Protokoll der Sitzung vom 25.06.2002

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen, meine Herren! Die deutsche Fußballmannschaft hat zeitlich punktgenau einen Sieg eingefahren, so dass wir ohne wesentliche Verzögerung mit der Vollsitzung beginnen können.

(Allgemeiner Beifall)

Ich eröffne die 91. Vollsitzung. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten; die Genehmigung wurde erteilt.

Meine Damen, meine Herren, bevor wir in die Tagesordnung eintreten, darf ich noch einen nachträglichen Glückwunsch aussprechen. Am 18. Juni feierte Herr Kollege Heinz Mehrlich einen runden Geburtstag. Im Namen des Hohen Hauses und persönlich wünsche ich dem Kollegen alles Gute, vor allem Gesundheit sowie viel Erfolg bei seiner parlamentarischen Arbeit.

(Allgemeiner Beifall)

Nun zur eigentlichen Tagesordnung. Die Aktuelle Stunde ist auf morgen verschoben.

Ich rufe zur gemeinsamen Beratung auf:

Tagesordnungspunkt 2

Antrag der Staatsregierung

Entwurf einer Verordnung zur Änderung der Verordnung über das Landesentwicklungsprogramm Bayern (Drucksache 14/9234)

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Christine Stahl, Dr. Runge, Kellner und anderer und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Abstand nehmen von der Teilfortschreibung des Landesentwicklungsprogramms und vom FOC in Ingolstadt (Drucksache 14/9795)

Ich eröffne die Aussprache. Die Redezeit pro Fraktion beträgt 15 Minuten. Als Erster hat Herr Minister Dr. Schnappauf das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, Hohes Haus! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich möchte als Erstes ein einführendes Wort zur Sinnhaftigkeit des Vorhabens sagen, der Gesamtfortschreibung des Landesentwicklungsprogramms eine Teilfortschreibung für Einzelhandelsgroßobjekte voranzustellen.

Nach dem erfolgreichen Spiel der deutschen Fußballnationalmannschaft eben geht jetzt diese Teilfortschreibung auch in das Finale nach einem unglaublich langen Turnier mit vielen, vielen Runden, in diesem Falle Runden von Gesprächen, von Anhörungen, von Hearings.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN))

Damit ist nunmehr eine Teilfortschreibung im Parlament zur Zustimmung vorgelegt, für welche die Debatte um neue Formen des Handels, um Factory Outlet Centers in Deutschland zwar der Auslöser war, wobei aber heute dem Parlament eine Regelung mit der Bitte um Zustimmung vorgelegt worden ist, die alle Formen großflächigen Einzelhandels erfasst.

Wir haben – das will ich auch noch vor die Klammer gezogen bemerken – bei diesem Thema eine solche Vielfalt von Interessen und auch Interessengegensätzen – unterschiedliche Auffassungen von Städten und Landkreisen, von Ballungsräumen und ländlichen Räumen, von kleinem und mittelständischem Handel und großflächigem Handel –, dass es schier unmöglich ist, eine Regelung zu finden, die sozusagen allen gerecht wird. Das, was Ihnen heute zur Zustimmung auf dem Tisch liegt, ist aber eine Regelung, die sich den unterschiedlichen Positionen angenähert und auf die verschiedenen Interessenlagen Rücksicht genommen hat. Das gilt für die Interessen des ländlichen Raumes in Bayern genauso wie für die Interessen der großen Städte; das gilt für die mittelständisch strukturierten kleinen und mittleren Handelsgeschäfte genauso wie für Entwicklungsmöglichkeiten und Offenheit für Neues.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich als Erstes einige Eckpunkte der Regelung benennen. Ich glaube, ich kann an dieser Stelle auf eine Detaildarstellung verzichten; denn schließlich haben wir in den verschiedenen Ausschüssen über die Details der Regelung intensiv gesprochen. Wichtig ist mir, erneut festzustellen, dass es für ein Factory Outlet Center keine Extrawurst gibt. Wer ein FOC in Bayern errichten will, muss sich mit der gleichen Elle messen lassen wie jeder andere, der einen großflächigen Einzelhandel betreiben möchte.

