Protokoll der Sitzung vom 10.12.2002

(Frau Dr. Kronawitter (SPD): Das ist doch nicht wahr!)

Sie wollen Staat, Staat und nochmals Staat. Ihr eigener Generalsekretär beansprucht mit einer Kulturrevolution, wie er das nennt, die Lufthoheit über den Kinderbetten. Genau das wollen Sie.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)

Wir wollen eine echte Wahlfreiheit. Wir sind eine liberale Partei, die versucht, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen.

(Zuruf der Frau Abgeordneten Steiger (SPD) – Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Seit wann seid ihr liberal?)

Das sind wir, schauen Sie genau hin.

Wir sind eine Partei, die dafür sorgt, dass die Erziehungstätigkeit tatsächlich aufgewertet wird. Sie hätten doch auf Bundesebene die Möglichkeit, das Familiengeld einzuführen, und damit die Erziehungstätigkeit der Frauen aufzuwerten.

(Beifall bei der CSU – Frau Lück (SPD): Ohne zu sagen, woher es kommen sollen!)

Wir wollen die Rahmenbedingungen für eine flexible Arbeitswelt schaffen.

(Zurufe von Abgeordneten der SPD)

Hören Sie doch einmal zu.

(Frau Steiger (SPD): Warum sind Sie gegen die Grundsicherung?)

Ihr Gesetz, das den Teilzeitanspruch regelt, war für die Frauen in der Arbeitswelt eher kontraproduktiv als hilfreich. Wir wollen die Arbeitsbedingungen für eine flexible Arbeitswelt und eine flexible Kinderbetreuung schaffen, die den Frauen hilft, eine Entscheidung im Rahmen ihrer Wahlfreiheit zu treffen.

Wir hatten im vorigen Jahr eine Anhörung zum Thema Familie und Arbeitswelt. Wir hatten interessante Gespräche mit Unternehmern geführt, die uns geschildert haben, welche Anstrengungen sie von sich aus – im Übrigen ohne Staat und ohne Zuschüsse – unternehmen, um die Arbeitsbedingungen familienfreundlich zu gestalten. Das reicht von der Kinderbetreuung bis hin zu Telearbeitsplätzen, Schulungsmaßnahmen und flexiblen Arbeitszeiten. Da ist viel auf dem Weg. Diese Arbeitgeber haben die interessante Erfahrung gemacht, dass das nicht nur für ihre Mitarbeiterinnen gut ist und zur Zufriedenheit und Motivation beiträgt, sondern sie haben auch die Erfahrung gemacht, dass das für sie selbst gut ist. Sie finden eine ausreichende Zahl von Arbeitskräften.

(Frau Werner-Muggendorfer (SPD): Das ist ganz neu!)

Das ist auch gut für die Stellung im Wettbewerb. Das müssen viele unserer Arbeitgeber noch verinnerlichen. Deshalb ist der Frauenförderpreis, den das Sozialministerium ausreicht und das ausgezeichnete Beispiele aufzeigt, sehr hilfreich.

(Frau Steiger (SPD): Wenn man Frauen auszeichnet, dann hat man es geschafft?)

Sie werden sehen, meine Damen und Herren von der Opposition, die demografische Entwicklung, angesichts der wir davon ausgehen, dass in den nächsten Jahrzehnten 25 bis 35% weniger Arbeitskräftepotenzial zur Verfügung steht, wird dazu führen, dass noch mehr Frauen im Arbeitsmarkt benötigt werden. Die Frauen werden für den Arbeitsmarkt noch attraktiver werden. Deswegen müssen wir nach flexiblen Bedingungen schauen.

Lassen Sie mich zum Schluss noch einmal grundsätzlich sagen: Wir wollen, dass sich die Frauen entscheiden können, dass die Familienarbeit aufgewertet wird, damit sie in unserer Gesellschaft den Stellenwert bekommt, der ihr gebührt. Wir wollen, dass die Arbeitswelt und die Kinderbetreuung flexibel werden.

(Frau Lück (SPD): Und was tun Sie dafür? – Frau Biedefeld (SPD): Tun Sie es doch endlich!)

