Protokoll der Sitzung vom 13.04.2000

(Widerspruch bei der CSU)

Wenn Sie den Begriff „Sippenhaft“ in den Mund nehmen, sollten Sie an Innenminister Dr. Beckstein denken, der dies bei Asylbewerbern praktiziert: Wenn sich nur ein Kind einer siebenköpfigen Familie etwas zuschulden kommen lässt, müssen alle anderen sechs Kinder darunter leiden. Dies ist die Sippenhaft, die in Bayern stattfindet.

(Beifall bei der SPD)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Maget?

Bitte schön.

Herr Kollege Dr. Hahnzog, meinen Sie auch, dass dieser Sachverhalt schon mit der Familie Strauß zusammenhängt, weil es die Staatsanwaltschaft Augsburg in ihrer Anklageschrift anhand ihrer Beweisunterlagen als erwiesen annimmt, dass die Provisionen des Herrn Schreiber nicht für Herrn Max Strauß alleine, sondern, wie es in der Anklageschrift heißt, für die Familie Strauß gedacht waren? Meinen Sie auch, dass dies ein Anhaltspunkt dafür ist, dass hier die gesamte Familie Strauß betroffen ist, nachdem sich auch die Viren, die den Computer des Herrn Max Strauß zerstört haben, zufälligerweise auch im Familienbesitz befunden haben?

(Zuruf von der CSU: Eine neue Verleumdung!)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Herr Kollege Hahnzog, bitte.

Dies wird Gegenstand der Beurteilung der vorgesehenen Gerichte sein. Für mich ist der Zusammenhalt der Familie Strauß entscheidend, und dieser kann nicht nur im Positiven, sondern auch im Negativen eine Rolle spielen. Dieses sollten wir hier nicht anderen vorwerfen, die das angesprochen haben.

Zur Formulierung des SPD-Antrags. Herr Welnhofer, sind dies nicht merkwürdige Vorkommnisse, wenn Sie das Revue passieren lassen? Sind dies denn nicht Ungereimtheiten auch in den Äußerungen des Herrn Staatsministers Dr. Weiß und Pannen? Dies ist alles selber eingeräumt worden. Objektiver hätte man das überhaupt nicht formulieren können. Dies ist ein Fazit aufgrund selbst eingeräumter Tatsachen. Wir werden Wert darauf legen, dass die Sache aufgeklärt wird. Ich war selbst Staatsanwalt just in Augsburg und immer stolz darauf, keine Angst haben zu müssen, und dies habe ich

auch praktiziert. Ich war stolz darauf, ein Angehöriger einer Behörde zu sein, die seit über 100 Jahren das Selbstverständnis hat, die objektivste Behörde der Welt zu sein. Wir sind alle dazu verpflichtet, dieses Selbstverständnis wieder herzustellen. Aber mit Ihren Argumenten wird dies leider nicht gelingen. – Ich beantrage namentliche Abstimmung.

(Beifall bei der SPD)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Gauweiler?

Herr Kollege Gauweiler, bitte sehr.

Herr Kollege Dr. Hahnzog, gefragt, nicht nur als ehemaliger Staatsanwalt, sondern als früherer Mitarbeiter des Bundesverfassungsgerichts: Halten Sie die Art und Weise der Erörterung eines schwebenden Ermittlungsverfahrens, wie wir sie gerade in den letzten fünf Minuten im Plenum des Parlaments erlebt haben, mit den Grundsätzen eines fairen Verfahrens für vereinbar?

(Beifall bei der CSU)

Herr Kollege Dr. Gauweiler, zu einem fairen Verfahren gehören alle Beteiligten an diesem Verfahren. Jedoch sind die Staatsanwälte hier leider nicht fair behandelt worden. Deswegen ist es notwendig, auch diese Seite richtig und wahrheitsgemäß zu betrachten, und dem dient der geforderte Bericht. Hier besteht die Gelegenheit, die bisher vorhandenen Ungereimtheiten – auch aus der Sicht des Ministeriums – ins rechte Lot zu rücken, und daran muss im Interesse des Rechtsstaates allen gelegen sein.

Eine Zusatzfrage.

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Herr Kollege Gauweiler, bitte.

Ich ergänze meine Frage: Halten Sie es mit den Grundsätzen eines fairen Verfahrens für vereinbar, dass in einem Parlament, das die Exekutive, also auch die Justiz, zu kontrollieren hat, Grundsätze des Verfahrens, Verfahrensinhalte und Teile der Beschuldigten in quasi parlamentarische Beratungen eingeführt werden und dass, bevor überhaupt eine Anklageschrift gegen den Betreffenden veröffentlicht worden ist, hier im Parlament diese Art von Vorweg-Verurteilung durch Behauptungen stattfindet, wie wir sie gerade erlebt haben?

(Beifall bei der CSU)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Herr Dr. Hahnzog, bitte.

Hier gibt es keine Vorweg-Verurteilung, sondern geht es um ein ordnungsgemäßes Verfahren, das sich an dem Amtsermittlungsgrundsatz der Staatsanwaltschaft, der StPO orientiert, und daran muss allen gelegen sein. Herr Gauweiler, wenn Sie dies in Frage stellen, halte ich das für sehr bedenklich.

(Beifall bei der SPD)

Wir werden die Berichte über die weiteren Schritte sehr intensiv nachverfolgen. Sie können sicher sein, dass uns in erster Linie daran gelegen ist, nicht auf unsicherer Grundlage ein Verfahren durchzupowern, sondern daran, das Ansehen des Rechtsstaates in der Bundesrepublik, das in jüngster Zeit durch die Namen Kohl und Koch ungeheuer gelitten hat, nicht noch weiter zu beschädigen.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Als nächste Rednerin hat Frau Kollegin Stahl das Wort.

