Protokoll der Sitzung vom 15.05.2002

Nächster Redner ist Herr Kollege Dinglreiter. Bitte schön.

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Wörner hat mit dem Wahlkampf begonnen, und wenn ich mir vergegenwärtige, was er gesagt hat, kann ich nur feststellen: Der Wahlkampf verführt allenfalls zu dummen Sprüchen.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU)

Mehr haben wir nicht gehört. Herr Wörner, das, was Sie anmahnen, um Arbeitnehmer zu schützen, ist gescheitert. Sozial ist, was Arbeit schafft, und das haben Sie nicht erreicht. Da hilft alles nichts, was Sie hier erzählen.

Wir wollen nicht nur ein Tariftreuegesetz, sondern Bayern hat es angestoßen, wie Sie am Schluss noch erwähnt haben. Im Dezember 2000 gab es eine Initiative des Freistaats zur Ermächtigung des Landesgesetzgebers, für Bauaufträge von öffentlichen Auftraggebern Tariftreue einfordern zu können. Kaum sind eineinhalb Jahre vergangen, hat die Bundesregierung „schon“ ein Gesetz geschaffen. Das ist hervorragend. Da muss man sich auch noch damit brüsten, dass das etwas Besonderes sei. Wir brauchen da also keine Nachhilfe von Ihnen, absolut nicht.

Es geht darum, dass die Länder in ihrem eigenen Zuständigkeitsbereich auch in eigener Verantwortung entscheiden können. Mehr wollen wir nicht.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU)

Der Bund soll das für seinen Bereich tun.

Lassen Sie mich einige Anmerkungen zum Grundsätzlichen machen. Der Bundestag hat am 26. April 2002 das Gesetz zur tariflichen Entlohnung bei öffentlichen Aufträgen und zur Einrichtung eines Registers über unzuverlässige Unternehmen beschlossen. Mit diesen Beschlüssen wird zum einen ein Tariftreuegesetz und zum anderen die gesetzliche Grundlage für die Einrichtung eines Registers unzuverlässiger Unternehmen geschaffen. Das ist im Grundsatz unbestritten.

Dem Tariftreuegesetz zufolge sollen öffentliche Auftraggeber Aufträge über Baumaßnahmen und im öffentlichen Verkehr Aufträge ab 100000 Euro nur an Unternehmen vergeben können, die sich verpflichten, mindestens den einschlägigen Tariflohn zu zahlen. Dies ist auch von ihren Nachunternehmern zu verlangen. Dies soll durch Vertragsstrafenregelungen und die Möglichkeit, bei grob fahrlässigem Verstoß gegen die Tariftreueregelung auch fristlos zu kündigen, abgesichert sein.

Der Entwurf dieses Gesetzes wurde am 1. Februar 2002 im Bundesrat behandelt. Dort war es nicht so, dass nur der Freistaat Bayern oder andere oder nur die ostdeutschen Länder Einwände dagegen gehabt hätten. Es wurde eine ganze Reihe von Wünschen geäußert, zum

Beispiel auch von Nordrhein-Westfalen. Einiges von dem, was gerade die ostdeutschen Länder wollten, ist in diesem Gesetz auch berücksichtigt worden. Dennoch gibt es noch Handlungsbedarf.

Wenn das Tariftreuegesetz kontrovers diskutiert wurde wie in der Bundestagsdebatte, dann kann man nicht allen Argumenten, die dagegen aufgeworfen werden, von vornherein ihre Berechtigung absprechen, auch wenn wir sie in Bayern nicht teilen. Da gibt es vieles, was bedenkenswert ist. Ich rate Ihnen, lesen Sie die Protokolle einmal nach.

Vor allem von den Ländern Ostdeutschlands wird dieses Tariftreuegesetz kontrovers beurteilt, weil dort die massive Angst vorherrscht, dass Betriebe, die unter Tarif bezahlen, und zwar vereinbart zwischen Betriebsrat und Unternehmen, möglicherweise von öffentlichen Aufträgen generell ausgesperrt werden könnten.

