Protokoll der Sitzung vom 15.02.2001

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! In der letzten Zeit hatten wir im Petitionsausschuss bald Woche für Woche mit Fällen zu tun, die von dem jüngsten Beschluss der Innenministerkonferenz betroffen waren. Nun wissen wir, dass in der Innenministerkonferenz mehr hätte beschlossen werden können, als letztlich auf Druck der von der CSU geführten Staatsregierung hin beschlossen worden ist. Dass dieser Beschluss dann aber auch noch so restriktiv in die Praxis umgesetzt worden ist, erstaunt uns schon sehr.

Ich halte die Unterscheidung des Innenministers Dr. Beckstein zwischen Ausländern, die uns nützen, und solchen, die uns ausnützen, für zynisch und unannehmbar.

(Hofmann (CSU): Das macht der Schröder auch!)

In gewisser Weise habe ich daran die Hoffnung geknüpft, dass Ausnahmen bei den Menschen gemacht werden, die uns auch aus der Sicht der CSU nützen. Darin haben wir uns gründlich getäuscht.

Welche verheerende Folgen zeigt Ihre Einstellung? In den vergangenen Tagen wurde in München darüber diskutiert, dass zwei Kosovaren, die in der Altenpflege überaus verdienstvoll tätig sind, unser Land verlassen müssen. Welch ein Irrsinn! In München fehlen in allen Altenpflegeheimen Pflegekräfte. Da sind zwei Menschen, die ihre Arbeit überaus engagiert verrichten, und Ihnen fällt nichts anderes ein, als sie aus dem Land zu schicken. Hätten Sie denn nicht wenigstens aus Ihrer Verantwortung gegenüber den alten Menschen heraus in diesem Fall eine Ausnahme machen können?

(Beifall bei der SPD)

Die Angelegenheit wird vollends absurd, wenn zum gleichen Zeitpunkt 25 Altenpflegekräfte zu uns ins Land geholt werden. Da verstehe ich die Welt wirklich nicht mehr.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren von der CSU, Sie verweisen immer so gerne darauf, dass die Bayern-SPD in diesen Fragen völlig isoliert dastehe. Hoffentlich täuschen Sie sich da nicht. Die Hunderte von Petitionen, mit denen wir uns zu beschäftigen haben, kommen von Arbeitgebern, kirchlichen Stellen und von Bürgermeistern, auch von CSU-Bürgermeistern.

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Peterke?

Dafür möchte ich mich bedanken. – Herr Kollege Werner, darf ich Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, dass wir beim Ausländerrecht Bundesrecht zu vollziehen haben und das Ausländerrecht abschließend geregelt ist, so dass Überlegungen, wie Sie sie im Zusammenhang mit den gewiss notwendigen Pflegekräften vorgetragen haben, hier nicht zum Tragen kommen können?

(Frau Elisabeth Köhler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Baden-Württemberg!)

Herr Kollege, bitte.

Haben Sie mich jetzt gefragt, ob Sie mich fragen dürfen? Darauf müsste ich mit einem Ja antworten.

(Widerspruch bei der CSU)

Kollege Peterke, selbstverständlich ist mir das bekannt. Mir ist auch bekannt, dass dieser Beschluss der Innenministerkonferenz in anderen Bundesländern weitaus großzügiger ausgelegt wird als in Bayern. In Bayern gilt kein anderes Bundesrecht als in anderen Bundesländern.

(Beifall bei der SPD)

Im Übrigen handeln wir aus humanitären Gründen. Wir sehen, dass in bestimmten Berufen dringend Arbeitskräfte gebraucht werden, dass sich Bürgerkriegsflüchtlinge, die bei uns inzwischen heimisch geworden sind, in einem Ehrenamt engagieren. Für Sie zählt das alles nicht, sondern für Sie zählt einzig und allein Ihre durch nichts zu rechtfertigende restriktive Auslegung des Ausländerrechts ohne jeden Spielraum.

(Beifall bei der SPD)

Auch im konservativen Lager kommt inzwischen Bewegung in diese Diskussion. Auf Ihrer Seite wird darüber diskutiert, dass wir Einwanderung sogar brauchen. Sie fordern die Einwanderung qualifizierter Menschen. Gut. Warum soll man dann die qualifizierten Menschen, die schon da sind und sich integriert haben, die perfekt Deutsch sprechen, wieder nach Hause schicken, wenn vielleicht in relativ kurzer Zeit ein Einwanderungsgesetz kommt, das genau diese Menschen zur Einwanderung berechtigen würde?

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abgeordneten Rit- ter (CSU))

Im Verfassungsausschuss hat Kollege Kreuzer, wie auch gerade Sie, Herr Kollege Peterke, darauf hingewiesen, dass das Ausländerrecht in Bayern ebenso vollzogen werden muss wie in den anderen 15 Bundesländern.

Das ist zwar richtig, aber Sie liegen falsch, wenn Sie der Auffassung sind, dass Sie das Ausländerrecht genauso auslegen wie die anderen 15 Bundesländer. Ihre Auslegung ist wesentlich restriktiver.

