Protokoll der Sitzung vom 21.02.2002

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, ich schließe mich dem Verhalten der Vorredner an. Es tut mir Leid, Herr Kollege Dr. Kaiser.

Nicht nur arbeitsmarktpolitisch gibt es große Defizite zu beklagen. Ich erinnere auch an die Rentenreform. Was soll man von einem Kanzler halten, der 1998 den Rentnerinnen und Rentnern das Blaue vom Himmel versprochen hat und nach dem Regierungsantritt die Rentenanpassung unter Vorspiegelung falscher Daten aussetzte? Was soll man von einem Kanzler halten, der im Gesundheitsbereich soziale Gerechtigkeit versprochen hat, heute aber ein Mehrklassensystem in der Gesundheitsversorgung eingeführt hat? Die Beiträge steigen wie nie

zuvor, die Defizite steigen und Leistungen werden ausgedünnt.

(Beifall bei der CSU)

Nicht nur in der Arbeitsmarktpolitik wurde das Ziel weit verfehlt. Die Arbeitsmarktpolitik von Rot-Grün hat an Kompetenz und Glaubhaftigkeit verloren.

Ihr Antrag, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist völlig kontraproduktiv, weil darin kein wirksamer Ansatz enthalten ist, um die Krebsgeschwulst in der Wirtschaft und auf dem Arbeitsmarkt zu bekämpfen. Diese besteht in der hohen Abgabenlast, in den Barrieren, die verschiedene Bereiche des Arbeitsrechtes darstellen und verschiedenen beschäftigungsfeindlichen Gesetzen, die Sie eingebracht haben. Das alles ist Gift für die Arbeitsplätze. Zu erinnern ist auch an das 630-DM-Gesetz bzw. 325-Euro-Gesetz, an das Teilzeitarbeitsgesetz und an die Überreglementierungen durch das Scheinselbstständigengesetz. Die Liste könnte fortgeführt werden. Über die hohe Abgabenbelastung haben Sie kein Wort verloren. Das kümmert Sie überhaupt nicht. Sie drehen munter weiter an der Abgabenschraube.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Scholz (SPD))

Die Abgabenbelastung ist einer der Gründe, die zu der Beschäftigungsmisere geführt haben. Damit treiben Sie die Menschen in die Leistungsverweigerung und in die Schwarzarbeit. Viele Leute sind nicht mehr bereit, sich in diesem Maße abzocken zu lassen. Die hohe Abgabenbelastung – ich sage es noch einmal – ist ein Übel und in erster Linie dafür verantwortlich, dass Leute aus einfachen Arbeitsverhältnissen vertrieben werden.

(Hufe (SPD): Wir haben die Abgaben doch gesenkt! Sie reden völligen Unsinn!)

Sie haben doch die Senkung der Sozialabgaben auf unter 41% versprochen. Sie finanzieren die Rente über die Zapfsäule.

(Hufe (SPD): Bei diesem Schmarrn ist es schade um die Zeit, die man hier absitzen muss!)

Sie haben die 630-DM-Beschäftigungsverhältnisse der Sozialversicherungspflicht unterworfen. Sie bekämpfen nicht den Missbrauch, sondern denjenigen, die eine geringe Summe hinzuverdienen, wird der Verdienst genommen. Arbeit wird verteuert, und es wird eine umfangreiche Bürokratie geschaffen. Das Ehrenamt wird weiter erschwert. Das sind die Folgen Ihrer Politik.

Es wurde das Job-Aqtiv-Gesetz angesprochen. Dieses ist vor wenigen Monaten beschlossen worden, ebenso wie das Jump-Programm, mit dem jungen Menschen der Zugang zum Arbeitsmarkt eröffnet werden soll. Sie haben aber genau das Gegenteil bewirkt.

(Hufe (SPD): Jeder hat das Recht, sich so gut zu blamieren, wie er kann!)

Es ist ein Skandal, dass der Bundesarbeitsminister den Zuzug von 27000 ausländischen Pflegekräften nach

Deutschland erlaubt. Auf der anderen Seite will man schon in Deutschland lebende Arbeitskräfte in den Arbeitsprozess eingliedern.

