Problematisch bleibt für mich der Passus, dass Brüssel ermächtigt wird, Näheres zur Daseinsvorsorge in einer Verordnung zu regeln. Die auf der kommunalen Ebene gewonnene Organisation, die Entscheidungsfreiheit darf auf diese Weise nicht wieder eingeengt werden. Hier ist hoffentlich das letzte Wort noch nicht gesprochen.
Der Reformvertrag ist so weit gut, so weit es eben unter den gegebenen Umständen geht. Aber gerade hinsichtlich der Daseinsvorsorge sind noch viele Detailvereinbarungen offen. Hier müssen wir uns bedingungslos hinter die Interessen unserer bayerischen Kommunen stellen. Wir sind ihre Interessenvertreter, und wir haben diese Rolle wahrzunehmen.
Herr Minister Söder, daher meine Bitte: Machen Sie das auch Ihren Parteifreunden im Europäischen Parlament klar! Ich sage das nicht ohne Grund: Es gab leider in der Vergangenheit – zum Beispiel bei den Fragen Trinkwasser und Daseinsvorsorge – Fälle, in denen das Abstimmungsverhalten ihres CSU-Landesgruppensprechers und seiner Kollegen in Straßburg und Brüssel mit deren öffentlichen Bekundungen vor Ort in Bayern nicht deckungsgleich waren. Stellen Sie das ab!
Sorgen Sie dafür, dass Handeln in Brüssel und Reden in Bayern endlich übereinstimmen, bzw. klarer gesagt, dass in Brüssel so gehandelt wird, wie zu Hause in Bayern geredet wird.
Die Verhandlungen um die Daseinsvorsorge werden die Nagelprobe sein, ob Sie, Herr Minister, der Interessenwahrer der Kommunen sind – und nicht der Wirtschaft.
Wie gesagt, wir erkennen den Reformvertrag durchaus als Fortschritt an. Aber ich verhehle nicht, dass meine Freude eher verhalten ist. Gemessen an den Erwartungen, die mit dem Verfassungsprozess der letzten Jahre verbunden waren, hat es auch Rückschritte und Kompromisse gegeben, die ich natürlich bedauere. Keine Hymne, keine Flagge, keine Aufnahme der Grundrechtecharta, und auch bei einigen Sozialdemokraten wird sich die – bei Ihnen wahrscheinlich stärker vertretene – Frage des Gottesbezuges stellen.
Der Reformvertrag ist lediglich eine staubtrockene, nüchterne Regelsammlung und verzichtet auf alles, was das Ziel befördern könnte, „Europa eine Seele“ zu geben, wie es Jacques Delors einmal gefordert hat.
Ich weiß, das sind Zugeständnisse an die zahlreichen Kritiker und Blockierer. Aber ich sehe darin auch eine Gefahr – oder zumindest ein Manko; denn wir sollten
nicht vergessen, dass Substanz und Symbolik in Europa eng verbunden sind, insbesondere wenn es das Ziel ist, die Bürgerinnen und Bürger auch emotional für die EU zu gewinnen; denn wir in Bayern haben zur Symbolik einen besonderen Bezug.
Mit der Streichung des Wortes „Verfassung“ geht für mich auch eine Vision für die Europäische Union verloren. Die Bezeichnung „Europäische Verfassung“ sollte eigentlich deutlich machen, dass die Europäische Union mehr ist als ein Binnenmarkt und eine Währungsunion.
Mit der Verbannung der Symbole aus dem Vertrag werden den Bürgerinnen und Bürgern wichtige Merkmale der Identifikation mit der Europäischen Union vorenthalten. Die EU wird landläufig als „Brüssel“ und als lebloses, bürokratisches Gebilde wahrgenommen werden, wenn wir dem nicht entgegensteuern. Aber ich meine, wir können hier durchaus noch etwas tun. Es ist uns Deutschen sicherlich unbenommen, die blaue EU-Flagge mit den zwölf gelben Sternen, die „Ode an die Freude“ als Hymne, den Euro als gemeinsame Währung usw. weiterhin und noch verstärkt als Zusammengehörigkeit und europäische Identität stiftende Symbole herauszustellen.
