Protokoll der Sitzung vom 21.02.2002

Drittens. Herr Minister, Sie haben damit auch einen enormen materiellen Schaden zu verantworten. Es gibt erhebliche finanzielle Risiken für den Freistaat. Südfleisch, EU, Bundesregierung – alle drohen mit Schadenersatzforderungen.

Viertens. Sie, Herr Minister, und Ihr Ministerium haben weggeschaut, wo Sie hätten hinschauen und handeln müssen. Sie waren – das habe ich schon letztens gesagt und daran hat sich nichts geändert, sondern es hat sich in den letzten zwei Wochen eher bestätigt – der Vertuscher der Pfuscher. Ihr Ministerium und die Ihnen nachgeordneten Behörden sind Hinweisen auf Verstöße nicht nachgegangen.

Fünftens. Sie haben als Krisenmanager versagt. Nachdem der Skandal bei Milan längst offenkundig war, haben Sie wochelang nicht gehandelt, und auch dann nur zögerlich.

Sechstens. Sie, Herr Minister, haben es bis heute, also nach über zwei Monaten, nicht geschafft, die staatliche Kontrolle von BSE-Laboren neu und verlässlich zu orga

nisieren. Das neue Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit ist eine reine Luftnummer. Es hat weder Organisationsstruktur noch einen Präsidenten. Aber es soll das Herzstück, der Kern der neuen Verbraucheroffensive sein. Dieser Kern ist leer.

Siebtens. Zu allem Überfluss sind Sie, Herr Minister, vor der Fleischlobby eingeknickt. Sie haben hohe Sicherheitsstandards gesetzt. Die haben Sie selber aufgestellt. Niemand hat Sie dazu gezwungen. In den Standards, die Sie aufgestellt haben, ging es darum, was mit dem Fleisch passieren sollte, das beschlagnahmt wurde. Es waren also Ihre Standards. Auf Druck des Bauernverbandes haben Sie genau diese Standards wieder gekippt.

(Glück (CSU): Das ist nicht wahr!)

Natürlich ist das wahr.

(Beifall bei der SPD)

Herr Sinner, dieses saubere Sündenregister bietet Ihnen Gründe genug, freiwillig zurückzutreten.

(Lachen bei der CSU)

Sie haben den Verbraucherinnen und Verbrauchern ein lobbyfestes Ministerium versprochen. Sie haben den Bauern verlässliche Kontrollen versprochen. Nichts haben Sie gehalten. Deshalb fordern wir Ihre Entlassung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber mit dem bloßen Personalwechsel geben wir uns nicht zufrieden. Wir verlangen, dass Verbraucherschutz und Landwirtschaft in Bayern neu organisiert werden. Der Verbraucherschutz muss auch in Bayern deutlich gestärkt werden, und zwar nicht nur dem Namen nach. Der Kampf mit und vor allem die Niederlagen gegen die Agrarlobby verbrauchen reihenweise Minister. Das Bayerische Verbraucherministerium ist eine Ministerverbrauchsanlage.

(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Ich weiß nicht, was Sie wollen. Aber wir wollen keine weitere Marionette der Agrarlobby haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb werden wir die Filzstrukturen in der bayerischen Agrarpolitik zerschlagen; das garantiere ich Ihnen.

(Lachen bei der CSU)

Es ist allerhöchste Zeit, dass sich auch der Landtag damit befasst. Der Untersuchungsausschuss wird Ihnen noch viel Freude bereiten – da bin ich sicher –, auch uns.

Dann wird sich nämlich zeigen, welch großen Einfluss die Fleischindustrie und der Bauernverband auf das Regierungshandeln in Bayern haben. Die bayerische

Bevölkerung hat es satt, dass hierzulande die Interessen der Fleischwirtschaft immer noch mehr zählen als die Sicherheit der Verbraucherinnen und Verbraucher.

Dass Bayern schon wieder das Zentrum eines Fleischskandals ist, dass bayerische Aufsichtsbehörden schon wieder in katastrophaler Weise versagt haben, ist eben kein Zufall. Selbst wenn sich Minister Sinner wirklich ernsthaft um Verbraucherschutz im Rahmen dessen, was in Bayern möglich ist, bemüht haben mag, so ist er doch an den bestehenden Strukturen und Machtverhältnissen gescheitert. Er hatte im Kampf gegen die Agrarlobby um mehr Verbraucherschutz keinen Rückhalt, weder bei Ihnen, meine Damen und Herren von der CSU, noch bei Ministerpräsident Dr. Stoiber. Er ist auf dem bayerischen Sonderweg gestolpert. Statt auf gesetzliche Vorgaben setzt die Staatsregierung ja immer lieber auf freiwillige Vereinbarungen und Selbstverpflichtungen, und jedes Mal fällt sie damit auf die Nase.

Minister Sinner trägt aber genauso wie seine Vorgänger Stamm und Miller, der heute und schon die ganze Zeit zur Diskussion steht, auch persönliche Verantwortung. Mit dem Scheitern von Minister Sinner ist der bayerische Sonderweg am Ende. Die BSE-Politik von Ministerpräsident Stoiber ist am Agrarfilz gescheitert. Das beharrliche Schweigen des Ministerpräsidenten nehmen wir als stilles Eingeständnis seines Versagens. Wieder einmal drückt sich der selbsternannte große Macher vor der Verantwortung und lässt andere allein den Kopf hinhalten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Frau Christine Stahl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Deshalb ist er heute auch nicht da!)

