Protokoll der Sitzung vom 27.11.2007

Ich weiß, auch hier sind Personalaufstockungen vorgesehen. Wir werden sehen, wie die am Ende nach Ihren Vorstellungen finanziert werden. Ich erinnere nur daran: Ein Arzt kommt auf 264 Strafgefangene, ein Psychologe auf 197 Strafgefangene, ein Lehrer auf 242 Strafgefangene und ein Sozialpädagoge auf 91 Strafgefangene. Hier müssen Sie etwas verändern, hier haben Sie versprochen, etwas zu ändern, wir werden überprüfen, ob Sie etwas ändern.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Nutzen Sie pädagogische Instrumente wie den von mir angesprochenen offenen Vollzug und die Wohngruppenarbeit für jugendliche Straftäter. Von 792 Plätzen im Jugendstrafvollzug sind nur 115 echte Wohngruppenplätze. Der Rest – circa 265 – ist, so wurde mir gesagt, wohngruppenähnlich. Aber bis heute konnte mir niemand erklären, was wohngruppenähnlich ist und wie das ausschaut. Für mich ist das keine Wohngruppe. Damit sind wir schon wieder an dem Punkt, dass wir neben den 115 schon noch eine erkleckliche Zahl von Wohngruppenplätzen brauchen.

Kapitulieren Sie nicht vor den schwierigen Fällen. Auch hier gibt es Möglichkeiten mit erstaunlichen Ergebnissen. Es wäre wirklich bedenklich, wenn man alle Maßnahmen, die es durchaus auch im Jugendstrafvollzugsgesetz gibt und im Erwachsenenstrafvollzug, nutzt, aber neben einer kleinen Gruppe, die nach Ihrer Definition oder nach Definition des Anstaltsleiters therapiefähig oder erziehbar sein soll, die Mehrheit unbehandelt lässt.

Wir sehen den Entwurf der Staatsregierung, der leider auch den Jugendstrafvollzug beinhaltet, als vertane Chance. Das heißt aber nicht, dass Sie nicht eine neue Chance von uns erhalten. Stimmen Sie unserem Gesetzentwurf und unseren Anträgen zu!

(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN)

Nächster Redner: Herr Kollege Schindler.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist heute das siebte oder achte Mal in dieser Periode, dass wir über Probleme des Strafvollzugs, im Speziellen des Jugendstrafvollzugs

reden. Das ist es auch wert, weil es um eine wichtige Materie geht, und es ist auch deshalb wert, weil wir zum ersten Mal die Gesetzgebungskompetenz haben, um diese Fragen zu regeln.

Umso bedauerlicher ist es, dass in der Regierungserklärung des Ministerpräsidenten vor wenigen Wochen kein Wort dazu gefallen ist.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, es geht heute um die Beschlussfassung über ein neues Gesetz. Lassen Sie mich vorweg Folgendes sagen. Wichtiger noch als ein neues Gesetz sind eine angemessene Ausstattung des Strafvollzugs mit qualifizierten Mitarbeitern und eine ausreichende Zahl von Haftplätzen.

(Beifall bei der SPD)

An dem Missstand, dass im bayerischen Strafvollzug, verglichen mit anderen Bundesländern, immer noch etwa 700 bis 800 Mitarbeiter fehlen, wird das neue Gesetz nichts grundsätzlich ändern, auch wenn ich einräume, dass es ein wichtiger Schritt ist, im Erwachsenenstrafvollzug bis zum Jahr 2014 immerhin 120 zusätzliche Stellen und im Jugendstrafvollzug weitere 54 Stellen schaffen zu wollen. Der tatsächliche Bedarf an Mitarbeitern wird dadurch aber immer noch nicht gedeckt, sodass in den Justizvollzugsanstalten weiterhin mit vergleichsweise geringem Personaleinsatz gearbeitet werden muss.

Ich darf auf die Zahlen verweisen, die Frau Kollegin Stahl eben genannt hat, und die Gelegenheit nutzen, allen Mitarbeitern im Strafvollzug ganz herzlich für ihr Engagement unter oft wirklich sehr schwierigen Bedingungen zu danken.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein neues Gesetz ändert auch nichts daran, dass trotz erheblicher Anstrengungen in den letzten Jahren immer noch Haftplätze fehlen. Dabei müsste nicht nur in diesem Zusammenhang über weitere Ausbauten geredet werden, sondern auch einmal ernsthaft über Alternativen zur Freiheitsstrafe

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

und insbesondere auch darüber, ob Untersuchungshaft, wie behauptet wird, viel zu schnell und viel zu häufig angeordnet wird.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben uns hier schon wiederholt intensiv mit der Schaffung von Rechtsgrundlagen für den Jugendstrafvollzug und mit der Frage, ob der Erwachsenenstrafvollzug in eigener Gesetzgebungskompetenz neu geregelt werden sollte, befasst und auch eine Sachverständigenanhörung durchgeführt. Leider ist es hierbei nicht gelungen, ein Gesetz zu schaffen, das von allen Fraktionen des Hauses mit

getragen werden könnte, wofür sich insbesondere der Gesetzentwurf der SPD-Fraktion geeignet hätte.

