Frau Hohlmeier, ich muss mich nicht immer über Sie ärgern, aber das, was Sie zu den Förderschulen gesagt haben, ist zynisch. Wenn Sie die Förderschulen in Bezug auf Rahmenbedingungen, Unterrichtsstundenzuweisung und Fördermöglichkeiten zum Schlusslicht in der Bundesrepublik machen, frage ich mich, was die Leute draußen denken, wenn Sie sich dann auch noch hier hinstellen und sagen, Ihnen liegen die Förderschulen besonders am Herzen. Diese Schulen heißen „Schule für individuelle Lebensbewältigung“ oder „Schule für individuelle Lernförderung“, aber Sie geben ihnen zum Teil nicht einmal eine Stunde, um die jungen behinderten Menschen fördern zu können.
Es ist eine Frechheit und gleichzeitig Ihr rhetorischer Trick, zu behaupten, draußen mache jemand die Förderschulen schlecht. Wer macht sie denn schlecht? – Ich kenne niemand, der sie schlecht macht, aber ich kenne jemand, der die Bedingungen der Förderschulen schlecht macht, und zwar Sie an der Spitze des Kultusministeriums.
Auch die Berufsschulen werden von großen Sorgen geplagt. Es zeichnet sich ein deutlicher Lehrermangel ab. Die Zahl der Studienanfänger für das Lehrfach an Berufsschulen und für die Fachlehrerausbildung sinkt. Gleichzeitig steigen noch über viele Jahre die Schülerzahlen. Vorauszusehen ist auch eine hohe Zahl von Versetzungen in den Ruhestand. Die Konsequenzen sind: Planstellen bleiben unbesetzt, die Unterrichtsbelastung auch von Aushilfslehrern und Referendaren wird größer, und die Unterrichtsausfälle nehmen zu. Kein Wunder, dass die Unterrichtsbedingungen an den Berufsschulen immer schlechter werden. Die staatlichen Berufsschulen haben die schlechteste Lehrer- und Unterrichtsversorgung und zu große Klassenstärken.
An den Berufsschulen herrscht der Notstand, und das bei einer Schülerschaft, die erzieherisch immer schwieriger wird. Sie legen die Hände in den Schoß und betreiben bestenfalls Flickschusterei. Die betroffene Lehrerschaft sagt, sie bekomme auf ihre Fragen keine Antwort vom Kultusministerium. Das ist ein starkes Stück. Es zeigt sich ein ganz anderes Bild als das, das Sie vorhin gezeichnet haben. Die Lehrerschaft, die wir unlängst hier gehabt haben, sagt, sie bekommt aus dem Kultusministerium einfach keine Antwort. Hoffentlich sagen Sie wenigstens etwas zu der Resolution des Hochschulrates der TU München, in der dringend konkrete Maßnahmen gefordert werden, auch um Auswirkungen auf die bayerische Wirtschaft schnellstens entgegenzutreten.
Die Berufsschulen sehen ein weiteres Problem heraufziehen, und zwar das Vorhaben, die Berufsschulen innerhalb einer strukturellen Reform zu so genannten Kompetenzzentren fortzuentwickeln. Wir hatten erst kürzlich eine Anhörung dazu. Vor Ort ist man überhaupt nicht begeistert über die Vorstellungen, die bekannt geworden sind. Man befürchtet, dass die kleinen Landschulen auf Dauer keine Chance haben. Man meint, dass es sich wiederum um ein Konzept handelt, das
allein in Sparzwängen begründet ist. Befürchtet werden lange Anfahrtswege ebenso wie negative Auswirkungen auf jetzt noch intakte Ausbildungsstrukturen insbesondere im Handwerk.
Frau Ministerin, die meiste Kritik erhält aber der Politikund Verwaltungsstil Ihres Hauses. Während ein CSUAntrag noch von der Einbeziehung aller Betroffenen zum Erarbeiten von Lösungen spricht und einen Bericht im Landtag im März 2001 verlangt, berichten uns Berufsschuldirektoren, dass längst fertige Konzepte zur künftigen Struktur vorliegen, die zum Teil zum neuen Schuljahr umgesetzt werden können. Hier zeigt sich wieder der große Widerspruch in Ihrem Reden und Handeln. Man tut so, als ob man unten entwickeln lässt, und kommt oben mit knallharten „Top-down-Entscheidungen“ aus der Verwaltung.