Was ist unser Kernanliegen? Das Kernanliegen dieser Teilfortschreibung ist es, einen Beitrag zur Lebendigkeit der Innenstädte in Bayern zu leisten. Wir wollen mit Hilfe des Instrumentariums der Landesplanung einen Beitrag dazu leisten, dass die Innenstädte, die Ortskerne in Bayern auch künftig attraktiv, vital und lebendig sind. Wir wollen nicht auf Situationen zusteuern, wie sie da und dort zum Beispiel in Städten in den Vereinigten Staaten bestehen, wo in Downtown eine Stunde nach Geschäftsschluss um 18.00 oder 19.00 Uhr nur noch tote Hose angezeigt ist. Wir wollen, dass in den Innenstädten eine gesunde Mischung von Wohnen und Arbeiten, von Handel, Gewerbe, Freizeit, von Gastronomie und Tourismus besteht.

Zu dieser interessanten, attraktiven Mischung gehört eben auch der Einzelhandel, und zwar eine Vielfalt des Handels von kleinen und mittleren Geschäften und damit auch eines mittelständisch strukturierten Handels.

(Zuruf von der SPD: Das Gegenteil wird eintreten!)

Nun ist die Frage: Wie können wir dieses erreichen, welchen Beitrag kann Landesplanungsrecht dazu leisten?

Wir haben Ihnen ein aufeinander abgestimmtes Beurteilungsinstrumentarium vorgelegt mit einem neuen Verflechtungsbereich, der eigens Maß nimmt am innerstädtischen Handel, und ein System von Abstimmungsquoten, das darauf abgestimmt ist mit einem Ziel: Investitionen in großflächigen Einzelhandel in die Innenstädte, in die Ortskerne, in städtebaulich integrierte Lagen zu lenken. Mit diesem Beurteilungskriterium also sollen auf der einen Seite Investitionen in großflächigen Einzelhandel in Ortskerne und städtebaulich integrierte Lagen gelenkt und auf der anderen Seite Verkaufsflächen begrenzt werden, sodass die Bäume nicht in den Himmel wachsen und nicht riesige großflächige Einzelhandelsprojekte entstehen, die als nicht mehr verträglich anzusehen wären. Damit leisten wir auch einen Beitrag, den Flächenverbrauch in Bayern einzugrenzen, indem Investitionen in den Innenstädten stattfinden sollen und eben gerade nicht auf der grünen Wiese weit vor den Toren der Stadt.

Ich möchte ganz ausdrücklich hinzufügen, dass wir damit die stringenteste Regelung haben, die es in ganz Deutschland gibt, um großflächigen Handel zu lenken und zu begrenzen.

Lassen Sie mich an dieser Stelle, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch ein Wort zu der vielfach geäußerten Kritik sagen, dass die Ausnahmen von dieser zu großzügig bemessen; ja, es ist im Rahmen der verschiedensten Erörterungen einmal die Formulierung gebraucht worden, die Ausnahmeregelungen seien wie offene Scheunentore und würden geradezu einladen.

Wir haben der vielfältigen Kritik, den im Rahmen der Anhörung und ihrer Auswertung geäußerten Bedenken dahin gehend Rechnung getragen, dass wir Ihnen heute eine Regelung vorlegen, die eher ein Nadelöhr ist als ein Scheunentor. Die jetzige Ausnahmeregelung ist derart stringent gefasst, dass zum ersten Mal überhaupt in der Geschichte des bayerischen Landesplanungsrechts eine doppelte Ministererlaubnis eingeführt ist.

