Protokoll der Sitzung vom 25.06.2003

(Beifall bei der SPD)

Aber ich frage Sie: Wann werden dem Ganzen Taten folgen? In einer Presseerklärung des Philologenverbandes – das sind doch die Betroffenen am Gymnasium – habe ich gelesen, dass die Zahl der Klassen mit 33 und mehr Schülern leider nicht zurückgeht, sondern noch zunimmt, und dass man sich angesichts der hohen Schülerzahlen überhaupt nicht vorstellen kann, wie die individuelle Förderung praktiziert werden kann. Ich frage Sie: Warum geben Sie den Schulen nicht die Selbstständigkeit, die Sie ihnen gern zugestehen wollen, so wie Sie es heute dargestellt haben und wie es in dem CSU-Antrag steht? Warum begnügen Sie sich mit einem Modellversuch „MODUS 21“, der an sich nicht schlecht ist, aber nur in 22 von über 5000 Schulen durchgeführt wird? Warum trauen Sie sich nicht, umzusetzen, was Sie so gern tun würden, und leiten die Aktion endlich ein, anstatt noch Jahre darüber zu reden?

(Beifall bei der SPD)

Sie können heute damit anfangen, indem Sie unserem Anliegen Rechnung tragen, nämlich die Zensur der Schülerzeitungen aufzugeben; denn diese ist eigentlich nirgendwo festgeschrieben. Mit ein bisschen mehr Toleranz durch die Schulleitung könnten sich da viele Probleme von selbst erledigen.

Ich frage Sie ernsthaft, welchen Beitrag der Freistaat Bayern im Bereich der Schulen leisten will, um dem Lehrstellenmangel zu begegnen. Selbstverständlich ist in erster Linie die Wirtschaft aufgefordert, Schulabgängern genügend Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen. Aber wir alle miteinander wissen – das zeichnet sich doch ab –, dass dies nicht ausreichen wird und dass Tausende von jungen Menschen ohne Ausbildungsplätze dastehen werden. Herr Kollege Nöth, machen Sie es sich halt nicht so einfach, immer nur zu sagen, das seien die in Berlin. Sie sitzen doch auch in diesem Landtag und haben eine Aufgabe zu erfüllen. Sie sollten nicht immer die Verantwortung woanders hinschieben.

(Beifall bei der SPD)

Sie wissen genauso gut wie ich, dass der Freistaat Bayern als Schulträger seinen Beitrag leisten muss und dass wir zusätzliche Berufsfachschulen brauchen; mit drei oder fünf Schulen mehr für Bayern wird es nicht getan sein, das ist nicht einmal eine Klasse pro Regierungsbezirk. Sie wissen auch, dass wir im Bereich der Berufsvorbereitungsjahre unseren Beitrag leisten müssen. Es will mir überhaupt nicht in den Kopf, dass Sie kultusministerielle Schreiben an die Regierung und die Berufsschulen richten und sie auffordern, keine solchen Klassen einzurichten und nicht mehr darüber nachzudenken, dass es solche Klassen geben könnte. Wenn Sie sich mit der Bundesregierung um den finanziellen Anteil, den jeder von Ihnen zu leisten hat, streiten wollen, tun Sie es bitte woanders, aber nicht auf dem Rücken junger Menschen.

(Beifall bei der SPD)

Mit einer solchen Vorgehensweise werden Sie dem drängenden Problem junger Menschen nicht gerecht.

Ich frage Sie zudem, welche Folgerungen Sie aus der Erkenntnis, die wir alle miteinander im Bildungsausschuss gewinnen konnten, als uns die Zahlen vorgelegt wurden, ziehen wollen. Diese Zahlen haben eindeutig und erschreckend zutage gebracht, dass es in Bayern bei der Bildungsbeteiligung enorme Unterschiede gibt, dass in manchen Regionen über 60% der Grundschüler, aber in anderen Regionen gerade einmal 20% der Schüler an das Gymnasium wechseln. Wir haben zur Kenntnis genommen, dass es innerhalb Bayerns nicht nur ein Stadt-Land-Gefälle, sondern auch ein Nord-Süd-Gefälle gibt, und dass – ich zitiere Herrn Kollegen Schneider – die Bildungsreserven in keinster Weise ausgeschöpft werden. Aber dies wäre eigentlich unsere Aufgabe.