(Beifall bei der SPD – Heiterkeit bei den GRÜNEN – Maria Scharfenberg (GRÜNE): Das kann man so nicht sagen!)

Nun aber ein paar Anmerkungen zu dem Gesetzentwurf der Staatsregierung. Dieser ist nicht erforderlich – da hat Frau Stahl völlig recht –, soweit darin der Erwachsenenstrafvollzug und die Sicherungsverwahrung geregelt werden, weil diesbezüglich das Strafvollzugsgesetz 1977, von dem alle sagen, es habe sich im Grunde bewährt, weiter gelten könnte.

Nun kann man natürlich argumentieren, dass es dem Selbstverständnis und Selbstbewusstsein des Freistaats Bayern entspricht, von einer neu gewonnenen Gesetzgebungskompetenz auch Gebrauch zu machen. Dagegen kann man eigentlich nichts haben. Allerdings hat die Staatsregierung offensichtlich nicht der Versuchung widerstehen können, im Strafvollzugsgesetz erreichte Standards und angestrebte Ziele zurückzudrehen. Das betrifft insbesondere die Vorschriften über den offenen und den geschlossenen Vollzug, aber auch über die Unterbringung der Gefangenen während der Ruhezeit. Es wird zwar am Grundsatz der Einzelunterbringung während der Ruhezeit festgehalten, aber nur noch als Soll- Vorschrift. Nach wie vor können also bis zu acht Gefangene gemeinschaftlich in einem Aufenthaltsraum untergebracht werden.

Zur Begründung heißt es – fast schon poetisch – in dem Gesetzentwurf der Staatsregierung:

Die Regelung zur Unterbringung während der Ruhezeit wird im Rahmen des verfassungsrechtlich unbedingt Gebotenen dem im Rahmen der Leistungsfähigkeit des Staates tatsächlich Möglichen angepasst.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der GRÜNEN – Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Das ist wirklich Prosa!)

Das ist schön formuliert, muss man zugeben.

Meine Damen und Herren, noch wichtiger aber ist, dass der Gesetzentwurf der Staatsregierung eine der fundamentalen Formen des Strafvollzugsgesetzes, nämlich die dort in § 2 enthaltene Beschreibung der Aufgaben und Ziele des Vollzugs, aus den Angeln hebt. Fast hat man den Eindruck, als sei die fast jahrhundertelange Debatte über den Zweck des Strafens und den Sinn von Freiheitsstrafen einigermaßen spurlos an der Staatsregierung vorbeigegangen.

(Dr. Thomas Beyer (SPD): Das wäre nicht das erste Mal!)

Geht es um Rache und Sühne, geht es um den Schutz der Allgemeinheit nur während der Zeit des Strafvollzugs,

oder geht es vielleicht doch um mehr, nämlich darum, durch den Versuch der Resozialisierung die Begehung von Straftaten in Zukunft zu verhindern und

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

dafür zu sorgen, dass die erschreckend hohe Rückfallhäufigkeit verringert wird? – Ich meine, es geht um Letzteres.

Dass es geht, zeigen die außerordentlich positiven Erfahrungen, die in der sozialtherapeuthischen Einrichtung in Erlangen gemacht worden sind. Wir sind keine Romantiker und wissen auch, dass Resozialisierung – oder in vielen Fällen besser gesagt: erstmalige Sozialisierung – nicht in jedem Einzelfall gelingen kann. Dennoch ist es zur Vermeidung von Rückfällen und um zu verhindern, dass es weitere potenzielle Opfer gibt, in jedem Einzelfall geboten, alles zu tun, damit Resozialisierung auch gelingen kann.

