Protokoll der Sitzung vom 10.07.2003

Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Mit unserer Interpellation „Mehr Rechte für Kinder – zur Situation der Rechte für Kinder in Bayern“ wollten wir eine aktuelle und vor allem aussagekräftige Bestandsaufnahme der Lebenssituation von Kindern in Bayern erstellt wissen. Ich bedanke mich ganz ausdrücklich bei den Verantwortlichen in der Verwaltung für die Beantwortung. Vor allem bedanke ich mich dafür, dass es gelungen ist, die Interpellation noch in dieser Legislaturperiode zu behandeln.

Das umfangreiche Material ist, denke ich, eine gute Grundlage für zukünftige politische Initiativen. Mit unserer Großen Anfrage wollen wir zur Verbesserung der Lebenssituation unserer Kinder in Bayern beitragen. Unsere Fragen beinhalten Bereiche wie die Erziehungs-, Betreuungs- und Bildungssituation. Wir fragen aber auch nach Daten zur wirtschaftlichen und sozialen Situation von Familien, zur Wohnsituation und zu Spielmöglichkeiten. Ein Abschnitt widmet sich der seelischen und körperlichen Gesundheit, der Umweltsituation sowie dem Thema „Kinder als Verkehrsteilnehmer“.

Meine Damen und Herren, dass Kinder zu häufig Opfer von Straftaten werden, ist leider eine traurige Tatsache. Auch zu diesem Thema haben wir Daten erfragt.

Ein sehr wichtiges Kapitel der Interpellation ist die Teilhabe von Kindern am demokratischen System und am öffentlichen Leben. Wir fragten nach Kinderbeauftragten und nach der Prüfung von Kinderfreundlichkeit. In Erfahrung bringen wollten wir auch den aktuellen Stand der Gleichberechtigung von Jungen und Mädchen.

Ein immer wichtigeres Thema ist der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Medien, beispielsweise vor jugendgefährdenden Inhalten im Internet, sowie der Umgang mit Konsum.

Die Fragen im zweiten Teil der Interpellation zielen darauf ab, welche Rechte unseren Kindern zuzugestehen sind, damit sie aktiv und mitgestaltend in ihre Lebenswelt eingreifen können. Wichtig war uns auch, in Erfahrung zu bringen, ob unsere Kinder in Bayern überhaupt ihre zehn wichtigsten Rechte kennen. Denn, so meinen wir, Kinder haben Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge, die für ihr Wohlergehen notwendig sind.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, bei allen Maßnahmen öffentlicher und privater Einrichtungen, die Kinder betreffen, muss das Wohl des Kindes Vorrang haben. So steht es jedenfalls sinngemäß in der Grundrechtecharta der Europäischen Union. Doch leider müssen wir in Bayern feststellen, dass die Rechte von Kindern bei großen Teilen der CSU nicht in guten Händen sind. Die Staatsregierung zeigt für die Nöte aller anderen Gesellschaftsschichten in unserem Bundesland mehr Sensibilität als für die der Schwächsten, nämlich unserer Kinder.

(Beifall bei der SPD)

Ich erinnere daran, dass die CSU-Regierung das Recht des Kindes auf gewaltfreie Erziehung, das die Bundesregierung auf den Weg gebracht hat, als einziges Land in der Bundesrepublik nicht unterstützt hat.

(Beifall bei der SPD)

Sie nehmen den Mund in Sonntagsreden immer recht voll. Aber wenn es um das Handeln geht, drücken Sie sich.

Bestes Beispiel in dieser Woche ist dazu wieder die angelaufene bundesweite Kampagne „Mein Kind ist unschlagbar“. Ich denke, das ist ein hervorragender Titel. Aber da stellen sich dann Mitglieder der Staatsregierung hin und lassen sich mit Medienberühmtheiten fotografieren. Damit wollen sie suggerieren, dass auch sie dafür sind. Es kann ja sein, dass sie im Herzen dafür sind. Aber bisher habe ich nichts anderes als Schaufensterveranstaltungen erlebt.

(Beifall bei der SPD)

Dabei ist wirklich konkretes Handeln gefragt.

