Protokoll der Sitzung vom 15.05.2002

die Öffnung für untertariflich Bezahlte –, verhindern wollen. Sonst bräuchten wir doch dieses Gesetz nicht!

Sie stellen sich hier hin und geben zu, dass Sie untertariflich Bezahlte in diesen Wettbewerb lassen wollen, und da spielt es keine Rolle, woher die kommen, sondern das setzt diese Schraube des Lohndumpings permanent in Bewegung. Diese untertariflich Bezahlten müssen aus diesem Wettbewerb ausgeschlossen werden, um sicherzustellen, dass die Lebensplanung von Menschen nicht im Acht-Jahres-Takt erfolgt; so lange sind nämlich in der Regel die Vergabezeiten. Es kann nicht sein, dass wir Menschen in den Acht-Jahres-Takt schicken, in die soziale Verunsicherung.

Wir sind nach wie vor der Meinung, dass das Tariftreuegesetz dringend erforderlich ist. Sie geben es ja zu, Frau Ministerin, dass Sie dazu den Anstoß gegeben haben, dann aber im Bundesrat gescheitert sind, was ich bedauere. Jetzt wollen Sie es selber verwässern. Das ist doch das Schlimme: Sie verwässern es!

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Stewens?

(Zurufe von der CSU: Na!)

Ich meine, es ist dringend erforderlich, dass ohne Wenn und Aber alle Lücken geschlossen werden, mit denen versucht wird, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gegeneinander auszuspielen.

(Zuruf von der CSU)

Ich sage es noch einmal: Wer dieses tut, treibt den Rechten zu. Wer dieses will, soll es ehrlich sagen, soll sich damit entlarven als Gegner der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und im Wahlkampf nicht so toll reden, als wäre er an ihrer Seite.

(Zurufe von der CSU: Da ist keine Logik drin!)

Nächste Wortmeldung: Frau Staatsministerin Stewens.(Zuruf von der SPD: Schon wieder! – Gegenruf von der CSU: Auf solche Aus- führungen muss man reagieren!)

Herr Kollege Wörner, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, dass wir in Bayern das Tariftreuegesetz als Ländervergabegesetz haben und Sie hier nicht zu Dumpingpreisen anbieten können. Würden Sie, bitte schön, hier nicht immer etwas erzählen, was den Tatsachen überhaupt nicht entspricht.

(Beifall bei der CSU)

Für das Land Bayern ist es geregelt: Wir haben das Ländervergabegesetz. Deswegen wollen wir auch die Öffnungsklausel: weil dann letztlich jedes Land es regeln

kann, wie es tatsächlich in die eigene, in die regionale Wirtschaftslage auch passt.

Das sollten Sie zur Kenntnis nehmen, anstatt ständig etwas zu behaupten, was überhaupt nicht stimmt.

(Beifall bei der CSU)

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor, und dafür wäre auch keine Redezeit mehr vorhanden. Die Aussprache ist damit geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Weil wir über den SPD-Antrag in namentlicher Form erst in zehn Minuten abstimmen können, können wir jetzt nur über den Antrag der CSU abstimmen. Wer dem Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 14/9458 seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen der CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN. Gegenstimmen bitte ich anzuzeigen. – Das ist die Fraktion der SPD. Damit ist der Antrag angenommen.

Über den anderen Dringlichkeitsantrag lasse ich abstimmen, wenn wir Tagesordnungspunkt 10 erledigt haben.

Ich rufe auf:

Tagesordnungspunkt 10

Antrag der Abgeordneten Maget, Pranghofer, Irlinger und anderer und Fraktion (SPD)

Orientierungsarbeiten in der Grundschule (Drucksa- che 14/8496)

Ich eröffne die Aussprache. Die Redezeit beträgt 15 Minuten pro Fraktion. Ich darf zunächst Frau Kollegin Münzel das Wort erteilen.

(Frau Münzel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist doch ein SPD-Antrag!)

Ich habe die Wortmeldung so notiert vorgefunden und habe angenommen, dass die SPD als Antragsteller zum Schluss sprechen will. Ist das anders? – Herr Kollege Egleder, wollen Sie sofort sprechen? – Bitte schön; es geht um Ihren Antrag; Sie haben das Recht dazu. – Entschuldigung, Frau Kollegin Münzel.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Wir haben den Antrag zur Ablehnung der Orientierungsarbeiten gestellt, weil wir von Seiten der SPD der Meinung sind, dass durch zusätzliche Tests der ohnehin schon erhöhte Druck auf Kinder und Lehrer, den Sie von Seiten der CSU in die Grundschulen gebracht haben, nochmals massiv erhöht wird. Wir sind im Übrigen der Meinung, dass Orientierungshausaufgaben für die bayerische Staatsregierung angebracht wären.

Was das Thema „Bildung sei in Bayern keine Bringschuld des Staates mehr“ betrifft, fordern wir eine Umorientierung von Ihrer Seite, damit dieses Missverständnis aus der Welt geschaffen wird. Ich empfehle Ihnen in diesem Zusammenhang auch, die bayerische Verfassung

nachzulesen. In einigen Artikeln ist genau dieser staatliche Auftrag festgelegt. Es ist elementare Bringschuld des Staates, für die Bildung unserer Bevölkerung in Bayern zu sorgen.

