Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 101. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde erteilt.
Meine Damen und Herren, bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich noch zwei Glückwünsche aussprechen. Am 7. November feierte Frau Kollegin Renate Dodell einen runden Geburtstag. Einen ebenfalls runden Geburtstag begeht heute Herr Kollege Hans Joachim Werner. Im Namen des Hohen Hauses und persönlich gratuliere ich der Kollegin und dem Kollegen sehr herzlich und wünsche ihnen alles Gute, vor allem Gesundheit und gutes Gelingen für ihre parlamentarischen Aufgaben.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, der Landeswahlleiter hat mir die Namen derjenigen Damen und Herren mitgeteilt, die als Nachfolgerinnen und Nachfolger der ausgeschiedenen früheren Kollegen zum 1. November 2002 die Rechtsstellung eines Mitglieds des Bayerischen Landtags erworben haben.
Ich heiße die genannte Kollegin und die Kollegen im Hohen Haus sehr herzlich willkommen. Ich wünsche ihnen für ihre neuen Aufgaben im Parlament Kraft, Erfolg und Gottes Segen.
Für die heutige Sitzung war die Fraktion der CSU vorschlagsberechtigt. Sie hat eine Aktuelle Stunde zum vorgenannten Thema beantragt. In die Beratung beziehe ich folgende zum Plenum eingereichte Dringlichkeitsanträge mit ein:
Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Glück, Dr. Bernhard, Dinglreiter und anderer und Fraktion (CSU)
Baukonjunktur nicht abwürgen – wohnungsbaupolitischen Kahlschlag der Bundesregierung verhindern (Drucksache 14/10797)
In der Aktuellen Stunde dürfen, wie Sie wissen, die einzelnen Redner grundsätzlich nicht länger als fünf Minuten sprechen. Auf Wunsch einer Fraktion erhält eines ihrer Mitglieder zehn Minuten Redezeit; dies wird auf die Gesamtredezeit der jeweiligen Fraktion angerechnet. Ergreift ein Mitglied der Staatsregierung das Wort für mehr als zehn Minuten, erhält eine Fraktion auf Antrag für eines ihrer Mitglieder zusätzlich fünf Minuten Redezeit. Ich bitte Sie, jeweils auf mein Signal zu achten.
Der erste Redner ist der Kollege Dinglreiter. Er hat einen Zehnminutenbeitrag beantragt. Bitte, Herr Kollege Dinglreiter.
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das ist die dramatische Situation in Deutschland im Herbst 2002: Die Wirtschaft stagniert; die Arbeitslosigkeit steigt zum Vorjahr an; die Diskussion um neue Steuern und Abgaben zerstört die Hoffnung vieler Menschen auf Entlastungen; eine Entriegelung des weithin blockierten Arbeitsmarktes ist nicht in Sicht; durchgreifende Reformen auf dem Arbeitsmarkt sind nicht zu erwarten und Experten rechnen bis zum Winter mit einer Arbeitslosenzahl von 4,5 Millionen. Die Koalitionsverhandlungen von RotGrün lassen nicht erkennen, dass nachhaltige Reformen für mehr Wachstum und Arbeitsplätze geplant sind. Das Hartz-Konzept allein reicht dafür nicht. Und so wie in den letzten vier Jahren darf es nicht weitergehen. Gutachten ersetzen nicht den Mut zu notwendigen Reformen. Deutschland braucht einen Aufbruch und Bayern braucht bessere Rahmenbedingungen vom Bund, wenn es seine Spitzenstellung in Europa und in der Welt behaupten will.
Die Koalitionsvereinbarung zeigt: Diese Regierung hat mit Blick auf das Notwendige keine Ideen. Sie hat nicht den Mut, das Richtige zu tun, und vor allem keine Kraft, Deutschland voranzubringen.
Trotz gegenteiliger Beteuerungen von Schröder und Eichel erleben wir eine Abkehr vom Primat des Sparens und eine Rückkehr zum Glauben an die Allmacht des Staates. Ich sage, es wird auch diesmal nichts bringen, den Menschen und den Unternehmen erst Geld wegzunehmen, um es dann über eine zum Teil teure Umverteilung ihnen wieder zukommen zu lassen. Das hat auch mit neuer Gerechtigkeit nichts zu tun. Es ist vielmehr in einem hohen Maße ungerecht, die immer mehr zu schröpfen, die mit ihrer Leistung Staat und Gesellschaft in besonderer Weise stützen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, über vier Jahre hinweg haben wir gehört, dass alles eigentlich der Regierung Kohl anzulasten sei. Der Reformstillstand, die falsche Politik hätten die Bundesregierung daran gehindert, das Richtige zu tun. Jetzt habe ich den Eindruck, die Bundesregierung unter Schröder wäre froh, wenn sie da beginnen könnte, wo sie 1998 gestartet ist.