Allein in Bayern, so konnte man lesen, registrierte das Landeskriminalamt 3635 Fälle gefährlicher und schwerer Körperverletzung gegenüber Kindern, 9518 Fälle vorsätzlicher leichter Körperverletzung, 2958 Fälle sexuellen Missbrauchs von Kindern. Ich denke, diese Zahlen zeigen, dass Appelle und Pressemitteilungen allein nicht ausreichen. Unterstützung der gewaltfreien Erziehung wäre ein richtiges Signal.

(Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das gleiche Trauerspiel mussten unsere Verhandlungsführerinnen und -führer auch erleben, als es bei der nun Gott sei Dank auf den Weg gebrachten Verfassungsänderung um die Auf

nahme der Kinderrechte ging. Wir wollten damit die Rechtsstellung des Kindes als Grundrechtsträger mit eigenen Bedürfnissen und Ansprüchen gestärkt wissen, – natürlich nicht auf Kosten des Elternrechts. Unser Grundsatz aber muss sein: Wenn es Kindern gut geht, und zwar nicht nur materiell, geht es auch den Familien gut. Umgekehrt ist das leider nicht immer der Fall.

Ich möchte hier nochmals ausdrücklich unseren Mitgliedern in der Verhandlungskommission, Anne Hirschmann, Klaus Hahnzog, Harald Güller, Helga SchmittBussinger, danken, dass es ihnen gelungen ist, vom „Regelungsgegenstand“ Kind wegzukommen und zu einer Subjektstellung des Kindes zu gelangen.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, ich meine, auch die Staatsregierung braucht Nachhilfe in Sachen Demokratie.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an demokratischen Prozessen in Bayern ist kein Kinderspiel. Die Bundesregierung hat schon lange einen Anstoß zur Umsetzung von Beteiligungsmodellen für unsere Kinder gegeben. Diese Initiative könnte Bayern in Kindertagesstätten, Schulen und Kommunen umsetzen. Aber auch hier spricht die Bayerische Staatsregierung mit gespaltener Zunge. In der Antwort der Staatsregierung auf unsere Interpellation wird betont, wie wichtig und gleichzeitig wie vielfältig Einflussnahme und Gestaltungsmöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen an demokratischen Prozessen vornehmlich in deren ursprünglichen Lebenswelten sind. Auf der anderen Seite ist aber die Regierung vehement gegen die Einsetzung von Kinderparlamenten auf der unteren und mittleren Ebene, ganz zu schweigen von der höheren Entscheidungsebene. Auch verhindert die Mehrheit hier in diesem Hause seit Jahren konsequent die Einsetzung von Kinderbeauftragten.

Ich meine aber, Politik und Gesellschaft brauchen mehr Beteiligung von Kindern und Jugendlichen, weil sie nämlich ein grundlegender Teil unserer Demokratie und ein wichtiges Element für ihren weiteren Bestand ist.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb ist es für mich sehr enttäuschend, wenn die Staatsregierung in der Beantwortung unserer Interpellation zwar wieder betont, dass die Partizipation wichtig ist, aber keine konkreten Zahlen nennen kann, nämlich wie, wann und wo Partizipation von Kindern in Bayern überhaupt stattfindet. Ich zitiere dazu aus der Beantwortung der Interpellation: „Die Bayerische Staatsregierung verfügt über keine Informationen, in wie vielen und welchen Kommunen es welche konkreten Einrichtungen zur Beteiligung von Kindern am öffentlichen Leben gibt.“ Im Klartext heißt das, dass es dem Engagement einzelner Bürgerinnen und Bürger überlassen bleibt, ob Kinder an Entscheidungsprozessen beteiligt werden. Das heißt, der Staatsregierung ist es egal, ob sie beteiligt werden. Auch dies geht aus der Antwort hervor. Die Initiative und

Verantwortung wird wieder einmal auf die Kommunen abgeschoben. Von vorn bis hinten kann man in der Antwort lesen: „Die Staatsregierung geht davon aus...“, „Bayern ist Spitze...“; aber wenn es um konkretes Handeln geht, ist leider Gottes Fehlanzeige.

