Protokoll der Sitzung vom 18.04.2002

(Beifall bei der CSU – Lachen bei der SPD)

Lassen Sie mich nunmehr – soweit die Zeit noch reicht – zehn Thesen zur Bekämpfung der Kinderarmut nennen, die mir wichtig erscheinen. Erstens. Kinderarmut ist in einem Sozialstaat, der von Wohlstand gekennzeichnet ist, in der Tat ein Skandal. Die Auswirkungen für die Kindesentwicklung sind im Hinblick auf die Ausgrenzung in verschiedenen Lebensbereichen überaus negativ.

Zweitens. Es ist deshalb Ziel der Familienförderpolitik der CSU, Kindern und ihren Familien die Möglichkeit zu geben, durch präventive Maßnahmen nicht in die Situation zu kommen, Sozialhilfe beziehen zu müssen.

Drittens. Dieses Ziel soll – und das wurde wiederholt angesprochen – durch die Einführung eines Familiengeldes erreicht werden, das in den ersten drei Jahren 600 Euro pro Kind und Monat beträgt.

Viertens. Entscheidend für die Planung der Familien ist die Herstellung einer wirklichen Wahlfreiheit. An dieser Stelle möchte ich noch einmal auf die Redebeiträge der Opposition eingehen. Ich habe den Eindruck, Sie wollen nicht verstehen, was wir mit dem zweigleisigen Weg erreichen wollen: einerseits die Kinderbetreuungsangebote verbessern und ausbauen und andererseits die finanzielle Unabhängigkeit der Familien erreichen. Sie hingegen wollen den Familien den Lebensweg vorschreiben, und da gehen wir nicht mit.

(Beifall bei der CSU – Frau Steiger (SPD): Einbahnstraße!)

Fünftens. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Familienurteil die autonome Entscheidung der Familien über ihre Perspektiven ausdrücklich bestätigt. Das sollten wir konsequent beachten.

Sechstens. Die Entscheidung von Rot-Grün, diese Entscheidung umzusetzen, war absolut unzureichend und entspricht nicht dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Die vorgegebene Autonomie ist so nicht erreicht worden.

Siebtens. Es ist skandalös, dass die Familien, insbesondere aber die Alleinerziehenden – Frau Staatsministerin Stewens hat darauf hingewiesen –, diese Entlastung letzten Endes selbst finanziert haben. Das hat auch die Schwester des Bundeskanzlers zu Recht beklagt.

(Beifall bei der CSU – Lachen bei Abgeordneten der SPD – Frau Werner-Muggendorfer (SPD): Mein Gott!)

Achtens. Auch die neuen Pläne von Rot-Grün sollen durch die Familien selbst finanziert werden. Die von Ihnen immer wieder geforderte Abschaffung des Ehegattensplittings würde gerade junge Familien in ihrer Wahlfreiheit treffen. Sie wäre schädlich für die Familiengründungsphase.

(Frau Werner-Muggendorfer (SPD): Da muss man erst mal etwas auwählen können!)

Neuntens. Die Förderung bestimmter, besonders von Armut Betroffener – ich denke hier vor allem an die Alleinerziehenden und Migranten –, muss zu einer Weiterentwicklung der Familienpolitik führen.

Deshalb ist folgendes besonders wichtig, und das ist dann auch meine zehnte These. Wenn man Armut aktiv bekämpfen will, dann darf man eine entsprechende Politik nicht erst dann betreiben, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist, meine Damen und Herren. Wir müssen vielmehr präventiv tätig sein. Prävention aber bedeutet zum einen die Stärkung der Familien in ihrer Erziehungsarbeit und zum anderen, dass durchschnittlich verdienende Familien nicht unter die Armutsgrenze fallen.

(Beifall bei der CSU – Frau Steiger (SPD): Prävention ist aber mehr!)

Familienpolitik müssen wir deshalb nicht nur als im besten Sinne des Wortes gemeinte Sozialpolitik betreiben, sondern wir müssen sie als einen wesentlichen Bestandteil der Wirtschaftspolitik sehen. Nur dann wird es uns gelingen, den Familien und ihren Kindern einen Weg zu weisen, den Sie mit Ihrer Politik im Interesse der Kinder nicht gehen können.

(Beifall bei der CSU)