Ich will Ihnen ein paar Zahlen nennen. Wir hatten im September 1998 in Deutschland ein reales Wachstum von 2%. Heute stagniert die Wirtschaft, in Teilen ist sie sogar rückläufig.
Ja, weil Sie den Aufschwung noch ein Stück weit mitgenommen haben, aber Ihre Reformen haben dann dazu geführt, dass es abwärts gegangen ist.
Wir hatten im September 1998 einen Rückgang der Arbeitslosigkeit um 343000 oder 8%. Heute haben wir 240000 Arbeitslose mehr als letztes Jahr, und das, obwohl in den letzten vier Jahren aus demografischen Gründen über 700000 Menschen mehr aus dem Arbeitsprozess ausgeschieden als neu zugegangen sind. Die Zunahme der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten betrug 1998 146000 gegenüber dem Vorjahr – heute beklagen wir eine rückläufige Entwicklung. Die Zahl der Selbstständigen wuchs 1998 um 66000 – heute beklagen wir 40000 Unternehmenspleiten, usw, usw.
Jetzt haben Sie die Erblast von vier Jahren Rot-Grün selbst zu tragen. Dies ist etwas, das uns mit unserer mittelständisch geprägten bayerischen Wirtschaft in besonderer Weise trifft, weil der Mittelstand durch Ihre Politik in massiver Weise geschädigt worden ist; denn trotz Steuerreform – der größten aller Zeiten, wie sie genannt wurde – zahlen Bürger, Einzelunternehmer und Personengesellschaften in Deutschland 2002 mehr Steuern als 1998. Das ist die Realität. Es darf nicht weiter daraufgesattelt werden; weil sonst – um ein Schiller-Wort zu gebrauchen – die Pferde nicht mehr saufen.
Statt dass die rund 60 Steuern und Abgaben reduziert werden und das in 160 Bundesgesetzen geregelte Steuersystem vereinfacht wird, erleben wir mit den geplanten 50 Steuerverschärfungen einen Ideenwettbewerb der rot-grünen Bundesregierung, der genau auf das Gegenteil gerichtet ist. Das Ergebnis: Die Wachstumsprognosen brechen ein; die Haushaltslöcher werden von Tag zu Tag größer, und die Finanzierung der Sozialsysteme wird immer schwieriger. Aber nur, wenn der Mittelstand Geld zum Investieren hat, werden wieder neue Arbeitsplätze entstehen. Die Menschen im Lande werden wieder mehr Geld für Anschaffungen ausgeben, wenn ihnen der Staat mehr Geld in der Tasche lässt und ihnen vor allem die Sorgen um den Arbeitsplatz abnimmt, die heute auch ständig größer werden. Hier müsste man
ansetzen, die Kräfte des Marktes unterstützen, statt sie zusätzlich zu regulieren und teilweise zu strangulieren, wie es geschieht.
Wir erleben es landauf, landab in vielen Kommentaren, in vielen Berichten der Medien: Rot-Grün hat Deutschland in die tiefstgreifende Krise geführt, die die deutsche Wirtschaft seit Ende des Zweiten Weltkrieges erlebt hat. Dies zeigt sich in der Veränderung des Wachstums und in der Stimmung der Wirtschaft, die derzeit ein Allzeittief erreicht. Die Folgen seien dramatisch, sagt der Chef des Bayerischen Industrie- und Handelskammertages, und er formuliert wörtlich: Wenn der Mittelstand die Lust am Standort Deutschland verliert, haben wir in wenigen Jahren eine andere Republik. Ist dies das Ziel dieser Bundesregierung? – Man könnte es glauben; denn die von allen Fachleuten kritisierten Fehler werden nicht etwa korrigiert, sondern es werden sogar noch neue obenaufgesetzt. Die Aussage der Wirtschaftsweisen lautet ganz klar: Die Koalitionsvereinbarung zur Anhebung von Steuern und Sozialabgaben ist das Gegenteil dessen, was wachstumspolitisch geboten ist. Der neue Wirtschafts- und Arbeitsminister sagt dazu, es wären Dilettanten, die das erarbeitet haben; sie hätten keine Ahnung von den Dingen, um die es jetzt geht. Es wird sich herausstellen, wer dilettantischer argumentiert oder handelt: die Wirtschaftsweisen oder die neue Regierung.