Ich bin zunächst einmal froh, dass Sie zur Kenntnis nehmen: Es gibt diese Unterschiede; denn lange Zeit wollten Sie nichts davon wissen. Es hat ja Jahre gedauert, bis Sie die Zahlen auf den Tisch gelegt haben. Dann mussten die Zahlen, die eigentlich vom ISP stammen – so wurde uns mitgeteilt –, im Ministerium auch noch überarbeitet werden. Mich würde interessieren, was darin vor der Herausgabe stand – ich befürchte noch viel Schlimmeres.

(Beifall bei der SPD)

Wir müssen gemeinsam eine gründliche und offene Ursachenforschung betreiben. Ich weiß genauso gut wie Sie, dass es sich um ein Bündel von Ursachen handeln wird, das wir erforschen müssen. Ein Grund wird zum Beispiel die Tatsache sein, dass es in der näheren Umgebung kein leicht erreichbares Gymnasium gibt, sondern der Schulweg weit ist, und dass Eltern tradiert eingestellt sind. Aber wir müssen alles daransetzen, alle Bildungsreserven auszuschöpfen und jedes Kind gemäß seinen Eignungen und unabhängig von seinem Wohnort, seiner sozialen Herkunft, seinem Geschlecht und seiner Nationalität bestmöglich fördern. Dazu müssen die Schulen in die Lage versetzt werden.

Dazu, wann Sie endlich für die außerschulische Bildung etwas tun, haben Sie heute leider nicht Stellung genommen. Ich möchte die Erwachsenenbildung nennen. Es ist eigentlich nicht mehr nachvollziehbar, dass in Bayern die Zuschüsse für die Erwachsenenbildung nahezu zehn Jahre lang auf demselben Stand festgefroren wurden und in Wirklichkeit gekürzt werden, weil dort die Ausgaben gestiegen sind.

(Beifall bei der SPD)

Ich weiß bis heute nicht, was Sie sich bei der letzten Beratung im Haushaltsausschuss gedacht haben, als Sie eine Kürzung in Höhe von einer Million e vorgenommen haben. Es ist absolut nicht nachvollziehbar, wie diese Politik mit den Sonntagsreden zusammenpasst, die Sie sonst bei Empfängen und Veranstaltungen halten, wo Sie als Rednerin gefragt sind.

Beinahe wäre es noch viel schlimmer gekommen; denn das Finanzministerium hatte den Wunsch, die Mittel nicht nur um diese eine Million e zu kürzen, sondern weitere drei Millionen e zu sperren. Man hat dies Gott sei Dank rückgängig gemacht, doch nicht aus der Überzeugung heraus, dass es die falsche Politik wäre, sondern weil sich manche Kollegen in Wahlkampfzeiten draußen frühzeitig aus dem Fenster lehnten, da sie Angst hatten, bei der Wahl ihre Quittung zu bekommen.

(Beifall bei der SPD)

Ich möchte schon heute den Trägern der Erwachsenenbildung sagen, ich gehe davon aus, dass sofort nach der Wahl wieder mit Kürzungen begonnen wird. Ich befürchte, dass es nicht bei einer Million pro Jahr bleiben wird. Es wäre an der Zeit, darüber politische Diskussionen zu führen.

Die Finanznot geht bei den Sing- und Musikschulen weiter. Wie lange wollen Sie noch zuschauen, wie diese Einrichtungen herumkrebsen und mehr mit der Suche nach Finanzen beschäftigt sind als mit ihrer Aufgabe, jungen Menschen Musikunterricht zu erteilen? – Auch auf diesem Gebiet werden die Bezuschussungen für das Personal ständig weniger, und jede Haushaltskürzung verringert sie noch mehr. Wir brauchen für die Träger dieser Einrichtungen eine verlässliche Planungsgröße und einen über die 8% hinausgehenden Zuschuss. Wir sollten für das Personal 25% Zuschuss gewähren und dafür garantieren, dass die Höhe der Zuschüsse nicht alle Jahre geändert wird.

