Protokoll der Sitzung vom 30.01.2008

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 114. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde erteilt.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, zunächst zweier ehemaliger Kollegen zu gedenken.

(Die Anwesenden erheben sich)

Am 19. Dezember letzten Jahres verstarb Herr Walter Grossmann im Alter von 80 Jahren. Er gehörte dem Bayerischen Landtag von 1978 bis 1998 an und vertrat für die CSU den Stimmkreis Lichtenfels/Staffelstein. Während seiner ganzen Zeit als Abgeordneter gehörte er dem Ausschuss für Eingaben und Beschwerden an, und nach einer Periode im Ausschuss für Fragen des öffentlichen Dienstes war Walter Grossmann 16 Jahre lang Mitglied im Ausschuss für Sozial-, Gesundheits- und Familienpolitik.

Walter Grossmann hatte seine politischen Wurzeln in der Kommunalpolitik. So gehörte er dem Stadtrat seiner Heimatstadt Lichtenfels, deren Ehrenbürger er war, bis zu seinem Tode fast 49 Jahre lang an.

Walter Grossmann zeichnete sich dadurch aus, dass er sich für die Anliegen seiner Heimat im Auftreten bescheiden, aber in der Sache konsequent und sachkundig einsetzte. Vor allem die Menschen am Rande unserer Gesellschaft, die Schwachen und Benachteiligten, fanden in ihm, der seit 1981 auch Vorsitzender des VdK-Kreisverbandes Lichtenfels war, einen engagierten und zuverlässigen Fürsprecher. Walter Grossmann war ein „Anwalt des kleinen Mannes“, der sich nicht schonte, wenn es darum ging, anderen zu helfen, der aber um sich selbst wenig Aufhebens machte.

Der Bayerische Landtag wird Walter Grossmann ein ehrendes Gedenken bewahren.

Am 10. Januar verstarb im Alter von 82 Jahren der Altlandrat des Landkreises Miltenberg, Herr Karl Oberle. Er gehörte dem Bayerischen Landtag von 1962 bis 1970 an und vertrat für die CSU den Stimmkreis Miltenberg/ Obernburg. Während dieser Zeit gehörte Karl Oberle, der studierter Jurist und Rechtsanwalt war, dem Ausschuss für Verfassungs-, Rechts- und Kommunalfragen an.

Karl Oberle war ein Mann der Kommunalpolitik. Seit 1956 war er Mitglied des Kreistages und Stellvertretender Landrat des Landkreises Obernburg. 1967, also noch während seiner Zeit als Landtagsabgeordneter, wurde er zum Landrat gewählt. Dieses Amt behielt er auch über die Gebietsreform hinweg, da er 1972 zum ersten Landrat des neu gebildeten Landkreises Miltenberg gewählt wurde, ein Amt, das er 16 Jahre innehatte. Aufgrund seines angegriffenen Gesundheitszustandes musste sich Karl Oberle bereits 1986 von diesem Amt zurückziehen.

Wie geschätzt Karl Oberle in seiner Heimat war, zeigt die Tatsache, dass es ihm durch sein verbindliches Wesen gelang, im neu gebildeten Landkreis Miltenberg ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu erzeugen und Vorbehalte der Bürgerinnen und Bürger gegen diese Neustrukturierung auszuräumen. In seiner Amtszeit machte er sich besonders um den Ausbau der modernen Infrastruktur in seinem Landkreis verdient.

Der Bayerische Landtag wird Karl Oberle ein ehrendes Gedenken bewahr.

Sie haben sich zu Ehren der beiden Verstorbenen von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, bevor wir in die Tagesordnung eintreten, eine Erklärung – wie sie in unserem Hohen Hause bereits Tradition geworden ist – zum Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus.

Am 27. Januar wird weltweit der „Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus“ begangen. Der Sitzungskalender hat es heuer so gefügt, dass die erste Plenarsitzung des Bayerischen Landtags, die auf diesen Termin folgt, am 30. Januar stattfi ndet. Und genau heute vor 75 Jahren wurde Adolf Hitler von Reichspräsident Paul von Hindenburg zum Reichskanzler ernannt.