Wir fordern deshalb die Staatsregierung auf, über den Bundesrat die Erhöhung von Steuern und Abgaben soweit wie möglich zu verhindern. Wir brauchen mehr Menschen und Betriebe, die Steuern und Abgaben zahlen und zahlen können, nicht immer höhere Sätze, die Arbeit verhindern. Die Wirtschaft braucht in einer globalisierten Welt Bewegungsfreiheit, braucht flexible Rahmenbedingungen; denn nur dann kann sie sich zeitgerecht den sich rasch verändernden Verhältnissen anpassen und sich erfolgreich entwickeln. Genau das Gegenteil wird getan. Eine hochentwickelte, mittelständisch geprägte bayerische Wirtschaft ist auf solche Rahmendingungen in besonderer Weise angewiesen.
Wir als Bayern werden in Deutschland immer Spitze bleiben. Dafür sorgt die zukunftsweisende Politik, die unser Land unter Führung der CSU in den vergangenen Jahrzehnten gemacht hat und die weiter so betrieben wird. Aber auch Bayern kann in Europa und in der Welt auf Dauer nicht Spitze bleiben, wenn sich die grundlegenden Rahmendaten des Bundes nicht verbessern. Deshalb rufe ich auch die SPD auf, im Interesse Bayerns mit uns gemeinsam daran zu arbeiten, einen Wandel in der Politik vorzunehmen, ein Wandel hin zu mehr Wachstum, hin zu mehr Beschäftigung, damit es mit Deutschland wieder aufwärts geht. Wir haben deshalb in einem Dringlichkeitsantrag jene Punkte formuliert, die uns wichtig sind: Vermeidung von mehr steuerlichen Belastungen – diese können wir nicht mehr gebrauchen, weil sie die Wirtschaft nicht mehr tragen kann –, Schaffung von investitionsfreundlichen Rahmenbedingungen und Verhinderung von Einschnitten bei öffentlichen Investitionen.
Sie könnten etwas tun, wenn sie dazu beitragen würden, dass die 4,5 Milliarden e, die aus der Lkw-Maut kommen, in den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur und nicht
irgendwohin fließen, wo sie dann niemand mehr zuordnen kann. Wir brauchen eine wirksame Entriegelung des Arbeitsmarktes, damit Bewegung entstehen kann. Wir brauchen eine spürbare Senkung der Lohnnebenkosten und einen Bürokratieabbau, vor allem für den Mittelstand. Ein Mittelständler zahlt heute pro Mitarbeiter und Jahr etwa 3500 DM an Bürokratiekosten. Das ist zuviel; da muss sich etwas ändern. Deshalb werden wir auch dazu morgen einen Dringlichkeitsantrag beraten, zu dem ich Sie schon heute einlade, ihm zuzustimmen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kollege Dinglreiter, Sie haben in der Aktuellen Stunde eben genau das Gleiche gemacht wie gestern der Ministerpräsident auf dem CDU-Parteitag bei seiner Abschiedsrede als Kanzlerkandidat. Sie haben nur kritisiert, Sie haben nur gemeckert, machen aber keinerlei konkrete Vorschläge, wie Sie das finanzieren wollen.
Sie sind ohne eigenes Konzept und machen keine Einzelvorschläge zur Lösung der Probleme. Das ist eine sehr armselige Haltung. Meine Damen und Herren, die Politik der Bundesregierung basiert auf folgendem strategischen Dreiklang: konsolidieren, investieren und reformieren.
Meine Damen und Herren, da staunen Sie. Konsolidieren war, ist und bleibt das Kernstück sozialdemokratischer Regierungspolitik in Berlin. Der Marsch in den Verschuldungsstaat wurde durch Hans Eichel gestoppt.
Herr Kollege Dr. Bernhard, 1500 Milliarden DM, also 1,5 Billionen Mark, betrug bei der Regierungsübernahme 1998 die Schuldenlast des Bundes. Die jährliche Zinslast für den Bundeshaushalt betrug 82 Milliarden DM. Das ist die leider nach wie vor wirksame katastrophale Erblast von 16 Jahren Ihrer Regierung.