Ich fange trotzdem an und nenne Ihnen einige Schlagwörter: „Finanzämter vor dem Kollaps“, „Rechnungshof stellt erhebliche Mängel in Finanzämtern fest“, „Die Unehrlichen profitieren“, „Personalnot in den Finanzämtern“, „Der Freistaat Bayern – ein Paradies für Steuersünder“. Das sind alles Schlagzeilen, die mir äußerst peinlich wären, wenn ich Finanzministerin wäre und einem Haus vorstehen würde, dem so etwas nachgesagt wird.
„Finanzämter vor dem Kollaps“, „Der Freistaat Bayern – ein Paradies für Steuersünder“ – das ist eine peinliche Sache. Obwohl dies Tatsache ist, setzt die Staatsregierung den Stellenabbau in den Finanzämtern fort. Obwohl bekannt ist, dass derzeit zirka 1500 Stellen bei den Finanzämtern fehlen, baut die Staatsregierung 900 Planstellen bis zum Jahr 2004 ab. Egal, in welche Finanzämter wir kommen: Überall hören wir die Klagen der Beschäftigten, dass das Zuteilungs-Soll und das Zuteilungs-Ist zum Teil 10 bis 20% auseinanderklaffen. Obwohl diese Zahlen bekannt sind, betreibt die Staatsregierung konsequent den aufgrund des Organisationsgutachtens der Firma Arthur Andersen beschlossenen Personalabbau weiter. So müssen trotz der geschilderten Situation bis zum Jahr 2004 über 900 Stellen abgebaut werden.
Wegen dieser Personalengpässe können vielerorts trotz ständiger Mehrarbeit der Beschäftigten große Teile der
Steuererklärungen nur noch abgeschrieben und kaum noch geprüft werden. Dieser Zustand ist nicht länger haltbar. Ich kann mir auch nicht vorstellen, Kolleginnen und Kollegen, dass Ihnen dieser Zustand gefällt. Die Aufgabe der Steuerverwaltung ist es, Steuergerechtigkeit herzustellen und für die Sicherung der Staatseinnahmen zu sorgen. Der Finanzminister jammert einerseits immer, dass er nicht genügend Geld zur Verfügung habe. Auf der anderen Seite trägt er nichts dazu bei, dass Steuergerechtigkeit in diesem Lande herrscht und die Steuerbeamten in die Lage versetzt werden, für die Staatseinnahmen zu sorgen.
Wenn mittlere Betriebe nur noch alle 10 bis 15 Jahre geprüft werden, Großbetriebe im Durchschnitt alle 4,3 Jahre geprüft werden, dann hat das nichts mehr mit Steuergerechtigkeit zu tun.
Sogar der Bayerische Oberste Rechnungshof hat sich mit diesem Thema befasst, was den Finanzminister offenbar nicht stört; denn er ist immer noch nicht hier. In seinem Jahresbericht 2001 hat sich der Bayerische Oberste Rechnungshof kritisch mit der Qualität der Steuerveranlagung in Bayern auseinander gesetzt. Die hohe Beanstandungsquote, so der Bayerische Oberste Rechnungshof, sowie die hohen Steuerausfälle in Höhe von 4,5 Millionen DM und Steuerrisiken in einer Größenordnung von 14,3 Millionen DM in den untersuchten Fällen müssen Anlass sein, die Qualitätssicherung bei der Steuerverwaltung weiterzuentwickeln und zusätzliche sichernde und verbessernde Maßnahmen zu ergreifen. Der Bayerische Oberste Rechnungshof spricht also von Steuerausfällen in Millionenhöhe, weil nicht genügend Personal vorhanden ist. Der Finanzminister tut jedoch nichts dagegen.
Der Bayerische Oberste Rechnungshof führt weiter aus, dass die Abweichung zwischen Personal-Soll und tatsächlichem durchschnittlichen Ist-Einsatz in Bayern minus 38% beträgt. In dem Zeitraum von 1998 bis 2000 stieg die Zahl der zu bearbeitenden Fälle um zirka 3%, und gleichzeitig wurde Personal in einer Größenordnung von 4,5% abgebaut. Wo soll denn das hinführen? – Immer weniger Personal soll immer mehr Aufgaben erledigen. Das geht einfach nicht. Die Resultate hat der Bayerische Oberste Rechnungshof geschildert.
