Protokoll der Sitzung vom 02.02.2000

Wieder, dank der Pflegeversicherung. Wir wollen doch nicht, dass durch Verbesserungen in der stationären Pflege die Selbstzahler allein einen hohen Beitrag zahlen müssen. Wenn wir innerhalb von drei Jahren 6000 Pflegekräfte in den stationären Einrichtungen schaffen würden, müssten die Selbstzahler 500 DM monatlich mehr bezahlen. Daran lässt sich nichts ändern: Solange sie Geld haben oder über Eigentum verfügen, müssen sie 500 DM mehr im Monat bezahlen. Wenn wir aber Verbesserungen in der Krankenversicherung vornehmen, wenn die Pflegeversicherung für die Pflegestufe III mehr bezahlt, würden die Selbstzahler am Ende des Stufenplans nicht 500 DM monatlich mehr bezahlen, sondern nur 222 DM. Wir haben die Verpflichtung, bei unserem Konzept auch an die Selbstzahler zu denken, die ebenfalls Beiträge in die Pflege- und Krankenversicherung zahlen. Deshalb muss man ihnen, wenn es verantwortbar ist, Verbesserungen innerhalb dieser Sicherungssysteme zukommen lassen.

Mir ist nicht klar, warum wir über soziale Sicherungssysteme, die wir auf den Weg gebracht haben, in einer Art und Weise reden, als wären das Anforderungen an den Bund. So haben wir bisher noch nie miteinander diskutiert; das ist mir völlig neu. Wenn wir höhere Aufwendungen für Selbstzahler haben, müssen die Bezirke jährlich mehr Geld für die Pflege aufbringen, und zwar deshalb, weil dadurch mehr Menschen in die Sozialhilfe kommen. Das liegt doch am System. Hinzu kommen die Menschen, die schon in der Sozialhilfe sind und dann höhere Leistungen erhalten. Wir bekommen also nicht nur neue Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger, sondern die Menschen haben dann einen höheren Anspruch, weil der Pflegesatz gestiegen ist. Dafür müssen die Bezirke gerade stehen. Dass die Bezirke dafür nicht alleine gerade stehen können, ist mir auch klar. Ich bin mir auch darüber im Klaren, dass die Bezirke einen Ausgleich dafür benötigen.

Was hätten Sie denn an meiner Stelle getan? Ich möchte mich beim Finanzminister nach all den schwierigen Verhandlungen bedanken, die wir miteinander geführt haben.

(Wahnschaffe (SPD): Er hat doch so wegweisende Äußerungen gemacht, aber keine Mark hat er herausgerückt!)

Sie wissen doch gar nicht, dass er keine Mark herausrückt. Auf jeden Fall hat der Finanzminister nicht nur einen Beschluss über sich ergehen lassen, sondern dem zugestimmt, dass der Finanzminister im Rahmen der Finanzausgleichsverhandlungen – da gehört es nämlich hin – gebeten wird, die veränderte Situation in der Pflege zu berücksichtigen.

(Wahnschaffe (SPD): Das ist eine sehr klare Aussage!)

Entschuldigen Sie, Herr Kollege Wahnschaffe, der Finanzminister hatte den Auftrag, die veränderte Ausgangssituation für die Bezirke bei den FAG-Verhandlungen zu berücksichtigen. Finanzausgleichsverhandlungen finden nun einmal statt, damit man miteinander ringt und sich am Schluss auf einen Kompromiss einigt. Ich bitte Sie jetzt wirklich darum, dass wir über die Vorschläge, die vorliegen, einmal in Ruhe miteinander reden. Ich mache Ihnen doch auch nicht den Vorwurf, dass Sie die Pflegekasse ausgeplündert hätten. Warum haben Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD, es zugelassen, dass Ihr Bundesfinanzminister der Pflegeversicherung jährlich 400 bis 500 Millionen DM nimmt? Dieses Geld hätten wir zur Verbesserung der Pflege der dementen Patienten in den stationären Einrichtungen verwenden können.

(Beifall bei der CSU)

Frau Staatsministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wahnschaffe?

Ja, gern.

Bitte, Herr Kollege!

Frau Staatsministerin, ist es richtig, dass Sie vorgeschlagen haben, die Leistungen aus der Pflegeversicherung jährlich um 5% zu erhöhen? Ist es des Weiteren richtig, dass eine solche Leistung nur dann möglich ist, wenn auch die Einzahlung in die Pflegeversicherung entsprechend erhöht wird? Mit anderen Worten, sind Sie mit mir darin einig, dass es unser erstes Ziel sein muss, mehr Beschäftigung zu erreichen, damit die 400 Millionen DM, die Sie für die Arbeitslosen veranschlagen, nur eine fiktive Zahl sind?