Wir sehen durch diese Orientierungsarbeiten folgende Probleme verschärft auf die Grundschulkinder zukommen. Tatsächlich ist es so, dass bis zum Ende der zweiten Jahrgangsstufe keine Noten vergeben werden. Jetzt sollen die Orientierungsarbeiten zunächst freiwillig – freiwillig heißt im Schulbetrieb in Bayern, dass kein unmittelbarer Zwang auf die Leute ausgeübt wird – in der dritten Jahrgangsstufe durchgeführt werden. Das ist aber nichts anderes als ein Test, jeweils eine Schulstunde lang, in Deutsch und Mathematik. Die Schülerinnen und Schüler und auch die Lehrerinnen und Lehrer wissen genau, was dabei auf sie zukommt. Diese Tests werden jetzt schon an den Grundschulen vorbereitet. In den Klassen – Sie können sich gerne erkundigen – wird im Unterricht schon darauf hingearbeitet. Wir stellen ohnehin fest, dass an unseren Schulen oft von Test zu Test gelernt wird. Das wird in Zukunft eine weitere Stufe sein, auf der nur auf einen Test hin gelernt und gebüffelt werden soll.

Die Kinder an den Grundschulen wissen genau, dass dies einer weiteren Auslese dienen wird, wenn auch momentan noch keine Noten vergeben werden. Wenn auch momentan noch die Schule selbst die Korrekturarbeiten durchführen kann, so ist die Befürchtung groß, dass sich dies in absehbarer Zeit ändern wird, ähnlich wie beim Zentralabitur, das vom Staat nicht nur vorgegeben, sondern auch kontrolliert wird und auch dazu dient – auch das ist von Ihrer Seite schon angekündigt worden –, die Lehrerinnen und Lehrer bei uns in Bayern stärker zu kontrollieren und noch stärker dirigieren zu können, als das bisher der Fall ist. Auch diesen Punkt lehnen wir ganz kategorisch ab. Wir halten das für unnötig. Wir brauchen Schulen, die mehr Demokratie aufweisen. Ihr Ansatz dient nicht der Demokratisierung unserer Schulen; er führt zum genauen Gegenteil.

Wir sehen auch, dass Sie wohl Recht damit haben werden, dass diese Tests von den Lehrerinnen und Lehrern angenommen werden. Dies liegt eben auch daran, dass die Lehrer extrem verunsichert sind. Sie leiden unter der neuen dienstlichen Beurteilung. Sie sehen, dass sie extrem ungerecht ist. Viele Lehrerinnen und Lehrer versprechen sich demgegenüber von diesen Orientierungsarbeiten eine Art Objektivierung der Bewertung ihrer Arbeit. Auch da, glaube ich, sind sie auf dem Holzweg. Dies wird in absehbarer Zeit dazu führen, dass das Ranking auch bei den Lehrern verstärkt wird und damit eine Art Kontrolle und Beurteilung stattfinden wird. Wir lehnen diese zusätzliche Beurteilung strikt ab.

(Beifall bei der SPD)

Wir sehen im Zusammenhang mit der Pisa-Studie, dass es in jenen Ländern, die uns hinsichtlich der Schulergebnisse ihrer Schülerinnen und Schüler weit voraus sind, bis mindestens zur sechsten Jahrgangsstufe überhaupt keine Benotungen gibt. Erst später, in Finnland etwa nach neun Jahren, werden dann Zugangsarbeiten für weiterführende Schulen geschrieben. Ich glaube, das wäre der richtige Weg, um das zu schaffen, was gestern

Herr Glück, der Fraktionsvorsitzende der CSU, eingefordert hat: mehr Eigenverantwortlichkeit zu stärken, in unseren Schulen mehr Pädagogik vom Kinde aus zu betreiben. Ich habe gedacht, ich sei in einer Vorlesung über Reformpädagogik gelandet, als er diese Vorstellungen über Kindgemäßheit entwickelt hat. Mit diesen Orientierungsarbeiten wird aber genau das Gegenteil erreicht. Es wird über einen Kamm geschoren werden, damit wird Gleichmacherei betrieben, den Kindern wird Angst vor diesen zusätzlichen Arbeiten eingeimpft, die in der Grundschule auf sie einströmen werden. Das ist genau das Gegenteil einer kindgerechten, an den Bedürfnissen der Kinder orientierten Arbeit in der Grundschule.

Sie sollten von diesem Irrweg abkommen. Wir von Seiten der SPD haben dagegen gesagt, dass wir es schaffen müssen, in der Grundschule bei der Diagnostik voranzukommen, möglichst schon im Kindergarten damit anzufangen. Es wäre den Einsatz der Edlen von Seiten der CSU wert, diesbezüglich wesentlich mehr zu tun. Die Schule muss dahin kommen, dass das Gespräch nicht nur zwischen Schülern und Lehrern, wie das jetzt im Zusammenhang mit den Ereignissen in Erfurt gefordert wird, sondern gerade auch zwischen Lehrern und Eltern verstärkt wird. Dort muss der Kontakt enger geschlossen werden. Dies ist im Übrigen in den Pisa-Spitzenländern der Fall; dort besteht quasi ein ständiger Austausch zwischen Eltern und Lehrern. Diesbezüglich müssen wir vorankommen, auch über die Änderungen beim Schulforum, damit von Seiten der Eltern von vornherein mehr Mitsprachemöglichkeiten bestehen.