(Beifall bei der SPD)

Sie kennen die Situation der Jugendarbeit. Auch dort plagt die Finanznot all diejenigen, die damit beschäftigt sind. In diesem Bereich reicht das Geld hinten und vorne nicht. Sie haben es noch unterlassen, im Haushalt Einsparungen vorzunehmen. Ich hoffe, das bleibt auch nach der Wahl so. Aber allein die Tatsache, dass die Zuschüsse nicht erhöht wurden und im Großen und Ganzen gleich geblieben sind, hat dort zu Kürzungen geführt.

Bei der Sportförderung zeichnet sich ein vollkommenes Chaos ab. Nicht nur die Wartezeiten sind sehr lang, sondern es kennt sich keiner der Sportfunktionäre und Vorstände vor Ort mehr aus, was eigentlich Sache ist und ob man sich auf die Bescheide, die man einmal bekommen hat, noch verlassen kann. Nicht einmal diejenigen, bei denen schon anfinanziert ist, wissen so recht, was passieren soll. Im Ausschuss wird uns gesagt, der Landessportverband hätte einen etwas unglücklich formulierten Brief versandt! Kümmern Sie sich halt um so klare Formulierungen, dass sie auch der Sportvereinsvorsitzende vor Ort verstehen kann. Geben Sie doch offen zu, dass Sie von der Bezuschussung weg und hin zu einer durch Darlehen finanzierten Sportstättenförderung wollen. Lassen Sie uns dann offen über die Bedingungen reden, die es dort geben muss.

(Beifall bei der SPD)

Gehen Sie um Himmels willen davon ab, die Bürgschaft für die Darlehen den Kommunen aufzuhalsen. Sie wissen ganz genau, dass viele Kommunen aufgrund ihrer Verschuldung nicht in der Lage sind, eine solche Bürgschaftserklärung abzugeben, und dass es allein daran scheitern wird, dass die Sportvereine in den Genuss dieser Darlehen kommen. Kümmern Sie sich darum – ohne jetzt dumm dazwischenzureden, Herr Kollege Nöth und Herr Kollege Schneider –, dass diese Bürgschaft vom Freistaat Bayern übernommen wird, wenn sie denn schon sein muss.

(Beifall bei der SPD)

Dass Sie dann den Kommunalpolitikern sagen, dann muss halt die Rechtsaufsichtsbehörde bei der Prüfung und Vorlage des Haushalts berücksichtigen, dass es nicht so richtig eine Verschuldung ist, wird weder uns noch der Rechtsaufsichtsbehörde weiterhelfen.

(Beifall bei der SPD)

In Ihrem Antrag stehen noch einige andere Dinge, zum Beispiel die Zusammenarbeit zwischen Kindertagesstätten, Grundschulen und weiterführenden Schulen sowie gemeinsame Fortbildungsangebote in diesem Bereich. Man fragt sich, warum Sie dies nicht längst getan haben. Dies wird Ihnen im Ausschuss jahrein jahraus gesagt. Es ist Ihnen schon vor meiner Zeit von Herrn Irlinger und unter der Regie von Frau Radermacher gesagt worden, als Sie noch Mitglied dieses Ausschusses waren und hören konnten – wenn Sie es hören wollten –, was eigentlich gefragt wäre. Es ist ein gewisser Fortschritt, dass Sie es jetzt zu Papier bringen. Aber dem Text müssen dann auch Taten folgen.

(Beifall bei der SPD)

Dasselbe gilt für die Festlegung von verbindlichen Standards, der Evaluierung und landeseinheitlichen und verbindlichen Tests. Gegen Tests an sich ist nichts zu sagen. Aber dem Test müssen ebenfalls Taten folgen; denn was hilft es, wenn einem Kind zum hundertsten Male gesagt wird, du hast eine Schwäche in Mathematik oder im Lesen, aber es weder für die Kinder noch für die Eltern und Schulen Angebote gibt, diesem Defizit begeg

nen zu können, außer dem Hinweis, dass man sich privatfinanzierten Nachhilfeunterricht leisten kann?

(Beifall bei der SPD)

Sehr interessant ist für mich, dass Ihr Fraktionsvorsitzender jetzt in verschiedenen Erklärungen einräumt, dass die Durchlässigkeit des Schulsystems zu wünschen übrig lässt.