Für die Rahmenbedingungen, an denen Minister Sinner gescheitert ist, ist einzig und allein der Ministerpräsident verantwortlich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Er hat Minister Sinner den Rücken nicht gestärkt, im Gegenteil: Er hat dafür gesorgt, dass er sich an der Lobby aufarbeiten musste. Zum Lohn lässt er ihn heute alleine im Regen stehen, weil er Angst hat, ein paar Spritzer abzubekommen. Diese Angst ist berechtigt; denn dafür, dass in Bayern die kurzsichtigen Interessen der Fleischindustrie mehr zählen als die Schutzbedürfnisse der Verbraucherinnen und Verbraucher, ist allein Ministerpräsident Stoiber verantwortlich, sonst niemand. Er allein ist dafür verantwortlich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Ministerpräsident ist allerdings nicht nur für die Spielregeln dieses miserablen Spiels verantwortlich; der Ministerpräsident ist bei diesem dreckigen Spiel der oberste und wichtigste Mitspieler. Das ist der eigentliche Skandal.

(Lebhafter Widerspruch bei der CSU – Meyer (CSU): Sauerei! – Weitere Zurufe von der CSU – Große Unruhe)

Der bayerische Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber persönlich macht sich immer wieder zum Erfüllungsgehilfen der Agrarlobby.

(Fortgesetzte Unruhe – Zahlreiche Zurufe von der CSU)

Er macht sich zum Handlanger des Bauernverbands und von Fleischkonzernen. Das ist ungeheuerlich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CSU)

Eine Sonntagsbesprechung in der Staatskanzlei machte aus dem vorher lobbyfesten Minister Sinner einen filzweichen Erfüllungsgehilfen.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Wilhelm (CSU))

Da saßen sie beieinander: Ministerpräsident Stoiber, Staatsminister Erwin Huber und der Präsident des Deutschen Bauernverbandes Sonnleitner.

(Meyer (CSU): Und?)

Sie saßen beieinander und handelten das weitere Schicksal der Rinderhälften von Südfleisch aus, und sie handelten das weitere Schicksal von Minister Sinner aus. Das ist der wirkliche Skandal.

(Meyer (CSU): Waren Sie dabei?)

Dafür wird auch Ministerpräsident Stoiber persönlich eine Quittung erhalten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wider- spruch bei der CSU)

Herr Minister Sinner, für Ihre Sündenfälle tragen Sie ganz persönlich Verantwortung. Stets haben Sie selbst gehandelt, auch da, wo Sie sich zum Erfüllungsgehilfen haben machen lassen. Das beginnt bei den fehlenden Standards für Qualitätssicherheit und Kontrolle. Bereits vor einem Jahr haben wir kritisiert, dass die Art, wie die Staatsregierung an die BSE-Problematik heranging, genau die Art war, mit der sie die BSE-Gefahr in Bayern verschärft hat. Sie setzte wieder und gegen besseres Wissen auf Freiwilligkeit und den guten Willen aller Beteiligten. Die Selbstverpflichtung und die Freiwilligkeit hatten gerade beim vermeintlichen Gütesiegel QHB dazu geführt, dass es eben keine kontrollierten Qualitätsstandards gab, weil man in Bayern alles ins Belieben der Lobby stellt. Deswegen gab es auch keine BSE-Vorsorgemaßnahmen wie die Entfernung von Risikomaterialien oder BSE-Tests.

Dieses Prinzip ist auch die Ursache des jetzigen BSESkandals. Wieder hat die Staatsregierung auf verpflichtende Maßnahmen wie laborinterne Qualitätssicherung und direkte staatliche Kontrolle leichtfertig verzichtet. Kontrollierte Qualität aus Bayern, so hat Minister Sinner letzthin definiert, bedeute Eigenkontrolle, Fremdkontrolle und amtliche Kontrolle. Diesen Dreiklang gab es nur als Ankündigung. Die Eigenkontrolle fand nicht statt: Südfleisch hat die Zulassung von Milan Westheim nicht

nachgeprüft. Die Fremdkontrolle fand nicht statt: Die Labore mussten sich keinerlei Akkreditierungs- oder Zertifizierungsverfahren unterwerfen. Die amtliche Kontrolle hat ebenfalls versagt; das ist auch offenkundig: Alle staatlichen Ebenen haben es versäumt, auf das illegale Labor hinzuweisen bzw. Unregelmäßigkeiten in der Nürnberger Firma nachzugehen.

Herr Minister, fast jeden Tag gibt es einen neuen Skandal. Jeder Tag bestätigt, dass Sie der Vertuscher der Pfuscher sind.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Güller (SPD))

Das geschlossene Labor in Passau erklärt, es habe mit Ihrem Ministerium, Herr Minister, immer wieder labortechnische Probleme erörtert. In einem Briefwechsel sei es darum gegangen, ob Ringuntersuchungen und verbesserte Kontrollen notwendig seien, aber es habe nie eine befriedigende Antwort vom Ministerium bekommen.

(Glück (CSU): Die Ringuntersuchungen beziehen sich auf das Wasser und nicht auf BSE, das wissen Sie ganz genau!)

Der designierte Präsident des neuen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit ist auch deswegen zurückgetreten, weil Probleme beim Nürnberger Privatlabor zu lange unter der Decke gehalten wurden. Auch hier gibt es einen Briefwechsel.