Diese beiden historischen Daten, der 30. Januar 1933 und der 27. Januar 1945, an dem das Konzentrationslager Auschwitz befreit wurde, umreißen die schreckliche Zeit der Herrschaft des Nationalsozialismus nicht nur zeitlich, sondern an ihnen lässt sich auch der tiefe Fall Deutschlands in die Barbarei symbolisch festmachen. Denn das nationalsozialistische Vernichtungssystem, für das Auschwitz zum Synonym geworden ist, ist ohne die Ereignisse des 30. Januar 1933 nicht denkbar. An diesem Tag wurden letztlich die Voraussetzungen für Terror, Krieg und die quasi industrielle Vernichtung von Millionen von Menschen geschaffen.

Hitler wurde die Macht zu einem Zeitpunkt übertragen, zu dem die Lage in Deutschland höchst prekär war. Millionen Menschen waren arbeitslos und lebten in bitterster Armut, die politische Kultur war auf einem Tiefpunkt angelangt, die Kämpfe zwischen der extremen Rechten und der extremen Linken hatten bürgerkriegsähnlichen Charakter.

Es zeugt von der geistigen und politischen Verwirrung, die zu dieser Zeit herrschte, dass nun maßgebliche Kreise meinten, durch Ernennung des politischen Brandstifters Hitler zum Reichskanzler könnten die politischen Flammen in Deutschland gelöscht werden.

Das Verhalten der Eliten, also von Menschen, die über die Fähigkeit verfügen sollten, die großsprecherischen Reden Hitlers zu durchschauen, macht eigentlich auch heute noch fassungslos. Weder das Militär noch die bürgerlichen Parteien, weder die Kirchen noch die Universitäten verteidigten beherzt die ohnehin schon empfi ndlich geschwächte Demokratie. Im Gegenteil! In vielen bürgerlichen Kreisen und weit hinein dominant auch in den Kir

chen war eine große Distanz zur Demokratie und damit auch wenig Bereitschaft und Kraft, die Demokratie entschieden zu verteidigen.

Dies erinnert mich an den Satz von Joachim Gauck, der anlässlich der 60-Jahr-Feier der Politischen Akademie Tutzing sagte: Die eigentliche Gefahr für die Demokratie sind nicht die erkennbaren Gegner, sondern die distanzierten Wohlstandsbürger.

Ich glaube, das gilt zu allen Zeiten. In dieser Situation konnten die Nationalsozialisten dann innerhalb kürzester Zeit ihre Macht ausbauen und das ganze Land „gleichschalten“. Die Gewerkschaften wurden aufgelöst, die Länder wurden zu bloßen Reichsprovinzen herabgestuft und die Justiz wurde zum gelenkten Instrument der neuen Machthaber.

Der Schlüssel für den raschen und annähernd widerstandslosen Ausbau der nationalsozialistischen Herrschaft lag darin, dass vor allem das parlamentarische System teils nicht die Kraft, teils nicht den Willen hatte, sich zu verteidigen und dass die Parteien so in sich verkeilt waren, dass sie nicht mehr in der Lage waren, eine Gemeinsamkeit der Demokraten im gemeinsamen Widerstand zu fi nden. Die Verabschiedung des berühmtberüchtigten Ermächtigungsgesetzes vom März 1933, in dem der Reichstag mit einer Zweidrittelmehrheit der Regierung die Befugnis zur Gesetzgebung übertrug, ist wohl die dunkelste Stunde des deutschen Parlamentarismus, da mit Ausnahme der Sozialdemokraten alle demokratischen Parteien dieser Selbstentmachtung des Reichstags wie der Landesparlamente zustimmten. Damit war das Ende der Demokratie in Deutschland besiegelt.

Es soll aber auch betont werden, dass es noch zahlreiche Parlamentarier gab, die sich dem System in der Folgezeit nicht auslieferten und ihre Ideale trotz aller Gefahren hochhielten.

