Protokoll der Sitzung vom 21.02.2002

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)

Beides, meine Damen und Herren von der CSU, fehlt Ihnen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Hofmann (CSU): Aber in Berlin ist es vorhanden! Und in Nordrhein-Westfalen, da haben sie es wohl begriffen!)

Die aktive Arbeitsmarktpolitik darf sich nicht nur an der konjunkturellen Entwicklung orientieren – da sind wir uns sicher einig –, sondern muss klare Vorstellungen, und zwar ganzjährig, über einen längeren Zeitraum, darüber entwickeln, für welche Zielgruppen sie mit welchen Instrumenten etwas erreichen will.

Ich behaupte, Ihre Vorschläge sind lediglich eine Pflichtübung, Pflichtübung deshalb, weil Sie plötzlich im Januar über die neuen Arbeitsmarktzahlen erschrocken sind, denn all die Jahre vorher haben Sie in der Arbeitsmarktpolitik nichts vorzuweisen.

(Dinglreiter (CSU): Sie werden sich wundern!)

Außerdem sind Sie plötzlich aktiv geworden, weil Herr Stoiber auf Bundesebene mitreden möchte, und jetzt muss man natürlich angesichts der Arbeitslosenzahlen etwas auf den Tisch legen. Das ist alles, was Sie antreibt.

Sie treibt nicht an, dass es in Bayern ganz bestimmte Gruppen gibt, die dringend unterstützt werden müssen. Ich denke an die älteren Arbeitnehmer, ich denke an die Jugendlichen, ich denke auch an Alleinerziehende.

Sie haben auch nicht zur Kenntnis genommen, dass es ein Nord-Süd-Gefälle gibt. Zumindest in Teilbereichen haben Sie versucht, mit Privatisierungserlösen gegenzusteuern. Ansonsten ist an aktiver Arbeitsmarktpolitik

nicht sehr viel zu finden. Sie haben anscheinend auch nicht zur Kenntnis genommen, dass es bestimmte Beschäftigungsfelder gibt, die gerade bestimmte größere Städte wie Nürnberg – München nicht so sehr – im Norden Bayerns betreffen, die besonders unter dem Strukturwandel leiden.

Wenn man sich Ihren Vorschlag ansieht, dann ist es doch letztendlich auch wieder so, dass Sie für die Arbeitsmarktpolitik in Bayern keine konkreten Vorschläge machen, dass Sie nicht sagen: Wir können vor Ort dies und jenes tun, und das werden wir auch in Angriff nehmen. Sie zeigen wieder mit dem Finger nach Berlin: Da muss die Steuerpolitik geändert werden, da muss jenes gemacht werden. Ich sage Ihnen: Ich will im Landtag darüber diskutieren, was wir in Bayern tun können,

(Zuruf des Abgeordneten Hofmann (CSU))

sehr geehrter Herr Kollege, beruhigen Sie sich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Unseres Erachtens gehören dazu auch gesamtgesellschaftliche und gesamtwirtschaftliche Ansätze, nicht nur die Steuerpolitik.

(Dinglreiter (CSU): Sagen Sie uns einen!)

Ich behaupte: Nachdem unser Paket auf der Bundesebene eher als Ihres vorlag, ist Ihres abgeschrieben. Sie haben in Ihrem Paket durchaus Punkte, die diskussionswürdig sind, zum Beispiel die Verringerung der Soziallasten, die Sie auf Bundesebene vorschlagen, wobei ich allerdings sagen muss: Das brauchen Sie uns nicht vorzuschlagen; das haben wir selbst schon erzählt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie sagen zum Beispiel auch, man muss die Arbeitsaufnahme belohnen oder man benötigt einen Abbau von Bürokratie. Da sind wir d‚accord. Sie haben Recht, wenn Sie sagen, die ehemals 630-DM-Jobs, jetzt 325-EuroJobs müssen entbürokratisiert werden.