Das ist die Befürchtung, die Sachsen und Thüringen einbringen.

Deshalb, denke ich, muss man sich erst einmal damit beschäftigen, ob man es in einer generellen gesetzlichen Regelung auf der deutschen Ebene hinnehmen kann, dass ostdeutsche Unternehmen Nachteile erleiden. Aber das gilt nicht nur für Ostdeutschland, das gilt auch für andere.

Sie müssen auch einmal, wenn ich das einflechten darf – weil Sie den öffentlichen Personennahverkehr angesprochen haben –, sehen, ob es richtig ist, was der MVV privaten Unternehmern bezahlt. Ich höre immer wieder, dass Unternehmer sagen: Ich kann nicht tariflich bezahlen, denn dann muss ich aufhören! Wollen Sie, dass die Stadtwerke dann selber alles betreiben müssen? Wir wollen auch Privaten eine Chance geben. Da ist vieles zu tun. Klopfen Sie zunächst einmal an ihre eigene Brust, anstatt anderen immer Vorhaltungen zu machen, was sie alles versäumen!

Es gibt also eine ganze Reihe von Dingen, die da zu berücksichtigen sind. Aus diesem Grund sind wir der Auffassung: Das Tariftreuegesetz soll für den Bund gelten, so wie es ist. Das Tariftreuegesetz soll im Grundsatz für die Länder gelten, wie es ist, aber es soll eine Öffnungsklausel eingefügt werden, damit Länder in begründeten Fällen eigene Regelungen treffen können. Das ist unser Beschluss; den halten wir für richtig. Ihrem Vorschlag können wir nicht zustimmen.

(Beifall bei der CSU)

Als Nächste hat Frau Staatsministerin Stewens das Wort.

Herr Präsident, meine Kolleginnen und Kollegen! Als Erstes sage ich ganz klar: Bayern steht zu den Vorgaben im Beschäftigungspakt. Ich möchte eines sagen: Man muss sich natürlich einmal anschauen, was im Beschäftigungspakt unter Punkt 4 steht: „Der Freistaat Bayern verpflichtet sich, bei der Vergabe neuer Bauaufträge

vom Auftragnehmer Tariftreueerklärungen und eine Nachunternehmererklärung einzuholen, nach der mindestens 70% der Leistungen im eigenen Betrieb auszuführen sind.“

Der Freistaat Bayern hat sich in Abfolge des Beschäftigungspaktes immer an die Vorgaben gehalten. Für die Tariftreue war ja die rechtliche Grundlage erst einmal das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen. Danach hat er die Tariftreue in einem eigenen Landesgesetz umgesetzt. Am 01.07.2000 ist das Bauvergabegesetz in Bayern in Kraft getreten.

Dann hat der Bundesgerichtshof gesagt, dass für dieses Landesvergabegesetz die bisherige Bundesermächtigung nicht ausreicht. Daraufhin haben wir, Herr Kollege Wörner, eine Bundesratsinitiative eingereicht, aber, bitte schön, mit dem § 5 a zum Tariftreuegesetz. Das ist in unserem Haus mit dem DGB ausgehandelt worden.

(Zuruf des Abgeordneten Wörner (SPD))

Was wir wollen, ist die Länderöffnungsklausel, die Ermächtigung für die Länder, aber nicht die Verpflichtung für die Länder. Das ist das ganz große Problem. Wir haben uns auf die Ermächtigung für die Länder mit den Gewerkschaften geeinigt; das ist unser föderaler Ansatz. Wir brauchen nämlich für die regionalen und wirtschaftlichen Unterschiede des Bundes und der Länder, insbesondere der neuen Länder, differenzierte Lösungen, auch für die strukturschwachen Gebiete. Das hat Kollege Dinglreiter hier schon klar ausgeführt.