(Beifall bei der SPD)

Auch dies ist eine Forderung, die wir bitten zu unterstützen. Wenn dieser Kontakt eng genug ist, dann brauchen wir diese Orientierungsarbeiten nicht, weil die Eltern dann von den Lehrern über den Lernfortschritt ständig auf dem Laufenden gehalten werden. Das ermöglicht einen kontinuierlichen Überblick über den Lernfortschritt.

Wir fordern auch, dass die Schulen endlich in die Selbstverantwortung entlassen werden. Ich darf Sie von Seiten der CSU daran erinnern, dass dies Worte des ehemaligen Bundespräsidenten sind, der zum Abschluss seiner großen Bildungsrede gesagt hat: Entlassen wir die Schule endlich in die Freiheit. Dem wollen Sie mit diesen Orientierungsarbeiten aber einen weiteren Riegel vorschieben. Das ist kontraproduktiv, das passt nicht in die pädagogische Landschaft, auch nicht in Bayern. Wir brauchen mehr Freiheit für die Schulen, für die Kinder mehr Selbsttätigkeit, mehr Eigenverantwortlichkeit. Wir brauchen für Lehrer mehr Gestaltungsspielräume. Wir brauchen bessere Rahmenbedingungen.

Auch dazu dient dieses Vorhaben mit den Orientierungsarbeiten in keiner Weise.

Wenn Sie uns in absehbarer Zeit einen einzigen Schüler zeigen können, der durch diese Orientierungsarbeiten besser geworden ist oder mehr für seinen Lebensweg mitbekommen hat, sind wir gern bereit, mit Ihnen darüber erneut zu diskutieren. Dies gilt auch, wenn Sie uns

auch nur einen Lehrer zeigen können, der durch diese Orientierungsarbeiten in seiner Arbeit gestärkt oder in seiner pädagogischen Ausrichtung gefestigt worden ist. Ich bin mir sicher, dass Sie uns keinen einzigen Schüler zeigen werden, dem diese Orientierungsarbeiten genutzt hätten.

(Beifall bei der SPD)

Weg mit der falschen Vorstellung, durch immer mehr Auslese könnte eine bessere und breitere Elite geschaffen werden, wie sie in den Pisa-Ländern vorhanden ist. Hier hängen Sie einem Irrglauben an. Das wird durch Ihre verfehlten Maßnahmen in Zukunft ebenso wenig klappen wie bisher. Auslese schafft nicht mehr Leistung. Im Übrigen ist unsere Grundschule in gar keiner Weise leistungsfeindlich, selbst dann nicht, wenn sie diese Orientierungsarbeiten nicht einführt. In unseren Schulen wird bisher schon sehr viel geleistet. Mehr Leistung wird durch die Rahmenbedingungen verhindert, die an unseren Grundschulen denkbar schlecht sind. Sie müssen endlich dafür sorgen, dass die Klassen entsprechend kleiner werden, damit die einzelnen Schüler mehr Zuwendung erhalten. Orientierungsarbeiten sind hier nur schädlich. Ich bitte Sie, von Ihrem Vorhaben Abstand zu nehmen und stattdessen die Anregungen aufzunehmen, die wir heute vorgebracht haben. Angesichts der Voraussetzungen, die wir an unseren bayerischen Schulen vorfinden, werden wir diese Forderungen auch weiterhin mit Nachdruck stellen.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der nächste Redner ist Herr Kollege Schneider.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben soeben ein Sammelsurium von Argumenten gehört, das aus den bildungspolitischen Debatten der vergangenen Jahrzehnte gezogen wurde, um es neu auf den Tisch zu bringen. Herr Kollege Egleder, ich glaube nicht, dass Ihre Einladung, erneut über Orientierungsarbeiten zu diskutieren, ernst gemeint war. Schließlich haben Sie Ihren Antrag, mit dem die Rücknahme der Orientierungsarbeiten gefordert wird, bereits gestellt, bevor der Staatssekretär im Ausschuss erläutern konnte, was mit den Orientierungsarbeiten bezweckt wird.

(Beifall bei der CSU)

Bevor Sie wussten, was mit den Orientierungsarbeiten beabsichtigt ist und welche Inhalte damit verbunden sind, haben Sie vorsorglich einen ablehnenden Antrag formuliert. Dies zeigt Ihre Ernsthaftigkeit bei der Auseinandersetzung mit diesem Thema.

(Beifall bei der CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Markenzeichen der SPD war es, zu diesem Thema Stimmung zu machen, bei den Eltern Angst zu produzieren, Panik zu schüren und Falschinformationen zu streuen. Dabei befand sich