(Zuruf des Abgeordneten Hofmann (CSU))

Das ist nicht der Punkt. Wir haben nicht zugestimmt, dass sie sieben Blätter ausfüllen müssen, die ihnen die Sozialversicherungen vorlegen. Dies ist aber nichts, was wir zu bestimmen haben. Das muss auf einem anderen Weg entbürokratisiert werden. Da sind wir auf einer Linie.

Ich muss Ihnen aber auch sagen, dass mir der Rest Ihrer Punkte wie ein sozialpolitisches Horrorkabinett vorkommt: Leichtere Befristung von Arbeitsverhältnissen, vor allem bei älteren Arbeitnehmern. Ich möchte schon einmal wissen, wie Sie sich das vorstellen. Übrigens: Hier in dieser Runde sind wir alle ältere Arbeitnehmer. Dies geht mittlerweile nämlich ab 45 Jahre los. Schauen Sie sich einmal die Zuwächse in dieser Altersgruppe an. Das ist erschreckend.

Beim zweiten Punkt, den Sie hatten, die Flexibilisierung der Leiharbeit, kann man eventuell über die Änderung der Höchstüberlassungsdauer reden. Was stellen Sie sich aber unter Flexibilisierung noch vor? Ich möchte mit Ihnen gerne einmal darüber diskutieren. Ich wage zu bezweifeln, dass Sie die Leiharbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer so unterstützen. Ich muss Ihnen auch sagen, dass uns die Änderung des Scheinselbstständigkeitsgesetzes arbeitsmarktpolitisch sicher nicht weiterbringen wird. Die Liste des Sozialabbaus ist jedenfalls lang, und Ihre Vorschläge tun alles, um die Unsicherheit auf der Arbeitnehmerseite zu vergrößern.

Wir sagen: Diese Vorschläge sind letztendlich unverantwortlich; sie beziehen sich auch nicht auf Bayern. Im Geschäftsleben würde ich zudem mit Ihnen eigentlich keinen Vertrag abschließen wollen, weil ich sagen müsste: Ihr Betrieb ist unsolide finanziert. Das haben wir auch schon vom Kollegen Dr. Kaiser gehört. Alleine die verschiedenen Absichtserklärungen, die wir in den vergangenen Monaten gehört haben, sind in keiner Weise gegenfinanziert, sondern, was ganz schlimm ist, haben dann auch in mittelbarer Folge Auswirkungen auf die Einnahmenseite der Kommunen. Ich habe kein Wort darüber gehört, wie Sie die steuerlichen Entlastungen für Kommunen gestalten wollen. Ich frage mich auch: Wie wollen Sie denn die Lohnnebenkosten senken, wenn Sie die nächste Stufe der Ökosteuer streichen wollen? Ich frage mich: Wie soll denn eigentlich die Gegenfinanzierung aussehen, wenn man die Sozialversicherungsbeiträge unter 40% senken will? Alle diese Vorschläge sind unausgegoren, unsolide und untauglich. Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Ändern Sie C und S einfach in U und U, und das neue Logo ist fertig.

Den Vogel in Ihren Vorschlägen schießen Sie ab, indem Sie in einem Punkt darauf abstellen, den Teilzeitanspruch zurückzunehmen, weil dieser zulasten der Frauen ginge. Dies fand ich sehr apart. Fakt ist, dass wir in Bayern Schlusslicht bei der Krippenbetreuung sind. Wir haben eine ganze Reihe von Alleinerziehenden mit wirklich unglaublich guten Qualifikationen, aber wir leisten es uns, diese Frauen in die Erwerbslosigkeit zu schicken oder zu belassen, weil sie Kinder haben. Im Zuge dessen wollen Sie dann auch noch Teilzeitmöglichkeiten beschränken.

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dinglreiter? – Sie gestattet nicht, Herr Kollege.

Ich bin kürzer, als Sie es jemals sein werden. Deswegen kann man sich das sparen.

Sie sagen, die Betriebe wären gehindert, wegen dieses Teilzeitgesetzes familienfreundliche Vorschläge zu machen. Dazu muss ich feststellen: Das hätten die Betriebe schon lange tun können, bevor es dieses Gesetz gab. Weil eben nie etwas kam, wurde dieses Gesetz letztendlich eingeführt.

