Protokoll der Sitzung vom 09.10.2001

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bisher haben Sie Geld für Sprachkurse immer abgelehnt. Sie sprechen sich auch gegen Vorverurteilungen aus. Im Forderungskatalog steht aber drin, dass von allen hier lebenden Ausländern Fingerabdrücke zu nehmen seien und alle erkennungsdienstlich zu behandeln seien. Wohlgemerkt, ich gehe auf das Papier der CSULandesgruppe im Deutschen Bundestag ein. In dem Papier des Innenministeriums stehen ähnliche Forderungen, aber Sie sollten sich auch einmal mit Ihrer Landesgruppe im Bundestag absprechen. Was Sie von uns immer fordern, trifft auf Sie mindestens genauso zu.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sehr erkenntnisreich ist im Übrigen eine weitere Feststellung des Papiers der Landesgruppe. Darin steht: „Viele Ausländer leben in schwierigen sozialen Verhältnissen.“ Welche Lösung fällt der CSU aber dazu ein? Bei Haushaltsdebatten habe ich immer nur Kürzungen der Sozialhilfeleistungen und Kürzungen von Zuschüssen für Kinder– und Schulgeld oder für Schulmaterial in Erinnerung. Wir sollten uns genau überlegen, ob wir einiges dazu beitragen können, dass den Extremisten in unserem Land der Boden entzogen wird und nicht die Perspektivlosigkeit zur Saat des Hasses wird.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn schon nicht aus Einsicht, so müsste Ihnen aus Eigennutz daran gelegen sein, Menschen nicht auszugrenzen und vom Rest der Gesellschaft zu isolieren; denn wir brauchen Verbündete im Kampf gegen den Terrorismus. Wir fordern Sie von der CSU außerdem auf, die Integrations– und Zuwanderungsdebatte von der Debatte über den Terrorismus zu trennen. Das Eine hat mit dem Anderen nichts zu tun.

(Beifalls beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Täter entsprachen eben nicht dem von Ihnen immer wieder gern strapazierten Bild des asozialen Drogenhändlers. Sie saßen nicht wegen Straftaten in Gefängnissen, sondern sie wirkten integriert und betätigten sich teilweise sogar ehrenamtlich. Sie zahlten ihre Miete und die Versicherungsraten. Diese Sorte unauffälliger Täter werden wir weder mit einer Nationalgarde noch mit einem aufgestockten Bundesgrenzschutz oder der Bundeswehr im Vorfeld zu fassen bekommen.

(Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): CSU-Profil!)

Für Sie gilt trotz aller anderweitigen Bekundungen unserer Meinung nach doch der Generalverdacht, gleichgültig ob es Hinweise und Verdachtsmomente tatsächlich gibt und Straftaten begangen wurden oder nicht.

Meine Herren und Damen, wir fordern Sie auf, vor den Grundrechten Achtung zu bewahren, den Terror mit Augenmaß zu bekämpfen und entsprechende Prüfungskriterien bei der Ergreifung von Maßnahmen einzuhalten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir fordern Sie auf, nur die Maßnahmen zu ergreifen, die, ohne grundlegende Prinzipien des Rechtsstaats zu verletzen, erforderlich, geeignet, praktikabel und effektiv sind, die sich an den Grundrechten orientieren und auch verhältnismäßig sind. Nur dem Rechtsstaat steht das Gewaltmonopol zu. Eine Staatsgewalt ohne Rechtsgrundsätze ist willkürlich. Willkür ist der direkte Angriff auf unsere Demokratie.

Deshalb müssen Sie als Regierung in Bayern belegen, dass Sie rechtsstaatlich handeln, wenn Sie bestimmte Maßnahmen einführen. Sie müssen belegen, dass Ihre Maßnahmen eine rechtliche Grundlage haben, und Sie

müssen belegen, dass diese Maßnahmen geeignet, erforderlich und praktikabel sind.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Frage, ob die Maßnahmen geeignet und finanzierbar sind, stellen Sie schon gar nicht mehr.

