Protokoll der Sitzung vom 13.11.2002

Entschuldigung, für wie blöd halten Sie uns denn? Sie haben nicht zugehört.

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Hören Sie bitte zu, und seien Sie geduldig. Sie können sich nachher melden und sagen, was daran falsch ist.

Ihnen sage ich, dass sie für diese neue soziale Wohltat nicht das Geld in der Tasche haben und dass diese

sozialen Wohltaten vor folgendem Hintergrund stattfinden: Diejenigen, die sich ihre Rente selbst erarbeiten wollen und müssen, zahlen höhere Beiträge. Die anderen bekommen die Rente kostenlos. Außerdem muss man höhere Krankenkassenbeiträge bezahlen.

(Zuruf des Abgeordneten Wahnschaffe (SPD) – Kobler (CSU): Sie müssen erst einmal über die Riester-Rente aufgeklärt werden)

Herr Kollege Wahnschaffe, wir befinden uns im November 2002. Sie machen natürlich Polemik. Wenn jemand soziale Wohltaten kritisiert, sagen Sie, das ist der Untergang des Abendlandes. Aber ich stelle fest, dass wir im November 2002 alle gut im sozialen Frieden leben. Sie behaupten dagegen, ohne Ihr neues Gesetz gehe es nicht weiter.

Ich wiederhole mich und trage das weiterhin vor. Herr Präsident, ich bitte darum, die Zeit für die Unterbrechungen durch den Kollegen Wahnschaffe nicht unserer Fraktion zuzurechnen. Ihnen sage ich, es ist unverantwortlich, was Sie tun: Höhere Rentenbeiträge, höhere Krankenkassenbeiträge, Verteuerung von Heizöl, Gas und Benzin, Begrenzung der eisernen Reserve bei der Altersversorgung auf einen halben Monat

das ist unverantwortlich –, Wachstum unter einem Prozent, Rückgang der Steuereinnahmen – heute morgen war zu hören, man rechne mit einer Größenordnung von 30 Millionen e –, Anhebung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes, Verschieben der Steuerentlastung, Kürzung der Eigenheimzulage für die Neubauten, Deutschland erfüllt die Negativkriterien, Nachtragshaushalt in Berlin erforderlich, die Euro-Kriterien werden aufgeweicht und die Kommunen und die Länder werden überfordert.

(Frau Steiger (SPD): Wir beraten den Einzelplan 10!)

Unter diesen Voraussetzungen wollen Sie eine neue Regelung einführen, nämlich die Gewährung einer Grundrente. Wir möchten wissen, wie Sie künftig die Renten sichern wollen und ob die Grundrente eine Motivation ist, sich um die Verbreiterung der Beiträge zu bemühen, nämlich eine eigenfinanzierte Rente zu schaffen. Soll das die Motivation sein, das „Riester-Modell“ anzunehmen? – Dazu kann man nur sagen: nein. Wenn Leistung so bestraft wird, wie Sie das mit diesem Beispiel tun, haben Sie nicht erkannt, was Sie mit diesem Gesetz anrichten.

Meine Damen und Herren, man muss klar feststellen: Wir sind überfordert und der Bund ist maßlos überfordert. Sie legen noch zusätzliches darauf. Frau Kollegin Steiger, Sie sollten, nachdem Sie das alles gehört haben, nicht nur die Frage diskutieren, wer dies finanzieren soll, sondern unter dem Gesichtspunkt überlegen, wie die Menschen die motiviert werden mehr Beiträge zu bezahlen; was Sie für die jungen Menschen tun und wie Sie sie überzeugen wollen, dass sie in das System einsteigen, oder ob es nicht einfach heißen wird, Einsteigen lohnt sich nicht – Leistung wird bestraft. Deswegen neh

men wir Abstand von diesem Modell und verweigern wir unser Mittun.

