Protokoll der Sitzung vom 15.11.2007

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 109. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde erteilt. Hörfunk und Fernsehen des Bayerischen Rundfunks übertragen die Regierungserklärung live.

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Meine Damen und Herren, bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich noch drei Glückwünsche aussprechen, aber erst, wenn es etwas ruhiger im Saal ist.

Am 11. November feierte Frau Kollegin Christine Haderthauer einen halbrunden Geburtstag. Ebenfalls einen halbrunden Geburtstag feierte am 12. November Herr Kollege Hans Joachim Werner. Heute feiert Herr Kollege Herbert Müller Geburtstag. Ich wünsche der Kollegin und den Kollegen im Namen des gesamten Hauses und auch persönlich alles Gute, Gesundheit und viel Erfolg bei der Ausübung Ihrer parlamentarischen Arbeit.

(Allgemeiner Beifall)

Herr Staatsminister a. D. Dr. Werner Schnappauf hat mit Ablauf des 7. November 2007 auf sein Landtagsmandat verzichtet und ist damit aus dem Landtag ausgeschieden. Dr. Werner Schnappauf gehörte dem Hohen Hause seit 2003 an und war seit 1998 als Staatsminister für Landesentwicklung und Umweltfragen bzw. ab 2003 für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz Mitglied im bayerischen Kabinett. Ich danke Herrn Dr. Schnappauf für seinen engagierten Einsatz und wünsche ihm im Namen des Bayerischen Landtags und persönlich viel Erfolg für seine neue Aufgabe.

(Beifall bei der CSU)

Die Landeswahlleiterin hat gemäß Artikel 58 des Landeswahlgesetzes Herrn Peter Eismann aus Eggolsheim als Listennachfolger festgestellt. Seit dem 12. November 2007 ist Herr Kollege Eismann Mitglied des Bayerischen Landtags. Herr Kollege, ich heiße Sie herzlich willkommen in unserer Mitte und wünsche Ihnen viel Erfolg bei Ihrer parlamentarischen Arbeit.

(Beifall bei der CSU und bei Abgeordneten der SPD)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Regierungserklärung des Ministerpräsidenten

Herr Ministerpräsident, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger! Mit Selbstbewusstsein, aber ohne

Überheblichkeit bauen wir auf der erfolgreichen Politik der CSU-geführten Staatsregierungen der letzten 50 Jahre auf – von Hanns Seidel über Hans Ehard, Alfons Goppel, Franz Josef Strauß, Max Streibl bis zu Edmund Stoiber. Wir stehen auf einem starken Fundament. Gerade die letzten 14 Jahre haben unter Führung von Edmund Stoiber unser Land weit nach vorne gebracht. Wir stehen heute an der Spitze in Deutschland. An der Spitze zu bleiben ist nicht einfacher, als an die Spitze zu kommen.

Ich trete mein Amt als Bayerischer Ministerpräsident mit Mut und mit Demut an. Es ist eine große Herausforderung. Mein Herz schlägt für ganz Bayern, für alle seine Regionen, für alle seine Stämme, für alle Menschen, die hier leben und arbeiten.

(Beifall bei der CSU)

Unsere Bürgerinnen und Bürger sind zu Recht stolz auf Bayern, auf unsere wirtschaftliche Leistungskraft, auf die reiche und vielfältige Kultur, auf eine gesunde Umwelt und die landschaftliche Schönheit Bayerns. Sie sind stolz auf die Qualität unseres Bildungssystems,

(Franz Maget (SPD): Oh!)

auf ein hohes Maß an sozialer Sicherheit und auf unseren ausgeglichenen Haushalt. Sie sind froh, in einem sicheren Land zu leben. Das soll so bleiben, auch wenn die Grenzkontrollen nach Osten wegfallen, auch wenn Terror und fundamentalistische Gewalt weltweit um sich greifen. Innere Sicherheit schützt gerade auch die Schwachen. Wir werden alles tun für eine starke und effiziente Polizei und Justiz. Ich danke an dieser Stelle allen Mitarbeitern im öffentlichen Dienst für ihren Einsatz.

(Beifall bei der CSU)

Bayerns Spitzenposition in vielen zentralen Bereichen steht außer Frage. Dennoch beobachten wir Entwicklungen in unserer Gesellschaft, die uns Anlass zur Sorge geben müssen. Lassen Sie mich einige symptomatische Eindrücke schildern, Alltagseindrücke.

Wir beobachten, dass Eltern ihrer Erziehungsverantwortung nicht nachkommen. So kamen zum Beispiel am Nürnberger Flughafen nach den Sommerferien rund 100 Eltern mit ihren Kindern erst eine Woche nach dem Schulbeginn aus dem Sommerurlaub zurück. Das ist kein Beispiel für Ehrlichkeit, Pünktlichkeit, Verantwortungsbewusstsein, Disziplin!

(Beifall bei der CSU)

Wir beobachten, wie sich Jugendliche bei FlatratePartys sinnlos bis ins Koma betrinken. Gesundheitliche Schäden, Sachbeschädigungen und Gewaltausbrüche sind die Folgen.