Wir wollen nicht nur den Ruf nach Krippenplätzen hören, wie Sie ihn tagtäglich durch die Zeitungen jagen. Lassen Sie es uns gemeinsam anpacken.

(Beifall bei der CSU)

Jetzt hat die Frau Kollegin Förstner das Wort.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Unser Anliegen ist, dass alle Frauen in Bayern gleiche Lebenschancen haben, ganz gleich, wo sie wohnen.

(Beifall bei der SPD)

Gleiche Chancen heißt, einer Arbeit, einer Erwerbstätigkeit nachgehen zu können, wenn Frauen aus familiären und/oder materiellen Gründen darauf angewiesen sind oder das aus persönlichen Gründen wollen.

Entschuldigen Sie, dass ich Sie kurz unterbreche: Namentliche Abstimmung wird zu diesem Punkt beantragt. Wegen der Viertelstunde Differenzzeit weise ich darauf hin. Entschuldigen Sie, Frau Förstner.

– Das macht nichts.

Auch wir sind für Wahlfreiheit, aber für eine wirkliche. Die Frauen müssen sich wirklich entscheiden können. Wie sieht es denn da bei uns aus? Inwieweit sind denn die Chancen für Frauen in Bayern gleich?

Festzustellen ist, dass wir bei Frauen im Alter zwischen 20 und 40 Jahren eine der geringsten Beschäftigungsquoten in Bayern haben. Das Alter zwischen 20 und 40 ist die Zeit, in der die Kinder klein sind und zur Schule gehen, also betreut werden müssen. Der Zusammenhang mit fehlenden oder unzureichenden Kinderbetreuungseinrichtungen ist evident.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Familie und Berufsausübung sind für viele immer noch nicht gleichzeitig zu vereinbaren. Ob Bayerns Frauen ausreichende Kinderbetreuungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, hängt letztlich davon ab, wo sie leben.

Wohnen sie in größeren und damit auch in reicheren Gemeinden, stehen ihnen bessere Kinderbetreuungsmöglichkeiten zur Verfügung als auf dem flachen Land. Beispielsweise gibt es im Landkreis Regensburg Horte, also Ganztagsbetreuung, nur in wenigen größeren oder stadtnahen Gemeinden; Ganztagsbeschulung gibt es nirgendwo im Landkreis. Frauen aus den entfernter liegenden Orten ist es auch wegen des unzureichenden ÖPNV-Angebotes auf dem flachen Land unmöglich, ihre Kinder dort unterzubringen, wo sie den ganzen Tag betreut oder beschult werden können. Wenn der Freistaat die Kommunen in der Vergangenheit nicht immer stärker belastet hätte, wäre es auch für die ärmeren Gemeinden leichter gewesen, entsprechende Einrichtungen zu schaffen.

(Beifall bei der SPD und beim BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Gleiche Chancen für Frauen in Bayern gibt es auch für diejenigen nicht, die nach einer langen Familienphase wieder in die Erwerbstätigkeit einsteigen wollen. Wenn Frauen außerhalb der Ballungsräume leben, ist es für sie viel schwieriger, sich nach einer langen Familienphase wieder in das Berufsleben einzugliedern. Zwar stehen Mittel aus dem ESF-Ziel 3 und auch nach dem SGB III für Wiedereingliederungsmaßnahmen zur Verfügung, aber echte berufsqualifizierende Maßnahmen gibt es im Verhältnis zu Orientierungsmaßnahmen und Beratungshilfen nur wenige. Da sollte man die Mittel etwas anders einsetzen.

(Beifall bei der SPD und beim BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Erfolg von zwei beruflichen Qualifizierungsmaßnahmen, zum einen in Ansbach und zum anderen in Straubing, zeigt, wie wichtig berufliche Qualifizierung ist. In Straubing liegt die Rückkehrquote zwischen 70 und 90%, und in Ansbach haben 50% der Frauen bereits feste Zusagen für Anstellungen erhalten, obwohl die Maßnahme noch nicht beendet ist.