(Beifall bei der SPD – Zuruf der Frau Abgeordneten Radermacher (SPD))

Ich gratuliere zu dieser Erkenntnis. Das ist etwas, das seit langem von allen Seiten bedauert wird. Sie haben diese Durchlässigkeit – das sagt Frau Radermacher zu Recht – durch die R 6 noch verschlechtert. Erst gestern hat mich in dem Parlamentsseminar eine Realschullehrerin gefragt, wie man sich nun eigentlich seitens der Politik die Eingliederung – oder wie immer man es bezeichnen will – der Gymnasiasten vorstellt, die jetzt – so wie es immer war – nach der 6. Klasse vom Gymnasium an die Realschule wechseln wollen. Sie können nämlich nicht mehr von vorn beginnen mit den Realschülerinnen und Realschülern, die aus den Hauptschulen kommen, sondern sie sollen jetzt in den laufenden Schulprozess eingegliedert werden. Ich habe geantwortet, dass ich es nicht weiß. Ich habe die Frau Ministerin zwar schon einmal danach gefragt, aber sie hat es mir nicht erklären können. Ich bin gespannt, Frau Ministerin, was Sie am Donnerstag mit dem Antrag tun werden, die Deckelung bei den Wirtschaftsschulen aufzuheben. Sie sehen doch, dass wahr ist, was alle sagen, dass wir nämlich eine schulische Einrichtung brauchen, die man auch noch nach der 6. Klasse besuchen kann, um die mittlere Reife zu erwerben.

(Unruhe – Einige Abgeordnete unterhalten sich an der Regierungsbank – Glocke der Präsidentin)

Sie haben gemeint, das mit der Deckelung könnten Sie bequem in den Griff bekommen.

(Anhaltende Gespräche an der Regierungsbank – Frau Radermacher (SPD): Hört doch endlich einmal zu!)

Frau Präsidentin, ich glaube, man könnte doch die Gespräche auch irgendwo anders führen und nicht während der Diskussion über die Regierungserklärung.

(Frau Radermacher (SPD): Hört ihr doch endlich einmal auf zu reden!)

Der Tatsache, dass Sie jetzt als einen besonderen Beitrag zur Verbesserung der Durchlässigkeit die Einführung eines 13. Schuljahres an der FOS und an der BOS anstreben, kann man nichts entgegenhalten. Aber es wird hoffentlich nicht die einzige Aktion bleiben, mit der Sie diese Durchlässigkeit weiter verbessern wollen. Ich halte es für durchaus diskussionswürdig, so wie es die Lehrer an den beruflichen Schulen auch tun, hier zwei unterschiedliche Richtungen für den Zugang zur allgemeinen Hochschulreife aufzubauen und in gewisser Weise das allgemeine Abitur dadurch, wenn nicht gleich

zu entwerten, aber jedenfalls doch in einen gewissen Misskredit zu bringen.

(Widerspruch und Lachen bei der CSU)

Darüber werden wir ja dann zu diskutieren haben. Ich hoffe natürlich, nachdem Sie das nicht erst heute, sondern schon vor Monaten angekündigt haben, dass Sie die entsprechenden parlamentarischen Schritte einleiten werden, um das Ganze in die Tat umzusetzen, und dass wir Gelegenheit bekommen, all die Fragen, die in diesem Zusammenhang diskutiert werden müssen, auch diskutieren zu können.

(Zuruf der Frau Abgeordneten Werner-Muggendor- fer (SPD))

Natürlich, Sie haben Recht, Frau Werner-Muggendorfer. Auch die Lehrerinnen und Lehrer müssen hier mit einbezogen werden.

Frau Ministerin, Sie sagen in Ihrer Regierungserklärung, dass Sie den Erziehungsauftrag unterstützen wollen und dass Sie eine bessere Verzahnung und Intensivierung der Zusammenarbeit von Elternhaus und Schule anstreben. Es ist dabei von schulhausinterner Erziehungshilfe, Jugendsozialarbeit und Krisenintervention in Stütz- und Förderkursen die Rede. Warum, um Himmels willen, tun Sie es nicht? Jeder Schulleiter wird Ihnen schon hundertmal gesagt haben, dass man eine bessere Verzahnung und Zusammenarbeit braucht.

(Beifall bei der SPD)

Aber nicht einmal das haben Sie bislang auf die Reihe gebracht, obwohl das mit der Kostenexplosion und dergleichen, was Sie sonst noch immer als Gegenargumente ins Feld führen, nichts zu tun hat.

(Beifall bei der SPD)