Ich komme noch einmal zum Datenschutz zurück. Vieles von dem, was Sie vorschlagen, ist mit hohen Kosten verbunden. Sie wollen die Verschlüsselung von Texten verbieten. Ich frage mich, wie das funktionieren soll. Wegen modernster Technik ist eine Verschlüsselung überhaupt nicht mehr erkennbar. Experten gehen davon aus, dass die enorme Datenflut im Internet ohnehin eine erfolgreiche Observierung der gesamten Online-Kommunikation verhindert. Man kann die Botschaften in e-Mails verstecken, in Online-Form oder mit Hilfe der Steganografie versenden; man wird sie nicht entdecken. Sie schaden mit solchen Verboten lediglich Wirtschaft und Wissenschaft und öffnen der Betriebsspionage Tür und Tor. Das ist dann wieder ein neues Betätigungsfeld für die Staatsanwaltschaften.

An dieser Stelle möchte ich die Gelegenheit nutzen, dem bayerischen Datenschutzbeauftragten, den Sie mit Ihren Äußerungen in den Medien ins Zwielicht gestellt und diffamiert haben, mein Vertrauen auszusprechen. Wir haben den Datenschutzbeauftragten immer als äußerst pragmatisch und lösungsorientiert kennen gelernt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir schätzen das Amt für den Datenschutz als beratende Einrichtung. Sie, Herr Beckstein, und Sie, Herr Ministerpräsident, beklagen heute Versäumnisse im Datenschutz, der Datenschutz werde zu intensiv betrieben. Ich bitte Sie, vor Ihrer eigenen Tür zu kehren und nicht solch unzutreffenden Unterstellungen zu machen.

Vieles von dem, was Sie vorschlagen, ist schlichtweg nicht praktikabel, nur schwer durchführbar oder nicht effizient. Sie verlangen die Schaffung einer ganzen Reihe neuer Stellen bei der Polizei. Ich habe bereits gesagt, dass damit offensichtlich ausgeglichen werden soll, was in den letzten Jahrzehnten versäumt worden ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich greife ein Beispiel heraus – ich weiß nicht, ob Sie das verwirklichen wollen: den verstärkten Personenschutz. Dagegen stelle ich mich zwar nicht. Ich muss aber die Frage stellen, ob ein verstärkter Personenschutz wirklich helfen wird. Machen wir uns keine Illusionen. Die Ziele, die sich die Terroristen ausgesucht haben, waren Symbole, keine Prominenten. Auf die Zivilbevölkerung wurde dabei keine Rücksicht genommen. Wenn die Terroristen nicht mehr an prominente Opfer herankommen, dann werden wir es wie zu Zeiten der RAF erleben, dass Anschläge auf Prominenz aus dem zweiten Glied verübt werden.

Ministerpräsident Stoiber gibt uns staatsväterlich zu bedenken, dass unsere Kinder und Kindeskinder Frei

heit nicht mehr erleben würden, wenn wir den Terror jetzt nicht bekämpfen. Ich halte das für eine sehr kurzsichtige Einschätzung. Wir sind gerade dabei, durch eine zu kurz greifende Terrorbekämpfung unnötig Freiheiten zu verlieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich weiß nicht, ob es ein bewusstes Ziel der Terroristen war, neben der Herbeiführung von Tod, Entsetzen und Verzweiflung auch die Freiheit zu zerstören.

Wenn die Politik bei den bereits umgesetzten und noch angestrebten Maßnahmen nicht das Augenmaß bewahrt, werden wir Teil des Irrsinns. Deshalb bitte ich Sie, unserem Entschließungsantrag zuzustimmen, der eine ganze Reihe von Überlegungen enthält.

(Dr. Bernhard (CSU): Frau Kollegin, Nürnberg hätten wir gerne noch gehört!)

Danke für die Erinnerung. Ich habe jetzt noch eine Minute Redezeit.