Ich fasse zusammen: Für Frauen in Bayern gibt es keine gleichen Lebenschancen, wegen fehlender oder unzureichender Betreuungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche in ländlichen Gebieten, wegen des Problems, nach einer langen Familienphase nicht wieder in die Erwerbstätigkeit einsteigen zu können. Ich fordere die Staatsregierung auf, dem Verfassungsauftrag nachzukommen und überall in Bayern für gleiche Lebenschancen der Frauen zu sorgen.

(Beifall bei der SPD und beim BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Nächste Rednerin ist Frau Kollegin Pongratz.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Für mich als Frau ist Frauenpolitik nicht nur Kinderbetreuung. Ich möchte noch ein anderes Thema aufgreifen: Zur Frauenpolitik in Bayern gehört auch das Ehrenamt. Überall sind Frauen ehrenamtlich tätig.

(Lachen bei der SPD)

Meine Damen, hören Sie zu. Gute Taten werden hauptsächlich von Männern gepredigt, aber hauptsächlich von Frauen getan. Dies sagte Lady Nancy Witcher Astor, die erste weibliche Unterhausabgeordnete im englischen Parlament.

(Zahlreiche Zurufe von der SPD)

Rund 1,1 Millionen Menschen in privaten Haushalten in Deutschland bedürfen regelmäßiger Pflege. 77% von ihnen, also rund 860000, werden von einer Hauptpflegeperson versorgt, die fast immer aus der engeren Verwandtschaft stammt. Über 90% dieser Hauptpflegepersonen sind Frauen: Ehefrau, Tochter oder Schwiegertochter. Allerdings sinkt die Bereitschaft der nachwach

senden Generation zur Pflegeübernahme aufgrund anderer Lebensentwürfe. Zudem sinkt die Zahl der Menschen mit eigenen Nachkommen, was sich wiederum auf das Pflegepotenzial auswirkt.

Über 25 Millionen Deutsche engagieren sich in ihrer Freizeit ehrenamtlich. Sie treten freiwillig, unentgeltlich für andere, für das Gemeinwohl ein. Erfreulich ist, dass sich überdurchschnittlich viele Jugendliche ehrenamtlich betätigen. Anlässlich des Tages des Ehrenamtes in der vergangenen Woche veröffentlichte die „Süddeutsche Zeitung“ Zahlen aus der jüngsten Studie zur Freiwilligenarbeit. Danach sind 37% der 14- bis 24-Jährigen ehrenamtlich tätig – von der gesamten Bevölkerung sind es 34%. Was bedeutet dies, meine Damen und Herren? Diese Menschen leisten jeden Monat über 240 Millionen Stunden freiwillige und unbezahlte Arbeit. Wirtschaftlich gesehen entspricht dies einer jährlichen Wertschöpfung in Höhe von über 24 Milliarden e.

(Zuruf von der SPD und vom BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Bitte, hören Sie mir zu; ich höre Ihnen auch immer zu.

Das Jahr des Ehrenamtes 2001 hat die Bedeutung bürgerschaftlichen Engagements wieder stärker ins Bewusstsein der Menschen gerückt. Gemeinsam wurden Ideen entwickelt und Wege aufgezeigt, wie die Gesellschaft zugleich menschlicher und leistungsfähiger werden kann. Die CSU-Fraktion und insbesondere unser Fraktionsvorsitzender Alois Glück vertreten dieses Konzept der aktiven Bürgergesellschaft – ein Modell, bei dem alle gewinnen.

Im November folgten 400 engagierte Bürgerinnen und Bürger der Einladung zum Fachforum der CSU-Fraktion „Bürgerschaftliches Engagement und Ehrenamt“. Dabei wurde klar, dass bei den freiwilligen Leistungen der Vereine und Verbände nicht gespart werden dürfe; denn Sparen an dieser Stelle würde die Ehrenamtlichkeit in unserer Gesellschaft entmutigen. Wir brauchen eine aktive Bürgergesellschaft nicht zuletzt deshalb, weil die immer komplexer werdenden Probleme vom Staat allein nicht zu lösen sind. Die Zahl der Selbsthilfegruppen von Bürgerinnen und Bürgern lösen die Probleme vor Ort oder bewältigen Lebenskrisen gemeinsam.