Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Bevor wir an die Aufgabe herangehen, die Agrarpolitik insgesamt und auch die bayerische Agrarpolitik weiterzuentwickeln, ist es sicher notwendig, Bilanz zu ziehen, um festzustellen, wie sich die Situation der bayerischen Landwirtschaft derzeit darstellt.
Die heutige Regierungserklärung, für die ich Herrn Staatsminister Miller auch im Namen der CSU-Fraktion herzlich danke, ist sicher der Beginn einer Diskussion über ein Thema, das uns noch lange Zeit beschäftigen wird. Ich bin davon überzeugt, Herr Kollege Starzmann, dass es nur mit einer Vielzahl kleiner Schritte möglich sein wird, die Gesamtsituation der Landwirtschaft zu verbessern und die Rahmenbedingungen für die Landwirtschaft insgesamt zu ändern.
Aufschluss über die Situation der Landwirtschaft in Bayern gibt der Agrarbericht 2000, den wir im Herbst vergangenen Jahres im Agrarausschuss des Bayerischen Landtags ausgiebig diskutiert haben. Der Produktionswert der bayerischen Landwirtschaft liegt derzeit bei etwa 14 Milliarden DM jährlich. Die wichtigsten Produktbereiche sind Milch und Rindfleisch mit einem Anteil von über 50%. Der Anteil der Landwirtschaft an der gesamten Bruttowertschöpfung liegt zwar nur noch bei 1%, aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, wir sind uns einig, dass der Wert der Landwirtschaft für die gesamte Gesellschaft deutlich über diesen 1%-Anteil an der Bruttowertschöpfung hinausgeht.
Jeder achter Arbeitsplatz hängt direkt oder indirekt mit dem Agrar- und Ernährungsbereich zusammen. Das zeigt, welche Auswirkungen die BSE-Krise auf die Landwirtschaft hat, vor allem auf die vor- und nachgelagerten Bereiche. Dort gehen auch Arbeitsplätze verloren.
Die Produktivität der Landwirtschaft ist in der Nachkriegszeit sehr stark angestiegen. Wenn man die Zahlen vergleicht – und ich habe mir die Mühe gemacht, den ersten Agrarbericht von 1972 nachzulesen –, stellt man fest, dass ein Landwirt 1950 mit seiner Arbeitsleistung 15 Verbraucher ernährt hat, heute sind es deutlich über 100.
Meine Damen und Herren, Land- und Ernährungswirtschaft wirken auch als Inflationsbremse für die Verbraucherpreise. Vor wenigen Tagen habe ich der Globus-Infografik entnommen, dass der Anstieg der Lebenshaltungskosten von 1995 bis 2000 bei 6,9% lag, aber der Anstieg der Nahrungsmittelpreise in der gleichen Zeit nur bei 1,2%.
Die bayerische Landwirtschaft weist in einigen Produktbereichen einen hohen Selbstversorgungsgrad aus. Ich nenne nur drei Beispiele: bei Käse 265%, bei Rind- und Kalbfleisch 232%, bei Milch 178%. Meine Damen und Herren, bei diesen Gütern sind wir unbedingt auf den Export angewiesen, und diese Zahlen machen deutlich, wie schwer uns die derzeitige BSE-Krise im Bereich der Rinderhaltung trifft.
Es gibt aber auch Produktbereiche, wo wir unbedingt auf den Import angewiesen sind. Bei Schweinefleisch liegt der Selbstversorgungsgrad bei 75%, bei Eiern bei 50%, bei Geflügelfleisch bei 39%.
Herr Kollege Starzmann, Sie haben das Thema Schlachthöfe angesprochen. Ich war vor kurzem bei einem Gespräch mit einem großen Schlachtunternehmen in Bayern. Wir haben 50% zu viel Schlachtkapazitäten, das heißt, nach wie vor müssen Schlachtstätten geschlossen werden, wenn wir eine bessere Wirtschaftlichkeit erreichen wollen.
Meine Damen und Herren, wir in Bayern sind weit von einer industriellen Agrarproduktion entfernt. Erst vor wenigen Tagen konnten Sie der Presse im Zusammenhang mit den ersten Verdachtsfällen auf Maul- und Klauenseuche entnehmen, dass allein im Landkreis Vechta in Niedersachsen über 800000 Schweine stehen und über 100000 Rinder – in einem einzigen Landkreis.
Wir sind in Bayern auf den Agrarexport angewiesen. Er hat sich in den letzten Jahren hervorragend entwickelt und lag jeweils über 8 Milliarden DM pro Jahr. Das ist der erste Platz in Deutschland. Bayern ist auch das einzige Bundesland, das einen positiven Exportsaldo in der Größenordnung von über 600000 Millionen DM jährlich erzielt, wobei knapp 80% unserer Exporte in Mitgliedsländer der Europäischen Union gehen.
