Protokoll der Sitzung vom 05.12.2002

Die Bevölkerung wird vom Bund nach wie vor nur unzulänglich vor gefährlichen Straftätern geschützt. Daran ändern auch vollmundige Ankündigungen insbesondere des Bundeskanzlers nichts. Der sogenannte Macher sondert nur heiße Luft ab. Ich darf an seine Sprüche erinnern – das werde ich noch öfter tun –: „Kinderschänder wegschließen, aber für immer.“ „Verbrecher abschieben, und zwar sofort.“ Geschehen ist nichts dergleichen, jedenfalls nicht wirklich und wirksam. – „Gott sei Dank“ wird Kollege Dr. Hahnzog sagen. Im Gegenteil: Gesetzesinitiativen Bayerns im Bundesrat sind immer wieder abgelehnt worden. Wer sich nicht nur in diesem Bereich mit Inhalt und Wortwahl seiner Ankündigungen derart überhebt wie der Bundeskanzler – Franz Josef Strauß hätte wohl gesagt: „Wer das Maul so weit aufreißt“ –, ohne dass in der Sache hernach irgendetwas wirklich passiert, der sollte sich nicht wundern, wenn er nicht mehr als Medienstar wahrgenommen wird, sondern eher als tragikkomische Figur und unerschöpfliche Fundgrube für Witzbolde. Nach einem Wahlbetrug bisher unvorstellbarer Dimension ist ein derartiger – –

(Widerspruch und Lachen bei der SPD – Beifall bei der CSU – Dr. Bernhard (CSU): Recht hat er! – Hofmann (CSU): Wenn Peter es sagt, dann stimmt es!)

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, Sie gehören zu den ganz wenigen Menschen in diesem Lande, die darüber noch lachen können.

(Beifall bei der CSU)

Nach einem Wahlbetrug in bisher unvorstellbarer Dimension –

(Lachen bei der SPD)

ist ein derartiger Verfall der politischen Kultur nahezu zwangsläufig. Der Schaden trifft leider uns alle, nicht nur die Verursacher.

(Zuruf der Frau Abgeordneten Lück (SPD))

Aber Schuld hat nicht derjenige, der die Sache beim Namen nennt – und Wahlbetrug hat inzwischen in Deutschland einen Namen, nämlich Gerhard Schröder.

(Beifall bei der CSU)

Schuld ist der, der die Wähler betrügt.

(Widerspruch bei der SPD – Zurufe von der SPD: Demagoge! Brunnenvergifter! – Weitere Zurufe von der SPD)

Der Bund ist insbesondere für folgende Sicherheitsmängel in Deutschland verantwortlich: Die vom Bundestag beschlossene nachträgliche Sicherungsverwahrung gewährleistet keinen ausreichenden Schutz der Bevölkerung, da sie bei bereits verurteilten Straftätern, deren Gefährlichkeit sich nachher herausstellt, nicht greift. Furchtbare Verbrechen aus jüngster Zeit, die zum Teil von einschlägig vorbestraften Personen begangen worden sind, haben deutlich gemacht, dass der Schutz der Allgemeinheit vor schweren Straftaten dringend verbessert werden muss.

Ich nenne beispielhaft weitere Forderungen, die sich überwiegend auch in Landtagsanträgen meiner Fraktion finden. Dazu gehört bei lebenslanger Freiheitsstrafe die Erhöhung der Mindestverbüßungsdauer von 15 auf 20 Jahre. Eines ist sicher: In der Zeit zwischen 15 und 20 Jahren Knast wird derjenige, der einsitzt, jedenfalls keine Verbrechen mehr an Kindern begehen. Davon können Sie ausgehen. Das ist das kleine Einmaleins. Aber das ist für Sie nicht von Belang.

(Zurufe der Frau Abgeordneten Lück (SPD) und der Frau Abgeordneten Christine Stahl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Weiterhin gehört dazu die Schaffung der Möglichkeit, die Sicherungsverwahrung ohne Vorbehalt nachträglich anzuordnen, und zwar in allen Anwendungsfällen des § 66 des Strafgesetzbuchs sowie bei besonders schweren Straftaten auch bereits nach der ersten Tat. Ich nenne weiterhin die Sicherungsverwahrung bei Taten Heranwachsender, wenn das Erwachsenenstrafrecht zur Anwendung kommt und Gewährleistung der eigentlich im Gesetz bereits vorgesehenen Regelanwendung des allgemeinen Strafrechts auf Heranwachsende. Mir ist schon bekannt, Herr Kollege Dr. Hahnzog, dass diese Regelanwendung bereits Gesetz ist.