Ansonsten empfehle ich Ihnen nachzulesen, was der Fraktionsvorsitzende der SPD im Augsburger Stadtrat – ein strammer Sozialdemokrat und hauptberuflich beim DGB engagiert – ganz klar zum Ausdruck bringt, nämlich dass die Grundsicherung die Aufgabe des Bundes und nicht der Kommunen sei. Meine Meinung: Mit einem solchen neuen Gesetz gehen wir in die völlig falsche Richtung, überfordern uns und können damit den jungen Menschen keine Zukunft bieten.

(Beifall bei der CSU – Zuruf der Frau Abgeordneten Steiger (SPD))

Nächste Wortmeldung: Frau Kollegin Schopper.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Normalerweise ist es das Vorrecht der Haushaltspolitiker, uns die Einzelpläne in Form von „trockem Brot“ darzubringen. Heute habe ich den Kollegen Winter mit alter Wahlkampfrhetorik erlebt. Was wir als sozialpolitische Schwerpunkte sehen, wurde von ihm als Form „neuer sozialer Wohltaten“ gegeißelt und diskreditiert. Würden Sie die Maßstäbe fürs Sparen, die Sie uns an Herz gelegt haben, auch bei Ihren politischen Projekten durchsetzen, müssten Sie Ihre Aussagen, dass wir vermeintliche Grausamkeiten begehen, eine Spur zurücknehmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Kolleginnen und Kollegen, ich möchte anlässlich der Beratung des Sozialhaushalts die Gelegenheit ergreifen, eine sozialpolitische Standortbestimmung vorzunehmen. Die Sozialpolitik und vor allem deren finanzielle Ausstattung ist in Zeiten rückläufiger Konjunktur mit Einnahmeproblemen sowohl bei der öffentlichen Hand als auch den sozialgesetzlichen Versicherungen unter gleichzeitiger höherer Inanspruchnahme eine „Dauerbaustelle“. Allen Sozialpolitikern scheint es wichtig zu erwähnen, dass die Sozialpolitik ein wichtiger Baustein für den sozialen Frieden ist, das Klima für die Sozialpolitik aber leider sehr viel rauher geworden ist.

Wir müssen Lobby für die Menschen sein, deren Sonnenseite zurzeit keine Konjunktur hat, und wir müssen Lobby für die Menschen sein, deren Lebensglück Dellen und Blessuren aufweist. Gleichzeitig ist es unsere Aufgabe, dass die Sozialpolitik die Verantwortung für die künftigen Generationen übernimmt.

Die politischen Gestaltungsräume werden enger – Schmalhans ist Küchenmeister. Wir wissen das, und gerade deswegen müssen wir Prioritäten setzen. Anhand einiger Beispiele möchte ich aufzeigen, wie die GRÜNEN die Prioritäten setzen würden. Ich kann in der Redezeit nicht die gesamten sozialpolitischen Facetten abhandeln. Das ist nicht als Missachtung der Themen zu verstehen, sondern ich muss Schwerpunkte setzen.