Lieber Herr Kollege Wahnschaffe, Sie müssten erst einmal die strukturelle Arbeitslosigkeit angehen, damit der

Arbeitsmarkt wieder belebt wird. Lenken Sie doch nicht vom Thema ab.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU)

Tatsache ist, dass Sie eine Absenkung des Beitrages aus der Arbeitslosenhilfe zugelassen haben, wodurch die Pflegeversicherung 400 bis 500 Millionen DM weniger an Einnahmen verzeichnen muss. Das ist Fakt. Der Bundesarbeitsminister bestreitet dies gar nicht. Er gibt diese Zahlen zu, und er hat sie bis zum heutigen Tage auch noch nicht infrage gestellt.

Sie sagten, ich hätte für die Qualität der Pflege noch nichts getan. Ich weiß nicht, ob es Ihnen entgangen ist, was im Landespflegeausschuss passiert ist. Wir sind gerade dabei, eine TÜV-Plakette zu erarbeiten, mit der Qualität bestätigt werden soll. Wir werden demnächst mit den Heimleitungen darüber Gespräche führen, was beim Management verändert werden kann. Es gibt bei unseren stationären Einrichtungen unterschiedliche Strukturen. Es gibt Einrichtungen, die mit knappem Personal eine menschenwürdige Pflege auf qualitativ hohem Niveau anbieten, und es gibt Einrichtungen, in denen die Atmosphäre nicht stimmt und der Krankenstand beim Personal sehr hoch ist. Dort, wo aber der Krankenstand schon sehr hoch ist, ist die Situation für das Personal noch schwieriger. Wir können nicht alles mit zusätzlichen Planstellen lösen. Wir müssen bei der Fort- und Weiterbildung ansetzen und wir müssen das Management bei den Heimleitungen verbessern. Diesen gemeinsamen Weg müssen wir miteinander gehen.

Sie sagten, Sie appellieren an Ihre Kolleginnen und Kollegen von der SPD. Ich kann Sie deshalb nur ermuntern, dass unser Gesetzentwurf, der die Steigerung der Qualität zum Ziel hat, im Bundesrat aber nicht behandelt wurde, dort endlich auf die Tagesordnung gesetzt wird.

Sie haben mir heute auch vorgeworfen, das Land wäre nicht bereit, bestimmte Leistungen zu erbringen. Auch über diesen Vorwurf habe ich mich sehr gewundert. Die Kollegin Moser in Schleswig-Holstein hat genau die gleichen Probleme. Wir haben es hier also nicht nur mit einer bayerischen Angelegenheit zu tun, sondern wir haben diese Probleme bedauerlicherweise in allen Ländern. Frau Moser hat als Erstes ihren Blick auf das Bundesgesundheitsministerium gerichtet und Verbesserungen bei der Pflegeversicherung angemahnt. Wenn die Länder eine sachliche Debatte führen würden, wären sie in ihren Auffassungen gar nicht so weit voneinander entfernt.

Beim Thema Pflege sind wir tatsächlich herausgefordert. Lassen Sie mich aber abschließend sagen, dass wir mehr Zuwendung und mehr Zeit für die Menschen aufbringen und dass wir ihnen spürbare Liebe zuteil werden lassen müssen. Das können wir aber nicht alleine mit Stellenschlüsseln bewerkstelligen, sondern dazu brauchen wir auch die Angehörigen, die bereit sind, sich wenigstens in den stationären Einrichtungen umzusehen und Zeit aufzubringen. Lassen wir auch die Ehrenamtlichen in die stationären Einrichtungen hinein. Sie leisten dort gute und hervorragende Arbeit. Wir müssen sie in den stationären Einrichtungen nur zulassen. Wir müssen

sie willkommen heißen, wir dürfen sie nicht außen vor lassen.

(Beifall bei der CSU)

Als nächster Rednerin erteile ich Frau Schopper das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Staatsministerin, Sie haben beim Thema Pflege wahrlich Ausdauer bewiesen. Ich muss trotzdem noch mal darauf zurück kommen, was Kollege Kobler gesagt hat. Auch wenn seine Rede eher fürs Protokoll war, so kann man doch nicht den Eindruck stehen lassen, den er erweckt hat. Es stimmt nicht, dass die Bundesgesundheitsministerin die Einzige ist, die die Politik des Bundesausschusses für sich als die richtige einschätzt und dass Frau Stamm die Einzige ist, die es verhindert hat, dass die Richtlinien, die der Bundesausschuss in Kraft setzen wollte, nicht in Kraft getreten sind, wodurch dem Bundesausschuss einige Prügel zwischen die Beine geworfen wurden.