Von einem weiteren Notstand ist zu berichten. Die Fachoberschulen und die Berufsoberschulen platzen aus allen Nähten und erleben einen explosionsartigen Schüleransturm. Zunächst ist es erfreulich, dass FOS und BOS attraktiv und erfolgreich sind. Umso unerfreulicher und skandalöser ist es, dass diese Schularten von der Ministerin stiefmütterlich behandelt werden. Es wurden viel zu wenig Lehrerstunden zugewiesen, sodass die Qualität der Schulausbildung auf dem Spiel steht. Pflicht-, Wahl- und Förderunterricht wurden drastisch gekürzt. Ihre eigenen Zahlen beweisen dies. Es gab eine Reduzierung der Stundenzuweisungen durch Budgetierung um 10,4%. Das betrifft vor allem den Wahlunterricht. Der Pflichtunterricht wurde um 5% gekürzt. Das alles geschieht bei sehr hohen Klassenstärken.
Konkret führt dies bei einer durchschnittlichen Fachoberschule in der Großstadt zur Kürzung von zirka 130 Wochenstunden. Gekürzt werden Sport, Musik und Informatikübungen. Wahlunterricht gibt es nicht mehr. Die Lehrer nennen das zu Recht einen Skandal. Selbst der Wahlunterricht für Informatik wurde gestrichen, obwohl an der Schule drei moderne Computerräume vorhanden sind. So etwas geschieht im Hightech-Land Bayern. Auch der Ergänzungsunterricht wurde deutlich reduziert, sodass ein Schüler aus der Freiwilligen 10. Hauptschulklasse kaum eine Chance hat. Er braucht den Förder- und Ergänzungsunterricht, um den Übergang zu schaffen. Auch das ist ein Beispiel für Ihr Verständnis von Chancengleichheit.
Immerhin ist es durch einen Dringlichkeitsantrag der SPD im Bildungsausschuss gelungen, Verbesserungen für das kommende Schuljahr einzufordern. Wir fordern dringend, alles zu unternehmen, damit die berufliche Bildung ihren Anspruch erfüllen kann, gleichwertige Bildungssäule neben der Allgemeinbildung zu sein.
Die Schulpolitik der CSU bereitet auch den Kommunen zunehmend Kummer. Ich meine, Gemeinden, Städte und Kreise kritisieren zu Recht, dass die Staatsregierung schulpolitische Weichenstellungen beschließt – die Landtagsmehrheit folgt ihr jeweils –, aber die Kostentragung zum großen Teil den Kommunen überlässt.
Die Beispiele machen es deutlich: Bei der Mittagsbetreuung decken die staatlichen Gelder nur einen kleinen Teil der Kosten. Bei der Schulsozialarbeit fordern die Gemeinden, dass die Personalkosten für das pädagogische Personal vom Staat getragen werden müssten. Klagen kommen auch aus dem M-Klassen-Schulen. Die Sachaufwandsträger dürfen aus den umliegenden Gemeinden keine Kostenbeteiligung für die betroffenen Schüler einfordern. Klagen kommen durch die steigende Belastung der Kommunen bei der Anschaffung und dem Inbetriebhalten der Computer. Klagen kommen auch aus den Kommunen, weil die Kosten für die Schülerbeförderung steigen, aber die Zuschüsse des Staates weniger werden. Die SPD fordert deshalb im Sinne der Kommunen: Bei den Schulwegkosten muss die 80%-Förderung wieder eingeführt werden, und bei schulpolitischen Entscheidungen muss gelten: Wer anschafft, muss bezahlen.
Die Entwicklung im Schulsport kann ich nur als Skandalkapitel bezeichnen. Von der Tabellenspitze im Ländervergleich wurde Bayern zum Schlusslicht. Diese „Glanzleistung“ haben wir der CSU zu verdanken. In einem Schuljahr fallen in Bayern 2 Millionen Sportstunden aus. An manchen Schularten werden gerade noch zwei Sportstunden pro Woche erreicht. Das ist besonders bitter, denn der Schulsport ist mehr als ein normales Unterrichtsfach. Er dient der gesundheitlichen Entwicklung, schafft Bewegungsfreude, verbessert auch das kognitive Lernen und vermittelt soziale Kompetenzen. Der Sport dient außerdem der Persönlichkeitsbildung, Herr Glück. Sie haben hierüber gestern ausführlich referiert. Sie müssten deshalb doch eigentlich der größte Verfechter der Wiederherstellung von vier Wochenstunden Sport sein.
Aber Sie haben ja sogar unsere konkreten Finanzierungsvorschläge für die dritte Sportstunde abgelehnt. Wir wollten dann in zwei Doppelhaushaltsschritten auf die vierte Wochenstunde kommen. Schade. Experten, Mediziner, Sportler und auch der BLSV sind zu Recht empört. Im Übrigen hat sich, wie ich gestern erfahren habe, auch der Landwirtschaftsminister darüber beklagt, dass unsere Kinder zu dick sind, weil sie sich nicht mehr bewegen.