Zum Thema Gesundheit: Frau Ministerin, Sie müssten sich doch fragen, warum wir in Deutschland Vizemeister bei den Kosten für das Gesundheitssystem sind, bei der Qualität aber nur einen Platz im Mittelfeld erreichen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es wäre notwendig, dass auch Sie sich um Qualitätsverbesserungen bemühen und die Strukturen verändern wollen. Ganz wichtig ist, mehr auf die Prävention zu setzen, damit der Versicherte gar nicht erst zum Patienten wird. Wir müssen den ambulanten und den stationären Sektor besser verzahnen. Wir müssen die Stellung des Hausarztes stärken, und vor allen Dingen müssen die chronisch kranken Menschen besser versorgt werden. Das Sachverständigengutachten sagt deutlich, wo es hakt und fehlt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir müssen für mehr Transparenz im Krankenhaus sorgen. Die GRÜNEN verschließen sich nicht dem Thema Eigenverantwortung oder Bonusregelung. Noch zu Zeiten der Ministerin Fischer wurden den Kassen Instrumente an die Hand gegeben, die intensiver genutzt werden müssten. Frau Ministerin Stewens, Sie wissen, dass das Gesundheitswesen ein wahres Paradies für mächtige Lobbyisten ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nun kommt ein weitere Hiobsbotschaft von der Ärztekammer. Sie lautet, wir würden sehenden Auges auf einen Ärztemangel zulaufen. Dazu ist zu sagen, dass wir genügend Medizinstudenten haben, sodass der Bedarf eigentlich gedeckt wäre. Fakt ist aber, dass die jungen Mediziner mit den Füßen abstimmen und dem Arbeitsplatz Krankenhaus den Rücken zukehren. Was ist zu tun? – Dieser Missstand zeigt politischen Handlungsbedarf. Ich sage dazu, dass die Reform der Arbeitszeiten überfällig ist und dass das noch einmal teuer wird. Darüber muss man sich im Klaren sein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die andere Seite der Medaille ist – das möchte ich an die erste Seite zurückgeben –, dass es kaum einen Arbeitsplatz gibt, bei dem die Hierarchien so stark zementiert sind, wie das in den Krankenhäusern der Fall ist. Die Chefärzte und Oberärzte empfinden die jungen Ärzte sehr oft nicht als Kollegen – ganz zu schweigen vom Pflegepersonal. Dieses wird in vielen Fällen nicht auf gleicher Augenhöhe betrachtet. Solches lässt sich nicht nur am Aufteilungsschlüssel für Privatliquidationen feststellen, sondern es ist leider der triste Alltag für junge Ärzte im Krankenhaus.

Zum Thema Pflege: Auch dieses Thema beherrscht seit Jahren die politische Tagesordnung. Die Pflege ist trotz der Öffentlichkeit, die es wegen der Skandale gibt, immer noch ein Tabuthema.

(Allgemeine Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Immer noch wird in der Gesellschaft kaum darüber debattiert, welche Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen, damit die alten Menschen einen menschenwürdigen Lebensabend verbringen können. Die Verbesserung der Pflegequalität ist eng mit der Verbesserung des Pflegeschlüssels verknüpft. Auch Sie, Frau Ministerin, streben den Schlüssel 1:2,2 an. Es ist aber ein Armutszeugnis, wenn der verbesserte Pflegeschlüssel von 1:2,4 von kaum 50% der Einrichtungen abgerufen wird und die Situation im Nachtdienst überhaupt nicht verbessert ist. Wegen der Kostentransparenz sind wir noch keinen entscheidenden Schritt vorangekommen. Ich stelle den Vergleich an, dass die Finanzsituation eines Heimes ein fast so gut gehütetes Geheimnis ist wie die Gewinnmarche eines Oktoberfestwirts. Das darf nicht sein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich fordere Sie auf, dass Sie gemeinsam mit Ihrer Ministerkollegin Hohlmeier die Weichen für die Ausbildung neu stellen. Wegen Ihrer „Prozesshanselei“ wird die Ausbildung um zwei Jahre verzögert. Machen Sie sich endlich auf, das integrierte Modell zur Pflegeausbildung in Bayern zu ermöglichen. Nur mit Perspektiven und Übergangsmöglichkeiten verhindern wir, dass gut ausgebildete Pflegekräfte oft schon nach fünf Jahren das Handtuch schmeißen.

Das Resümee aus der Wirtschaftlichkeitsprüfung der AOK in einigen Heimen lässt nur einen Schluss zu: Viele Träger wollen sich nach wir vor nicht in die Karten schauen lassen und sind zur Transparenz nicht bereit. Ich meine, es ist nicht nur unser Recht als Politiker, sondern es ist das Recht der Angehörigen und der Betroffenen zu wissen, wie die Gelder von der Pflegeversicherung, aus den öffentlichen Kassen und aus Eigenmitteln der Betroffenen verwendet werden.