Ich trete jedoch ganz entschieden dafür ein, dass die Rechtsprechung durch Gesetz dazu gezwungen wird, von der Umkehrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses künftig Abstand zu nehmen. Der Gesetzgeber kann das und er soll es auch tun.

Weiter wird gefordert die Erhöhung der Höchstjugendstrafe für schwerste Verbrechen Heranwachsender von 10 auf 15 Jahre, die Kennzeichnung der Grundfälle des Kindesmissbrauchs als Verbrechen, die Schaffung eines besonderen Straftatbestandes des Anbietens von Kindern für sexuellen Missbrauch, Strafverschärfungen im Bereich der Kinderpornographie, Überwachung der Telekommunikation bei allen Taten des Kindesmissbrauchs und der Verbreitung der Kinderpornographie und schließlich – ganz wichtig – die Erweiterung des Katalogs der Anlasstaten für eine DNA-Analyse. Ich empfinde es als großartigen Fortschritt, dass wir mit Hilfe der DNA-Analyse in der Lage sind, auch nach 20 Jahren

Sexualstraftäter dingfest zu machen, wie es kürzlich gelungen ist.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU)

Größtmögliche Sicherheit vor Straftaten zu gewährleisten, gehört nicht nur zu den Kernaufgaben des Rechtsstaates. Sicherheit hat auch bei der Bevölkerung, wie wir alle wissen bzw. wissen sollten, einen ganz hohen Stellenwert und überdies eine herausragende soziale Dimension. Nur der wirtschaftlich Starke kann sich Sicherheit notfalls auch kaufen. Deswegen ist es eine Frage der sozialen Gerechtigkeit, von Staats wegen Sicherheit für jedermann auch künftig zum Nulltarif zu garantieren. Staatliches Gewaltmonopol, Selbsthilfeverbot und effektive Rechtsgewährung gehören zusammen und bedingen einander.

Ich möchte zum Schluss allen Frauen und Männern, die sich in Bayern mit Erfolg um die Rechtspflege bemühen, herzlich danken. Ich danke den Justizvollzugsbeamten, den Gerichtsvollziehern, den Wachtmeistern und Beschäftigten der Geschäftsstellen, den Rechtspflegern, den Richtern, den Staatsanwälten, den Angehörigen der Justizverwaltung auf allen Ebenen und schließlich dem zuständigen Staatsminister Dr. Manfred Weiß mit seinen engeren Mitarbeitern.

(Beifall bei der CSU)

Ich danke Ihnen für ihre Geduld, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Dr. Hahnzog (SPD): Langweilig war’s!)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Die Aussprache ist geschlossen. Zu einer zusammenfassenden Stellungnahme hat der Staatsminister der Justiz das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich möchte mich zunächst einmal bei allen Rednerinnen und Rednern dafür bedanken, dass sie den Wert der Justiz so deutlich herausgestellt haben. Ich bin auch dankbar dafür, dass sie der Justiz an sich so viel gutes tun wollen. Selbstverständlich tut sich die Opposition hierbei leichter, denn sie muss am Schluss nicht zusammenrechnen.

(Frau Werner-Muggendorfer (SPD): Doch, das können wir auch!)

Sie können jetzt natürlich alles fordern, und danach beklagen Sie sich, dass die Verschuldung zu hoch ist.

(Dr. Kaiser (SPD): Gilt das auch für Stoiber in Berlin?)

Ich möchte allerdings deutlich sagen, dass sich die Justiz auch nicht auf einer Insel der Glückseligen befindet. Wir sind realistisch. Wenn jede neue Steuerschätzung noch katastrophaler als die frühere ausfällt, dann schlägt

sich das auch bei der Justiz nieder. Bevor sie hier herumjammern und auf die Verantwortlichen in der Justiz schimpfen, sorgen sie bitte dafür, dass in Berlin eine vernünftige Wirtschafts- und Finanzpolitik betrieben wird. Dann gibt es mehr Steuereinnahmen und mehr Geld, und dann wird die Justiz von diesem Parlament auch die Stellen bekommen, die sie bräuchte.