Wir, meine Damen und Herren von der CSU, sind jedenfalls nicht so blauäugig zu glauben, dass allein die Ent

lastung des Mittelstandes – darauf bezieht sich der Hauptteil Ihrer Forderungen – ausreicht, um den bayerischen Arbeitsmarkt zu verbessern. Nun ist es auch nicht so, dass wir nicht durchaus in steuerlicher Hinsicht Entlastungsbedarf bei kleinen und mittleren Unternehmen sehen. Ich muss aber meinem Kollegen, Herrn Kaiser, schon Recht geben, dass Sie die Situation schlechter reden, als sie tatsächlich ist. Sie sind auch nicht mehr auf der Höhe der Zeit, Herr Dinglreiter. Sie haben zum Beispiel verkannt, dass, was wir schon immer gefordert haben, endlich die Reinvestitionsrücklage eingeführt worden ist, die gerade die kleinen und mittleren Unternehmen entlastet. Das bringt für den Mittelstand mindestens 500000 Euro.

(Dinglreiter (CSU): Das Problem ist, dass Sie mir nicht zugehört haben!)

Ich habe Ihnen sehr gut zugehört. Ich habe mir sogar die Mühe gemacht, Ihren Antrag zu lesen. Das letztgenannte Beispiel ist nur eines von einer ganzen Reihe von Maßnahmen, seit Rot-Grün an der Regierung ist, die – ich nenne zum Beispiel das Vorziehen der Einkommensteuerreform – zu Entlastungen geführt haben. Ich sage Ihnen: Für genau den denselben Zeitraum, in dem Herr Waigel Finanzminister war, sollten Sie keine Äußerungen mehr zu diesen Dingen machen. Sie hatten wirklich lange genug Zeit, irgendetwas auf den Weg zu bringen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Wir werden uns auf den Maßnahmen, die auf der Berliner Ebene schon erfolgt sind, nicht ausruhen, sondern diese Maßnahmen mit Gesellschafts-, insbesondere Bildungspolitik flankieren. Für den Arbeitsmarkt hat es doch eine ganz große Bedeutung, wenn 29% der Jugendlichen die Hauptschule verlassen, ohne einen Abschluss zu haben. Dies hat doch ganz konkrete Auswirkungen auf die Jugendarbeitslosigkeit. Was sind denn in Bayern Ihre Vorschläge, um dieses Defizit abzubauen? Ich könnte mich auch noch ewig lange zur Zuwanderung auslassen. Sie hat schließlich auch arbeitsmarktpolitische Effekte. Was sagen Sie hierzu? Da blockieren Sie seit ewigen Zeiten.

Grundsätzlich spielt auch die Qualifikation von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern eine Rolle, und zwar gerade jene der Älteren ab 45 und noch stärker derjenigen ab 55. Hier sind die meisten Zuwächse zu verzeichnen. Das sind leider die Problemgruppen, wobei ich eben nicht so weit wie Sie gehen möchte und diesen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern allein die Verantwortung für ihre Situation zuschieben möchte. Sie tun immer so, als ob es genügend Arbeit gäbe; man müsse nur die Lust auf die Arbeit steigern. Ich weiß nicht, ob es bei einem 55-jährigen wirklich nur am fehlenden Lustgefühl oder nicht schlicht und einfach an anderen Kriterien liegt, die einer Weiterbeschäftigung entgegenstehen, zum Beispiel weil der Betrieb zumacht oder weil man einfach mit einer bestimmten Ausbildung nicht mehr gefragt ist. Ist die Lustlosigkeit der 55-jährigen wirklich der einzige Grund?

(Gartzke (SPD): Die sind gar nicht so schlecht!)

Ihre Antwort auf dieses Problem ist, die befristeten Arbeitsverhältnisse zu erleichtern, was ich Ihrem Antrag entnommen habe. Ich sage Ihnen: Das ist wirklich zu wenig.