Ich weise es als Falschmeldung zurück, was Sie, Herr Glück, verbreitet haben. Das ist wahrscheinlich eine Meldung des Verfassungsschutzes.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der CSU)

Sie sollten das überprüfen. Zufällig weiß ich von der Vorstandssitzung gestern Abend, – –

(Zuruf des Abgeordneten Glück (CSU))

Ich weiß, dass das da steht. Den Text haben wir nicht verfasst und nicht abgeschickt. Ich weiß von der Kreisvorstandssitzung, dass man sich dort entschlossen hat, nicht teilzunehmen. Ich selbst werde auf keiner dieser Veranstaltungen sprechen.

(Zuruf von der CSU)

Die geplanten Passkontrollen vor dem Gottesdienst anlässlich des CSU-Parteitages in Nürnberg wecken Befürchtungen. Ich weiß nicht, wessen Freiheit Sie verteidigen, wenn Sie zum Schutz Ihres Parteitages eine Bannmeile um die Lorenzkirche legen lassen. Unter Umständen werden wir dazu gezwungen sein, zwei unserer Veranstaltungen, die überhaupt nichts mit diesem Thema zu tun haben, zu verlegen. Ich frage mich, ob das Ansätze dessen sind, was Sie unter dem Schutz von Freiheit verstehen.

(Anhaltender Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und bei Abgeordneten der SPD)

Zu einer zusammenfassenden Stellungnahme hat nun Herr Innenminister Dr. Beckstein das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf

zunächst eine Bemerkung zur Sicherheitslage machen. Ich glaube, das ist angesichts der aktuellen Situation erforderlich.

Ich kann nur das wiedergeben, was die übereinstimmende Meinung aller Innenminister des Bundes und der Länder und aller Sicherheitsbehörden ist. Wir haben eine wesentlich erhöhte abstrakte Gefährdung. Wir haben aber keinerlei konkrete Hinweise auf geplante Terroranschläge. Die abstrakte Gefährdung ist noch einmal erhöht worden, nachdem das Videoband von bin Ladin veröffentlicht worden ist, in dem er massiv den Krieg der Gläubigen gegen die Ungläubigen fordert. Für die Sicherheitsbehörden ist von herausragender Bedeutung, dass er diese Forderung insbesondere auf Amerikaner und Juden bezieht.

Wir haben bei uns mit einer erhöhten Gefährdung zu rechnen. Drei Gruppierungen bereiten uns Sorgen: Die erste sind mögliche Beteiligte an den Terroranschlägen in New York und Washington. Das sind diejenigen, die wir gemeinhin als Schläfer bezeichnen. Diese Leute verhalten sich unauffällig und schlagen auf Befehl sofort und bedenkenlos zu. Uns bereitet vor allem Sorgen, dass jemand, der bereit ist, sein Leben zu opfern, nicht durch Präventivmaßnahmen beeindruckt werden kann. Denjenigen, der meint, er müsse als Märtyrer sterben, schreckt keine Strafandrohung. Mit hoher Wahrscheinlichkeit leben solche Fanatiker bei uns in Deutschland und in Bayern; nach diesen Leuten müssen wir suchen.

Die zweite Gruppierung sind gewaltbereite Extremisten, von denen einige Hundert in Bayern leben. Ich sage: Das sind Leute, die der Hisbollah angehören, der Hamas oder dem Kalifatstaat. Frau Stahl, was Sie zu dem Kalifatstaat und zu Herrn Kaplan gesagt haben, ist blanker Unsinn; Sie haben nicht die geringste Sachkenntnis.

(Beifall bei der CSU)

Wenn Sie eine halbwegs seriöse Quelle angeben könnten, dann könnten wir darüber reden.

(Frau Christine Stahl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es hat Gespräche bei den Geheimdiensten gegeben!)

Das, was Sie gesagt haben, ist absoluter Blödsinn. Herr Kaplan stammt nicht aus Algerien, sondern aus einem anderen Land.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN))

Wir müssen uns darüber klar werden, wie wir mit gewaltbereiten Extremisten umgehen.