(Kobler (CSU): Da war in letzter Zeit aber ziemliche Ruhe!)

Es ist schon gut, Herr Kobler. Wenn man nur das Bulletin der Staatsregierung als das einzig Richtige betrachtet, mag man vielleicht zu diesem Schluss kommen. Darüber hinaus gibt es aber Möglichkeiten, sich auch auf anderen Seiten Kenntnisse zu verschaffen.

Ich möchte Ihnen noch einmal ganz klar sagen, was zukünftig passieren wird.

(Kobler (CSU): Was ist Ihr Vorschlag?)

Herr Kobler, lassen Sie mich doch erst einmal ausreden, dann könnte ich Ihnen etwas erzählen. Aber Sie müssen ja immer mit den Fingern hin und her fahren, wie Sie es gerade getan haben. Ich weiß gar nicht, warum Sie sich heute so ereifern. Die Richtlinien, die der Bundesausschuss der Bundesgesundheitsministerin zur Unterschrift vorgelegt hat, hat nicht nur Sie Sturm laufen lassen. Auch die Bundestagsfraktionen von SPD und GRÜNEN wie auch die Vertreter der Länder – hier kann ich zwar nur für die GRÜNEN sprechen, ich weiß das aber auch von der SPD hier in Bayern – haben gewusst, dass es brennen würde, wenn diese Richtlinien in Kraft treten, denn dann gäbe es die prophylaktischen Leistungen wie Einreiben und Gehübungen nicht mehr. Wenn aber diese prophylaktischen Maßnahmen wegfallen, wird es hinterher noch viel teurer. Wir würden damit nur ganz kurzfristig Gewinne erzielen.

(Kobler (CSU): Und was haben die bayerischen GRÜNEN dagegen unternommen?)

Die bayerischen GRÜNEN haben sehr wohl etwas dagegen unternommen. Sie brauchen mir hier nichts vorzuwerfen.

(Kobler (CSU): Ich habe aber nie etwas gehört!)

Sie haben nie etwas gehört. Also wenn Ihnen die Ohren zugefallen sind, müssen Sie zum HNO-Arzt gehen.

Die Richtlinien, die hier vorgelegt wurden, sind äußerst umstritten. Es gibt dagegen aber nur formale Einspruchsmöglichkeiten. Wir haben jetzt Krücken gefunden, um diese Richtlinien momentan zu stoppen. Inhaltliche Verbesserungen können wir aber nur in einem Konsens erzielen. Das liegt an der rechtlichen Situation, die Ihr Herr Seehofer heraufbeschworen hat. Am Freitag werden wieder Gespräche stattfinden. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir mit den Richtlinien, wie sie momentan bestehen, der häuslichen Pflege einen Bärendienst erweisen würden. Ich möchte jetzt nicht das geißeln, was Sie praktiziert haben, denn es wäre schade um die Zeit, wenn wir uns damit auseinander setzen würden.

Frau Staatsministerin, ich nehme Ihnen Ihr Engagement für die Pflege ab und dass Sie wissen, was Sie erreichen wollen. Wir führen diese Debatte im Bayerischen Landtag aber nicht zum ersten Mal. Seit fast drei Jahren wird der Pflegemissstand – vielen war er bereits bekannt – in den öffentlichen Medien in Bayern diskutiert. Bayern war in der Vorreiterrolle. Inzwischen wird über das Problem auch in anderen Bundesländern diskutiert. Menschen, die sich in der Sozialpolitik engagieren, sagen, dass es sich um kein bayerisches Problem handele. Seit drei Jahren diskutieren und beklagen wir, sind wir betroffen und versuchen, Abhilfe zu schaffen. Aber es ist noch nichts passiert. Die Pflegebedürftigen und deren Angehörige haben das Gefühl, dass die Zeit davonläuft und es für sie keine adäquate Pflege mehr gibt, weil sie die Anhebung des Pflegeschlüssels – Dreh- und Angelpunkt – nicht mehr erleben werden.

Wir wissen um die strukturellen Mängel und diskutieren seit drei Jahren darüber. 85% der Menschen, die die Altenpflege erlernten, steigen innerhalb von fünf Jahren oder spätestens nach fünf Jahren wieder aus. Das ist ein Alarmsignal. Von so vielen Menschen kann man nicht behaupten, dass sie sich nur im Beruf geirrt hätten. Vielmehr stellt diese Tätigkeit eine große Belastung dar, Anerkennung gibt es nicht. Sie sind nicht organisiert und stellen keine Forderungen. Meist gehen sie mit ihrer Arbeit bis an die Grenze ihrer Kräfte. Sie lassen sich nach der Familienpause zurückrufen, um zu pflegen. Eine solche Maßnahme kann das Problem nur übertünchen. Abhilfe kann nur geschaffen werden, wenn der Pflegeschlüssel erhöht wird. Der Dreistufenplan, den Frau Staatsministerin Stamm vorgestellt hat, enthält viel Diskussionswürdiges.

