Protokoll der Sitzung vom 18.04.2002

Der Freistaat Bayern gewährt seit 1989 ein eigenes Landeserziehungsgeld. Hiermit besteht die Möglichkeit, das Kind in den ersten drei Lebensjahren selbst zu betreuen. Das Landeserziehungsgeld beträgt monatlich maximal 256 Euro. Für dritte und weitere Kinder, die ab 2001 geboren sind, erhöht es sich auf monatlich bis zu 307 Euro.

Da der Bund nur für zwei Jahre Bundeserziehungsgeld bezahlt, gewährt Bayern im Anschluss daran für das dritte Lebensjahr des Kindes ein eigenes Landeserziehungsgeld.

Die Voraussetzung für die Gewährung des Landeserziehungsgeldes ist, dass der Antragsteller seit mindestens 12 Monaten vor Antragstellung seinen Wohnsitz in Bayern hat. Ausländische Eltern, deren Kinder die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben, sowie türkische Staatsangehörige haben Anspruch auf Landeserziehungsgeld.

(Zuruf von der SPD: Das muss erst eingeklagt wer- den!)

Das steht schon fest.

Im Jahre 2001 zahlte Bayern 304 Millionen an Landeserziehungsgeld. Ich meine, das ist eine enorme Leistung.

(Zuruf von der SPD: Das steht schon fest?)

Natürlich. Bayern steht im Ländervergleich dank einer jahrzehntelangen soliden Finanzpolitik und der Verantwortung der CSU gut da. Deshalb können wir uns auch einiges leisten.

(Lachen bei der SPD)

Lachen Sie mich aus oder lachen Sie mich an?

(Zuruf von der SPD: Wir lachen Sie an!)

Sehr schön.

Die frühere Bundesregierung hat hervorragende Leistungen in der Familienpolitik erbracht. Das ist einmal zu erwähnen. Ich erinnere an das Erziehungsgeld, den Erziehungsurlaub und an die Erhöhung des Kindergeldes um 50 auf 220 DM bereits im Jahre 1998. Die rotgrüne Bundesregierung hat das Kindergeld wegen der Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts zur Familienpolitik vom 10.11.1999 für die ersten und zweiten Kinder nur um 50 DM erhöht und die dritten und weiteren Kinder vergessen. Auch das muss gesagt werden.

(Hoderlein (SPD): Über wen hat da das Bundesverfassungsgericht wohl geurteilt?)

Nach dem Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung haben sich die sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen für Familien mit mehr als drei Kindern seit dem Amtsantritt von Rot-Grün erheblich verschlechtert. Das ist so. Sie haben auch vergessen, Mehrkinderfamilien zu bedenken.

Haushaltspolitische Zwänge können uns nicht davon abhalten, familienpolitisch neue Akzente zu setzen. Als ein solcher Akzent ist unser Ziel anzusehen, ein einheitliches Familiengeld von 600 Euro für Kinder bis drei Jahre, 300 Euro für Kinder von drei bis 18 Jahren und 154 Euro für volljährige Kinder in Ausbildung bis zum 27. Lebensjahr vorzusehen. Mit dem Familiengeld verfolgen wir zwei Ziele: Alleinerziehende und junge Familien werden finanziell kräftig unterstützt, um sie in vielen Fällen aus der Sozialhilfe zu holen. Die Hilfen für die Kinder und deren Eltern werden zusammengefasst und damit überschaubarer sowie leichter zu handhaben. Das hilft gerade den Berechtigten aus den unteren sozialen Schichten, ihre Ansprüche wirklich geltend zu machen und schafft Verwaltungsvereinfachung. Natürlich kann wegen des Kostenvolumens die Verwirklichung des Familiengeldes nur stufenweise erfolgen.

Wir wissen alle: Es reicht nicht, den Familien Geld in die Hand zu geben. Wir müssen auch die Infrastruktur in Bezug auf die Kinderbetreuung deutlich verbessern, denn das ist die Voraussetzung für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Schon heute investiert der Freistaat Bayern jährlich mehr als 500 Millionen Euro in diesem Bereich. Das zeigt, wie wichtig uns dieses Thema ist.