Unsere neue elektronische Dokumentationssäule, die gestern der Öffentlichkeit präsentiert wurde, informiert ausführlich darüber, welche Parlamentarier aus dem Bayerischen Landtag den Mut hatten, dem Nationalsozialismus zu widerstehen und dafür Verfolgung in Kauf nahmen.

Mit dem Ausbau der nationalsozialistischen Macht ging zwangsläufi g die schrittweise Diskriminierung der jüdischen Bevölkerung einher, war doch der Antisemitismus das zentrale Element der menschenverachtenden nationalsozialistischen Weltanschauung. Bereits am 1. April 1933 fand der erste Boykott jüdischer Geschäfte statt, kurz darauf wurden Juden aus dem öffentlichen Dienst gedrängt, und schon 1935 wurden mit der Verabschiedung der „Nürnberger Gesetze“ Juden ganz offi ziell zu Menschen minderen Rechts degradiert.

Es ist bedrückend, dass dieses schreiende Unrecht von der großen Mehrheit der Bevölkerung schweigend hingenommen wurde, nicht zuletzt auch deswegen, weil es einen tief verwurzelten und schleichenden Antisemitismus in der Bevölkerung gab – nicht nur in Deutschland, aber

gerade auch in unserem Land, für das wir in besonderer Weise mit verantwortlich sind.

Umso heller strahlt das Licht derjenigen, die sich nicht verführen ließen, deren Menschlichkeit größer war als die Angst und die ihren bedrängten Mitmenschen Schutz und Hilfe angedeihen ließen. Auch ihrer sei heute respektvoll gedacht.

Von dem Literaturnobelpreisträger Elias Canetti stammt der Satz: „Man hat kein Maß mehr, für nichts, seit das Menschenleben nicht mehr das Maß ist.“

Die „Staats- und Gesellschaftsordnung ohne Gott, ohne Gewissen und ohne Achtung vor der Würde des Menschen“ – so die Präambel der Bayerischen Verfassung – verlor im Laufe ihrer Herrschaft und ganz besonders während des von ihr vom Zaun gebrochenen Zweiten Weltkrieges in der Tat jedes moralische Maß; sie verstieg sich dazu, Millionen von Menschen als „Untermenschen“ zu diffamieren, ihnen ihren Besitz und ihre Freiheit, ihre Würde und schließlich das Leben auf eine Art und Weise zu rauben, wie sie einmalig ist in der Menschheitsgeschichte.

Der Weg vom 30. Januar 1933 bis hin zur Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz zwölf Jahre später mahnt uns, dem Gesetzlosen, der Gewalt, der Missachtung der Menschenwürde keinen Zentimeter Raum zu lassen.

Denn die eigentliche Kernaufgabe des Staates und seiner Organe ist es doch, den Bürgerinnen und Bürgern ein friedliches Zusammenleben zu ermöglichen und dort klare Grenzen zu ziehen, wo Leib und Leben von Menschen durch Menschen bedroht sind.

Gerade wir als gewählte Volksvertreter sind hier besonders gefordert, denn eine starke und demokratisch legitimierte Volksvertretung ist der stärkste Schutzschild der Demokratie und der Achtung der Würde eines jeden Menschen.

In diesem Sinne gedenkt heute der Bayerische Landtag aller Opfer des Nationalsozialismus. Ich bitte Sie, sich zu einer Gedenkminute von Ihren Plätzen zu erheben.

(Die Anwesenden erheben sich)

Ich danke Ihnen.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich noch einige Geburtstagsglückwünsche aussprechen: Am 16. Dezember letzten Jahres feierten Frau Kollegin Ulrike Scharf-Gerlspeck und Herr Kollege Jürgen Ströbel jeweils einen runden Geburtstag. Einen halbrunden Geburtstag konnte am 23. Dezember Herr Kollege Günter Gabsteiger feiern. Ebenfalls Grund zum Feiern hatte Herr Kollege Staatssekretär Dr. Marcel Huber am 10. Januar.