Frau Präsidentin, meine Herren und Damen! Wir beantragen ebenfalls eine namentliche Abstimmung über unseren Antrag.

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Ich gebe hiermit bekannt, dass sowohl die SPD als auch das BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN namentliche Abstimmung beantragt haben. Wir können frühestens um 17.25 Uhr mit der Abstimmung beginnen.

Herr Justizminister Dr. Weiß, ich kann Sie beruhigen, Sie sind nicht im falschen Film, wenn Sie auch im ersten Teil Ihrer Rede etwas verwirrt waren und keinen Weg gefunden haben, uns die Auskünfte zu geben, die wir gerne möchten. Ich gehe davon aus, dass wir diese Auskünfte am 4. Mai im Ausschuss erhalten. Dann werden wir detailliert auf die einzelnen Fragen eingehen.

Sie, Herr Justizminister, haben gesagt, das Verschwinden der Festplatte ärgere niemanden mehr als Sie. Das nehme ich Ihnen ab. Es ist tatsächlich kein schöner Start, wenn man sich gleich in der ersten Hälfte seiner Amtszeit mit einem solchen Skandal herumärgern muss. Sie haben selbst geäußert, dass Ihr Vorgänger, Herr Sauter, in diese Angelegenheit involviert war. Vielleicht haben Sie aus falsch verstandener Loyalität oder weil Sie zu vertrauensselig waren, die Ermittlungen nicht allzu ernst genommen. Vermutlich haben Sie sich nicht ausmalen können – das ging mir ebenso –, welche skandalösen Dimensionen die Ermittlungen noch annehmen würden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie sagten, dass Sie sich nicht in das Verfahren einmischen wollten. Das ist richtig. Wir unterstützen diese

Sichtweise, aber wir müssen festhalten, dass „keine Einmischung in das Verfahren“ nicht bedeutet, dass Sie diejenigen, die mit der Ermittlungstätigkeit betraut sind, nicht unterstützen dürften.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bei dieser Gelegenheit muss man fragen, wie generell die Situation bei den Staatsanwaltschaften in Bayern aussieht. Wenn Sie nur ein wenig von der Arbeit der Staatsanwaltschaften vor Ort wissen, dann wissen Sie auch, wie schlecht diese ausgestattet sind.

Herr Justizminister hat selbst gesagt, dass die Staatsanwaltschaft Augsburg so überlastet sei wie andere Staatsanwaltschaften auch. Das wirft ein bezeichnendes Licht auf unseren Rechtsstaat. Es kann durchaus vorkommen, dass das eine oder andere Objekt verschwindet oder Ermittlungen nicht so geführt werden, wie sie geführt werden sollten. In dieser Beziehung hat die Staatsregierung sehr wohl die Verpflichtung – ich spreche nicht von Einmischung –, für eine anständige personelle, finanzielle und sachgerechte Ausstattung der Staatsanwaltschaften zu sorgen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Bernhard (CSU): Das hat nichts mit dem Thema zu tun!)

Lassen Sie mich zu den Asservaten kommen. Ich fand die flapsige Art, in der hier argumentiert wurde, schon sehr eigenartig.

(Gartzke (SPD): Mehr als eigenartig!)

Asservaten sind Beweismittel. Wenn ich Staatsanwältin wäre, wäre ich sehr daran interessiert, darauf zu achten, was mit den Beweismitteln, die ich für meine Ermittlungstätigkeit brauche, geschieht. Selbstverständlich vergewissere ich mich, ob meine Klage im folgenden Prozess unter Umständen Gefahr läuft zu platzen, weil das eine oder das andere fehlt. Deshalb sollte man das nicht ins Lächerliche ziehen und sagen, um Asservaten kümmere man sich nicht, weil man nicht der Archivar für Asservaten sei. Es besteht sehr wohl eine Verantwortung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Merkl (CSU): Die Praxis ist anders!)

Ihr Zwischenruf, Herr Dr. Merkl, verblüfft mich, denn ich verstehe unter einer sorgfältigen Vorbereitung etwas anderes.

(Dr. Merkl (CSU): Dafür hat man seine Mitarbeiter!)

Sie haben aber auch die Verantwortung für die Mitarbeiter. Es geht um Verantwortung. Auch ich habe den Kopf für meine Mitarbeiter hinzuhalten. Da beißt die Maus keinen Faden ab.

Es ist richtig, dass der Untersuchungsausschuss das laufende Ermittlungsverfahren nicht behindern darf. Gestatten Sie mir dazu eine Frage. Ist es in Ordnung, dass ein Verfahren seit 1995 läuft und noch nicht soweit

auf den Weg gebracht ist, dass die Belege, die in diesem einen Verfahren gefunden wurden, im Untersuchungsausschuss nach fünf Jahren verwendet werden können?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dasselbe gilt für das Rechtshilfeersuchen der Schweiz. Sie sagen, es sei üblich, den Behördenweg einzuhalten.

(Dr. Bernhard (CSU): Welche Belege sind denn gefunden worden?)

Ich kann noch ein anderes Beispiel nennen. Herr Kollege Hölzl hat sich sehr engagiert für Schnellverfahren eingesetzt. Ich bin mir durchaus dessen bewusst, dass diese Schnellverfahren einen anderen Bereich betreffen – ich vergleiche nicht Äpfel mit Birnen –, ich frage mich aber, warum in diesem Fall nicht ein ebenso großes Bedürfnis nach einer schnellen Ermittlung und Amtshilfe besteht. Wenn man das tatsächlich will, findet man dafür auch einen Weg.