(Unruhe bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte das an einem Beispiel deutlich machen. Wenn heute ein großflächiger Einzelhandel beantragt wird, dann ist nicht die Verwaltung – weder die Baugenehmigungsbehörde noch die Regierungen im Rahmen des Raumordnungsverfahrens, nicht einmal die oberste Landesplanungsbehörde, also sprich: die Verwaltung des Ministeriums – ermächtigt, eine Entscheidung zugunsten einer städtebaulichen Randlage zu treffen. Wer eine solche Ausnahme für innenstadtrelevante Sortimente begehrt, braucht eine doppelte Ministererlaubnis: die des zuständigen Städtebauministers und die des Landesplanungsministers. Damit wird deutlich, dass wir diese Erlaubnis sehr hoch hängen und sie ganz eng praktizieren werden, um Ihnen, dem Parlament, darüber letzten Endes auch jederzeit Rechenschaft ablegen zu können.

Neben diesen Regularien in der jetzt vorgelegten Form ist die Stadt-Umland-Regelung von besonderer Bedeutung. Sicher ist das eine besonders schwierige Proble

matik. Wir alle wissen, dass wir heute in den vielfach zitierten Speckgürteln rund um die Kernstädte wirtschaftlich sehr potente Umlandgemeinden haben, die in der Regel nicht auf eine gewachsene Struktur innerörtlichen Handels zurückgreifen können. Das heißt, mit dem System, das wir zugrunde gelegt haben, einen Verflechtungsbereich des innerörtlichen Handels als Ausgangsbasis für die Beurteilung zu nehmen, kommen wir in diesen Fällen nicht weiter, weil ein solcher ausgeprägter innerörtlicher Handel in aller Regel nicht vorhanden ist.

Deshalb haben wir für diese Fälle der 30 Stadt-UmlandBereiche Bayerns eine minimale Rückgriffsregelung geschaffen, die unter bestimmten Voraussetzungen den Rückgriff auf die Einwohnerschaft der Kernstadt im Regelfall grundsätzlich von 7,5% zulässt, ausnahmsweise von bis zu 15% – nämlich dann, wenn es bei geringeren Einwohnerzahlen, also in den ländlichen und in den dünn besiedelten Räumen, notwendig ist, um auch dort zeitgemäße Entwicklungen zu ermöglichen.

Ich möchte mich hier ganz ausdrücklich bei den Kolleginnen und Kollegen der CSU-Landtagsfraktion für die intensive, eingehende Beratung gerade auch zu diesem Punkt bedanken, lieber Kollege Adolf Dinglreiter, lieber Walter Hofmann, lieber Henning Kaul und andere, die sich in den letzten Monaten ganz eingehend mit der Stadt-Umland-Problematik auseinander gesetzt haben. Ich glaube, dass jetzt eine Regelung gefunden worden ist, welche die Kirche im Dorf lässt und Wege nach vorn aufzeigt, ohne dass wir dadurch das Kind mit dem Bade ausschütten.

(Zuruf von der CSU: So ist es!)

Ein letztes Wort zur kommunalen Mitverantwortung. Es ist in den Diskussionen häufig der Eindruck erweckt worden, als ob mit den staatlichen Vorgaben die abschließende und alleinige Entscheidung getroffen wird für die Ansiedlung von großflächigen Einzelhandelsvorhaben in Bayern. Ich will an der Stelle doch ganz deutlich machen, dass keine Kommune verpflichtet ist, ein Baugebiet für ein Einzelhandels-Großprojekt auszuweisen. Wenn das nicht gewollt ist, dann braucht – erstens – die Gemeinde nur von ihrer Planungshoheit Gebrauch machen.

Ich will zweitens darauf hinweisen, dass bei den verschiedensten Quoten, zum Beispiel den Kaufkraftabschöpfungsquoten, immer formuliert ist: „... bis zu“; das heißt, auch hier liegt es in der Hand der Kommune, die ihr sachgerecht erscheinende Verkaufsflächengröße durch Entscheidung im Gemeinderat, im Stadtrat festzulegen.