Der Bayerische Oberste Rechnungshof fordert sogar, Personalmaßnahmen zugunsten besonders belasteter Veranlagungsbezirke einzufordern und daran zu denken, Personal in den Bereichen, in denen es nötig ist, aufzustocken. Er hält es für erforderlich, die Arbeitssituation und die Arbeitsqualität in der Veranlagung sowie den tatsächlichen Personaleinsatz weiter zu beobachten und auf Verbesserungen hinzuwirken. Aber der Finanzminister tut nichts.
Deswegen fordern wir mit unserem Antrag die Staatsregierung auf, die Kritik des Bayerischen Obersten Rechnungshofs zu beherzigen und darauf zu reagieren. Wir fordern sie auf, den Stellen- und Personalabbau in der
Finanzverwaltung sofort zu stoppen; denn es kann nicht sein, dass auf der einen Seite über 1500 Stellen fehlen und auf der anderen Seite 900 Stellen abgebaut werden.
„Steuergerechtigkeit“, so schreibt die Bertelsmann-Stiftung, mit der die Staatsregierung einen Vertrag geschlossen hat, „gibt es nur auf dem Papier.“ Zu diesem Schluss kommt die Bertelsmann-Stiftung aufgrund eines länderübergreifenden Leistungsvergleichs der Finanzverwaltung, an dem sich 18 Ämter in Bayern, Sachsen, Thüringen und Rheinland-Pfalz beteiligt haben.
Nicht nur von Bundesland zu Bundesland, sondern auch von Behörde zu Behörde und sogar von Büro zu Büro schwankt die Qualität beim Erheben der Abgaben stark. Die Langzeituntersuchungen offenbaren es: Steuerbescheide sind oft das Ergebnis eines amtlichen Glücksspiels. Diese Aussagen wurden in der Zeitschrift „Capital“ im Jahr 2001 veröffentlicht. Der Vollzugsgrad der Steuergesetze sinkt in Zeiten starken Arbeitsanfalls. So lautet das Fazit des Projektberichts. Was tut die Staatsregierung in dieser Situation? – Sie tut nichts.
Sie ist nicht einmal da, sie kommt nicht, sie interessiert sich nicht dafür, was im Parlament vorgeht. Sie interessiert sich vor allen Dingen nicht für die Beschäftigten in der Finanzverwaltung.
Es gehört zur Fürsorgepflicht eines Arbeitgebers, sich um die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten zu kümmern. Sogar der Leiter der Steuerabteilung im bayerischen Finanzministerium, also jemand, der aus dem Finanzministerium selber kommt, fürchtet wegen des Rückstands bei der Bearbeitung der Steuererklärungen bereits um den Ruf der Beamtenschaft.
Der Stand der Veranlagung sei ein entscheidendes Merkmal der Außendarstellung der gesamten bayerischen Steuerverwaltung, schrieb er am 18. Mai vergangenen Jahres in einem Rundbrief an die Leiter der Finanzämter und wies darauf hin, dass Bayern bei der Erledigung von Einkommensteuererklärungen zu den Schlusslichtern gehöre. Bayern ist wieder einmal das Schlusslicht in Deutschland, wie zum Beispiel bei der Schwerbehindertenquote. Es sollte aufmerksam von Ihrer Seite registriert werden: wieder einmal Schlusslicht. Seit Jahren falle man in der deutschen Vergleichsstatistik kontinuierlich zurück, so ein leitender Beamter aus dem Finanzministerium.
Am 1. Januar 2001 waren in Bayern demnach erst 65,5% aller Steuererklärungen aus dem Jahr 1998 erledigt. In Sachsen waren es dagegen bereits 87,8%. Deswegen hat dieser Leiter aus dem Finanzministerium in einer Dienstanweisung die Beschäftigten darauf aufmerksam gemacht und sie aufgefordert, die Anforderungen an die Nachweise oder Glaubhaftmachung der Angaben der Steuerbürger deutlich herabzuschrauben. Falls durch die überschlägige Bearbeitung Steueraus
fälle einträten, müssten diese in Kauf genommen werden. Das ist eine Anweisung, die aus dem Finanzministerium an die Beschäftigten, an die Beamten in den Finanzämtern geht.
