Protokoll der Sitzung vom 11.12.2002

Ich frage Sie: Ist diese Kommission eine Religionsgemeinschaft oder nicht? – Wo ist der Unterschied zu den Muslimen? –

(Dr. Spaenle (CSU): Das werde ich Ihnen schon erklären!)

Wie geht es jetzt weiter? – Uns geht es darum, tatsächliche Lösungen aufzuzeigen. Auch nach Ihren Zwischenrufen hoffe ich, davon ausgehen zu können, dass es immer noch der Wille dieses Hauses ist, einen islamischen Religionsunterricht an bayerischen Schulen schrittweise einzurichten, der selbstverständlich in deutscher Sprache zu halten ist. Dieser Unterricht muss außerdem denselben Ansprüchen wie der christliche

Religionsunterricht genügen. Wir wollen deshalb wenigstens einen Modellversuch einrichten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Erlangen bietet sich für einen solchen Modellversuch an, weil es hier eine Islamische Religionsgemeinschaft gibt, die sich für einen Modellversuch einsetzt. Der entsprechende Antrag ist im Jahre 1999 gestellt worden. In dieser Stadt bestehen also optimale Voraussetzungen. Wir fordern daher, dass die Staatsregierung in Zusammenarbeit mit Verfassungsrechtlerinnen und Verfassungsrechtlern die formalen Voraussetzungen zur Genehmigung des Erlanger Schulversuchs zum islamischen Religionsunterricht zum Schuljahr 2003/2004 schafft.

Wir weisen Ihnen sogar den Weg, den Sie einschlagen können, um dieses Ziel zu erreichen. Im Mai 2000 haben wir im Landtag eine Anhörung zum islamischen Religionsunterricht durchgeführt. Dabei wurde Herrn Prof. Dr. Heckel von der Universität Tübingen die Frage gestellt, wer auf islamischer Seite Ansprechpartner für das Kultusministerium sein müsse. Unklar war, ob dies alle islamischen Gruppierungen sein müssten. Prof. Dr. Heckel hat unter anderem ausgeführt – ich zitiere aus dem Protokoll:

Ich glaube nicht, dass Schulversuche den strengen Anforderungen von Artikel 7 Absatz 3 Grundgesetz entsprechen müssen, sofern sie Anlaufprojekte mit dem Ziel sind, verfassungsgemäße Zustände herzustellen. Allerdings hielte ich Schulversuche, die nicht installiert werden, um den Religionsunterricht nach Maßgabe des Grundgesetzes einzuführen, sondern ihn zu verhindern oder auszuhebeln, für unzulässig. Der erfreuliche Konsens in der Anhörung lässt aber darauf schließen, dass es eine gemeinsame Basis gibt.

Des weiteren führte Prof. Dr. Heckel zum gleichen Problem aus:

Kann man ein Übergangsstadium beginnen, ehe die Selbstorganisation der Muslime perfekt ist? Ich möchte meinen, ja, wenn die Aussicht auf eine derartige Organisation gegeben ist, wenn sie – wie hier gesagt wurde – in Bewegung geraten ist. Da es einen offenen Arbeitskreis mit breitem Konsens gibt

ich füge ein, mittlerweile gibt es sogar schon sehr viel mehr als das -,

hat die Schulverwaltung schon einen vorläufigen Ansprechpartner zur Ausarbeitung der Lehrpläne. Wenn die Sacharbeit funktioniert, wird auch die Organisationsaufgabe aufseiten der Muslime erleichtert werden, jedenfalls bestehen dazu begründete Aussichten.

Hier wird ganz klar gesagt, dass wir den Weg zum Schulversuch längst hätten gehen können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich fordere Sie daher auf: Greifen Sie diese Anregung auf und klären Sie umgehend die nächsten Schritte zur Umsetzung unserer gemeinsamen Beschlüsse zum islamischen Religionsunterricht. Stimmen Sie bitte unserem Antrag zu.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der nächste Redner ist Herr Kollege Dr. Spaenle.

Herr Präsident, Hohes Haus! Wir begeben uns mit dem Dringlichkeitsantrag der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN auf einen gefährlichen Weg. Dieses Hohe Haus hat im Jahr 2000 parteiübergreifend einen Antrag beschlossen. Frau Kollegin Gote, das war eines der wenigen Dinge, die Sie richtig zitiert haben. Dieser Antrag umfasste eine Fülle von Einzelmaßnahmen und Einzelschritten. Ziele dieses Antrages waren unter anderem die Entwicklung der islamischen Unterweisung in deutscher Sprache, die Prüfung der Möglichkeiten und Bedingungen, unter denen ein islamischer Religionsunterricht nach Artikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes eingeführt werden kann, die Anregung, islamische Gruppen in Bayern zusammenzuführen und sie an diesem Prozess zu beteiligen sowie die Ermöglichung von Modellversuchen.