Ein weiterer Punkt ist der Kombilohn. Frau Kollegin von Truchseß hat das Mainzer Modell angesprochen. Ich bin Herrn Kollegen Franzke dankbar, dass er heute Vormittag seine Frage gestellt hat. Ich danke aber zugleich Frau Staatsministerin Stewens, dass sie die entsprechende Antwort gegeben hat. Der Kombilohn ist nicht das Allheilmittel, sondern nur ein Mosaikstein, mit dem man die Situation auf dem Arbeitsmarkt verbessern kann. Rot-Grün hat aber von einem Allheilmittel gesprochen und die Schaffung von 800000 bis 900000 Arbeitsplätzen auf Bundesebene prognostiziert. Das ist eine Illusion. Dazu habe ich mich klipp und klar geäußert. Jetzt werden andere Dinge hineininterpretiert, die in keiner Weise gesagt wurden. Wer will, kann den Originaltext einer Presseerklärung lesen, in der alles steht. Die Staatsregierung oder Ministerpräsident Dr. Stoiber sind mit keinem Wort genannt worden. Man hat im Bericht dargestellt, dass er das nicht gesagt habe, in die Überschrift aber wird es hineininterpretiert.

(Zuruf der Frau Abgeordneten Werner-Muggendor- fer (SPD))

Ich habe versucht, das am Tage der Veröffentlichung zu korrigieren. Es ist bis heute nichts geschehen. Das tut mir Leid. Ich bedaure diesen Ablauf, weil hier ein falscher Eindruck entsteht.

(Herrmann (CSU): Ende! – Frau Radermacher (SPD): Reden Sie ruhig weiter!)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Vielleicht darf ich zur Klarstellung sagen, dass jeder Fraktion 45 Minuten Redezeit zustehen und wir noch weitere Dringlichkeitsanträge zu behandeln haben.

Ich kann gut verstehen, dass einiges für Sie nicht ganz so angenehm ist. Die Bürokratie und die rahmenrechtlichen Zwangsjacken, die Sie in den letzten drei Jahren geschaffen haben, würgen das Wachstum ab. Ich nenne nur den Teilzeitanspruch, dass 325-EuroGesetz, das Scheinselbstständigkeitsgesetz, das neue Betriebsverfassungsgesetz, den verriegelten Arbeitsmarkt, die Steuergesetze, die Nachteile für Handwerksund Mittelstandsbetriebe und natürlich auch die Nachteile für die Arbeitnehmer. Das sind die Hauptkriterien dafür, dass es ständig bergab geht. Arbeitsminister Riester stolpert doch von Panne zu Panne. Er wäre eigentlich selbst reif, in eine vorgezogene „Riester-Rente“ zu gehen. Dann wären diese Probleme endlich beseitigt. Mit Ihren Forderungen, regionale Kontaktstellen, ein Weiterbildungsgesetz und ein arbeitsmarktpolitisches Modell einzuführen, verkomplizieren Sie doch nur den Weg in ein Arbeitsverhältnis. Auch für Schwerbehinderte schaffen Sie mit Ihren Vorstellungen keinen einzigen Arbeitsplatz. Sie kritisieren Bayern. Natürlich sind die falschen Rahmenbedingungen, die auf Bundesebene geschaffen wurden, auch nicht spurlos an Bayern vorübergegangen.

(Frau Werner-Muggendorfer (SPD): Sind die falschen Rahmenbedingungen daran schuld, dass in der öffentlichen Verwaltung Bayerns zu wenig Schwerbehinderte beschäftigt werden? Das kann doch nicht wahr sein!)

Sie kritisieren Bayern, andererseits ist aber festzustellen, dass gerade die Staatsregierung zur Verbesserung der Infrastruktur und der Situation auf dem Arbeitsmarkt ein 100-Millionen-Euro-Projekt aufgelegt hat, mit dem sicher eine Reihe zusätzlicher Arbeitsplätze geschaffen wird. Angesichts der Hightech-Offensive, des Bündnisses für Arbeit und anderer Projekte bedarf es in Bayern wirklich keiner weiteren Programme mehr.