Ich will drittens auf ein weiteres, neues Ziel dieser Teilfortschreibung hinweisen. Danach wird es den Gemeinden ermöglicht, interkommunale Einzelhandelsentwicklungskonzepte aufzustellen. Das heißt, wenn sich mehrere Gemeinden zusammentun und ihre Einzelhandelsentwicklung aufeinander abstimmen, dann bekommen sie über die Teilfortschreibung ein neues Instrumentarium an die Hand, und zwar zum einen die Möglichkeit eines landesplanerischen Vertrages und zum anderen

die Möglichkeit, das auch im Regionalplan für verbindlich zu erklären.

Die Entwicklung wird also interkommunal verabredet und dann für verbindlich erklärt.

Ich möchte etwas ansprechen, was sich nicht unmittelbar in der heute zur Verabschiedung stehenden Vorlage der Teilfortschreibung findet. Wir haben im bayerischen Ministerrat vergangene Woche den Entwurf der Gesamtfortschreibung verabschiedet, der dem Hohen Haus noch vor der Sommerpause zugehen wird. Darin ist das generelle Ziel enthalten, unerwünschte Agglomerationen zu vermeiden. Wir wollen damit vermeiden, dass sich an Magnetbetriebe eine unbestimmte große Zahl weiterer Betriebe andockt und es damit zu Wucherungen kommt, die möglicherweise fingerartig in die freie Landschaft hineinragen. Dies ist nicht das Ziel, das wir insgesamt verfolgen; vielmehr wollen wir mit diesem neuen Antiagglomerationsziel über die Landesplanung einen weiteren Beitrag dazu leisten, dass sich unsere Kommunen organisch weiter entwickeln.

Alle diese Regelungen zeigen, dass im Zuge der langen Diskussion – das sage ich zum Schluss noch mal ausdrücklich –, durch die Anhörungen und durch die vielen Gespräche zahlreiche Veränderungen und Verbesserungen am Entwurf vorgenommen worden sind. Heute liegt Ihnen ein Entwurf vor, der Mitte und Maß wahrt, der die verschiedenen berechtigten Interessen berücksichtigt, der kommunale Spielräume eröffnet, aber auch kommunale Mitverantwortung verlangt.

Wenn das Hohe Haus heute der Teilfortschreibung zustimmt, kann der Entwurf am 1. August in Kraft treten. Ich hoffe und wünsche, dass wir heute, ähnlich wie beim Fußballspiel, keine Verlängerung brauchen und eine Regelung zum Abschluss bringen, die für die weiteren Jahre die Entwicklung einzelner Großprojekte im Freistaat Bayern lenken und begrenzen möge.

(Beifall bei der CSU)

Vielen Dank, Herr Staatsminister. Werte Kolleginnen und Kollegen, ich gebe bekannt, dass namentliche Abstimmung über den Dringlichkeitsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Thema „Abstand nehmen von der Teilfortschreibung des Landesentwicklungsprogramms“ beantragt ist. Über den Antrag der Staatsregierung wird auch namentlich abgestimmt, wie Sie der Tagesordnung entnehmen können. – Als Nächster hat Herr Kollege Gartzke das Wort.

Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen! Heute ist ein schöner Tag für unsere Nationalmannschaft. Ich darf, wie es auch Herr Minister getan hat, unserer Nationalmannschaft herzlich gratulieren. Wir hoffen natürlich, dass das nicht alles war. Siege sehen wir gerne.

(Zurufe von der CSU)

Wir reden ja nicht von der Bundestagswahl, Herr Hofmann. Aber diese Assoziation gibt es natürlich.

(Zurufe von der CSU)

Ich denke auch immer für Sie, Herr Hofmann; für Sie muss man schon vordenken. Das übernehme ich gern auch noch.

(Beifall bei der SPD)

Schließlich ist die Opposition im Landtag hier stark gefordert.