Auf unsere Leistung bei der Betreuung der drei- bis sechsjährigen Kinder können wir stolz sein. Wir können in Bayern praktisch jedem Kind einen Kindergartenplatz anbieten. Es fehlt aber an Betreuungsmöglichkeiten für die unter Dreijährigen und für Schulkinder bis zur 10. Klasse. Hier setzt das 300-Millionen-Euro-Programm der Bayerischen Staatsregierung und der CSU-Fraktion an. Bis 2006 werden wir 5000 neue Betreuungsplätze für Kleinkinder und 25000 Plätze für Schüler in Horten und Einrichtungen zur Nachmittagsbetreuung schaffen. Damit erreichen wir eine durchschnittliche Versorgungsquote von 7% für Kleinkinder und 15% für Schüler. Das ist nach heutigen Erkenntnissen ausreichend für den vorhandenen Bedarf.

Frau Kollegin!

Ich werde etwas verkürzen: Sie sehen, wir nehmen unsere Verantwortung für unsere Kinder sehr ernst. Gerade in Zeiten knapper Kassen sind zwei Dinge gefragt: Durchsetzungsvermögen und der politische Wille zu einer Schwerpunktbildung für unsere Kinder und Familien sowie Phantasie und Flexibilität, um mit den vorhanden Mitteln eine optimale Wirkung zu erzielen.

Stellen wir uns den Herausforderungen und setzen wir sie um, für unsere Kinder und eine gute Zukunft. Danke.

(Beifall bei der CSU)

Das waren sieben Minuten. Nächste Rednerin ist Frau Kollegin Hirschmann.

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Während wir uns im Bayerischen Landtag mit Kinderarmut auseinandersetzen und der Kandidat, der Kanzler werden will, dieses Thema leider als nicht so wichtig ansieht – ich komme noch dazu –, sonst wäre er anwesend, diskutiert der derzeitige Bundeskanzler in Berlin über diese Thematik und macht dadurch deutlich, wie wichtig dieses Thema ist.

(Beifall bei der SPD – Kobler (CSU): Sie enttäuschen mich, Frau Kollegin!)

Ich komme wieder auf Bayern zurück und möchte noch einige Anmerkungen machen: Dass Kinder aus sozialschwachen Familien oftmals schlechter ernährt und weniger gesund sind, eine mangelnde Ausbildung erhalten und leichter Opfer von Verwahrlosung oder Kriminalität werden, liebe Kollegen und Kolleginnen von der CSU, ist ein teure Binsenweisheit.

Wenn Sie, Herr Kobler, darlegen, dass die Wohlfahrtsverbände den Sozialbericht, um den wir ringen mussten, um ihn überhaupt zu erhalten, als eine gute Analyse beurteilen, dann ist das die eine Seite. Auf der anderen Seite steht aber die Frage, was in dem Sozialbericht enthalten ist und was seitens der Bayerischen Staatsregierung bei weitem noch nicht auf den Weg gebracht worden ist.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Auch dieses wissen die Wohlfahrtsverbände sehr wohl. Deshalb appellieren sie erneut an die Politik, auch diese Defizite endlich zu beheben, das heißt, sich mit dem Sozialbericht und den Konsequenzen auseinander zu setzen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Herr Kollege Kobler, auch wenn Sie sich noch so sehr dagegen wehren, wird diese traurige Bilanz nicht besser. Sie würde erst dann besser, wenn Sie daran gehen würden, die Maßnahmen, die auch seitens der Wohlfahrtsverbände gefordert werden, umzusetzen. Davor drücken Sie sich und verweisen stattdessen auf die Bundespolitik. Dass dieses Thema der Bundespolitik wichtig ist, beweist die derzeitige Diskussion in Berlin.