Meine Damen und Herren, jeder zweite Arbeitsplatz in der Landwirtschaft hängt in Bayern vom Agrarexport ab – auch das muss man einmal sagen – und viele Arbeitsplätze in den vor- und nachgelagerten Bereichen.
Dieser hoher Exportanteil ist vor allem darauf zurückzuführen, dass wir uns durch die hohe Qualität neue Absatzmärkte vor allem in der Europäischen Union erschlossen haben. Ich bin für die Stärkung der regionalen Märkte, der regionalen Kreisläufe, aber man darf dabei nicht übersehen, dass wir auch künftig in einigen Produktbereichen unbedingt auf den Export angewiesen sind.
Wie sieht die Struktur der bayerischen Landwirtschaft aus? Auch hier ist es, glaube ich, notwendig, einen Blick zurück zu werfen. Nach dem Agrarbericht 2000 hatten wir 1999 149 000 landwirtschaftliche Betriebe, in Deutschland insgesamt gab es 430000 Betriebe. Gegenüber 1991 hat sich die Zahl der Betriebe in Deutschland um 107000 verringert. In den beiden Berichtsjahren 1998 und 1999 hatten wir in Bayern einen Rückgang von knapp 10000 Betrieben.
Die Wachstumsschwelle verschiebt sich auch in Bayern immer mehr nach oben. Sie liegt bei 40 Hektar, das heißt, Betriebe, die 40 Hektar und mehr bewirtschaften, nehmen von der Zahl her zu, alle darunter liegenden Betriebsgrößen nehmen deutlich ab. In den Betriebsgrößenklassen bis 20 Hektar haben wir die stärkste Abnahme.
Der wirtschaftliche Zwang, menschliche Arbeit durch Technik und Energie zu ersetzen, sowie das wirtschaftliche Unvermögen vieler Betriebe, die dafür notwendigen Investitionen in allen Betriebszweigen zu tätigen, führten zu einer Spezialisierung, also zur Aufgabe der vielseitigen Landwirtschaft. Diese Entwicklung wurde durch die Mehrheit der Verbraucher gewünscht, die in den vergangenen Jahrzehnten fast ausnahmslos nach billigen Lebensmitteln gefragt haben. Sie wurde begleitet durch eine Politik, die einerseits den Strukturwandel hin zu größeren Betrieben gefördert, andererseits durch Öffnung gegenüber den europäischen bzw. globalen Märkten den Preisdruck auf die Betriebe erhöht hat.
Landwirtschaft in Deutschland und in Bayern galt lange als rückständig und entwicklungsbedürftig. Die meisten Bauern, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben diese Entwicklung hin zu größeren Einheiten nicht freiwillig mitgemacht, sondern um unter diesen Bedingungen wirtschaftlich zu überleben und dem gesellschaftlichen Leitbild des modernen Unternehmers gerecht zu werden. Ich habe es vorhin schon gesagt: Beim ersten Agrarbericht hatten wir noch über 340000 Betriebe. Das heißt, innerhalb eines Vierteljahrhunderts hat sich die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe in Bayern um mehr als die Hälfte verringert.
Wie sieht die Einkommenssituation in der Landwirtschaft aus? Nach dem Agrarbericht 2000 haben die meisten landwirtschaftlichen Betriebe in Bayern die notwendige Eigenkapitalbildung nicht erreicht. Insgesamt hat Bayern
das muss man auch einmal sagen – in der Veredelungsproduktion Kapazitäten abgegeben. Der Verlust in den unteren Betriebsgrößen konnte durch die Aufstockung in den oberen Größenklassen nicht ausgeglichen werden. Ein wichtiger Grund dafür sind die Produktionskosten. Hier liegen wir im internationalen Vergleich relativ hoch.
Auch bei der Neuausrichtung und Weiterentwicklung der Agrarpolitik brauchen wir zusätzliche Möglichkeiten für Betriebe, die sich weiterentwickeln wollen.
Die unternehmensbezogenen Beihilfen betrugen im Durchschnitt je Haupterwerbsbetrieb im vergangenen Jahr rund 28000 DM. Wenn ich die Beihilfen auf die verschiedenen Betriebsgrößen aufteile, dann bedeutet das: Bei kleineren Betrieben zwischen 15 und 30 Hektar machen die Beihilfen bereits 33% des Gewinns aus; bei den Betrieben zwischen 30 und 60 Hektar sind es 62%; bei den größeren Betrieben zwischen 60 und 150 Hektar sind bereits 96% des Gewinns staatliche Transferleistungen. Das sind Zahlen aus dem letzten Agrarbericht.