Ich gratuliere allen nachträglich und wünsche alles Gute für den weiteren Lebensweg.

Wir treten damit in die Tagesordnung ein.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 1 a und 1 b auf:

Gesetzentwurf der Staatsregierung zur Änderung des Finanzausgleichsgesetzes und der Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über den Finanzausgleich zwischen Staat, Gemeinden und Gemeindeverbänden (Finanzausgleichsänderungs- gesetz 2008) (Drs. 15/9645) – Erste Lesung –

Gesetzentwurf der Staatsregierung zur Änderung des Haushaltsgesetzes 2007/2008 (Nach- tragshaushaltsgesetz – NHG – 2008) (Drs. 15/9646) – Erste Lesung –

Das Wort hierzu hat zunächst der Herr Staatsminister der Finanzen. Ich darf schon jetzt darauf hinweisen, dass für die gemeinsame Aussprache jeweils eine Redezeit von 30 Minuten pro Fraktion vereinbart wurde. Herr Staatsminister, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich lege Ihnen den Entwurf des Nachtragshaushalts 2008 zur Beratung und Beschlussfassung vor. Der Haushalt ist ein eindrucksvolles Dokument erfolgreicher, stabiler und nachhaltiger bayerischer Finanzpolitik. Der Haushalt setzt kurzfristig die richtigen Impulse für die Konjunktur und er bildet eine langfristige, verlässliche und dauerhaft tragfähige fi nanzpolitische Grundlage, nämlich durch Investieren, Vorsorgen und Tilgen.

Bayern hat als erstes Land erkannt, dass das Prinzip der Nachhaltigkeit auch in der Haushaltspolitik von zentraler Bedeutung ist. Während andere Länder und der Bund noch die übliche Verschuldungspolitik betrieben haben, hat Bayern 2006 damit Schluss gemacht.

So sichern wir die Zukunftsfähigkeit des Landes, so schaffen wir Generationengerechtigkeit und eröffnen Chancen für die Jugend von heute und morgen.

SPD und GRÜNE haben unseren Sparkurs vehement bekämpft, sie haben immer höhere Ausgaben beantragt und wollten den Weg in die Staatsverschuldung weitergehen. Staatsregierung und CSU-Fraktion waren stark und standfest genug, diesen populistischen Verführungen nicht zu folgen.

Die Regierung Beckstein wird diesen Kurs fortsetzen. Wir stehen für Stabilität. Wir garantieren Nachhaltigkeit. Wir gestalten das Chancenland Bayern. Unsere Zielmarke ist nicht die nächste Wahl. Unsere Verantwortung gilt schon dem nächsten Jahrzehnt, der nächsten Generation. Unsere Finanzpolitik ist Basis und Wegweiser zu unserer Vision für Bayern im Jahr 2020. Wir wollen moderne, sichere Arbeitsplätze in einem wettbewerbsfähigen Land. Unsere Investitionen von heute sind die Aussaat

für die wirtschaftliche Prosperität von morgen. Investition und Innovation – sie schaffen Chancen, Sicherheit und Zukunft.

Wir wollen ein kinderfreundliches Land, das der jungen Generation Chancen eröffnet, ohne dass es auf Herkunft, Einkommen oder Vermögen der Eltern ankommt. Deshalb investieren wir von der Krippe bis zur Hochschule in Bildung und Wissen. Das schafft soziale Gerechtigkeit und Zukunft.

Wir wollen ein Land gestalten, auf das die Menschen stolz sind, das ihnen Heimat gibt und Zukunft eröffnet, in dem sich die Familien wohl und geborgen fühlen. Das Chancenland Bayern braucht dafür eine solidarische Leistungsgesellschaft. Leistungsbereitschaft, soziale Verantwortung, Bürgersinn und bayerischen Patriotismus fügen wir zusammen zum bayerischen Weg in die Zukunft. Das Fundament dafür haben wir in den letzten Jahren schon geschaffen.