Ihre Vorschläge beziehen sich samt und sonders auf die Verantwortlichkeit des Bundes. Kein einziger Vorschlag beschäftigt sich mit Bayern. Die GRÜNEN auf der Bundesebene brauchen von Ihnen keine guten Ratschläge. Wir haben unsere Vorschläge bereits im Jahr 2001 auf den Tisch gelegt. Bedauerlicherweise hat die SPD nicht in allen Punkten mitgezogen. Sie macht sich aber immerhin Gedanken für Bayern.

Unsere sieben Punkte lauten wie folgt:

Erstens. Wir brauchen eine gestaffelte Bezuschussung der Sozialbeiträge der Arbeitnehmer. Außerdem soll die Arbeitsaufnahme attraktiver gestaltet werden.

Zweitens. Für Langzeitarbeitslose muss ein befristetes Einstiegsgeld bei der Arbeitsaufnahme gezahlt werden.

Drittens. Die 325-Euro-Jobs müssen entbürokratisiert werden. Es ist wichtig, dass diese Arbeitnehmer nicht sieben Seiten aus der Sozialversicherung ausfüllen müssen.

Viertens. Wir wünschen uns die steuerliche Absetzbarkeit von erwerbsbedingten Kinderbetreuungskosten. Dies ist ein wichtiger Punkt. Außerdem müssen wir dafür sorgen, dass es in Bayern genügend Betreuungsplätze gibt. Was nützt uns eine steuerliche Absetzungsmöglichkeit, wenn die Betroffenen nichts absetzen können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Fünftens. Nötig ist auch die Auflage eines Kommunalkreditprogramms für besonders finanzschwache Kommunen. Hier ist Bayern gefordert. Die Kommunen müssen entlastet werden, damit sie investieren können. Das Finanzausgleichsänderungsgesetz 2002 hat hierzu bereits gute Ansätze gebracht. Das will ich gar nicht bestreiten. Wir haben in der Haushaltsdebatte noch weitere Vorschläge gebracht, wie die Kommunen entlastet werden könnten. Sie sollen schließlich wieder Luft für Investitionen bekommen und zum Beispiel die Möglichkeit haben, Baumaßnahmen zu finanzieren, weil dies eine aktive Arbeitsmarktpolitik ist. Da es jetzt um die Entlastung der Kommunen geht, würde mich interessieren, was Sie zur Gewerbesteuerumlage zu sagen haben. Ich meine damit den Teil, auf den das Land Zugriff hat.

(Dinglreiter (CSU): Wir haben dazu einen Antrag eingebracht, den Sie abgelehnt haben!)

Dieser Antrag wird schon entsprechend formuliert gewesen sein. Wir haben auch zu den Themen „Sanierung“, „Altlastenbereinigung“ und „Sanierung von PCBbelasteten Schulen“ Anträge gestellt. Wir dürfen die Kommunen bei diesen Themen nicht allein lassen.

Sechstens. Wir haben auf Bundesebene auch ökologische Investitionen gefordert. Diese würden sowohl dem Klima als auch der Bauwirtschaft zugute kommen.

Siebtens. Die Schwarzarbeit muss bekämpft werden. Bei diesem Ziel sind wir uns hoffentlich einig. Wahrscheinlich werden wir uns nur über das nötige Instrumentarium streiten.

Wir sollten uns auch einmal dem Thema „Überstundenabbau“ widmen. Dies ist ein schwieriges Thema, das gesetzlich nicht in den Griff zu bekommen ist. Das Bündnis für Arbeit – solange es noch arbeitsfähig ist – sollte sich überlegen, was hier zu tun ist. Ihre Vorschläge und die Vorschläge Ihres Ministerpräsidenten kosten Geld. Vorschläge zur Gegenfinanzierung kann ich bei Ihnen nicht erkennen. Auf die genannten 22 Milliarden Euro, die der Bund für die Arbeitsmarktpolitik zur Verfügung stellen möchte, wird von Ihnen frech zurückgegriffen. Ich hätte mir gewünscht, dass Sie nur solche Vorschläge ins Feld führen, die Sie mit der bayerischen Arbeitsmarktpolitik auch umsetzen können. Wir werden deshalb Ihren Antrag ablehnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)