Die Belastungen für die bayerische Landwirtschaft durch Ökosteuer, Sparpaket, Steuerentlastungsgesetz und durch die Agenda-2000-Beschlüsse wirken sich natürlich ganz massiv auch auf die Einkommenssituation unserer Landwirte aus. Im Jahr 2000 lagen diese Belastungen bei 675 Millionen DM. Sie steigen bis zum Jahr 2006 auf 1050 Millionen DM. Für einen Einzelbetrieb mit einer landwirtschaftlichen Nutzfläche von 40 Hektar errechnen sich durch die Beschlüsse der rot-grünen Bundesregierung somit Belastungen von 8200 DM. Bis zum Jahr 2006 steigen sie auf 12800 DM an. Ich meine, auch diese Zahlen machen deutlich, wie ernst es die rotgrüne Bundesregierung mit den Problemen der Landwirtschaft nimmt.
Diese Agrarpolitik bedeutet, dass die Landwirtschaft in Deutschland und in Bayern heute nur noch bedingt konkurrenzfähig ist. Global gesehen müssen wir uns auf Märkten behaupten, auf denen Anbieter mit viel größeren Flächen, besseren natürlichen Voraussetzungen, billigeren Arbeitskräften und geringeren Umweltauflagen auftreten. Es spricht allerdings nicht gerade für die Weitsicht in der europäischen Agrarpolitik, dass seit mehr als 40 Jahren der Versuch unternommen wird, unsere Strukturen durch Wachstum so zu entwickeln, als könnten sie irgendwann einmal auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig werden.
Bei der von Frau Ministerin Künast angekündigten Neuorientierung in der Agrarpolitik sehe ich die Gefahr, dass die Wettbewerbsfähigkeit jetzt völlig außer Acht gelassen wird. Wenn man technischen Fortschritt und wissenschaftliche Erkenntnis bei uns in der Landwirtschaft verhindert, wird der Wettbewerbsdruck aus den Nachbar
ländern noch größer werden und die Abhängigkeit von Einfuhren wird ansteigen. Eine weitere Folge wird ein beschleunigter Strukturwandel zu noch größeren Einheiten sein. Dies wird sich dann in den vor- und nachgelagerten Bereichen der Landwirtschaft fortsetzen.
Fest steht auch, dass der Wettbewerbsdruck für unsere Landwirte gerade seitens der Bundesregierung und der Europäischen Union immer wieder erhöht wurde.
Was ist für die Weiterentwicklung notwendig? Was können wir in Bayern dazu selbst tun? Meine Damen und Herren, der Agrarsektor muss ein neues Selbstverständnis mit glaubwürdigen Botschaften für die Gesellschaft entwickeln. Jede Stufe der Wertschöpfungskette braucht für jedermann transparente Sicherheit und Qualitätsstandards im Sinne einer freiwilligen Selbstverpflichtung. Die Beteiligten müssen für eine flächendeckende Einhaltung dieser Standards einstehen. Die Landwirtschaft und mit ihr die vor- und nachgelagerten Bereiche sind in der Lage, eine sichere Nahrungskette zu organisieren. Hierfür sind geschlossene Wertschöpfungsketten von Betriebsmitteln über die Urproduktion und Verarbeitung bis hin zum Einzelhandel notwendig. Gerade nach dem BSE-Schock erwarten die Verbraucher und auch die Agrarwirtschaft solche Signale.
Die Erzeugung tierischer Lebensmittel war bisher zu stark auf die Angebotsseite ausgerichtet. Auch der Lebensmitteleinzelhandel muss sich seiner Verantwortung bewusst werden. Er agiert noch sehr losgelöst von anderen Marktteilnehmern.
Wir müssen vom ausschließlichen Primat der Preise wegkommen. Der Handel muss mithelfen, die Wünsche der Verbraucher an die Landwirtschaft in Sachen Tierschutz, Haltung der Tiere und umweltgerechte Produktion zu erfüllen.
Lebensmittel müssen wieder einen fairen Preis bekommen, der die Wertschätzung des Verbrauchers für eine sichere und qualitätsvolle Ernährung widerspiegelt. Sichere Systeme müssen in kleinen und großen Betrieben konventioneller und ökologischer Produktion und Verarbeitung flächendeckend eingeführt werden. Der Trend zum Be- und Verarbeiten von Lebensmitteln ist ungebrochen. Landwirtschaft in nur kleinen Einheiten wird volkswirtschaftlich teuer und bringt allein keinen Zuwachs an Verbrauchersicherheit.