Das scheint die Staatsregierung anders zu sehen. Während es im Strafvollzugsgesetz von 1977 unter der Überschrift „Aufgaben des Vollzugs“ heißt –

Im Vollzug der Freiheitsstrafe soll der Gefangene fähig werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen (Vollzugs- ziel)… Der Vollzug der Freiheitsstrafe dient auch dem Schutz der Allgemeinheit vor Straftaten –,

dreht die Staatsregierung das Rad der Geschichte zurück. In Bayern soll künftig – dann, wenn Worte einen Sinn geben, Frau Staatsministerin – nicht mehr das Ziel der Resozialisierung erstrangig sein, sondern der Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten. Das verfassungsrechtliche Resozialisierungsgebot kommt erst in einem Nachsatz zur Sprache, wonach der Vollzug der Freiheitsstrafe die Gefangenen befähigen soll, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen.

Mit dieser Umformulierung soll zwar laut Begründung keine Änderung der bisherigen Rechtslage verbunden sein und nur klargestellt werden, dass der Schutz der Allgemeinheit nicht der Resozialisierungsaufgabe nachgeordnet ist. Das hat allerdings ernsthaft auch niemand behauptet. Wenn sich die Rechtslage durch die Neuformulierung des Artikels 2 im Gesetzentwurf der Staatsregierung nicht ändern soll, drängt sich doch die Frage auf, warum man es dann nicht bei der bisherigen Formulierung des § 2 des Strafvollzugsgesetzes belassen konnte, vor allem deshalb, weil der Staat selbstverständlich verpflichtet ist, dafür zu sorgen, dass Gefangene während der Zeit des Vollzugs keine Straftaten begehen und das Ziel der Vermeidung weiterer Straftaten am besten durch eine erfolgreiche Resozialisierung erreicht werden kann.

Dass es um mehr als ein Wortgeklingel geht, ergibt sich leider aus der Begründung des Gesetzentwurfs, wonach der Sicherungszweck der Freiheitsstrafe, nicht der Resozialisierungszweck, auch bei den Vorschriften über den offenen Vollzug die Lockerung des Vollzugs und bei der Gewährung von Urlaub zum Ausdruck komme. Genau

das ist der Punkt. Es hat der Anstaltsleiter dann, wenn es um die Frage geht, ob der Vollzug gelockert wird, Urlaub gewährt wird, natürlich die Neugewichtung im Artikel 2 zu beachten, sonst hätte man auch alles beim Alten lassen können.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Mauern, Gitter, Stacheldraht und Repression können nur kurzfristigen und vorübergehenden Schutz der Allgemeinheit garantieren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der GRÜNEN)

Ich dachte, das ist Allgemeingut.

Im Übrigen muss es peinlich berühren, wenn sich die Beschreibung des Ziels der Sicherungsverwahrung, dass nämlich Sicherungsverwahrte zum Schutz der Allgemeinheit sicher untergebracht werden – völlig unstrittig –, fast nicht mehr von der Beschreibung der vorrangigen Aufgabe des Vollzugs der Freiheitsstrafe unterscheidet. Das ist bis auf wenige Worte identisch.

Nun zum Jugendstrafvollzug. Es geht um etwa 750 bis 800 junge Menschen aus der Generation, sage ich mal, unserer Kinder. Die Staatsregierung hat bedauerlicherweise keinen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt, sondern behandelt die Jugendstrafe nur als besonderen Teil der Regelungen über den Vollzug der Freiheitsstrafe. Dafür gibt es einige Gründe, die allerdings nicht überzeugen. So wie es ein eigenes Jugendgerichtsgesetz gibt, müsste auch der Jugendstrafvollzug getrennt vom Erwachsenenstrafvollzug speziell geregelt werden. Wenn man den Intentionen des Bundesverfassungsgerichts gerecht werden will, wonach der Vollzug der Jugendstrafe gerade kein Erwachsenenvollzug im Kleinformat sein darf, müsste ein eigenes Gesetz für den Jugendstrafvollzug geschaffen werden, wie es meine Fraktion und die GRÜNEN vorgeschlagen haben

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der GRÜNEN)

und wie es im Übrigen auch in den meisten anderen Bundesländern gemacht wird. Darauf kommt es aber auch nicht entscheidend an.

(Thomas Kreuzer (CSU): Richtig!)

Viel wichtiger ist auch hier, dass im Bereich der Jugendstrafe nach Ansicht der Staatsregierung der Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten vorrangige Aufgabe vor der Erziehung zu einem rechtschaffenen Lebenswandel in sozialer Verantwortung sein soll.

In der Begründung wird fast schon entschuldigend angeführt, dass es nicht die Intention sei, ein Rangverhältnis zwischen den Sätzen 1 und 2 des Artikels 121 herzustellen. Wenn das aber nicht die Absicht ist, warum hat man dann diese Formulierung gewählt und hat es nicht bei dem Verweis auf § 61 Absatz 1 des Jugendgerichtsge