Ja, denn es kostet eine Menge Geld, die Kinder wieder gesund zu machen. Gleichzeitig schafft der Kabinettskollege den Schulsport ab. Einigen Sie sich doch einmal in der Kabinettsitzung, wie man das Problem am besten lösen kann.
(Beifall bei der SPD – Dr. Bernhard (CSU): Wir haben nur den Schulsport abgeschafft, der ohnehin nicht stattgefunden hat!)
Wahrscheinlich kommen Sie von Ihrem hohen Ross aber nicht herunter. Jetzt muss ich mir doch eine Nebenbemerkung dazu erlauben, wie weit Reden und Handeln
bei Ihnen auseinanderliegen. Ministerpräsident Stoiber hat gestern – wenn ich das richtig mitbekommen habe – die sinkende Kinderzahl beklagt. Er will mehr Kinder. Herr Freller hat aber bei uns im Bildungsausschuss aber erklärt, der Schulsport musste gekürzt werden, weil wir zu viele Kinder haben. Wie verträgt sich das eigentlich miteinander?
Die einen wollen die Kinder, aber wenn sie dann da sind, dann können wir uns für die Kinder nichts mehr leisten. Das ist CSU-Politik.
Unser Kollege Leichtle hat Recht, wenn er sagt: „Wenn sich Ministerpräsident Stoiber nur so viel um den Breitensport und um den Schulsport kümmern würde, wie er sich um den Profifußball kümmert, dann würde es um den Sport an unseren Schulen nicht so schlecht stehen“.
Als unsere Fußballnationalmannschaft schlecht dastand und abstieg, hat man schnell Fußballschulen eingerichtet. So viel Engagement würden wir uns auch für den Schulsport wünschen. Heute kann ich auch etwas in Ihre Richtung, Frau Ministerin, sagen: Die Medaillengewinner wurden in 20 oder 25 Zeilen herausgestellt, aber dem Schulsport wurde nur eine Zeile gewidmet. Jeder der Medaillengewinner hat 10 Millionen DM gekostet. Dafür tritt Frau Hohlmeier ein. Wir brauchen Ihr Engagement aber für den Sport an den bayerischen Schulen.
Sie brauchen gar nicht so viel auf andere Länder zu verweisen. Wenn man zu viel über andere Länder reden muss, ist das eigentlich ein Zeichen von Schwäche,. Dann ist meistens einiges im eigenen Land im Argen. Sie sollten besser Ihre Hausaufgaben hier machen und mehr auf die Mängelliste in Bayern schauen als auf die der anderen Länder.
Wir setzen Ihrer Politik das Konzept einer Schulreform entgegen, das die Chancen der jungen Menschen sichert und die Schulqualität verbessert. Das haben wir auch in unseren Haushaltsanträgen deutlich gemacht: Erstens. Wir brauchen bessere Rahmenbedingungen. Dabei sind kleinere Klassen ein wichtiges Element. „Keine Klasse über 30“ das ist ein wichtiges Element. „Keine Klasse über 30“ ist zwar nur ein kleiner Schritt, aber auch kleine Schritte sind wichtig, wenn das Ziel
richtig ist. Das Ziel sind pädagogisch vertretbare Klassenstärken. Warum kleinere Klassen? – Weil hier die Kinder das Nötige lernen können, ohne in den Nachhilfeunterricht gehen zu müssen. In diesen Klassen gibt es weniger Aggressionen und Konflikte, es kann besser individuell gefördert werden, die Schwachen kommen besser mit. Auch das ist ein Mehr an Chancengerechtigkeit.
In kleineren Klassen ist auch die Entwicklung der Persönlichkeit besser möglich. – Ich sage heute so viel zu Herrn Glück, dabei ist er anscheinend gar nicht da. – Kurz gesagt: Kleine Klassen sind eine notwendige Voraussetzung für einen besseren Unterricht. Das haben auch amerikanische Studien bewiesen und die Clinton-Regierung hat daraus Konsequenzen gezogen und ein Milliarden Dollar umfassendes Programm aufgelegt, um die Klassenstärken an den Grundschulen auf 18 Schüler herabzusetzen.