Ich fordere Sie, Herr Minister Söder, auf, dies im Kreis Ihrer Europaministerkollegen voranzutreiben. Dann können Sie vielleicht doch noch von einem bloßen Außen-Generalsekretär zu einem richtigen Europaminister werden.
Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Dr. Runge, bitte. Auch dafür wurden zehn Minuten beantragt. Bitte schön.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! „Regierungskonferenz – Europas Reformen im Interesse Bayerns nutzen.“ – Wir freuen uns, dass die CSU-Fraktion dieses Thema gewählt hat. Wir hätten es allerdings etwas anders formuliert, nämlich: „EU-Grundlagenvertrag: Die Staatsregierung hat es versäumt, sich für die Interessen der Bürgerinnen und Bürger und der Kommunen in Bayern einzusetzen“.
Es ist kein Geheimnis, dass wir das Scheitern des Verfassungsvertrages nicht beweint haben. Unsere Position war vielmehr: Lasst uns die Krise als Chance begreifen und etwas Besseres daraus machen.
Unsere Kritik am damaligen Konventsentwurf, auch am Beschluss der Regierungskonferenz 2004, ist an der Stelle mehrmals dargestellt worden: Es war zum einen die Art und Weise der Erarbeitung des Vertragswerkes und seiner Ratifizierung, das heißt, die fehlende Beteiligung, die fehlende Mitnahme der Bürgerinnen und Bürger an vielen wichtigen Stellen; zum Zweiten, ganz entscheidend, die Inhalte, nämlich die Auswahl und die Ausrichtung der
Inhalte. Da haben wir uns zuvorderst an der fehlenden Kompetenzabgrenzung und der Möglichkeit gestoßen, in die Daseinsvorsorge horizontal hineinzuregieren. Dazu mache ich später noch Ausführungen.
Wir haben daneben zahlreiche Bestimmungen zur gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik kritisch beurteilt, also das weit gefasste Mandat „Einsätze in Drittstaaten“, die Pflicht zur Aufrüstung und die Bindung der Politik an die Politik der NATO.
Ein weiterer Punkt, der uns auch immer wichtig war, sind die Demokratiedefizite, die eben auch nicht in der Art und Weise behoben worden wären, wie es notwendig gewesen wäre. Das heißt zwar, Erweiterung des Katalogs, wo das Parlament mit entscheiden darf, aber es ist weiterhin nicht der Rang einer Legislative vorgesehen, weil das Initiativrecht gefehlt hätte und weil der Rat weiterhin nicht hätte kontrolliert werden können. Das heißt, die Fehlkonstruktion, dass die Regierungen, zu Hause Exekutive, dann nach Brüssel fahren und dort außerhalb der Kontrolle Legislative sind, wäre weiter erhalten geblieben.
Dann hatten wir das Scheitern des Vertrages. Wir hatten die schöne Phase der Reflexion. Dann hatten wir den Europäischen Rat vom Juli 2007 und jetzt die angesprochene Regierungskonferenz mit dem Reformvertrag.
Über diesen Reformvertrag sollen die Effizienz und die demokratische Legitimität der erweiterten Union sowie die Kohärenz ihres auswärtigen Handelns erhöht werden. Man rückte vom Verfassungskonzept ab. Wenn Sie sich aber den Grundlagenvertrag ansehen, finden Sie einen Großteil der im Konventsentwurf enthaltenen inhaltlichen und institutionellen Neuerungen wieder. Diese Neuerungen sollen über den Reformvertrag in den Vertrag über die Europäische Union – EUV – und den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft – EGV –, welcher umbenannt werden soll, eingearbeitet werden.
Wir müssen konzedieren: Es gibt tatsächlich die eine oder andere positive Änderung. Ausgerecht Herrn Sarkozy ist es gelungen, einen Passus herausnehmen zu lassen, der den unverfälschten Wettbewerb, den freien Waren, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr auf eine Stufe mit menschlichen Freiheits- und Grundrechten gestellt hätte. Sarkozy wusste, warum er das gemacht hat. Schließlich galt es, in Frankreich bestimmte Stimmungen zu bedienen.