Voraussetzung für die Beschäftigung mit einem solchen Komplex ist es, dass man den von der eigenen Fraktion mitbeschlossenen Antrag liest. Diese Modellversuche sollen nämlich nach dem Antragstext landesweite Schlüsse erlauben und die Rahmenbedingungen von Artikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes als Verwirklichungsgrundsatz voraussetzen. Das ist die konkrete Beschlusslage dieses Hohen Hauses. In den vergangenen zwei Jahren haben wir in Bayern einen im bundesweiten Vergleich einmalig erfolgreichen Weg eingeschlagen. Ich bin bis zum heutigen Tage davon überzeugt, dass wir uns bei dem sensiblen Thema der Integrationspolitik gemeinsam bewusst sind, dass wir unseren Bemühungen das Grundprinzip „Qualität vor Geschwindigkeit“ zugrunde legen müssen. Einige Äußerungen eines Kollegen während der letzten Sitzung des Bildungsausschusses haben mich für wenige Sekunden an der gemeinsamen Absicht, in diesem Sinne voranzukommen, zweifeln lassen.

Wir wollen im Umgang mit dem Islam als drittgrößter Religionsgemeinschaft in unserem Lande und all den damit verbundenen kulturellen, religiösen und humanen Fragen ein positives Ergebnis erreichen. Alle Fachleute und politisch Verantwortlichen sind sich einig, dass alle Ansätze in anderen Bundesländern – gleich welcher Regierungscoleur – nicht zum Erfolg gelangt sind. Bayern hat einen grundsätzlich anderen Weg eingeschlagen.

Frau Kollegin Gote, es spricht Bände, dass heute nicht die seit langen Jahren mit diesem Thema beschäftigte Kollegin Petra Münzel zu diesem Dringlichkeitsantrag, der alles andere als produktiv ist, Stellung genommen hat, sondern Sie. Daran zeigt sich die politische Absicht, die Sie verfolgen. Die Sachkompetenz von Frau Kollegin

Gote hat sich in ihrem Redebeitrag sehr klar gezeigt. Bei der Umsetzung des Antrags durch die Bayerische Staatsregierung waren eine Fülle von Maßnahmen zu beobachten und zu konstatieren, die Ihre Ausführungen Lügen strafen. Die Art und Weise, wie dieser Antrag diesem Hause präsentiert wurde, ist eine Beschädigung des zarten Pflänzchens, das bisher entstanden ist. Ich glaubte bisher, diesen Vorwurf nicht erheben zu müssen. Die Art und Weise, wie Sie die erfolgreichen Schritte, die in Bayern eingeleitet wurden, kommentieren, kann ich nur als parteipolitische billige Polemik bezeichnen.

(Beifall bei der CSU)

In Bayern gibt es den Runden Tisch, eine bundesweit einzigartige Einrichtung, die sich mit der Selbstorganisation der Muslime und mit dem gesamten Spektrum des Islams befasst. Die Aleviten sind auf eigenen Wunsch zu einem sehr frühen Zeitpunkt aus diesem Diskussionsprozess ausgeschieden. Die Schaffung der Islamischen Religionsgemeinschaft Bayern ist ein unmittelbarer Ausfluss dieses erfolgreichen bayerischen Weges der frühestmöglichen Einbeziehung. Das ist einer der Kardinalfehler, der in anderen Bundesländern begangen wurde. Dort wurde die islamische Gemeinde nicht von vornherein selbstverantwortlich in diesen Prozess einbezogen. Sie bezeichnen das als Blockade. Ich kann das nur als politische Wahrnehmungslosigkeit bezeichnen.

Es gibt in Bayern an mehreren Universitäten, insbesondere in Erlangen und Bayreuth, erfolgreiche Aktivitäten in der islamischen Lehrerbildung; es gibt entsprechende Schritte, um Projekte auf den Weg zu bringen. Es gibt erfolgreiche Aktivitäten zur Erstellung eines islamischen Lehrplans. Ein freigestellter Lehrer aus München promoviert an der Universität Bayreuth zu diesem Thema. Die Universitäten Nürnberg und Bayreuth haben uns erst vor wenigen Tagen eine umfassende Darstellung der Problematik der islamischen Lehrerbildung auf den Tisch gelegt. Es gibt erste konkrete Ansätze zu einer erfolgreichen Weiterentwicklung der islamischen Unterweisung in Deutsch hin zu einem vollwertigen Unterrichtsfach unter Einbeziehung der Muslime.