Ziel einer neuen Agrarpolitik muss auch eine europa-, ja, wenn nicht weltweite Harmonisierung der Kontroll- und Sicherheitsstandards sein. Es muss ein neues Vertrauen in moderne wirtschaftliche Produktionsmethoden aufgebaut werden. Ich meine, die vorhandenen Methoden verdienen es. Verbraucher setzen die Modernisierungen der Tierhaltung vielfach gleich mit Massentierhaltung und Tierquälerei. In der Realität aber führt jeder neue Stall zu einer besseren Umwelt für die Tiere.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch die Verbraucher müssen ihre Schlüsse aus der BSE-Krise ziehen. Seit Jahren hat sich bei ihnen die Einstellung verfestigt, dass Essen nur wenig kosten darf. Beim Griff nach den billigsten Nahrungsmitteln haben sie zu selten gefragt, ob diese Produkte zu diesen Preisen überhaupt noch unter natürlichen und sicheren Bedingungen erzeugt und verarbeitet werden können. Es ist ein Widerspruch, auf der einen Seite zunehmend nach Produktsicherheit und tiergerechter und umweltverträglicher Produktion zu rufen und auf der anderen Seite überwiegend nach Billigprodukten zu greifen.
Erlauben Sie mir ein paar Anmerkungen zur Agenda 2000. Europa steht am Beginn dieses Jahrhunderts sicher vor wichtigen Weichenstellungen. Ich meine, dass die Agenda 2000 die wichtigste Entscheidung auch für die Landwirtschaft bis zum Jahr 2006 war. Eine Überprüfung der Agenda-Beschlüsse soll bereits 2002, spätestens 2003 erfolgen.
Was sind die Ziele der Agenda-Beschlüsse, wie sie von der EU-Kommission formuliert wurden? Das Ziel ist, dass man damit verfolgt: eine stärkere Weltmarktorientierung und damit nach Meinung der Kommission eine verbesserte internationale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Landwirtschaft, die Schaffung zusätzlicher Absatzmöglichkeiten für die europäische Landwirtschaft, die Vorbereitungen für die anstehenden WTO-Verhandlungen, die Vorbereitung der Osterweiterung und letztendlich auch die Begrenzung der Ausgaben für den europäischen Agrarmarkt.
Meine Damen und Herren, die Beschlüsse beinhalten im Wesentlichen auch eine weitere Absenkung der Preise bei Getreide, Rindfleisch und Milch. Nach einer Berechnung der Bundesforschungsanstalt, die im Auftrag des Bundeslandwirtschaftsministeriums durchgeführt wurde, liegen allein die agendabedingten Einkommenseinbußen zwischen 4,5 und 5,5%.
Die bayerischen Vorschläge zur Agenda 2000 wurden von Bundeskanzler Schröder nicht aufgegriffen. Unser Vorschlag war, mehr nationalen und regionalen agrarpolitischen Spielraum zu schaffen, um den unterschiedlichen Strukturen und Standorten gleiche Chancen einzuräumen.
Wo liegen für uns die Probleme? Die Erlöse für Getreide decken vielfach nicht mehr die Produktionskosten. Wenn die durch die Agenda beschlossene Absenkung des Getreidepreises um 15% vollzogen ist, liegen wir bei Weizen künftig bei einem Erzeugerpreis von 18 DM je Dezitonne. Meine Damen und Herren, nirgendwo auf der Welt kann man für 18 DM einen Doppelzentner Weizen erzeugen.
Was ist das Fazit? Weltmarktpreise bedingen natürlich auch Weltmarktproduktionsmethoden mit all ihren negativen Folgen für Natur und Umwelt.
Der Einsatz von Hormonen in der Milchproduktion und der Tiermast wird bei uns abgelehnt. In anderen Ländern ist er gang und gäbe. Allein dieses Beispiel zeigt, was auf die Landwirtschaft und vor allem auf die Verbraucher
Bei den anstehenden WTO-Verhandlungen ist es deshalb aus unserer Sicht notwendig und wichtig, dass man die Standards, die wir in der Lebensmittelhygiene, im Tierschutz , bei der Düngung und beim Pflanzenschutz wie im Umweltschutz sowie bei dem Anspruch auf eine intakte Kulturlandschaft haben, durch einen entsprechenden Außenschutz absichert und so auch eine annähernde Wettbewerbsgleichheit schafft.
Die Grundausrichtung der Agenda 2000 hat meines Erachtens im Kern einen gravierenden Mangel. Sie setzt zu einseitig auf eine Strategie der Produktion zu Niedrigstpreisen unter Weltmarktbedingungen. Frau Künast müsste nach allem, was sie angekündigt hat, eine sofortige Korrektur der Agenda-Beschlüsse verlangen und veranlassen, die beschlossenen Preissenkungen rückgängig zu machen.