Ein anderes Kapitel ist die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit. Wie wir wissen, wollen immer mehr junge Familien dies tun. Aber davon sind wir in Bayern noch weit entfernt. Es gibt nach wie vor kein Gesamtkonzept für Kinderbetreuung. Hier wird gerade mal das Notwendigste getan. Das heißt dann so schön „bedarfsgerecht“. Und die 313 Millionen e, die natürlich in der Interpellation auch wieder auftauchen, die immer wieder durch die Lande geistern, sind zwar schön und äußerst notwendig, aber, bitte schön, nicht vergessen, dass die Kommunen fast noch einmal genauso viel drauflegen müssen, damit die Kindertagesbetreuung funktioniert. Dann möchte ich auch daran erinnern, dass diese 313 Millionen e auf einen Zeitraum von fünf Jahren gestreckt sind.

Die Staatsregierung kündigt an, was doch alles getan wird. Aber, wie in so vielen Bereichen, die Kommunen müssens richten. Und sie werden dann finanziell allein gelassen. Ich nenne nur das Stichwort „Mittagsbetreuung“.

Meine Damen und Herren, wir brauchen für Bayern ein Netzwerk der Kinderbetreuungseinrichtungen. Eltern müssen an einer Stelle verlässliche Auskunft bekommen können, zum Beispiel in einem Kinderbüro.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Interpellation zeigt, wie wichtig ein regelmäßiger Kinderbericht der Staatsregierung wäre, um aktuell und detailliert über die Lebenssituation bayerischer Kinder informiert zu sein und so zu ihrer Verbesserung beitragen zu können. Dann könnten wir uns auch unsere regelmäßigen Interpellationen zu diesem Thema sparen; denn das wird ja auch sehr kritisch in der Antwort angemerkt. Ich meine, Kinder brauchen Qualität.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Kinderpolitik ist eine Querschnittsaufgabe. Sie betrifft alle Politikfelder. Eine gute Politik für Kinder ist eine richtungweisende und zukunftstaugliche Politik. Liebe Kolleginnen und Kollegen, handeln wir danach.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Nächste Wortmeldung: Herr Unterländer, bitte.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Erfreulicherweise hat in den vergangenen Jahren die Situation der Familien und der Kinder in unserem Land im Bayerischen Landtag – in den zuständigen Ausschüssen wie auch im Plenum – eine wichtige Rolle gespielt. Deswegen ist diese Interpellation eigentlich nur eine Ergänzung dieser Gesamtdiskussion. Wir unterscheiden uns mit dieser parlamen

tarischen Schwerpunktsetzung wohltuend davon, wie von der Mehrheit im Deutschen Bundestag Kinder- und Familienpolitik betrieben wird.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn Sie davon sprechen, dass die Beteiligung von Kindern in der Beantwortung der Interpellation durch die Staatsregierung nicht in ausreichender Form dargestellt wird, so meine ich, dass Sie nicht begriffen haben, was Beteiligung von Kindern bedeutet. Beteiligung von Kindern bedeutet eine Vielfalt von Ansätzen. Es ist doch ein Ergebnis der Beteiligung, dass wir Kinderparlamente, dass wir Kinderbeauftragte und Ähnliches haben, für die wir uns einsetzen. Wir halten es aber für sinnvoller, wenn sich das auf der jeweiligen kommunalen Ebene entwickelt. Wollen Sie denn tatsächlich von oben nach unten verordnen, wie solche Modelle aussehen? Demokratie muss von unten aus geschehen. Dazu bedarf es der Befähigung und dazu haben wir zum Beispiel im Erziehungs- und Bildungsplan, der im Moment erprobt und diskutiert wird, in den Kindertagesstätten und in den Lehrplänen der Schulen die entsprechenden Voraussetzungen. Demokratie und Verantwortung müssen erlernt werden. Deshalb ist dies ein ganzheitlicher Ansatz.

Wenn Sie, Frau Kollegin Narnhammer, davon sprechen, dass die Kommunen in Fragen der Kinderbetreuung allein gelassen werden, stelle ich mir schon die Frage, was Sie überhaupt an Realität wahrnehmen. Wir, die Staatsregierung und die Mehrheit dieses Hohen Hauses, haben in diesem Land ein Kinderbetreuungskonzept aufgebaut, das seinesgleichen sucht. In Zeiten mit einer schwierigen wirtschaftlichen Lage, in denen die öffentlichen Haushalte Probleme haben, finanziert und gedeckt zu werden, ist es möglich, ohne Einschränkungen ein Kinderbetreuungskonzept mit 313 Millionen e, mit einem Ansatz von 30000 zusätzlichen Plätzen, zu entwickeln und umzusetzen. Das sucht seinesgleichen. Wo bleiben da die Länder, in denen die SPD die Verantwortung trägt?!