Aber in den Punkten, die für die Mitglieder der Bayerischen Staatsregierung angeblich so wichtig waren, zu denen Ende 2003 auf einen Dringlichkeitsantrag der GRÜNEN hin ein einstimmiger Landtagsbeschluss gefasst wurde, gibt es bedauerlicherweise Fehlanzeige. Ich zitiere aus der „Passauer Neuen Presse“ vom 10.01.2007:
Stoiber hält Pläne zur Erweiterung der EU-Befugnisse für endgültig gescheitert. Nach der Ablehnung des EU-Verfassungsvertrags durch die
Franzosen und die Niederländer sei das Thema vom Tisch. Weitere Kompetenzen für die EU werden so mit Sicherheit nicht kommen. Er sei nicht unglücklich darüber.
Da hat Herr Stoiber geirrt oder bewusst Falsches verkündet, weil es auf der Basis des neuen Grundlagenvertrages zu weiteren Kompetenzen kommen wird.
Damit bin ich, Herr Staatsminister für Europaangelegenheiten, bei der fehlenden Kompetenzabgrenzung bzw. bei der bewussten Vermischung als weiteres Einfallstor für immer mehr Europa. Das gesamte Hohe Haus stellte fest, dass es der Konvent versäumt habe, Aufgabenbereiche der Gemeinschaft kritisch zu hinterfragen und gegebenenfalls Vorschläge für die Rückführung von Regelungsmaterien in nationale Zuständigkeit zu unterbreiten. Umgekehrt sind Kompetenzen ausgeweitet worden, was sehr wohl ein Schritt in Richtung Zentralisierungsdynamik im europäischen Integrationsprozess war. Ich nenne als Beispiele die Flexibilisierungsklauseln sowie die sogenannte offene Methode der Koordinierung.
Ein Beispiel für Aufgabenvermischungen und Einfallstore liefern die Bestimmungen zur kommunalen Daseinsvorsorge. Trotz der Ergebnisse der Grünbuch-Diskussion – nahezu alle Stellungnahmen sagten einmütig, dass keinerlei Grundlagen für die Möglichkeit zu horizontalem Hineinregieren in Angelegenheiten der kommunalen Daseinsvorsorge geschaffen werden sollten – findet sich jetzt im Vertragswerk das Gegenteil, nämlich die Möglichkeit zu horizontalem Hineinregieren. Ich darf die aktuelle Formulierung zitieren:
… tragen die Union und die Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeiten im Anwendungsbereich der Verfassung dafür Sorge, dass die Grundsätze und Bedingungen, insbesondere jene wirtschaftlicher und finanzieller Art, für das Funktionieren jener Dienste so gestaltet sind, dass diese Aufgaben nachkommen können. Diese Grundsätze und Bedingungen werden durch europäisches Gesetz unbeschadet der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten festgelegt, diese Dienste im Einklang mit der Verfassung zu stellen, in Auftrag zu geben und zu finanzieren.
Frau Professor Männle, Sie sagten vorhin, es gebe mehr Klarheit bezüglich der Kompetenzabgrenzungen. Ich meine, auch nach dem neuen Grundlagenvertrag gibt es mehr Vermischungen. Es soll für die EU nur die Möglichkeit geben, horizontal hineinzuregieren. Bekenntnisse zur Bedeutung der Daseinsvorsorge für den territorialen und sozialen Zusammenhalt und zur Autonomie der Mitgliedstaaten helfen wenig, solange man in Europa etwas anderes macht.
Es gibt zahlreiche Beispiele, so etwa die Abfallentsorgung. Wenn Andienungs- und Überlassungspflichten auf Geheiß der EU wegfallen, wie beim Gewerbeabfall geschehen – sogenannte AZV-Tonne –, führt dies zu Verwerfungen. Was bisher für 200 bis 250 Euro pro Gewichtstonne entsorgt werden musste, darf in derselben Anlage
jetzt für 100 Euro entsorgt werden. Die Kommunen haben hohe Investitionskosten, und die Kapitalkosten sind sehr hoch. Wenn ein Teil der Einnahmen wegfällt, müssen die Gebühren für die Bürgerinnen und Bürger erhöht werden. Diese gehen auf die Barrikaden, und die Kommunen kommen unter Druck. Es kommt zur Organisationsprivatisierung und gar zur materiellen Privatisierung. Das ist ein Stück Demokratieverkürzung, weil die gewählten Mandatsträger vor Ort immer weniger über die Aufgabenerfüllung entscheiden dürfen. Dies war ein kleines Beispiel zu den Zusammenhängen.