Ich weiß also nicht, in welchem Land Sie waren und welche Wahrnehmung Sie in diesem sensiblen politischen Feld haben. Ich weise nachdrücklich Ihre Behauptung zurück, die Bayerische Staatsregierung und alle damit befassten Behörden, Institutionen und wissenschaftlichen Einrichtungen würden nichts tun, man befinde sich auf dem falschen Weg, man würde blockieren, es würde ausgetrickst.

(Zuruf der Frau Abgeordneten Gote (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Kein anderes Bundesland ist hier so weit wie Bayern; das ist Fakt.

(Beifall bei der CSU)

Die Islamische Religionsgemeinschaft in Bayern hat zu einem sehr frühen Zeitpunkt einen Antrag auf Anerkennung als Religionsgemeinschaft gemäß Artikel 7 des Grundgesetzes gestellt, der hohe verfassungsrechtliche

Hürden vorsieht. Warum? – Kein anderes Schulfach ist in Deutschland aufgrund der Erfahrungen der Weimarer und nationalsozialistischen Zeit in Deutschland derart grundgesetzlich privilegiert wie der Religionsunterricht. Die Mitwirkungsrechte der Religionsgemeinschaften sind sehr hoch angesiedelt; sie haben den unmittelbaren inhaltlichen Verkündungsauftrag. Das bedeutet, dass die verfassungsrechtlichen Hürden, um als Religionsgemeinschaft gemäß Artikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes anerkannt zu werden, sehr hoch sind. Diese Vorgaben werden mit dem Antrag der Islamischen Religionsgemeinschaft Bayern derzeit nach allgemeiner Überzeugung nicht erfüllt. Die Islamische Religionsgemeinschaft hat selbstverständlich die Möglichkeit, gegen einen solchen Bescheid der Staatsregierung den Klageweg zu beschreiten. Dies ist nach meiner Kenntnis bis zum heutigen Tag nicht geschehen.

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Vogel? –

Herr Kollege Dr. Spaenle, wie passt es zu Ihrem Wortschwall, der rechtfertigen soll, dass es in Bayern dieses zarte Pflänzchen zu hegen gilt, die Erfahrung, dass das Unterrichtspraktikum in Erlangen gestoppt wurde, weil viele der Voraussetzungen, die Sie jetzt aufzählen, genau erfüllt wurden? Haben Sie sich bei Ihrem Parteikollegen Dr. Balleis informiert, der dieses zarte Pflänzchen ebenso gepflanzt hat wie alle anderen Parteien im Erlanger Stadtrat, die jetzt sehr frustriert sind, dass nun konkrete Arbeitsmöglichkeiten abgegraben wurden?

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich bedanke mich dafür, dass Sie meine umfassende rhetorische Kompetenz so würdigen.

(Lachen bei der SPD)

Wir sollten aber wieder zur Sache zurückkehren.

Mir ist die Situation in Erlangen aus mehreren Besuchen – das ist Ihnen geläufig – bei dem vor Ort tätigen Arbeitskreis, in dem auch der Altoberbürgermeister Hahlweg mitwirkt, sehr wohl bekannt. Ich habe die konkrete Kompetenzbildung am Standort Erlangen immer wieder gewürdigt. Es gibt im Moment keinen anderen Standort in Bayern, an dem die Voraussetzungen für einen möglichen Modellversuch so günstig sind wie in Erlangen. Tätig sind dabei die Stadt Erlangen, die politische Seite – Joachim Herrmann ist dabei führend tätig –, der Oberbürgermeister, die Fraktionen des Stadtrats, die Schulverwaltung, die Islamische Gemeinde vor Ort und die Wissenschaft. An der Universität Erlangen befindet sich ein Cluster an Sachkompetenz, und die Wissenschaft setzt sich konkret mit der Frage des islamischen Religionsunterrichts auseinander.

Ihnen ist sicher genauso bekannt wie mir, warum das Unterrichtspraktikum unterbunden werden musste – ich kenne die Schriftsätze –, weil nämlich die formalen

Voraussetzungen nicht gegeben waren: Das war ein Praktikum in einem Schulfach, das noch nicht existiert und für das es keinen Lehrplan gibt. Das war der Grund, nichts anderes. Sie wollen der Öffentlichkeit weismachen, dass der Modellversuch von vornherein gestoppt wurde. Genau das ist falsch.