Wenn wir auf Bundesebene mit 5,4% im Jahresdurchschnitt die gleiche Arbeitslosenquote hätten wie in Bayern, müssten wir auf Bundesebene 40 Milliarden DM weniger aus der Arbeitslosenversicherung zahlen. Auch das müssen Sie zur Kenntnis nehmen.

(Frau Werner-Muggendorfer (SPD): Milchmädchenrechnung!)

100000 Arbeitslose bedeuten 1,8 Milliarden e. Allein 500000 Arbeitslose bedeuten im Endeffekt 9 Milliarden e zusätzliche Belastung.

(Starzmann (SPD): Waren es jetzt Euro oder DM? – Hufe (SPD): Muss man das noch mal 2 nehmen?)

Der Antrag liegt vor. Er wurde vom Kollegen Dinglreiter erläutert. Wir wollen mit unserem Antrag Anreize zur Aufnahme schaffen. Wir wollen die 630 DM-Arbeitsverhältnisse umstrukturieren und zusätzliche Niedriglohnarbeitsverhältnisse schaffen. Wir bitten um Zustimmung zu unserem Antrag. Natürlich können wir Ihrem scheinheiligen Antrag auf keinen Fall zustimmen.

(Beifall bei der CSU – Frau Radermacher (SPD): Waren es jetzt Euro oder DM? – Brandl (SPD): Da lachen selbst die Schwarzen!)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Das Wort hat jetzt Herr Kollege Wörner.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Als normaler Arbeitnehmer müsste der Herr Ministerpräsident nach der Denkweise der CSU jetzt wegen unentschuldigter Abwesenheit von seinem Arbeitsplatz fristlos entlassen werden.

(Widerspruch bei der CSU – Zuruf von der CSU: So ein Schwachsinn!)

Ich verstehe Ihre Aufgeregtheit nicht. Natürlich ist er unentschuldigt.

Das Instrument Deregulierung des Arbeitsmarktes gehört der Steinzeit an. Es hat während der 16 Jahre Regierungszeit Kohl bewiesen, dass dadurch nur mehr Arbeitslose geschaffen werden. Kohl hat mehr Arbeitslose hinterlassen als es sie heute gibt. Wer dieses untaugliche Instrument mit der Forderung „weiter so“

versieht, wer den Kündigungsschutz, welchen wir gerade wieder reformiert haben, aushebeln will, wer glaubt, er könne soziale Leistungen wie zum Beispiel Zahnersatz für Jugendliche wieder abbauen und wer Recht und Ordnung auf dem Arbeitsmarkt aushebeln will, zeigt, dass alle diese Maßnahmen Anachronismus aus der Steinzeit sind und nichts mit moderner Arbeitsmarktpolitik zu tun haben. Es ist bewiesen, dass unter Kohl mit der Deregulierung mehr Arbeitslose geschaffen wurden, als wir sie heute verzeichnen. Eine Million mehr waren es! Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen!

Wer heute über Flexibilisierung auf dem Arbeitsmarkt redet, muss zur Kenntnis nehmen, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer längst so flexibel arbeiten, wie es gar nicht mehr besser geht. Reden Sie doch einmal mit Mitarbeitern von BMW in Regensburg. Drei Stunden An- und Abfahrt haben sie teilweise bei Schichtmodellen, welche die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit den Gewerkschaften ausgehandelt haben. Sie in Ihrer verblendeten Ideologie behaupten aber immer, die Gewerkschaften wären nicht flexibel. Die Gewerkschaften sind flexibel, sonst würde es keine Arbeitszeitmodelle wie zum Beispiel bei BMW oder bei Infineon geben.

Jetzt komme ich zum traurigsten Kapitel bayerischer Wirtschafts- und Strukturpolitik. Leichtlöhne, die Sie fordern, sind längst eingeführt. Wer einem Facharbeiter in der Maxhütte laut Lohntabelle 2000 DM brutto zumutet, befindet sich längst in der Leichtlohnzone. Was glauben Sie, dass diese Menschen noch haben, wenn sie in Rente gehen? Nichts mehr. Sie wollen aber noch einmal unter dieses Niveau gehen. Wer so etwas tut, braucht sich überhaupt nicht mehr sozial, geschweige denn christlich nennen. Diesen Zusatz muss man bei Ihnen längst streichen.