In der S-Bahn begegnen wir Menschen, die laut Musik hören, die ihre schmutzigen Schuhe auf dem gegenüber

liegenden Sitzpolster abstellen, die mutwillig Fenster zerkratzen und Sitze aufschlitzen.

(Zurufe von der SPD)

Allein in Münchens öffentlichen Verkehrsmitteln richtet Vandalismus

(Zuruf von den GRÜNEN)

einen Schaden von 7,3 Millionen Euro pro Jahr an.

(Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): Ist das eine Regierungserklärung?)

Leider erleben wir auch Fälle von Gewalt an unseren Schulen – bis hin zu einer Messerstecherei bei einer Schulabschlussfeier in Mittelfranken in diesem Sommer.

Ich habe bewusst alltägliche Beispiele aufgegriffen, von denen jeder hört oder liest. Es geht mir darum, für die im Kleinen beginnende Erosion des gesellschaftlichen Zusammenhalts zu sensibilisieren.

(Ludwig Wörner (SPD): Freiheit, die wir meinen!)

Diese Beispiele dürfen natürlich nicht verdecken, dass es ungemein viel Positives in unserer Gesellschaft gibt, großen ehrenamtlichen Einsatz, wie zum Beispiel bei der Aktion „Drei Tage Zeit für Helden“ des Bayerischen Jugendrings. Rund 40 000 Jugendliche haben sich an sozialen, ökologischen und anderen Projekten beteiligt. Sie haben mit Ideen und Disziplin gezeigt: Eine lebenswerte Gemeinschaft ist ihnen etwas wert.

(Beifall bei der CSU)

Großen ehrenamtlichen Einsatz erleben wir täglich bei den Vereinen, bei der Feuerwehr, bei Rettungsdiensten und Katastrophenschutz, bei der Jugendarbeit, bei der Hilfe für den Nächsten. Was hier im Ehrenamt geleistet wird, verdient allergrößte Hochachtung und Unterstützung.

(Beifall bei der CSU – Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Und Geld!)

Diese gegensätzlichen Beobachtungen zeigen: Es wäre falsch, pauschal von einem Werteverfall zu sprechen. Dennoch müssen wir feststellen: Die deutsche Gesellschaft ist insgesamt heterogener, gegensätzlicher, gleichgültiger und rücksichtloser geworden. So manch innere Schranke der Rücksichtnahme, der Höflichkeit, des Anstands, der Solidarität ist zerbrochen.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Auch in der CSU! – Gegenruf von Henning Kaul (CSU): Ausgerechnet der!)

Die Reibungsflächen zwischen Einheimischen und Zuwanderern, zwischen Armen und Wohlhabenden, zwi

schen Absteigern und Aufsteigern nehmen zu. Der breite, für fast alle verlässliche wirtschaftliche Aufstieg, den die westdeutsche Gesellschaft von der Gründung der Bundesrepublik Deutschland an bis 1990 erlebte, setzt sich so nicht fort. Die Bürger erleben heute in größerem Umfang auch Abstiegsprozesse, längere Zeiten von Arbeitslosigkeit, materielle Stagnation. Die Einkommen driften auseinander.

(Franz Maget (SPD): Jawohl! – Weitere Zurufe von der SPD und von den GRÜNEN)

Die Armut hat zugenommen. Die frühere Gewissheit, „wenn es meinem Unternehmen gut geht, geht es auch mir gut“, stimmt heute immer weniger.

(Dr. Thomas Beyer (SPD): Das stimmt!)

Ehe und Familienbande sind brüchiger geworden. All das verunsichert viele Menschen.

In Bayern ist der gesellschaftliche Zusammenhalt größer als anderswo. Das ist ein wertvolles Gut. Das dürfen wir nicht verspielen. Im Gegenteil: Wir müssen es vermehren. Wir wollen alles tun, damit kulturelle und emotionale Kräfte, die das innere Band unserer Gesellschaft bilden, nicht weiter erodieren. Unser Zusammenhalt hat uns auch wirtschaftlich stark gemacht. Unser wirtschaftlicher Wohlstand hätte weniger Lebensqualität, wenn das menschliche Miteinander kälter und der Zusammenhalt schwächer würden.

Deshalb habe ich meine Regierungserklärung unter das Leitmotiv gestellt: „Es kommt auf jeden und jede an – also auf alle. Gemeinsam für Bayerns Zukunft“.

(Beifall bei der CSU)

Jeder muss an seinem Platz, nach seinen Kräften Verantwortung für sich selbst und für das Gemeinwohl übernehmen. Verantwortung setzt Kräfte frei. Verantwortung fordert Leistung ab. Verantwortung hilft aber auch gerade den Schwachen in unserer Gesellschaft. Sie dürfen auf unsere Solidarität vertrauen. Menschen mit Behinderung gleichwertige Lebenschancen zu ermöglichen, ist eine Herausforderung für einen Sozialstaat – und für mich ein persönliches Herzensanliegen.

(Zuruf des Abgeordneten Joachim Wahnschaffe (SPD))