Nun hat noch Frau Kollegin Schopper das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen! Herr Kollege Unterländer, Sie haben sich mit Verve noch einmal für das Familiengeld eingesetzt und gesagt, es werde zu einer Pionierleistung Ihres in seinem Bestreben hoffnungsvollen Kanzlerkandidaten sein. Ich sage Ihnen aber noch einmal: Dieses Familiengeld ist zur Zeit nichts anderes als eine Luftbuchung. Es wird im guten Glauben finanziert, dass der Kandidat nach dem Motto „Der Aufschwung bin ich!“ Geld in die Kassen spülen soll. Dies ist eine leere Versprechung, die ich im derzeitigen Stadium für zutiefst unseriös halte.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Sozialhilfe ist kein Almosen, hier gebe ich Frau Prof. Männle Recht. Es besteht ein Rechtsanspruch darauf. Die finanzielle Decke ist für die Kinder und die Familien aber oft zu kurz. Leider wurde auch durch Sie, durch die CSU-Fraktion, der Sozialhilfeempfang in einem Atemzug mit dem Missbrauch von Sozialhilfe genannt. So ist dieses Lebensgefühl entstanden, dass der Sozialhilfebezug eben doch ein Almosen ist. Das ist auch der Grund, warum wir eine derart hohe, verdeckte Armut haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Wir müssen Konsequenzen ziehen, und das bedeutet, dass wir versuchen müssen, eine materielle Besserstellung zu erreichen. Doch diese Verbesserung muss zielgenau erfolgen. Denn wir können in Zeiten knapper Kassen das Geld nicht mit der Gießkanne verstreuen. Wir müssen da ansetzen, wo die einkommenschwachen Familien mit ihren Kindern sind. Hierfür ist die Grundsicherung ein Beitrag, und die haben wir seriös gegenfinanziert.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Um die Armut zu verhindern, ist die Kinderbetreuung ein wesentlicher Beitrag. So ist es möglich, dass Familien mit Kindern gar nicht erst in die Armut abrutschen. Frau Prof. Männle, ich gebe Ihnen Recht: Was den Unterhaltsvorschuss anbelangt, so verärgern mich diese Fakten zutiefst. Es gibt viele Väter, die zahlen könnten, die sich aber ihrer Verpflichtung entziehen. An dieser Stelle muss ich sagen, nicht zu zahlen, ist kein Kavaliersdelikt.

Diese Männer sind für mich gewissenlose und verantwortungslose Gesellen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wir müssen Kreisläufe durchbrechen, und das heißt für mich, in der Bildungspolitik anzusetzen. Nur mit einer besseren Bildung lassen sich diese Kreisläufe durchbrechen. Bildung ist die Grundlage, damit Armutsbiografien nicht weitervererbt werden. Deshalb müssen wir an diesem Punkt in den Kindergärten und in den Institutionen ansetzen. Wir müssen niedrigschwellige Angebote für die Eltern bereitstellen. Die Eltern gehen nicht in die Beratungsstellen, deshalb müssen sie dort abgeholt werden, wo sie stehen. Nur so kann die Kompetenz der Familien verbessert werden.

Ich finde es reichlich albern, wenn wir hier darüber streiten, wer den ersten Armutsbericht geschrieben hat und ob das in Bayern oder in Nordrhein-Westfalen war. Das ist eine lächerliche und nicht verständliche Debatte. Armutsberichte müssen für uns Politiker Handlungsanweisungen sein und Konzepte bieten, damit wir sehen können, wo wir die Selbsthilfe der Familien unterstützen können. Wo können wir Hilfe zur Selbsthilfe geben? Wo brauchen wir größere materielle Abfederung? Wo müssen wir präventiv gegen Armut tätig werden? Eine der wichtigsten Fragen aber ist: Wo können wir die Stellschrauben in der Bildungspolitik anders drehen, damit die Kinder den Kreislauf der Armutsvererbung durchbrechen? Ich sage es noch einmal: Es darf bei uns nicht Stand der Dinge werden, dass Kinder für ihre Eltern haften. Das muss das handlungspolitische Konzept Nummer 1 für die Sozialpolitik und für die Wirtschaftspolitik sein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNBEN und bei der SPD)

Die Aktuelle Stunde ist beendet. Ich lasse über die mitberatenen Dringlichkeitsanträge abstimmen. Das ist zunächst der Dringlichkeitsantrag der SPD-Fraktion betreffend „Kinder- und Jugendarmut verhindern“, Drucksache 14/9224. Wer dem Dringlichkeitsantrag zustimmen will, denn bitte ich um das Handzeichen. Das sind die Fraktionen der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und Herr Kollege Hartenstein interjection: (fraktionslos). Gibt es Gegenstimmen? – Das ist die Fraktion der CSU. – Gibt es Stimmenthaltungen? – Keine. Der Dringlichkeitsantrag ist abgelehnt.

Jetzt lasse ich über den Dringlichkeitsantrag der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN betreffend „Wege aus der Armutsfalle – sozial benachteiligte Kinder fördern“, Drucksache 14/9225 abstimmen. Wer diesem Dringlichkeitsantrag zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. Das sind die Fraktionen der CSU, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und Herr Kollege Hartenstein (fraktionslos). Gibt es Gegenstimmen? – Keine. Stimmenthaltungen? – Auch keine. Dieser Antrag ist damit angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den nachgezogenen Dringlichkeitsantrag der CSU-Fraktion betreffend „Gesamtkonzeption zur Familienförderung – Prävention gegen Kinderarmut“, Drucksache 14/9237. Wer diesem Dringlichkeitsantrag zustimmen möchte, bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktion der CSU und Herr Kollege Hartenstein (fraktionslos). Gibt es Gegenstimmen? – Die Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN. Stimmenthaltungen? – Keine. Damit ist dieser Antrag angenommen.

Der Tagesordnungspunkt 1 ist damit erledigt.