In Bayern werden die Klassen hingegen immer größer, und Sie verweigern Verbesserungen. Wir haben immer wieder versucht, kleinere Klassen zu erreichen. Im vergangenen Jahrzehnt haben wir jährlich 1000 bis 1500 zusätzliche Lehrerplanstellen eingefordert. Wir haben Ihnen vorgerechnet, dass dies möglich, vor allem aber notwendig ist. Wir brauchen die Planstellen, um kleinere Klassen zu bilden und um den Unterrichtsausfall zu bekämpfen. Wir brauchen sie für eine größere mobile Reserve und um die Stundenkürzungen zurücknehmen zu können. Wir brauchen sie, um mehr junge Lehrkräfte in die veralteten Lehrerkollegien zu bringen. Sie haben stets abgelehnt, wie Sie auch unseren jetzigen Vorschlag auf zusätzliche Planstellen ablehnen. Das führt zu einer Belastung der Ausbildungsqualität an unseren Schulen.
Zweitens. Wir müssen uns mehr um das Computerlernen kümmern. Wir stimmen darin überein, der Umgang mit dem Computer ist so etwas wie die vierte Kulturtechnik. Doch wir müssen aufholen im Vergleich mit dem internationalen Standard, und dabei dürfen wir die Gemeinden nicht alleine lassen. Die 60 Millionen DM, die Sie für die Gemeinden zur Anschaffung von Computern veranschlagt haben, sind doch nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. München investiert ein Vielfaches davon. Auch die Stadt Hamburg tut viel, viel mehr, wie wir jetzt festgestellt haben. Darüber wird aber nicht geredet.
Auch ein weiteres Problem wird von Ihnen nicht richtig erkannt: die Belastung der Systembetreuer. Die Systembetreuer müssen immense Arbeit leisten, die außerdem ständig mehr und komplizierter wird. Auf der einen Seite steht die technische Wartung, auf der anderen die pädagogische Betreuung. Doch Sie gestehen den Systembetreuern nur eine geringe Entlastung durch wenige
Anrechnungsstunden zu. Diese Lehrkräfte müssen noch mehr entlastet werden. Wir haben einen entsprechenden Antrag gestellt.
Drittens. Ein weiterer Aspekt unserer Reformvorschläge heißt: Die Erziehungskraft unserer Schulen stärken. Dabei geht es mir um zwei Beispiele, die wir auch in den Haushaltsanträgen formuliert haben. Es geht um die schulischen Ganztagsangebote und um die Schulsozialarbeit. Es war gestern bemerkenswert, wie deutlich Ministerpräsident Stoiber gestern davon sprach, dass die Erziehungskraft der Familie nachlässt. Wie wahr, wie wahr. Diese Erkenntnis ist allerdings mindestens zwanzig Jahre alt. Noch vor drei Jahren hieß es aber in den Reihen der CSU, wenn wir Anträge stellten, um das schulische Angebot über den Mittag hinaus zu erweitern – wie wir das im Übrigen auch seit zwanzig Jahren tun –: Das Kind gehört nach der Halbtagsschule in die Familie. Nun scheinen Sie auf dem Weg zur richtigen Analyse zu sein. Vielleicht können Eltern und Kinder jetzt hoffen, dass sie nicht mehr allzu lange brauchen, um das Richtige auch zu tun: mehr Ganztagesangebote an allen Schulformen einrichten.
Die Argumente hierfür sollen nun nicht von der SPDFraktion, sondern von unverdächtiger Seite kommen. Die Forderung, mehr Ganztagsangebote einzurichten, stellten nämlich jüngst die Arbeitgeber auf. Die Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgebervereinigungen hat folgende Begründung geliefert, die ich stichwortartig zusammenfasse: Ganztagsangebote an den Schulen verbessern die Qualität und die Leistungsfähigkeit der Schulen. Ganztagesangebote sind ein entscheidender Beitrag zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf und fördern das Potenzial der qualifizierten Frauen in der Wirtschaft. Ganztagesangebote ermöglichen eine bessere Verteilung und Vertiefung des Unterrichten und des Lernens. Ganztagesangebote ermöglichen eine umfassendere pädagogische Betreuung und Erziehung der heranwachsenden Jugendlichen.
Hier wird insbesondere auf Folgendes hingewiesen: Die sozialen Kompetenzen der Schüler und damit ihre Persönlichkeitsbildung können in der Schulgemeinschaft über den Vormittag hinaus besser gefördert und gestärkt werden.
Wir von der SPD jedenfalls wollen ein bedarfsgerechtes Angebot. Der Bedarf ist hoch. Er wird auf 30 bis 40% schulischer Ganztagesformen geschätzt, in erreichbarer Nähe und für jede Schulart, falls die Eltern es wünschen. Diesen Grundbedarf müssen wir in Bälde decken. Das ist unser erster Vorschlag.