Protokoll der Sitzung vom 08.07.2003

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 120. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten; die Genehmigung wurde erteilt.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich einen Glückwunsch aussprechen. Heute feiert Herr Kollege Arnulf Lode seinen Geburtstag.

(Allgemeiner Beifall)

Dazu wünsche ich ihm im Namen des Hohen Hauses und persönlich alles Gute, vor allem Gesundheit und viel Erfolg für seine weiteren Aufgaben – die dann nicht mehr innerhalb des Parlaments liegen werden; er kandidiert nämlich nicht mehr.

In der Diplomatenloge hat eine Delegation der Republik Kasachstan Platz genommen. Ich begrüße den 1. VizeMinister des Gesundheitsministeriums Kasachstans, Herrn Aidarchanov, Herrn Botschafter Wjatscheslav Gizzatov sowie die weiteren Gäste – darunter drei Parlamentarier – sehr herzlich.

(Allgemeiner Beifall)

Ich wünsche Ihnen im Bayerischen Landtag einen angenehmen und informativen Aufenthalt.

Ich rufe auf:

Tagesordnungspunkt 1

Regierungserklärung

des Leiters der Staatskanzlei, Staatsminister Erwin Huber, zum Thema

„Deregulierung und Entbürokratisierung in Bayern – Vorfahrt für Unternehmergeist und Arbeitsplätze“

Das Wort hierzu hat Herr Staatsminister Huber. Bitte, Herr Staatsminister.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer sich mit dem Umfang der Staatstätigkeiten, mit Deregulierung und Verwaltungsvereinfachung beschäftigt, muss eine ehrliche Analyse voranstellen. Tatsache ist leider, dass wir jetzt die höchste Sommerarbeitslosigkeit seit der Wiedervereinigung haben. Deutschland befindet sich in der tiefsten Strukturkrise seit 1949. Deutschland ist beim Wachstum und beim Kampf gegen die Arbeitslosigkeit Schlusslicht in Europa. Zugleich liegt Deutschland bei den Unternehmenspleiten und bei der Staatsverschuldung vorne. Deutschland ist ein Sanierungsfall, wie unser Ministerpräsident vor geraumer Zeit analysiert hat. Das zwingt zum Handeln. Dabei sind die Herausforderungen an Deutschland vielfach formuliert worden: Der globale Modernisierungsdruck mit der weltweiten Mobilität von Kapital und Know-how, der globale Wettbewerbsdruck im Übergang zur Informations- und Dienstleis

tungsgesellschaft, die demografische Entwicklung und deren Folgen für das soziale Gleichgewicht und die Sozialsysteme. Hinzu kommt: Die EU-Osterweiterung wird gerade für Bayern viele Chancen, aber eben auch einen noch höheren Wettbewerbsdruck bringen.

Europäisierung und Globalisierung heißen nicht nur Wettbewerb und Konkurrenz der Unternehmen, sondern auch Wettbewerb und Konkurrenz der Staaten und Verwaltungen.

Das ist die neue Dimension, meine Damen und Herren. Unternehmen investieren dort, wo sie die besten Rahmenbedingungen vorfinden. Ein verlässlicher Rechtsstaat, ein modernes Bildungswesen, innere Sicherheit, eine gesunde Umwelt, leistungsfähige Verkehrswege, ein attraktives Freizeit- und Kulturangebot – all das sind wichtige Faktoren für Investitionsentscheidungen.

Vor allem braucht die Wirtschaft auch eine effektive öffentliche Verwaltung, die Unternehmergeist nicht hemmt, sondern fördert. Bayern hat hier gute Bedingungen. Das zeigen unsere Erfolge. Meine Damen und Herren, der weltweite Wettbewerb wird aber noch schärfer. Deshalb lautet das ehrgeizige Ziel der Staatsregierung: massiver Abbau von Bürokratiekosten und von Bürokratiezeiten. Wir sehen die öffentliche Verwaltung als wichtigen Standortfaktor für Bayern. Das ist eine neue Qualität im Staatsverständnis.

(Beifall bei der CSU)

Aus diesem Grund hat Ministerpräsident Stoiber im Dezember 2002 eine Deregulierungskommission aus Vertretern von Wirtschaft, Verwaltung und Kommunen unter Leitung von Professor Henzler eingesetzt. Das Ergebnis liegt nun vor. Gestern ist es der Staatsregierung übergeben worden, und schon heute informieren wir den Bayerischen Landtag. Die praxisnahen Vorschläge aus der Wirtschaft sind ein sehr wertvolles Hilfsmittel für Staatsregierung und Landtag, den Weg zu weiterer Entbürokratisierung und Deregulierung entschieden, entschlossen und mutig voranzuschreiten. Im Namen der Staatsregierung, und ich hoffe, auch im Namen des gesamten Hohen Hauses danke ich der Kommission und Herrn Professor Henzler für die in sieben Monaten geleistete Arbeit.