Deswegen bitte ich Sie, den SPD-Dringlichkeitsantrag abzulehnen. Der CSU-Dringlichkeitsantrag ist hier sehr passgenau und wird den Vorgaben, die wir brauchen, voll gerecht.

(Beifall bei der CSU)

Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Wörner.

Wissen Sie, Herr Dinglreiter, ich neige nicht dazu, Reden nur für die Presse zu halten,

(Zurufe von der CSU: Ach!)

sondern ich gehe davon aus, dass diese Reden woanders landen sollen. Wenn sie Sie nicht interessieren, kann ich das zwar nicht nachvollziehen, aber sie interessieren Sie dann genauso wenig wie den Herrn Ministerpräsidenten, der seit 15 Uhr irgendwo in einem Chatroom sitzt, anstatt hier, um sich mit seiner Frau darzustellen.

(Zuruf von der CSU: Das ist doch dummes Zeug! – Weitere Zurufe von der CSU)

Hier steht es. Wenn Sie wollen, gebe ich es Ihnen.

(Zuruf von der CSU: Was soll dieser Quatsch?)

Herr Kollege Wörner, der Ministerpräsident ist entschuldigt in einer Art, über die man nicht diskutieren muss. Deswegen bitte ich doch herzlich, das zu unterlassen.

(Beifall bei der CSU)

Herr Präsident, dann scheint diese Zeitungsmeldung, die mir vorliegt, falsch zu sein.

(Widerspruch bei der CSU)

Gut. Dann nehme ich das so zur Kenntnis. Dann ist die Zeitungsmeldung – –

Also, Herr Kollege Wörner, wenn Sie mit mir streiten wollen, dann machen wir das im Ältestenrat, aber bitte nicht hier.

(Beifall bei der CSU – Zuruf von der CSU: Ruhe jetzt! – Heiterkeit)

Herr Kollege, wer ruhig ist, das bestimmen nicht Sie.

Herr Dinglreiter, Ihre Erwiderung war ja verräterisch. Sie sagen, Sie wollen dem Gesetz mit der Länderöffnungsklausel zustimmen, weil Sie damit sicherstellen wollen, dass die Beschäftigten, die im Osten unter Tarif bezahlt werden, trotzdem ihre Wettbewerbschance bekommen. Was soll denn das?! Sie wollen also diesen Wettbewerb mit Bezahlung unter Tarif anheizen. Sie geben damit zu, dass Sie Tarifflucht betreiben, mit betreiben im Rahmen des Wettbewerbs.

(Widerspruch bei der CSU)

Selbstverständlich. Nichts anderes haben Sie gesagt.

Wenn Sie nach München zeigen, gebe ich Ihnen sogar Recht. Ich gebe Ihnen Recht, dass in München Dumpinglöhne gezahlt werden. Da benutzt man die Privaten gegen die Städtischen und dann wiederum die Städtischen gegen die Privaten, um Löhne nach unten zu drücken. Aber warum geht denn das? Weil offensichtlich die bayerische Regelung nicht greift, die Sie ständig lobend erwähnen, aber nie zur Anwendung bringen, wenn es hart auf hart geht, weil Sie nämlich gar nicht können, weil die Regelung folgenlos ist. Sie ist folgenlos und deswegen unnütz.

Deswegen bedarf es eines Gesetzes. Noch einmal: Deswegen bedarf es eines Gesetzes ohne Länderöffnung. Wir werden dieser Länderöffnung nicht zustimmen. Wegen der Bedeutung dieses Antrages beantrage ich namentliche Abstimmung.

(Unruhe)

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin der Meinung, diese Regelung ist richtig – ohne Länderöffnungsklausel, ohne Wenn und Aber, weil wir genau das, was Sie, Herr Dinglreiter, gesagt haben –

die Öffnung für untertariflich Bezahlte –, verhindern wollen. Sonst bräuchten wir doch dieses Gesetz nicht!