Ich finde, Sie müssten da etwas stärker nachbohren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist nach wie vor unsere Meinung, dass Kontrollen notwendig sind. Wir sind uns auch darüber einig, dass vor allem unangemeldete Kontrollen erforderlich sind. Die Verlagerung der Heimaufsicht auf die kommunale Ebene birgt die Gefahr der Befangenheit in sich, wenn man sich ansieht, dass ein Drittel der Bürgermeister oder Landräte in den Vorständen vom Heimträgern sitzt und sich quasi selbst kontrollieren müssten. Dass hierbei vorhandenen Missständen intensiv nachgegangen wird, möchte ich mit einem Fragezeichen versehen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)

Wir sehen, dass Schwierigkeiten vornehmlich bei den Leitungen der Heime auftreten, weil bei den entsprechend Verantwortlichen nicht die erforderliche Schulung oder die notwendige Qualifikation vorliegt. Man müsste an einer ausreichenden Schulung der Heimleitungen ansetzen. Auch der Beratungsaspekt müsste mehr betont werden, damit durch die Unterstützung der Heimleitung eine gute Pflege gewährleistet werden kann.

Zum Thema Frauenpolitik: Wenn ich mir gedanklich die Ausschusssitzungen Revue passieren lasse, in denen Fragen der Frauenpolitik beraten worden sind, habe ich immer das Gefühl, die Kolleginnen und Kollegen denken, die Frauen sitzen alle auf Wolke sieben. Ich habe in Ihrer Rede das Bekenntnis zum Gender-MainstreamingAnsatz sehr wohl gehört und wir begrüßen das auch. Ich glaube aber, Frau Ministerin, Sie müssen in Ihrer eigenen Fraktion noch ganz gehörig zum Staubwischen ausrücken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mädchen haben zwar heute schon die besseren Noten, Frauen haben die bessern Abschlüsse und brechen in Männerdomänen ein, aber sie haben noch immer nicht die Hälfte der Macht, zum Beispiel an den Hochschulen – um ein drastisches Beispiel zu nennen –, an denen um jede Besetzung mit einer Frau so gerungen wird, als stürmten die Frauen den Heiligen Stuhl in Rom.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch für uns Frauen in Bayern muss gelten: Wir stellen nicht nur die Hälfte der Bevölkerung, sondern wollen auch die Hälfte der Macht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zum Thema Zuwanderung und Integration:

(Zuruf des Abgeordneten Hölzl (CSU))

Herr Hölzl, das wird Sie nicht freuen, ich weiß das schon.

Beim Zuwanderungsgesetz der Bundesregierung schüren Sie alte Ängste. Sie unterstellen, wir würden eine unkontrollierte Zuwanderung fördern. Gerade mit dem Zuwanderungsgesetz sollen doch Zuwanderung und vor allen Dingen Integration geregelt werden. Im Grunde genommen wissen Sie sehr wohl, dass Sie mit der Haltung „wie backe ich meinen ideologischen Kuchen“ heute schon nicht mehr durchkommen. Händeringend suchen Sie nach ausländischen Pflegekräften, die auch in Ihrem Pflegekonzept unverzichtbar sind. In immer stärkerem Maße müssen bayerische Arbeitgeber ihre Arbeitskräfte aus dem Ausland rekrutieren. Man muss sich nur einmal ansehen, womit sich die Kolleginnen und Kollegen im Petitionsausschuss befassen, wie oft gebeten wird, dass ein Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin hier bleiben darf. Sie schicken doch zulasten manches Handwerksmeisters die beste Kraft einfach aus dem Land. Gleichzeitig verschwenden Sie Ressourcen, wenn zum Beispiel Pflegekräften im Krankenhaus nach fünf Jahren der Stuhl vor die Tür gestellt wird, um keine Verfestigung des Aufenthaltsstatus zu ermöglichen. Die Menschen, die die Sprache können, die die Leute kennen und im Pflegebereich Beziehungen aufgebaut haben, müssen dann wieder nach Hause.