Ihr Antrag gefährdet die Genehmigung des Modellversuchs. Die Islamische Religionsgemeinschaft Erlangen hat nämlich Antrag auf Durchführung eines Modellversuchs gestellt. Weil ein solcher Modellversuch landesweite Bedeutung hat und weil die Voraussetzungen des Artikels 7 Absatz 3 des Grundgesetzes mindestens ansatzweise erfüllt sein müssen, hat das Staatsministerium für Unterricht und Kultus die Frist für eine Stellungnahme bis Mitte Januar verlängert und hat an die Islamische Religionsgemeinschaft Erlangen einen ganz konkreten Fragenkatalog gegeben. Jetzt platzen Sie mit Ihrem Antrag herein und gefährden die Genehmigung. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, verlangen Sie ja, dass man diesen Vorgang unterbricht. Ich kann daher nur an Sie appellieren, diesen Antrag zur Beratung in die Ausschüsse verweisen zu lassen, die Stellungnahme der Islamischen Religionsgemeinschaft Erlangen abzuwarten und die weiteren Genehmigungsschritte für den Modellversuch parlamentarisch zu begleiten.

(Unruhe)

Ich verzichte auf einen weiteren Kommentar zu den Äußerungen der Kollegin Gote. Ich kann nur hoffen, dass wir wieder zu dem bisherigen erfrischend sachlichen Klima bei dieser für unser Land so zentralen Frage der Integrationspolitik zurückkehren.

(Beifall bei der CSU)

Nächste Wortmeldung: Herr Staatssekretär Freller.

(Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jetzt muss er Spaenle korrigieren, deshalb hat er sich gemeldet!)

Herr Präsident, Hohes Haus! Herr Dr. Dürr, ich will Herrn Spaenle nicht korrigieren, ganz im Gegenteil. Er hat das Thema dieser Diskussion genau auf den Punkt gebracht und völlig richtig darauf hingewiesen, warum dieser Versuch in Erlangen nicht weitergeführt werden konnte und wie die Rechtslage aussieht. Das möchte ich detailliert ergänzen. Ich weiß, dass die Redezeit begrenzt ist.

Die Staatsregierung kann diesem Antrag aus formalen Gründen nicht zustimmen. Er verkehrt Voraussetzung und Folge. Die Schaffung der Voraussetzungen zur Einrichtung von islamischem Religionsunterricht im Sinne von Artikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes und Artikel 136 Absatz 2 der Bayerischen Verfassung und gemäß Artikel 46 Absatz 1 des Bayerischen EUG ist Sache des Antrag stellenden Vereins und nicht der Staatsregierung. Die Staatsregierung hat die Aufgabe zu überprüfen, ob die Antragstellerin die Voraussetzungen erfüllt, die einen Anspruch auf die Einrichtung von islamischem Religi

onsunterricht begründen. Gegenstand der Überprüfung wäre insbesondere, ob es sich bei der Antragstellerin um eine Religionsgemeinschaft im Sinne von Artikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes handelt. Wenn die Prüfung ergäbe, dass die rechtlichen Voraussetzungen im Sinne des Artikels 7 Absatz 3 des Grundgesetzes erfüllt sind und darüber hinaus weitere, durch das Bayerische EUG geforderte pädagogische und organisatorische Voraussetzungen, zum Beispiel Lehrkräfte, Lehrplan, Größe der Unterrichtsgruppen, könnte man den Unterricht einrichten. Bei Nichterfüllung dieser Voraussetzungen durch die Antragstellerin dürfte er dagegen nicht eingerichtet werden.

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Antragstellerin?

Nein, ich habe so wenig Redezeit. – Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, Sie wissen genau, dass auch in anderen Ländern derartige Anträge gestellt wurden, denen nicht stattgegeben werden konnte, weil die vom Grundgesetz geforderten Voraussetzungen bislang nicht erfüllt waren. So müssen die religiöse Grundlage, die Organisationsstruktur, die Vertretungsbefugnis der maßgeblichen religiösen und rechtlichen Leitungsorgane sowie die Mitgliedschaftszugehörigkeit der Schüler und Erziehungsberechtigten bestimmt sein. Die genannten Bestimmungen fordern eine Instanz, die als von den Mitgliedern der Religionsgemeinschaft anerkannte oder bevollmächtigte Autorität legitimiert ist, die Übereinstimmung des Religionsunterrichtes mit den religionsspezifischen Grundsätzen der Religionsgemeinschaft festzustellen.