Protokoll der Sitzung vom 02.02.2000

Wie angekündigt, hat nun Herr Kollege Unterländer das Wort.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Von den Äußerungen des sozialpolitischen Sprechers der SPD-Fraktion bin ich maßlos enttäuscht. Herr Kollege Wahnschaffe, Ihre Stellungnahme respektiert in keiner Weise die schwierige Situation von pflegebedürftigen Menschen in Altenheimen, die zum Teil über Magensonden ernährt werden oder die wund gelegen sind, weil ihnen keine Einreibungen verschrieben wurden. Wir müssen uns darüber unterhalten, wie wir Abhilfe schaffen wollen, anstatt politische Schuldzuweisungen zu treffen, wie Sie das gemacht haben. Wir müssen ein Klima der Humanität und die Voraussetzungen für einen Konsens schaffen, um Verbesserungen zu erreichen. Wir dürfen nicht in den üblichen politischen Schlagabtausch eintreten, wie Sie das gemacht haben.

(Wahnschaffe (SPD): Herr Kollege Unterländer, lesen Sie Zeitung? Haben Sie heute die Zeitung gelesen?)

Obwohl es auch in diesem Haus verschiedene Anläufe gegeben hat, wurde bei der häuslichen Krankenpflege noch immer keine Übereinstimmung erzielt. Bei der häusliche Krankenpflege geht es nicht um Schuldzuweisungen – das hat auch Kollege Kobler nicht gesagt –, sondern darum, den politischen Druck zu erhöhen und ein politisches Druckszenario aufzubauen, wonach die Planungen des Ausschusses nicht in die Realität umgesetzt werden. Hierbei sollten wir gemeinsam an einem Strang ziehen.

Ferner verwundert mich Ihr Hinweis auf Konstruktionsfehler in der Abgrenzung zwischen Pflege- und Krankenversicherung zurzeit der Bundesminister Blüm und Seehofer sehr. Können Sie sich nicht mehr daran erinnern, dass Ihre Partei und Ihre Bundestagsfraktion in diesen Entscheidungsprozess maßgeblich einbezogen war und dem Konzept in seiner Gesamtheit so zugestimmt hat? Stehlen Sie sich doch bitte nicht aus Ihrer Verantwortung.

(Maget (SPD): Aber die Kritik ist trotzdem richtig!)

Das konnten Sie meinen Worten entnehmen. – Die unerträgliche Situation in verschiedenen Bereichen der stationären Altenhilfe fordert einen gesellschaftlichen Konsens, der meines Erachtens heute noch nicht gegeben ist. Es geht um die überzeugende Beantwortung der Frage: Was ist unserer Gesellschaft die Pflege wert? Wir erleben einige Entwicklungen, die wir ernsthaft zur Kenntnis nehmen müssen, und die zu diesem Konzept der Staatsregierung und zum Antrag der CSU-Landtagsfraktion zur stationären Pflege geführt haben.

Die Ablehnung der Einbeziehung von Demenzkranken durch die Bundesregierung und durch den zuständigen Bundestagsausschuss, die Ablehnung mancher Bezirke – mit Ausnahme des Bezirks Oberbayern –, hier in eigener Zuständigkeit Verbesserungen vorzunehmen, sowie die Kritik von Angehörigen an steigenden Pflegesätzen, sind Fragen, mit denen wir uns ernsthaft auseinander zu setzen haben. Wir haben im Bayerischen Landtag hinsichtlich des Pflegeschlüssels, der Heim-Nachschauen und der Kontrollen insgesamt eine politische Übereinstimmung erreicht. Diesen Weg sollten wir in Zukunft fortsetzen.