Mit Ihrer Aussage, die bayerische SPD sei mit ihrer speziellen Auffassung isoliert, liegen Sie ebenfalls falsch. Hunderte von Bürgern stehen auf unserer Seite, die sich im Einzelfall für die betroffenen Bürgerkriegsflüchtlinge einsetzen, damit sie ein weiteres Bleiberecht in Deutschland bekommen. Auf unserer Seite stehen Arbeitgeber, die ihre bewährten Mitarbeiter nicht verlieren wollen. Auf unserer Seite stehen die Kirchen, denen humanitäre Überlegungen wichtiger sind als ein stumpfsinniger Gesetzesvollzug. Auf unserer Seite stehen die alten Menschen, die auf die Pflege jener angewiesen sind, die als Bürgerkriegsflüchtlinge zu uns gekommen sind. Auf unserer Seite – hören Sie gut zu! – steht CDU-Innenminister Schäuble von Baden-Württemberg, der die IMKBeschlüsse in Baden-Württemberg mit einem Minimum an Fantasie verantwortungsvoll umzusetzen bereit ist.

Es gibt also keinen Grund dafür, in Bayern weiterhin so restriktiv zu verfahren, vor allem angesichts des Verlaufs der aktuellen Diskussion über eine notwendige Zuwanderung. Meine Damen und Herren von der CSU, auch hier im Bayerischen Landtag ist man schon bereit, darüber nachzudenken. Ich wundere mich, dass Kollege Traublinger nicht da ist; ich hätte ihn gerne gefragt, wo der Dringlichkeitsantrag bleibt, den er angekündigt hat und der ungefähr in unsere Richtung geht. Er hätte unserem Antrag vielleicht zustimmen wollen. Sie betrachten es wohl als etwas ganz Verrücktes, wenn ein Einzelner einem SPD-Antrag zustimmen will. Letztlich zieht er es vor, gar nicht hierher zu kommen.

Obwohl ich vermute, dass es vergeblich sein wird, appelliere ich an Sie, endlich einmal über Ihren Schatten zu springen und wenigstens diesem Antrag zuzustimmen, der kein dauerhaftes Bleiberecht schaffen, sondern lediglich erreichen will, dass die Arbeitskräfte aus dem ehemaligen Jugoslawien, die dringend benötigt werden, wenigstens noch bis zum Sommer bleiben können.

(Beifall bei der SPD – Hofmann (CSU): Das ist eine schlechte Begründung!)

Nächste Wortmeldung: Frau Kollegin Köhler.

Frau Elisabeth Köhler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) : Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der SPD-Fraktion ist aus meiner Sicht ein wenig überholt, auch angesichts der NRW-Initiative, die exakt am heutigen Tag in der Innenministerkonferenz beraten wird. Nordrhein-Westfalen hat den Vorschlag gemacht, den Bürgerkriegsflüchtlingen aus Jugoslawien, die jetzt in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis stehen, generelles Bleiberecht zu gewähren. Deshalb habe ich unseren Antrag darauf abgestellt. Wir wollen mit unserem Antrag erreichen, dass bei der anstehenden Rückführung der Flüchtlinge aus dem Kosovo der einstimmig gefasste Bundestagsbeschluss eingehalten wird.

Schließlich appelliere ich noch einmal an das Innenministerium, weitgehend auf Abschiebungen zu verzichten.

Denn genau die Menschen, die wir jetzt zwangsweise – unter Umständen in Nacht-und-Nebel-Aktionen – abschieben werden, haben vor einigen Monaten oder Jahren, genauer gesagt: vor zwei Jahren, auf ihrer Flucht grausame Erlebnisse gehabt. Man sollte diesen Personenkreis solchen Traumata, die sie schon einmal erlebt haben, nicht wieder aussetzen. Man sollte auf Abschiebungen verzichten und diesen Personenkreis auf der Grundlage eines Rückführungsprogramms, wie es weitestgehend auch bei den Bosniern erfolgt ist, human zurückführen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Noch zu weiteren Einzelheiten. Die Innenminister kommen exakt heute zu einer Sonderkonferenz zusammen. Ich denke, dass uns Herr Staatssekretär Regensburger dazu die neuesten Ergebnisse vortragen wird.

Ich habe von heute Nachmittag eine dpa-Meldung vorliegen. Darin heißt es, dass Herr Beckstein damit rechnet, dass es zumindest in Sachen Bosnier auf der Sonderkonferenz zu einem Ergebnis kommen wird. Ich vermute, dass uns Herr Regensburger dazu etwas Näheres sagen wird.

Meine Damen und Herren, aus meiner Sicht ist es schon ziemlich grotesk, wenn mittlerweile auch aus CSU-Kreisen – ich denke da an einige Interviews – nicht nur ein Artikel, sondern mehrere Artikel dazu erschienen sind. Es sind Artikel des Kollegen Traublinger. Er hat in Interviews auf den Mangel an Arbeitskräften – insbesondere in Bayern – in den Bereichen Handwerk, Mittelstand, Gastronomie, Pflege usw. hingewiesen. Er fordert auch die Ausweitung der Green-Card-Regelung von der Bundesregierung. Auf der anderen Seite macht sich die CSU-geführte Staatsregierung daran, exakt den genannten Personenkreis außer Landes zu schaffen, der in diesen Bereichen, wo es Arbeitskräftemangel gibt, schon seit Jahren gute Arbeit leistet.