(Beifall bei der CSU)

Professor Henzler ist in der Diplomatenloge anwesend. Er hat die Arbeit der Kommission abgeschlossen und uns eine Hausaufgabe auf den Tisch gelegt. Der Ministerpräsident hat es zur politischen Richtlinie gemacht, die Vorschläge zügig und schnell umzusetzen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Deutschland war früher Wachstumsmotor in der Europäischen Union. Heute liegt Deutschland als kranker Mann Europas unter dem Sauerstoffzelt. Die Diagnosen sind längst bekannt. Ein Parameter ist die Fieberkurve für die Staatsquote, die in Deutschland seit Jahrzehnten in der Gesamttendenz steigt. Der Anteil der Staatsausgaben am Bruttosozialprodukt betrug 1960 33%, 1970 39%, 1980 nach elf Jahren sozial-liberaler Koalition dann 48%. In der Folge

schaffte die Regierung Kohl-Waigel eine Trendwende bis zur Wiedervereinigung. 1989 betrug die Staatsquote nur noch 44%, und sie ist jetzt wieder auf nahezu 50% angewachsen. Damit, meine Damen und Herren, wird jeder zweite Euro, der in Deutschland erwirtschaftet wird, über Staats- und Sozialkassen umgeschichtet.

Diese steigende Staatsquote hat natürlich mehrere Ursachen. Eine Ursache liegt in der Ausweitung des Sozialstaates, in den hohen Ausgaben für Schulen und Hochschulen, in den neuen Aufgaben des Umweltschutzes, in den Kosten der Wiedervereinigung. Dies sind sicher alles wichtige politische Ziele. Aber die steigende Staatsquote und das deutsche Regulierungsdickicht sind auch Folge davon, dass das Bedürfnis des Einzelnen nach Schutz und Absicherung durch den Staat stetig gewachsen ist. Der Staat soll oftmals nicht nur die Schwächsten und Bedürftigen absichern, sondern alle. Immer mehr Lebensrisiken sind sozialisiert worden. Viele Bürger erwarten vom Staat eine Reaktion auf neue Risiken und Gefahren – ich nenne nur die Stichworte SARS, Nahrungsmittelskandale oder Flutkatastrophen. Politik und Staat reagieren mit weiteren Regelungen und nicht selten mit einer Ausweitung der Administration.

Meine Damen und Herren, lange Zeit glaubten besonders wir in Deutschland, mit immer ausgefeilteren, immer detailreicheren Vorschriften mehr Gerechtigkeit, mehr Sicherheit und Stabilität zu schaffen. Das ist aber ein Irrweg, selbst wenn große Teile der SPD heute noch diesem Wahn verfallen sind.

(Beifall bei der CSU)

Wer ehrlich ist, muss heute eingestehen: Wir sind insgesamt über das Ziel hinausgeschossen. Man überschätzt den Staat und unterschätzt den Bürger. In der Abkehr vom Subsidiaritätsprinzip einer dynamischen und kraftvollen Gesellschaft wächst diese Krankheit. Sie heißt: zu viel Regulierung von oben, zu wenig Eigeninitiative und zu wenig selbstregulierende Marktkräfte von unten. Aus dem Rechtsstaat wurde vielfach ein Rechtswegestaat, ein labyrinthischer Irrgarten der Behörden und Instanzen. Das Regelungsdickicht hemmt unternehmerisches Handeln. Der Glaube, jedes Einzelproblem mit einem Gesetz regeln zu müssen, ist ein großer Irrglaube.

(Unruhe bei der SPD)

Meine Damen und Herren, angesichts der Unruhe, die Sie auf der linken Seite zeigen, muss ich feststellen, dass Sie es offenbar immer noch nicht begriffen haben.

(Beifall bei der CSU)

Zur Sanierung Deutschlands – wer kann das eigentlich übersehen und verkennen – sind harte Schritte notwendig, an erster Stelle Senkung der Lohnzusatzkosten und Entlastung von Mittelstand und Selbstständigen. Wer in diesem Zusammenhang sofort von Sozialabbau redet, der verkennt die wahren Sorgen der Menschen und die Probleme des Landes. Meine Damen und Herren, der größte Sozialabbau sind die 4,3 Millionen Arbeitslosen in Deutschland.