Kollege Förster hat das neue Protokoll zitiert. Dies ist jedoch nichts anderes als ein „Papiertiger“, weil die Regelung entscheidend ist, dass die Gesetze von der EU erlassen werden können. Dazu sagen wir GRÜNE klar Nein.
Die Zeit drängt leider, sodass ich unsere Vorstellungen zum Reformvertrag nicht ausbreiten kann. An den genannten Kritikpunkten können Sie aber das eine oder andere Beispiel abgebildet sehen. Es sind mehr Klarheit, bessere Kompetenzabgrenzung und mehr Demokratie gefordert. Das heißt: Stärkung des Europäischen Parlaments, wenn es um Gegenstände geht, die komplett vergemeinschaftet sind. Das Parlament muss hier das Initiativrecht haben und den Rat kontrollieren. Die nationalen Parlamente müssen gestärkt werden bei den Themen des intergouvernementalen Bereichs, wobei sich der Bundestag fragen lassen muss, warum er nicht ebenso wie andere Länderparlamente handle.
Aktuell gibt es zu dieser Thematik zwei Anträge der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN. Dazu bitten wir wie immer um wohlwollende Behandlung. Ich greife unseren Antrag betreffend „Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an/vor der Ratifizierung des neuen EU‘Reformvertrags‘“ auf. Wir fordern die Staatsregierung auf, sich gegenüber der Bundesregierung und gegebenenfalls im Bundesrat dafür einzusetzen, dass zum einen ein europaweites konsultatives Referendum stattfindet vor Ratifizierung bzw. Verabschiedung des neuen Grundlagenvertrages. Zum anderen, dass ein solcher Vertrag in Deutschland über eine Volksabstimmung ratifiziert wird, sollten mit dem Vertrag entweder weitere bisher nationale Zuständigkeiten der Europäischen Union überantwortet werden oder aber der Vorrang auch von europäischem Sekundär- und Tertiärrecht vor deutschem Recht, so auch vor dem Grundgesetz, postuliert werden. Für eine derartige Volksabstimmung sind die entsprechenden Änderungen im Grundgesetz zu schaffen.
Warum fordern wir das? – Ich habe bereits die Ziele des Reformvertragswesens skizziert. Das ist zum Ersten, Europa handlungsfähiger zu machen, zum Zweiten, die Integration voranzubringen, und zum Dritten ging es den Protagonisten darum die Bürgerinnen und Bürger mitzunehmen und mehr zu begeistern. Das ist jedoch „grandios“ gescheitert. Wir sagen: Mit einem europaweiten Referendum und in Deutschland auch mit einer Volksabstimmung kann das gelingen, schließlich sind wir alle
Nahezu das gesamte bayerische Kabinett hat sich in den letzten Jahren und Monaten hierfür ausgesprochen und gesagt, wir hätten das gerne, aber der Bund wolle das nicht. Jetzt haben wir die Möglichkeit, voranzukommen. Deswegen bitten wir um Ihre Unterstützung.
Jetzt hat für die Staatsregierung Herr Staatsminister Dr. Söder um das Wort gebeten. Bitte schön, Herr Staatsminister.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass die CSU-Fraktion diese Angelegenheit zum Thema der Aktuellen Stunde gemacht hat. Es freut mich schon deswegen, weil das eine der wichtigsten politischen Entscheidungen ist, die uns auch hier im Hohen Hause in den nächsten Jahren beschäftigen werden. Da 80 % der Gesetze letztendlich von Brüssel beeinflusst werden, ist es für einen Gesetzgeber, der sich ernst nimmt, wichtig, über die Auswirkungen und Folgen und den Umgang mit der zum Teil historischen Entscheidung zu diskutieren. Die Bayerische Staatsregierung begrüßt die Entscheidung von Lissabon. Ich selbst – Herr Förster hat es erwähnt – konnte die beeindruckende Stimmung in Lissabon spüren. Hätte man mir eine Woche vorher gesagt, dass ich das erleben darf, hätte ich das nicht für möglich gehalten.