Zum einen soll die bisher von der Pflegeversicherung getragene stationäre Pflege auf die Krankenkassen verlagert werden. Ist das kein Verschiebebahnhof? Kollege Kobler und Sie haben diese Art der Verteilung vorhin gegeißelt.

Man kann auch über das Sterbegeld reden. Ich wünsche Herrn Mooshammer ein langes Leben, aber es ist fraglich, ob er Sterbegeld braucht. Über dieses Potenzial kann man reden. Der Grundfehler des Konzepts liegt darin, dass zunächst vor allen anderen Türen gekehrt wird. Wir fegen die Stufen I und II nach Berlin. In Stufe III

schauen wir, wie die Selbstzahler und Bezirke herangezogen werden können. Das restliche kleine Häufchen bekommen wir dann schon in das kleine „Kehrschäufelchen“. So wird es nicht laufen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Am 10. März des vorigen Jahres führten wir die letzte große Pflegedebatte. Eigentlich könnte ich die damalige Rede heute vorlesen – es hat sich nichts verändert. Alle, die mit der Pflege zu tun haben, meinen, dass die Zeit der runden Tische, der Bekenntnisse und Erkenntnisse vorbei sei und nun die Phase der Umsetzung einsetzen müsse.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Die Umsetzung drängt. Das Thema Pflege eignet sich nicht, auf die parteipolitischen Fahnen geheftet zu werden. Es muss über Parteigrenzen hinweg im Konsens gelöst werden. Dazu ist es nötig, in der gesellschaftlichen Debatte das Tabu aufzuheben. Dem Ministerpräsidenten zum Beispiel kommt das Wort „Globalisierung“ viel leichter über die Lippen als das Wort „Dekubitus“. In der gesellschaftlichen Debatte muss die Wertschätzung der Pflegebedürftigen immer wieder angemahnt werden.

(Glocke des Präsidenten)

Ich habe nicht in die rechte Richtung gesehen, weil dort geschwätzt wurde. Ich habe mich mehr dem anderen Teil des Hohen Hauses zugewandt. Aber Kollege Unterländer wird sicher noch einiges sagen. Wir sind gespannt, was er an meinem Beitrag zu kritisieren hat.

(Frau Kellner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Theresa, er traut sich nicht, Dir zu widersprechen!)

Ich war von dem Konzept der Staatsregierung enttäuscht. Es fordert zunächst von der Berliner Ebene Vorgaben ein. Die Bayerische Staatsregierung sagt, dass sie zwar wisse, wie es um die Leute stehe und was Sache sei, dass sie aber keinen monetären Beitrag leisten werde. Das ist zu kritisieren, denn es ist ein Sofortprogramm nötig. Wir bräuchten 6000 Pflegekräfte, um den gewünschten Personalschlüssel zu erreichen. Wir hätten diese Kräfte momentan gar nicht. Wir sind nicht in der Lage, 6000 Menschen von den Schulen abzuziehen und in den Heimen anzustellen. Schon daran fehlt es. Wir müssen versuchen, die Debatte in die Gesellschaft zu tragen und zu diskutieren, was es bedeutet, in Würde zu altern und welche Bedingungen für einen humanitären Lebensabend in Würde geschaffen werden müssen. Wir müssen darüber diskutieren, was von den Kindern eingefordert werden kann. Und wir müssen darüber reden, was künftig für die Menschen geleistet wird, die jetzt in die Pflegeversicherung zahlen.

Wir können nicht mehr nur darauf warten, dass aufgrund der gesellschaftlichen Debatte vielleicht irgendwann einmal die Tabuzone verlassen wird. Wir müssen das jetzt schaffen. Insofern wäre es nötig gewesen, dass die Staatsregierung ein Sofortprogramm vorlegt. Der jetzige Vorschlag ist ein Zeichen der Schwäche und nicht der

Stärke; denn Sie wollen, dass der Bund vorlegt, anstatt vor der eigenen Türe zu kehren. Der Vorschlag entspricht nicht dem, was Frau Staatsministerin Stamm ansonsten fordert.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wie angekündigt, hat nun Herr Kollege Unterländer das Wort.