(Beifall bei der CSU – Frau Christine Stahl (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Davon war schon vor vier Jahren die Rede, und das war nach Kohl!)

Wir wissen, dass die Justiz stark belastet ist. Dabei ist Bayern allerdings kein Sonderfall. Vor ein oder zwei Jahren hatten wir unter den Justizministern einmal ein Kamingespräch, bei dem ein Kollege aus einem anderen Bundesland wissen wollte, wie hoch in den einzelnen Ländern die Belastung der Justiz sei, weil seine Justiz ständig jammern würde. Daraufhin haben wir verglichen und festgestellt, dass die Belastung überall die gleiche ist. Die Pensenzahlen lagen von Mecklenburg-Vorpommern bis zum Saarland und von Schleswig-Holstein bis Baden-Württemberg bei ungefähr 1,30. Die Belastung ist also überall die gleiche. Selbstverständlich ist sie zu hoch. Wir bemühen uns auch darum, die Situation zu verbessern. Wenn aber die wirtschaftlichen Verhältnisse so ungünstig sind, kann ich als Justizminister nicht mehr fordern als das, was ich vernünftigerweise noch verantworten kann.

(Dr. Hahnzog (SPD): Vorher hat es auch nicht mehr gegeben! – Frau Christine Stahl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber 50 Leute mehr beim Verfassungsschutz! Super! – Ach (CSU): Auch das ist halt notwendig!)

Frau Kollegin, wir reden jetzt darüber, was wir für die Justiz erreichen können.

(Frau Christine Stahl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist doch ein Haushalt!)

Ich bin dankbar dafür, dass wir in einer Zeit, in der es an sich keine neuen Planstellen gibt, für das Sicherheitspaket doch noch einiges bekommen haben. Ich glaube, wir werden damit einigermaßen über die Runden kommen. Frau Kollegin Stahl, ich rede hier keine Probleme klein. Ich weiß nicht, ob ein Justizminister schon so deutlich darauf hingewiesen hat, wo bei uns die Probleme liegen. Ich trage dafür die Verantwortung, aber wir müssen uns nach der Decke strecken. Wir können die momentane finanzielle Situation im Staat nicht vollkommen ignorieren.

Die Gerichtsvollzieher sind angesprochen worden. Ich bin dankbar dafür, dass wir vor zwei Jahren 50 zusätzliche Stellen plus 10 Ausbildungsstellen bekommen haben. Bevor ich einen Gerichtsvollzieher einsetzen kann, muss ich erst einmal Bewerber finden, die die Ausbildung antreten; dann muss ich sie 18 Monate lang ausbilden, und erst nach vielleicht zwei Jahren wird sich der Erfolg erstmals niederschlagen. Es ist gar nicht so einfach, Leute zu bekommen. Denen, die sich gegen die Ausbildung Externer gewandt haben, müssen wir heute recht geben. Wir würden die Zahl nie erreichen, wenn wir

nur von auswärts Bewerber bekommen. Ich glaube aber, dass sich unsere Bemühungen positiv niederschlagen werden, wenn die Leute ausgebildet und einsetzbar sind. Ich kann die Bezirke der Gerichtsvollzieher auch nicht zu klein machen. Der Kuchen, der zu verteilen ist – also die Einnahmen – ,wächst nicht. Je mehr Gerichtsvollzieher zur Verfügung stehen, umso geringer wird der Anteil des einzelnen Gerichtsvollziehers an den Einnahmen.

(Frau Christine Stahl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das stimmt!)

Des Weiteren ging es um die pauschale Entschädigung. Dazu muss ich deutlich sagen, dass der bayerische Justizminister diese Regelung nicht aus Jux und Tollerei getroffen hat. Wir sind gerügt worden, dass diese pauschale Entschädigung zu hoch ist. Bundesweit sind wir aufgefordert worden, diese Pauschale zu kürzen. Wir haben es in Verhandlungen mit dem Finanzminister sogar fertig gebracht, für 2001 den höheren Betrag bei den Gerichtsvollziehern zu belassen und die 8000 DM nicht zurückzufordern.