(Beifall bei der CSU)

Deshalb gilt: Sozial ist, was Arbeit schafft. Deshalb ist unser ehrgeiziges Ziel „3 x 40“ richtig, also Senkung der Staatsquote, Senkung der Sozialabgaben und Senkung der Steuern.

Diese Ziele wollen wir erreichen, ohne dass die gigantischen Schuldenberge und Zinslasten der öffentlichen Haushalte weiter wachsen. Von spürbarer Tilgung kann sowieso auf Jahrzehnte hinaus keine Rede sein.

Meine Damen und Herren, der bittere Sachverhalt ist: Deutschland lebt heute auf Kosten der Zukunft; Deutschland lebt heute auf Kosten seiner Kinder und Kindeskinder. Wir in Bayern gehen nicht diesen Weg in den Schuldenstaat. Mit einer Pro-Kopf-Verschuldung von nur 1550 e hat Bayern mit Abstand die geringste Schuldenlast aller deutschen Länder. Wir in Bayern können unseren Kindern und Enkeln deshalb guten Gewissens in die Augen schauen.

(Beifall bei der CSU)

Jetzt darf ich Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, den Spiegel entgegenhalten: Hätten wir den Anträgen der SPD-Fraktion allein zum Doppelhaushalt 2003/2004 nachgegeben, hätte dies eine Mehrbelastung von sage und schreibe 5 Milliarden e bedeutet.

(Zurufe von der CSU: Hört, hört!)

Sie gehen jetzt auch im Wahlkampf mit den Anträgen hausieren, die Sie gestellt haben, und beschuldigen uns, wenn wir sie abgelehnt haben. Ich finde: Angesichts der Generationengerechtigkeit, der Verpflichtung zur Nachhaltigkeit, der Verantwortung gegenüber den kommenden Generationen wäre es unverantwortlich gewesen, diese Mehrausgaben zu akzeptieren.

(Beifall bei der CSU)

Die Sozialdemokratie wendet immer wieder das gleiche Rezept an, nämlich Staatsexpansion auf Pump. Das ist jedoch das Gegenteil von Nachhaltigkeit und von Generationengerechtigkeit. Meine Damen und Herren, eine geringere Staatsquote und weniger bürokratische Lasten sind entscheidende Voraussetzungen für Wachstum und Arbeit. Insbesondere das Handwerk und der Mittelstand brauchen endlich wieder Luft zum Atmen und zum Investieren. Gerade die kleinen Unternehmen bis 20 Mitarbeiter werden durch die Bürokratie besonders belastet.

(Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Meisterbrief!)

Die kleinen Unternehmen haben nicht die gleichen Kapazitäten wie die großen Unternehmen, um mit der Bürokratie fertig zu werden. Der Handwerker hat keine Personal- und Steuerabteilung. Der Existenzgründer hat keine Abteilung für die Bewältigung der Genehmigungsbürokratie. Gerade die kleinen Unternehmen schaffen jedoch den Großteil der neuen Arbeitsplätze und der Lehrstellen, wofür wir diesen kleinen und mittleren Unternehmen unsere aufrichtige Anerkennung zollen.

(Beifall bei der CSU)

Große Unternehmen haben heute Bürokratiekosten in Höhe von rund 100 e pro Jahr und Mitarbeiter.

(Odenbach (SPD): Die Staatsregierung hat mehr!)

Bei kleinen Unternehmen steigen diese Kosten auf bis zu 4000 e pro Jahr und Mitarbeiter an.

(Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wie sieht es in Bayern aus?)

Die Bürokratiekosten sind bei Kleinunternehmen, bezogen auf den Gesamtumsatz, in etwa genauso hoch wie die gesamte durchschnittliche Umsatzrendite. Deshalb müssen wir hier ansetzen; denn nicht wenige Kleinunternehmer stellen sich jeden Tag die Frage: Für wen schufte ich eigentlich? Für mein Unternehmen, für meine Familie, für meine Mitarbeiter oder nur noch für den Staat? Das demotiviert junge Handwerksmeister und junge Leute, die sich selbstständig machen wollen. Wir müssen sie wieder ermutigen, Risiken einzugehen, Innovationen einzuführen, Investitionen vorzunehmen und damit Arbeitsplätze zu schaffen.

(Beifall bei der CSU)