Sie werden dazu aufgefordert, nicht mehr anständig zu prüfen, nur weil der Finanzminister nicht ausreichend Personal zur Verfügung stellt.
Der Oberste Rechnungshof, die Bertelsmann-Stiftung und das Bayerische Finanzministerium sind doch sicherlich unverdächtige Zeugen. Trotzdem reagiert der Finanzminister nicht. Er ist übrigens immer noch nicht hier.
Personalabbau, verbunden mit den ständigen Veränderungen im Steuerrecht und einem erheblichen Ermittlungs- und Aufklärungsbedarf wegen der wachsenden Steuerkriminalität, zunehmend schlechtere Zahlungsmoral und eine erhebliche Zunahme von Einsprüchen führen dazu, dass die Finanzämter nicht mehr in der Lage sind und einfach nicht mehr in der Lage sein können, mit dem vorhandenen Personal ihren Gesetzesauftrag zu erfüllen. Die Bayerische Staatsregierung trägt durch ihre Personalpolitik dazu bei – dies ist durch diese Beispiele belegt –, dass der Gesetzesauftrag, Steuergerechtigkeit zu schaffen, nicht mehr gewährleistet ist.
Herr Präsident, verehrtes Hohes Haus! Verehrte Frau Kollegin Naaß, Sie haben gut Wahlkampf gemacht, kann ich nur sagen.
Gut haben Sie Wahlkampf gemacht, nur leider völlig an der Sache vorbei, und leider haben Sie wieder einmal Wahlkampf auf dem Rücken unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Finanzämtern und in der Steuerverwaltung gemacht.
Nachher. – Sie haben den Mitarbeitern ein ganz schlechtes Zeugnis ausgestellt, wobei ich ausdrücklich feststellen muss, dass Sie nur die Argumente verwendet haben, die Ihnen aus Ihrem Blickwinkel
Ich möchte Ihnen nun einmal die realistische Personalsituation an den Finanzämtern und in der Steuerverwaltung darstellen.
In der Tat ist es völlig richtig, dass natürlich, egal in welchem Verwaltungsbereich, mehr Personal wünschenswert wäre. Wir stehen aber unter dem Zwang, auf der einen Seite die Personalquote in unserem bayerischen Staatshaushalt so gering zu halten, wie es nur irgendwie vertretbar ist, auf der anderen Seite jedoch so viel Personal und so viele Stellen vorzuhalten, dass die Aufgaben auch richtig erfüllt werden können.
Sie müssen Folgendes zur Kenntnis nehmen, und das möchte ich Ihnen ausdrücklich sagen: Sie haben das Andersen-Gutachten angesprochen. Dieses Gutachten sieht in der programmatischen Fortschreibung einen Personalabbau um 900 Stellen vor. Insgesamt sind aber im Wege der Verwaltungsreform nur 866 Stellen abgebaut worden. Es sind also immerhin 34 Stellen mehr übrig geblieben als vorgesehen.
Sie sollten auch zur Kenntnis nehmen, dass der Personal-Iststand bei den Finanzämtern seit 1990 bis heute kontinuierlich gestiegen ist. Das heißt, von einem Personalabbau in der Form, wie Sie ihn beschrieben haben, Frau Naaß, kann überhaupt nicht die Rede sein.
Tatsache ist Folgendes, um vielleicht auch zu den Schwerpunktsetzungen zu kommen: Schwerpunkt kann hier nicht die Bearbeitung der Lohnsteuer sein, sondern das, was Sie angesprochen haben – und da treffen Sie zufällig auf meine Zustimmung –,
nämlich, mehr Abschöpfung dort zu erreichen, wo es auf der einen Seite schwieriger ist und auf der anderen Seite notwendig ist, mehr Stellen zu schaffen, zum Beispiel bei der Steuerfahndung. Bei der Steuerfahndung haben wir das Personal um 100 Stellen = 47% aufgestockt. Auch die Anzahl der Betriebsprüfer – das ist ja das ewige Credo, das Sie uns in den letzten Jahren immer vorgebetet haben, dass die Betriebsprüfungen forciert werden müssen, um mehr Steuereinnahmen zu ermöglichen – wurde um 350 erhöht. Das entspricht 18%. Wo ist hier ein Personalabbau?