sollte, was die verfas sungsmäßige Ordnung ermöglicht.
Das Gute ist ja, dass wir seit der Entscheidung des Bundes verfassungsgerichts von letzter Woche wissen: Diese Instru mente sind verfassungskonform. Im Kern besagt die Entschei dung Folgendes: In allerhöchster Not darf der Staat tief in die Freiheitsrechte eingreifen, um Leib und Leben von Menschen zu schützen. Denn es geht nicht nur darum, was der Einzelne gerade will, sondern es geht auch darum, welche Konsequen zen seine Entscheidung für uns alle und die gesamte Gesell schaft hat.
Mit anderen Worten: Es geht nicht um Willkürfreiheit, es geht um Verantwortung. Ich bin froh, dass das Bundesverfassungs gericht diesen Freiheitsbegriff stark gemacht hat.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der beste und schnellste Ausweg aus der Pandemie ist und bleibt das Impfen.
Nur durch eine sehr hohe Impfquote können wir verhindern, dass wir in eine fünfte oder sechste Coronawelle rauschen
und wieder gezwungen sind, in die Freiheitsrechte einzugrei fen, um das Gesundheitssystem vor Überlastung zu schützen. Deshalb bin ich sehr erleichtert, dass die Diskussion um die Impfpflicht Fahrt aufgenommen hat.
Da ist zunächst die Impfpflicht für Beschäftigte in sensiblen Einrichtungen wie Krankenhäusern und Pflegeheimen. Ich ha be dafür die Initiative ergriffen und wurde dabei von meinen Kolleginnen und Kollegen in anderen Ländern und von der Bundeskanzlerin und dem designierten Bundeskanzler unter stützt.
Der Bund hat zugesagt, dies zügig auf den Weg zu bringen. Das ist gut. Noch wichtiger aber ist, dass eine allgemeine Impfpflicht mittlerweile von einer Mehrheit unterstützt wird, einer Mehrheit der Bevölkerung und der Politik. Der desig nierte Kanzler Scholz ist auf diesen Kurs eingeschwenkt, und auch die FDP will sich einer allgemeinen Impfpflicht nicht länger in den Weg stellen.
Bei der allgemeinen Impfpflicht geht es zunächst einmal da rum, die Impfquote möglichst rasch und deutlich zu erhöhen. Eine Impfquote von 90 % ist bei der vorherrschenden DeltaVariante nun einmal der Zielwert, den uns die Expertinnen und Experten nennen.
Deswegen ist letztlich eine allgemeine Impfpflicht erforder lich. Das ergibt sich aus der Ansteckungspotenzialität dieses Virus.
(Beifall bei den Grünen und der CDU – Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Erklären Sie doch ein mal, wie Sie das umsetzen wollen! Sie schwadronie ren immer von allgemeiner Impfpflicht, aber sagen nicht, wie Sie das umsetzen wollen!)
Kollege Rülke, wie wir das genau umsetzen und in welchen Grenzen, müssen wir dann intensiv diskutieren. Aber erst mal muss man ja eine Grundentscheidung treffen, ob man über haupt dafür oder dagegen ist. Und dann wird man das im Lich te dessen, was möglich ist, was die Grenzen sind, was zumut bar ist – sowohl für die Mehrheit als auch für die Minderheit –, besprechen und zu entsprechenden Ergebnissen kommen.
(Beifall bei Abgeordneten der Grünen – Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Vielleicht sollte man das vorher überlegen!)
Ich glaube, be stimmte Grenzen haben wir schon deutlich gemacht, etwa, dass es keinen Impfzwang gibt. Das heißt, wir zwingen nie manden,
Und die andere Grenze ist: Niemand landet im Gefängnis, wenn er sich nicht impfen lässt. Das sind ja schon mal sehr wichtige Grenzen.
Ich habe noch niemanden gehört, der etwas anderes möchte, der die Grenzen darüber hinaus ausweiten will. Also ist doch schon mal klar, in welchem Rahmen sich das überhaupt aus gestalten kann. Aber dazu ist jeder Beitrag erwünscht. Das müssen wir in der Tat sorgfältig debattieren...
Nein. Wir ha ben ja anschließend eine Debatte. Ich werde dann noch mal ans Redepult gehen und auf Kritik und Bedenken antworten.
Also: Erst wenn wir eine Impfquote von über 90 % erreicht haben, können wir – Stand heute – einigermaßen sicher da von ausgehen, dass weitere Wellen deutlich kleiner ausfallen werden. Verzichten wir auf die Impfpflicht, ist ungewiss, ob wir diese Quote überhaupt erreichen und wann wir sie errei chen. Aber ich finde, bei einer Impfpflicht geht es nicht nur um ein Mittel zum Zweck. Eine solche Argumentation würde zu kurz springen.
Lassen Sie mich kurz darauf eingehen: Mit einer Impfpflicht schränken wir das Recht auf körperliche Unversehrtheit ein, das in Artikel 2 des Grundgesetzes steht. Wir schränken es für diejenigen ein, die sich nicht impfen lassen wollen, es aber aufgrund der Impfpflicht nun tun müssen. Das liegt auf der ei nen Seite der Waagschale und ist zweifelsohne sehr gewich tig.
Aber es gibt eben auch eine andere Seite. Und was dort liegt, wiegt ebenfalls schwer, sogar sehr schwer. Das ist das Recht auf körperliche Unversehrtheit derer, die sich nicht impfen lassen können und schwer erkranken können. Da geht es um alle, die dringend auf medizinische Behandlung angewiesen sind und sie vielleicht wegen der überlasteten Intensivstatio nen nicht bekommen. Es geht um die Kinder und Jugendli chen, die unter den Einschränkungen noch viel mehr leiden als wir Erwachsenen. Es geht um die Spuren, die immer wie derkehrende Beschränkungen bei den Kulturschaffenden oder im Vereinsleben hinterlassen, um die wirtschaftliche Existenz von vielen Menschen und um die Folgen für den gesellschaft lichen Zusammenhalt und das Vertrauen in die Wirksamkeit staatlichen Handelns.
Ich komme dabei zu dem Schluss: Eine Impfpflicht beschnei det nicht unsere Freiheit im Ganzen, sondern sie sorgt im Ge genteil dafür, dass wir unsere Freiheit im Ganzen wiederge winnen.
Eine Impfpflicht ist nach meiner Überzeugung wirksam, ver hältnismäßig und verfassungskonform. Viele namhafte Ver fassungsrechtler vertreten diese Auffassung.
Auch das Rechtsgutachten, das ich in Auftrag gegeben habe, bestätigt diese Sichtweise. Dort wird auf das sehr große Ge wicht der Ziele einer Impfpflicht verwiesen: Bevölkerungs schutz, Schutz des Gesundheitssystems, Entfall weiterer Ein griffe in Freiheitsgrundrechte. Demgegenüber verweisen die Autoren auf das nur sehr geringe Risiko von Impfreaktionen und Nebenwirkungen.