Mit einer Verbesserung des Pflegeschlüssels von 1 : 2,2 ist es alleine für sich genommen, nicht getan; das wird jeder, der sich mit der Problematik intensiv auseinander setzt, zustimmend zur Kenntnis nehmen. Wir lösen das Problem alleine nicht und müssen uns in diesem Zusammenhang noch viele Fragen stellen: Wie sieht es mit der Personalgewinnung von insgesamt 6000 Kräften aus? Wie nehmen die Heime die finanziellen Verbesserungen wahr? Wird dadurch, dass in bayerischen Heimen eine überdurchschnittlich hohe Fachkraftquote vorhanden ist, dies auch bei finanziellen Verbesserungen sichergestellt? Wie ist das Problem zu regeln, wenn die Mehrzahl der Heimbewohner, nämlich 60% – hier hat die Staatsregierung mit dem Konzept von Frau Staatsministerin Stamm einen entsprechenden Ansatz geliefert – Selbstzahler sind? Diese werden allein auf den Pflegeschlüssel reduziert, der die Fälle nicht ausreichend umfasst.

Wie sieht es mit den Problemen im Management aus, die sich in den einzelnen Einrichtungen ergeben? Auch diese Probleme werden nicht allein mit der Frage des Pflegeschlüssels gelöst. Deswegen ist das Konzept der Bayerischen Staatsregierung in Bezug auf Fortbildung, Weiterbildung und Qualitätsverbesserungen vielfältig. Bitte, sehen Sie diese Probleme im Gesamtzusammenhang.

Obwohl zwischenzeitlich bundesweite Initiativen, wie die Aktion gegen Gewalt in Pflegeeinrichtungen, gegründet wurden, fehlt in den meisten Ländern und auf Bundesebene – teilweise sogar über Parteigrenzen hinweg – das Problembewusstsein. Frau Staatsministerin Stamm hat als erste Politikerin in diesem Land die Themen aufgegriffen, als sie dankenswerterweise von Leuten wie Klaus Fussek und Alexander Frei vor drei, vier Jahren in die Öffentlichkeit gebracht worden sind. Man denke an den runden Tisch „Pflege“, an den Landespflegeausschuss und an ein intensives Maßnahmenbündel, und in diese Reihe passt die gestern beschlossene Initiative der Staatsregierung.

Begleitend zur Umsetzung dieser Erfordernisse bitten wir deshalb die Staatsregierung und möchten wir Rükkenwind für die bundespolitische Diskussion mit einem möglichst einstimmigen Beschluss zu diesem Antrag erreichen, dass die „Verschiebebahnhöfe“ zulasten der Pflegeheime und der gesetzlichen Pflegeversicherung dadurch aufgegeben werden, dass die Behandlungspflege von der Pflegeversicherung in die Krankenversicherung übergeleitet wird.

Auf die Inflationsanpassung der Erstattungsbeiträge ist Frau Staatsministerin Stamm bereits eingegangen. Wir sollten uns schon darüber im Klaren sein, dass viele finanzielle Probleme, die wir heute in den Einrichtungen haben, durch ein Bündel an Maßnahmen nachhaltig verbessert werden können. Wenn Sie die 60% Selbstzahler erreichen wollen, müssen Sie zunächst einmal diese Maßnahmen ergeifen; dies hat nichts mit SchwarzerPeter-Spielen und Schuldzuweisungen zu tun. Sie haben auch den „Verschiebebahnhof“ bei der Berechnung der Pflege- beziehungsweise Sozialversicherungsbeiträge in der Arbeitslosenversicherung zu verantworten. Auf diese 400 Millionen bis 500 Millionen DM ist Frau Staatsministerin Stamm bereits eingegangen.

Dem folgt die dritte Stufe des Konzeptes, die der dritte Punkt unseres Antrages beinhaltet, nämlich dass die aktuelle Situation der Pflegeheime bei den Verhandlungen zum kommunalen Finanzausgleich selbstverständlich berücksichtigt wird. Damit ist doch Ihre Forderung erfüllt.

(Maget (SPD): Was heißt das?)

Herr Maget, dies ist ein klarer Verhandlungsauftrag. Eine solche Formulierung ist doch wesentlich sinnvoller, als sich konkret auf etwas festzulegen, wobei Sie nicht wissen, wie es in die Praxis umgesetzt werden kann.

(Maget (SPD): Das löst Enttäuschungen aus!)

Zusammenfassend darf ich feststellen: Die CSU-Landtagsfraktion unterstützt das Konzept von Frau Staatsministerin Stamm und der Bayerischen Staatsregierung zur Verbesserung der Qualität und der personellen Ausstattung in der stationären Pflege; da ist die praktische Situation berücksichtigt.