(Beifall bei der CSU)

Deshalb frage ich Sie, wie steht es mit der Verantwortung und der Kinderfreundlichkeit, in den Bereichen, in denen Sie – SPD und GRÜNE – die Mehrheit haben? Wie ist es mit der Steuerreform, über die diskutiert wird? Was ist das für eine Politik, wenn die Bundesregierung im Vollzug des Bundesverfassungsgerichtsurteils zum Familienlastenausgleich den alleinerziehenden Familien das Geld aus der Tasche zieht und wenn die Bundesfamilienministerin jetzt für eine Entlastung der Alleinerziehenden plädiert, die durch Ihre Partei, meine sehr verehrten Damen und Herren , selbst gestrichen wurde?

(Zuruf von der SPD: Bundesverfassungsgericht!)

Es kann doch keine familienfreundliche Politik sein, wenn die Entlastung wieder durch die Familien selbst finanziert wird, wenn auf der einen Seite Steuerentlastungen erfolgen, aber auf der anderen Seite durch die Erhöhung von Verbrauchssteuern die Familien die Hauptbetroffenen sind, wenn überall dort, wo SPD und GRÜNE die Verantwortung tragen, schwerpunktmäßig Familien belastet sind, wie in München, wo die Gebüh

ren für Kindertagesstätten und Krippen um sage und schreibe bis zu 144% erhöht wurden, und wenn in Ihrer Politik das Thema „Wahlfreiheit für junge Familien“ keine Rolle spielt.

(Frau Narnhammer (SPD): Das ist Ihre Politik!)

Wir wollen nicht, dass den Familien vorgeschrieben wird, welchen Weg sie gehen, sondern wir wollen die Voraussetzungen dafür schaffen, dass sie sich selbst entscheiden können, welchen Weg sie gehen. Das ist Bestandteil einer humanen Kinder- und Familienpolitik.

(Beifall bei der CSU – Frau Werner-Muggendorfer (SPD): Da muss zuerst einmal etwas da sein!)

Dieser Entwicklung und dieser Bestandsaufnahme auf Bundesebene steht der bayerische Weg für Familien gegenüber. Trotz schwieriger Haushaltslage wird gerade in Bayern durch unangetastete familienpolitische Leistungen die Wahlfreiheit gestärkt. Mit dem von mir bereits angesprochenen Ausbau der Kinderbetreuung mit 30000 neuen Plätzen innerhalb von vier Jahren und einem finanziellen Aufwand von 313 Millionen e werden die notwendigen Zeichen gesetzt, damit die Kinderbetreuung tatsächlich ausgebaut werden kann. In dieser Frage ist uns zweierlei wichtig: Zum einen ist das Thema „Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsleben“ eines der zentralen familienpolitischen Anliegen. Zum anderen ist es bedeutsam, dass die hervorragende qualitative Arbeit in den Einrichtungen weiterentwickelt und ausgebaut wird.

Institutionelle Kinderbetreuung, sowohl im frühkindlichen Bereich als auch in Kindertagesstätten und auf dem schulischen Sektor, muss immer das Wohl des Kindes in den Vordergrund rücken. Da stehen wir mit unseren Angeboten hervorragend da. Ich möchte den Ausbau der Tagesmütterkonzepte ebenso nennen wie Krippenplätze, den Ausbau der Horte und die mit Ausnahme von einigen Brennpunkten mittlerweile hervorragende Versorgung mit Kindergärten.

Die Bilanz der Interpellation durch die Bayerische Staatsregierung auf diesem Sektor ist beeindruckend. Es muss das grundlegende Ziel sein – hierzu wurden sowohl von der CSU-Landtagsfraktion als auch von der Staatsregierung immer wieder Vorschläge in die Diskussion eingebracht –, dass Familien für ihre Kinder nicht mit ihrem Einkommen unter Sozialhilfeniveau rutschen. Es ist ein Skandal, wenn Kinder in der reichen Bundesrepublik immer noch als Armutsrisiko bezeichnet werden müssen. Hierzu sollten Sie in Berlin unsere Vorschläge endlich aufnehmen.