(Leeb (CSU): Ist denn heute der 1. Mai?)

Man muss wissen, dass sich bei der Maxhütte der Freistaat Bayern, welcher zu 51% Besitzer ist, auf die Rolle des Moderierens und Ausschlachtens zurückgezogen und sich dabei eines Herrn Aicher bedient hat, welcher den Laden endgültig ruiniert hat. Im Übrigen – das ist jetzt die absolute Blamage – haben 80 Beschäftigte die Ausgleichszahlungen in Höhe von 1 Million für entgangene Entlohnung, welche Stoiber 1998 versprochen hat, bis heute nicht erhalten. Herr Ministerpräsident Stoiber sollte sich dafür schämen, dass Arbeitslose und Menschen mit niedrigem Einkommen auch noch auf das Geld, das ihnen vom Staat versprochen wurde, warten müssen. 20000 DM würden die einzelnen Menschen noch bekommen. Bis heute wurde dieses Geld noch nicht bezahlt. Wenn natürlich einer seine Eigentumswohnung in München aus der Hosentasche bezahlen kann, verstehe ich, dass 20000 DM nichts sind. Für die dort betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist dieser Betrag sehr viel. Wer den Anspruch erhebt, in Deutschland Struktur- und Arbeitsmarktpolitik betreiben zu wollen, muss erst seine Hausaufgaben in Bayern machen. Die Maxhütte ist alles andere als ein gutes Beispiel für gelungene Struktur- und Arbeitsmarktpolitik.

Es gäbe noch viele solcher Beispiele zu nennen. Wir sollten den Herrn Ministerpräsidenten hier lassen, damit

er seine Aufgaben hier erledigen kann. Strukturpolitik bedeutet nämlich auch, dass die Menschen dort arbeiten können wo sie leben und nicht ständig verpflanzt werden müssen.

(Beifall bei der SPD – Leeb (CSU): Viel Lärm um nichts!)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Das Wort hat Herr Kollege Runge.

Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Stahl hat bereits gesagt, weshalb wir den Antrag der CSU ablehnen. In diesem Antrag wird eine Reihe falscher Behauptungen und eine Reihe falscher Forderungen aufgestellt. Es ist ja faszinierend, wie dreist Sie beim Thema Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik auftreten. Sie brauchen nicht glauben, dass die Leute so dumm sind und die 16 Jahre Ihrer Bundesregierung vergessen.

Gehen wir aber einmal nach Bayern. Was passiert denn dort? Seitdem Stoiber Ministerpräsident ist, sehen Ihre Wirtschaftsdaten gar nicht mehr so toll aus.

(Lachen bei der CSU)

Beim Gründersaldo, bei den Arbeitslosenzahlen, bei den Beschäftigtenzahlen näherten Sie sich immer mehr dem Durchschnitt der westlichen Länder an,

(Kaul (CSU): Wo SPD und GRÜNE regieren!)

obwohl 4 Milliarden e aus den Privatisierungserlösen ausgegeben wurden, und auch trotz des Beschäftigungspaktes. In keinem anderen Bundesland gibt es so große regionale Gefälle. In Freising haben wir zum Beispiel eine Arbeitslosenquote von 3,1%, in München 4,5%, in Bayreuth 8,5% oder in Hof 10,5%. Nirgendwo gibt es so große Gefälle. Die Ausflüge von Herrn Stoiber in die Wirtschaftspolitik sind doch alle ein Desaster geworden. Bei der Maxhütte wollte man dem CSU-Spezl Aicher mit illegalen Zuschüssen den Übernahmepreis runtersubventionieren. Was ist denn bei der LWS passiert? Insgesamt ist Ihre Wirtschaftspolitik eine Melange aus Staatswirtschaft wie zum Beispiel VMB, aus Filz wie zum Beispiel Kirch und aus überzogenen Reglementierungen wie zum Beispiel das Bayerische Weinabsatzförderungsgesetz.