Viele von Ihnen sind auch in Wohlfahrtsverbänden tätig, die Heimträger sind. Dort hören Sie ganz andere Fragen wie etwa: Wie können die Beschlüsse umgesetzt werden? Da liegt es nicht allein daran, den Pflegeschlüssel zu verbessern, sondern ein Gesamtkonzept umzusetzen. Ich habe die einzelnen Punkte bereits angesprochen. In diesem Sinne sollten wir ein einhelliges Votum zu Stande bringen.

Der Bericht aufgrund des Antrags der SPD-Fraktion über dieses Konzept wurde bereits von Frau Staatsministerin Stamm gegeben. Damit muss der Antrag aus unserer Sicht für erledigt erklärt werden. Wir bitten im Sinne der pflegebedürftigen Menschen um Zustimmung zu unserem Antrag, um damit in der Pflege mehr Menschlichkeit zu erreichen.

(Beifall bei der CSU)

Als letzter Redner hat Herr Kollege Werner das Wort. Bitteschön.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kollege Unterländer ist bedauerlicherweise über die Ausführungen des Kollegen Wahnschaffe enttäuscht. Allerdings ist es nicht die Aufgabe von Rednern

der Opposition, Sie zu befriedigen oder Sie nicht zu enttäuschen. Mit diesem Vorwurf können wir leben. Aber das, was gestern Frau Staatsministerin Stamm vorgelegt hat, enttäuscht die Pflegebedürftigen, deren Angehörigen und die Pflegekräfte. Dies ist fatal für Menschen, die in das lange angekündigte Konzept eine große Hoffnung gesetzt haben. Das enttäuscht natürlich auch uns, aber das braucht Sie nicht zu beeindrucken.

Meine Damen und Herren, wir haben heute zwischen Kollegen Kobler und Frau Staatsministerin Stamm eine hübsche Arbeitsteilung erlebt. Die Frau Staatsministerin hat darauf hingewiesen, dass Sie im Zusammenhang mit der Entwicklung bei der häuslichen Pflege der Bundesregierung niemals einen Vorwurf gemacht hat.

Das hat zuvor Herr Kollege Kobler getan, aber auf eine, wie man auch im Bayerischen Landtag sagen darf, recht hinterfotzige Art. Herr Kollege Kobler, Sie wissen, dass der Bundesausschuss, in dem ja Ärzte und Krankenkassen vertreten sind, die Entscheidung getroffen hat.

(Kobler (CSU): Ja!)

Sie haben vom Bund gesprochen und die rot-grüne Bundesregierung gemeint. Das ist der Bedeutung der Sache nicht angemessen.

(Zustimmung bei Abgeordneten der SPD)

Weil wir diese Angelegenheiten für so bedeutend halten, beantrage ich im Namen der SPD-Fraktion eine namentliche Abstimmung über unseren Antrag auf Drucksache 14/2649.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es war ein guter Tag im vergangenen Jahr, als der Landespflegeausschuss beschloss, eine Verbesserung des Pflegestellenschlüssels auf 1 : 2,2 zu empfehlen. Das war ein wirklich guter Tag für die Pflegebedürftigen. Dieser Tag hat gezeigt, dass sich bei einer wichtigen Frage durchaus auch die Opposition im Bayerischen Landtag durchsetzen kann.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Empfehlung entspricht nämlich genau dem, was wir in den letzten Jahren immer wieder beantragt haben, zuletzt über einen Dringlichkeitsantrag. Wir wollten diese Verbesserung des Pflegestellenschlüssels.

(Unterländer (CSU): Wir auch!)

Herr Kollege Unterländer, die CSU-Fraktion hat unsere einschlägigen Anträge abgelehnt.

(Zuruf des Abgeordneten Unterländer (CSU))

Es freut uns, dass Sie der Landespflegeausschuss eines Besseren belehrt und sich für die Verbesserung des Pflegestellenschlüssels ausgesprochen hat. Das ist ein großer Erfolg unserer Politik.