Nun kommen ich zu einzelnen Maßnahmen: Wir haben eine Statistik, die auch Ihnen vorliegt und in dem Sozialbericht genannt ist, wonach zum Beispiel die Ausländerbzw. Migrantenkinder Abschlüsse auf unterster Ebene machen, wenn sie überhaupt welche machen. Was tun Sie dagegen? Gar nichts. Es geht darum, dass auch die Gesundheit dieser Kinder zu wünschen übrig lässt. Auch das ist in der Statistik festgehalten. Man muss auf die Ernährungsberatung, auf eine Gesundheitsförderung sowie auf die Regionalberichte, wie Kollege Uli Pfaff

mann dieses gefordert hat, hinweisen. Sie dagegen lehnen diese Maßnahmen im Landtag ab. Dann trauen Sie sich an dieser Stelle zu sagen, Sie würden etwas für die Kinder in Bayern tun und fordern die Bundesregierung heraus.

Ich erinnere in diesem Zusammenhang daran – das hat sehr wohl mit Gesundheit und Wohlbefinden zu tun –, dass Sie den Sportunterricht reduziert haben. Wo sind die Maßnahmen enthalten, die Sie umsetzen könnten?

In diesem Zusammenhang greife ich das auf, was Johanna Werner-Muggendorfer gesagt hat: Sie wollen die Kinderarmut bekämpfen, bekämpfen aber stattdessen die armen Kinder und deren Väter und Mütter hier in Bayern.

(Beifall bei der SPD)

In der Pisa-Studie wurde herausgearbeitet, dass es besonders wichtig ist, die soziale Kompetenz und das soziale Wohlbefinden unserer Kinder und Familien zu unterstützen. Sie sind nicht bereit, dies zu tun. Zum Wohlbefinden gehören die Betreuungseinrichtungen und die Partizipation der Kinder. Das bedeutet, dass man ihre Bedürfnisse ernst nehmen muss. Denken Sie an die Kinderrechtskonvention. Sie tun nichts in Bayern, sondern stellen nur Forderungen an die Bundesregierung in Berlin. Sie tragen eine unredliche Politik auf dem Rücken der Kinder in Bayern aus.

(Beifall bei der SPD)

Als nächste Rednerin hat Frau Staatsministerin Stewens das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident, meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Für mich ist die Diskussion heute ausgesprochen interessant.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN))

Ich kann mich noch gut an die Diskussion über den ersten Sozialbericht der Bayerischen Staatsregierung erinnern, der übrigens der erste Sozialbericht aller Länder Deutschlands war. Der erste Adressat Ihrer Kritik, meine Damen und Herren von der Opposition, war die damalige Bundesregierung, die Kohl-Regierung in Bonn.

(Frau Werner-Muggendorfer (SPD): NordrheinWestfalen hatte schon vorher einen Sozialbericht!)

Darauf zielte damals Ihre Kritik. Heute hört man davon überhaupt nichts mehr. Heute ist die Bundesregierung überhaupt nicht an der Familienpolitik schuld.

(Frau Werner-Muggendorfer (SPD): Wir sind hier in einem Landesparlament!)

Der Bundeskanzler gibt zwar heute eine Regierungserklärung ab, es gibt aber auch von ihm den schönen Aus

spruch, dass „die Bergmann für Frauen und Gedöns zuständig“ ist. Ich frage mich angesichts dieser Worte schon, wie ernst ich die Familienpolitik von Bundeskanzler Schröder nehmen kann.

(Beifall bei der CSU – Zuruf des Abgeordneten Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Weitere Zurufe von der SPD)

Mir liegt die Situation der Familien sehr am Herzen. Deshalb finde ich es schade, dass man diese Debatte für eine etwas flache Auseinandersetzung nutzt.

(Frau Steiger (SPD): Wie bitte? – Frau Werner-Muggendorfer (SPD): Jetzt reicht es wirklich! – Frau Radermacher (SPD): Damit war Herr Kobler gemeint! – Frau Christine Stahl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Auf Flachheiten ist die CSU abonniert!)

Ich möchte Sie noch auf eines aufmerksam machen. Die Sozialhilfedichte ist in Bayern im Vergleich zu allen anderen Bundesländern am niedrigsten. Sie wissen das ganz genau. Was wir brauchen, um Armut, auch Kinderarmut, zu beheben, ist erstens eine gute und vernünftige Familienpolitik, die aus vielen Facetten besteht, zweitens natürlich eine gute Bildungspolitik und drittens eine gute Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik und eine Entriegelung des Arbeitsmarktes, um mehr Arbeitsplätze zu schaffen.