Ich habe einmal beim Innenministerium nachgefragt, wie viel kosovo-albanische Flüchtlinge denn zum Jahresende in Beschäftigungsverhältnissen waren. Es handelt sich um die Zahl von 2091. Diese Leute würden von der generellen Bleiberechtsregelung profitieren.

Für mich ist weiterhin auch nicht nachvollziehbar, wenn in der Diskussion über Zuwanderung feststeht, dass ein Zuwanderungsgesetz in Vorbereitung ist oder – wie bei der Green-Card-Regelung – Verordnungen erlassen werden, um den derzeit herrschenden Arbeitskräftemangel auszugleichen, während auf der anderen Seite mit einem ungeheuren Verwaltungsaufwand die gut integrierten Fachkräfte aus dem Kreis der kosovo-albanischen und bosnischen Flüchtlinge weggeschickt werden.

Auf die Artikel in der „Abendzeitung“ von Anfang Februar hat Kollege Werner schon hingewiesen. Unser ehemaliger Kollege Kronawitter – Frau Kronawitter, grüßen Sie ihn ganz herzlich von mir – setzt sich dafür ein, dass die

qualifizierten Pflegekräfte kosovo-albanischer Herkunft nicht zurück müssen. Aber einen Tag später las man einen Zeitungsartikel in der gleichen „Abendzeitung“, in dem es hieß: Das BRK ist in Kroatien auf Arbeitskräfteanwerbetour.

Was wir uns hier leisten, ist wirklich ein Wahnsinn; ich kann es nicht anders bezeichnen. Auf der anderen Seite werden gut integrierte, eingearbeitete, deutschsprechende und vom einheimischen Arbeitsmarkt nicht zu ersetzende Fachkräfte weggeschickt. Aber das Rote Kreuz geht, wie gesagt, auf Anwerbetour.

Das Land Nordrhein-Westfalen hat für die heutige Sonderkonferenz den Vorschlag gemacht, ein generelles Bleiberecht für Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien zu gewähren, wenn sie sich in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis befinden. Ich halte das für einen vernünftigen Vorschlag, dem Herr Dr. Beckstein auf dieser Konferenz beitreten sollte.

Jetzt komme ich zum Kollegen Peterke – er ist, glaube ich, nicht mehr da –, der vorhin so schlau gesagt hat, dass wir uns hier in einem Ausländerrecht befinden, in dem es überhaupt keinen Spielraum mehr gebe. Ich möchte Ihnen vortragen, dass zum Beispiel Ihre badenwürttembergischen Kollegen wesentlich pragmatischer sind. Die warten nämlich gar nicht erst ab, ob auf Bundesebene ein einstimmiger Beschluss der Innenministerkonferenz zustande kommt. Sie helfen ihren mittelständischen Betrieben ganz einfach durch einen Kabinettsbeschluss, indem sie die Beschäftigung von Bürgerkriegsflüchtlingen aus dem gesamten ehemaligen Jugoslawien kurzerhand zu einem öffentlichen Interesse erklären. Ich darf Ihnen aus der Verwaltungsvorschrift des Innenministeriums über die stärkere Berücksichtigung arbeitsmarktpolitischer Interessen des Mittelstandes bei der Anwendung des § 8 a AV etwas vortragen. Ich werde diese Verwaltungsvorschrift Herrn Dr. Wiesheu, vielleicht auch dem Innenminister zur Verfügung stellen, aber auch dem Kollegen Peterke, damit er nachlesen kann, wie das geht. Die baden-württembergische Landesregierung hat über diese Verwaltungsvorschrift sichergestellt, dass Menschen nicht abgeschoben werden, die in einem Beschäftigungsverhältnis stehen.

In dem Ministerratsbeschluss vom 8. Januar 2001 heißt es zum Beispiel:

1. Die berechtigten arbeitsmarktpolitischen Interessen des Mittelstands müssen stärker als bisher über § 8 a AV berücksichtigt werden.

2. Der Ministerrat stellt fest, dass ein besonderes öffentliches Interesse im Sinne des § 8 a AV vorliegt, wenn

a) ein Bürgerkriegsflüchtling aus dem ehemaligen Jugoslawien seit mehr als zwei Jahren bei einem baden-württembergischen mittelständischen Unternehmen beschäftigt ist,

b) dieser Betrieb dringend auf den Mitarbeiter angewiesen ist und

c) sich der Betrieb nachhaltig, aber erfolglos bei der Arbeitsverwaltung um eine Ersatzkraft bemüht hat.

3. Das Innenministerium Baden-Württemberg wird die Regierungspräsidien anweisen, in diesem Sinne zu verfahren.

Meine Damen und Herren, so einfach geht es, wenn man die entsprechende Phantasie entwickelt und der Wille vorhanden ist, hier tatsächlich etwas zu tun. Sie können dem Herrn Kollegen Peterke ausrichten, dass er sich in Baden-Württemberg doch einmal kundig machen sollte.