Man muss aber hinzufügen: Wer A sagt, muss auch B sagen. Das ist eine alte Weisheit. So müssen wir die

Frage stellen: Wo soll denn das Geld herkommen? Auch hierzu haben wir, zuletzt im Rahmen der Haushaltsberatungen des vergangenen Jahres, einen Antrag gestellt, den Sie kurzerhand abgelehnt haben, meine Damen und Herren von der CSU.

(Zuruf des Abgeordneten Kobler (CSU))

Zur gleichen Zeit, Ende November vergangenen Jahres, kündigte Frau Staatsministerin Stamm in der Münchner Olympiahalle vor 9000 Menschen an, dass das bayerische Kabinett noch im Dezember eine Initiative zur Bereitstellung von Mitteln aus dem Kommunalen Finanzausgleich verabschieden werde, damit die Empfehlungen des Landespersonalausschusses umgesetzt und neue Stellen geschaffen werden könnten.

(Wahnschaffe (SPD):Hört, hört!)

Mir klingt es noch im Ohr, als wäre es gestern gewesen. Dann haben wir den Dezember erlebt, aber nichts von einer entsprechenden Initiative der Staatsregierung gehört. „Nun gut“, wird man sich denken, „sie haben eben ein wenig länger gebraucht.“ Zum Jahreswechsel haben Sozialverbände gefordert, den Beschluss des Landespflegeausschusses dadurch umzusetzen, dass mehr Geld bereitgestellt werde. Dies geschah wiederum mit dem Hinweis auf den Kommunalen Finanzausgleich. Daraufhin war aus dem Sozialministerium zu hören, es werde im Januar ein Konzept vorgelegt werden. Nun ist der Januar ins Land gegangen, und wieder war von einem Konzept nichts zu hören, bis es gestern, am 1. Februar, veröffentlicht wurde. Nun gut, wegen dieses einen Tages wollen wir uns nicht streiten.

Aber was ist denn jetzt an Konzept herausgekommen? Dazu muss man sagen: Der Berg kreißte und gebar nicht einmal ein Mäuslein. Alle anderen sollen zuerst etwas tun, bloß die Staatsregierung nicht. Diese wird erst dann tätig werden, wenn alle anderen ihren Beitrag geleistet haben. Als ich in den Bayerischen Landtag gewählt wurde, hätte ich es mir wirklich nicht träumen lassen, dass ich schon so bald ausgerechnet aus dem „Münchner Merkur“ zitieren würde. Aber es ist interessant, wie dort das gestern vorgelegte Konzept bewertet wird: „Blumige Worte, denen sie keine Taten folgen lässt.“ Oder: „Die Chance für eine schnelle Hilfe hat Stamm verpasst“. Ich überlege jetzt, ob ich den „Münchner Merkur“ nicht abonnieren sollte.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren von der Staatsregierung, auch in der dritten Stufe Ihres Konzepts erschöpfen Sie sich in mehr oder weniger vagen Andeutungen. Dort ist zu lesen, dass sich der Freistaat in angemessenem Umfang beteilige, aber eben nicht, auf welche Weise das geschehen soll. Auch das hat der „Münchner Merkur“ kommentiert. Er sieht voraus, was passieren wird, nämlich „möglichst wenig und wahrscheinlich gar nichts“. So ist dort zu lesen.

Meine Damen und Herren von der CSU, man könnte durchaus über einen Stufenplan zur Verbesserung der Situation der Menschen sprechen, die in den Pflegehei

men betreut werden. Das könnte man, wenn dem vorliegenden Dreistufenplan eine Stufe Null vorangestellt worden wäre, nämlich ein Sofortprogramm nach der Devise: Wir halten die Situation für so ernst, dass wir einen namhaften Betrag zur Verfügung stellen, der sich an dem orientiert, was der Bezirk Oberbayern bereitgestellt hat. Aber davon ist nicht die Rede.

Frau Stamm, ich kann nur unterstreichen, was Sie in einer Ihrer jüngsten Pressemitteilungen geschrieben haben:

Die Sicherheit für unsere älteren Mitmenschen, ihren Lebensabend in Würde verbringen zu können, muss uns auch Mehrausgaben wert sein. Die Humanität einer Gesellschaft zeigt sich in hohem Maße am Umgang mit ihren älteren Mitmenschen.