Ich rufe auf:

Tagesordnungspunkt 2 a

Gesetzentwurf der Staatsregierung

zur Änderung des Lebensmittelüberwachungsgesetzes (Drucksache 14/9150)

Erste Lesung –

Der Gesetzentwurf wird vonseiten der Staatsregierung nicht begründet. Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Im Einvernehmen mit dem Ältestenrat schlage ich vor, den Gesetzentwurf dem Ausschuss für Sozial-, Gesundheitsund Familienpolitik als dem federführenden Ausschuss zu überweisen. Besteht damit Einverständnis? – Jawohl. Das ist so beschlossen.

Ich rufe auf:

Tagesordnungspunkt 2 b

Gesetzentwurf der Staatsregierung

zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes (Drucksache 14/9151)

Erste Lesung –

Der Gesetzentwurf wird vonseiten der Staatsregierung begründet. Herr Staatsminister Dr. Beckstein hat das Wort.

Herr Präsident, Hohes Haus, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Vielfalt der örtliche Verhältnisse verlangt nach unterschiedlichen Lösungswegen, die nur vor Ort sachgerecht getroffen werden können. Der bayerische Gesetzgeber hat daher in den vergangenen Jahren konsequent die kommunalen Gestaltungsspielräume erweitert, Genehmigungspflichten abgebaut und die staatliche Rechtsaufsicht über die Kommunen in eine Ermessensaufsicht umgestaltet. Diesen Weg setzt der vorliegende Gesetzentwurf für das Kommunalabgabenrecht fort, der unter anderem die folgenden wesentlichen Änderungen vorschlägt: Den Kommunen wird das traditionelle Recht zurückgegeben, Grundstücksanschlüsse auch im öffentlichen Straßengrund wahlweise selbst über Abgaben in Kommunalregie zu bewirtschaften oder die Anlieger zur Anliegerregie zu verpflichten. Ich hebe hervor, dass es ein kommunales Wahlrecht geben soll. Die Verhältnisse sind unterschiedlich.

Städtebauliche Verträge, die zwischenzeitlich fester Bestandteil des Bundesbaurechts sind, werden aus Sicht des landesrechtlichen Abgabenrechts abgesichert. Bei örtlichen Verbrauchs- und Aufwandssteuern soll die Abweichung von einer staatlichen Mustersatzung nicht mehr zur Genehmigungspflicht führen. Lediglich die erstmalige Einführung einer neuen Steuer bleibt genehmigungspflichtig. Bei Straßenausbaubeiträgen sind die Gemeinden nicht mehr verpflichtet, von Fall zu Fall Sondersatzungen zu erlassen. Vielmehr sollen besondere Vorteilslagen vornehmlich am Maßstab der jeweiligen Standards beurteilt werden. Bei der Hundesteuer wird sichergestellt, dass Informationen, die die kommunalen Steuerämter über Hunde – vor allem über Kampfhunde – haben, im Gefahrenfall an die zuständige Sicherheitsbehörde weitergegeben werden können. Hier wird eine entsprechende Befugnisnorm geschaffen, wie dies der Datenschutzbeauftragte angeregt hat.

Der breit angelegte Gesetzentwurf enthält noch eine Reihe weiterer Änderungen, von denen an dieser Stelle vor allem die Erweiterung der Beitragsprivilegierung für Gebäude ohne Anschluss und Anschlussbedarf erwähnt sei – ein Thema, das wir alle kennen.

Die brisanteste Änderung ist sicherlich die Wiederermöglichung der Anliegerregie, auf die ich kurz näher eingehen möchte. Dieser Vorschlag reagiert vor allem auf eine im Jahr 2000 ergangene Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs – VGH –, die in der kommunalen Praxis zu großen Schwierigkeiten geführt hat. Vor allem in bayerischen Großstädten werden die Grundstücksanschlüsse in Anliegerregie bewirtschaftet. Dieses Modell hat sich in der Praxis bewährt. Es vermeidet Kosten der öffentlichen Hand und stellt einen klassischen Fall der Aufgabenprivatisierung dar. Der VGH kam zu dem Ergebnis, dass für die im öffentlichen Straßengrund liegenden Grundstücksanschlüsse ausschließlich die Kommunen zuständig seien. Das Gericht nahm eine sehr weite Auslegung einer Bestimmung aus dem Jahr 1993 vor.

Nach dem VGH hätten manche Kommunen auch die Verantwortung für die bisherigen Privatanschlüsse übernehmen und die bei der Reparatur anfallenden Kosten auf alle Gebührenzahler im Rahmen von Beiträgen oder Gebühren umlegen müssen. Dieser Zwang der Rechtsprechung zur Kommunalregie hätte zu einer allgemeinen Abgabensteigerung und in Gemeinden mit reiner Gebührenfinanzierung zu einer Lastenverschiebung etwa auf die Mieter geführt. Außerdem können gerade für die Reparatur solcher Anschlüsse, die von den Anliegern in der Vergangenheit nicht ordnungsgemäß instand gehalten wurden, beträchtliche Kosten entstehen. Es wäre fragwürdig, die Kommunen dazu zu zwingen, die Kosten auch auf diejenigen Anschlussnehmer zu verteilen, die ihre Pflichten erfüllt haben.