Selbstverständlich debattieren wir jetzt darüber, wie wir diese Bürokosten am besten entschädigen können. Sie glauben nicht, worüber wir bei der letzten Justizministerkonferenz diskutiert haben, über eine allgemeine Pauschale, über Spitzabrechnungen oder über erfolgsabhängige Pauschalen. Keiner unter den Justizministern weiß im Moment, wo es lang geht, und zuerst muss auch noch mit den Finanzministern gesprochen worden. Ich darf Ihnen aber sagen, die Vorschläge aus Bayern kommen den Vorstellungen der anderen Justizminister am nächsten. Ich hoffe darauf, dass wir eine Lösung zustande bekommen, damit die Gerichtsvollzieher zufrieden sind.

Der nächste Bereich ist der Strafvollzug. Selbstverständlich ist das Personal knapp. Ich möchte aber nicht übersehen, dass wir allein in den letzten vier Jahren 500 Stellen zusätzlich bekommen haben. Wir haben wesentliche Verbesserungen erreicht. Wir haben auch bei den Bauprogrammen in punkto Sicherheit einiges leisten können, was zu einer Entlastung der Bediensteten führt. Bei einer modernen Video-Sensoranlage, die bei jeder Bewegung Alarm auslöst, brauche ich nicht soviel Personal, als wenn ich selbst in größten Anstalten, wie zum Beispiel Berlin-Tegel mit 1600 Inhaftierten, keine derartige Anlage habe. Ich habe mir vor drei Wochen mit der Kollegin Schubert Berlin-Tegel angeschaut. Ich war ganz erstaunt. Wir haben etliches mehr an technischen Sicherheitsvorkehrungen, und damit ersparen wir uns Personal. Wir haben deutlich gemacht, dass wir mit dem, was wir bekommen, phantasievoll umgehen. Zum Beispiel haben wir uns aus 15 Stellen für Justizvollzugsbedienstete 12 höherwertige Stellen genehmigen lassen, um eine Abteilung für Sozialtherapie zusätzlich einrichten zu können.

Kollege Hahnzog hatte die Besetzung des Verfassungsgerichtshofs angesprochen. Kollege Hahnzog, ich bin ein bisschen im Zweifel. Ist das bei Ihnen Unkenntnis, oder wollen Sie mich aufs Glatteis führen? Ich bin mir sicher, dass es bei Ihnen keine Unkenntnis ist. Der baye

rische Justizminister hat mit der Besetzung des Verfassungsgerichtshofes überhaupt nichts zu tun, Herr Hoderlein. Die Besetzung des Verfassungsgerichtshofes wird von der Präsidentin dieses Gerichtes vorgeschlagen, und dieser Vorschlag wird dann über den Ministerpräsidenten an den Landtag weitergeleitet.

Der Justizminister ist überhaupt nicht involviert. Also, warum werfen Sie das eigentlich mir vor? – Ich habe damit überhaupt nichts zu tun.

(Hufe (SPD): Sie schließen sich den Vorwürfen an!)

Nun zum Thema lebenslängliche Freiheitsstrafe. Für viele Bürger wird es etwas Neues sein, dass „lebenslänglich“ nicht lebenslängliche Haft bedeutet. Selbstverständlich tragen wir der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Rechnung. Aber ist es richtig, dass für schwerste Straftaten die Mindeststrafe nicht mehr ist als die längste zeitige Strafe? Das ist eine grundsätzliche Entscheidung. Das hat nichts mit der Gefährlichkeit zu tun. Wenn der Straftäter gefährlich ist, lassen wir ihn länger in Haft. Das ist ganz klar. Aber hier geht es um eine Grundentscheidung. Wir sind der Meinung, für schwerste Straftaten muss es eine schwere Strafe geben, und dafür sind 15 Jahr zu wenig.

Nächster Bereich: Jugendstrafrecht. Die Debatten beim Juristentag in Berlin habe ich miterlebt. Ich habe sogar die etwas konfusen Debatten miterlebt. Ich weiß, dass die Abstimmungen nicht so klar waren, es gab viel Hin und Her und teilweise mussten die Abstimmungen sogar wiederholt werden. Es war also keineswegs ein klares Meinungsbild.

(Dr. Hahnzog (SPD): Nennen Sie doch die offiziellen Zahlen!)