Protokoll der Sitzung vom 19.02.2008

Jetzt wird es spannend. Dann wartet die Kommune einige Jahre. Herr Dr. Beckstein, Ihr Lachen zeigt, wie nahe ich momentan an der bayerischen Lebenswirklichkeit dran bin.

(Beifall bei der SPD)

Dann muss die Kommune über Jahre hinweg auf den staatlichen Zuschuss warten. Sie muss dafür einen Kredit aufnehmen und die Zinsen bezahlen. Nach drei Jahren schreibt sie noch einmal an die Regierung, und der örtliche CSU-Abgeordnete und der Staatssekretär kündigen an, dass sie sich dafür einsetzen würden, dass endlich abfi nanziert werde. Nach fünf Jahren fl ießt dann der staatliche Zuschuss, und die Gemeinde stellt fest, dass sie eigentlich darauf hätte verzichten müssen, weil die zwischenzeitlich angefallenen Kreditzinsen höher sind als der staatliche Zuschuss.

(Beifall bei der SPD – Manfred Ach (CSU): Sie kennen die rechtliche Situation nicht!)

Das war die reine Wahrheit. Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist Kommunalpolitik nach Gutsherrenart. Herr Ministerpräsident, Sie haben heute gesagt, Sie hätten 200 Millionen Euro freigemacht, um diese Zuschüsse abzufi nanzieren. Diese 200 Millionen Euro sind Schulden, die Sie bei den Kommunen haben.

(Beifall bei der SPD – Georg Schmid (CSU): Das stimmt nicht, aber ich erkläre es Ihnen!)

Sie stehen bei den Kommunen in der Kreide, und zwar mit einem viel höheren Betrag. Dass sie dieses Geld in den Haushalt einstellen müssen, zeigt nur, wie hoch der Abfi nanzierungsbedarf in den letzten Monaten und Jahren geworden ist.

(Manfred Ach (CSU): Vom Haushaltsrecht haben Sie keine Ahnung!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich komme jetzt zu zwei besonders ärgerlichen Kapiteln, nämlich der Kinderbetreuung und der Schulpolitik. Das sind im Augen

blick die wichtigsten Schnittstellen zwischen den Kommunen und dem Freistaat Bayern.

Zunächst zur Kinderbetreuung: Herr Ministerpräsident, dass Sie sich trauen, das BayKiBiG, das Bayerische Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz als einen Erfolg zu verkaufen, ist schon mutig. Es war eine gewagte Passage, als Sie sagten, das BayKiBiG habe einen neuen Schub in der Kinderbetreuung ausgelöst.

(Alexander König (CSU): Das stimmt doch!)

Ja, einen neuen Schub an Bürokratie hat dieses Gesetz ausgelöst. Das stimmt schon.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Bei der Kinderbetreuung geht es doch um etwas ganz anderes. Herr Dr. Beckstein, ich will versuchen, es Ihnen zum wiederholten Male zu erklären. Uns geht es in dieser Sache um die Wahlfreiheit. Uns geht es darum, dass der Staat – Sie und wir – den jungen Familien nicht vorschreibt, wie sie ihr Leben gestalten sollen. Die Familien sollen die freie Entscheidung haben, wie Mann und Frau oder Mann oder Frau Beruf und Familie unter einen Hut bringen. Nur darum geht es.

(Ministerpräsident Dr. Günter Beckstein: Geld?)

Herr Ministerpräsident, ich muss Sie darauf hinweisen, dass von der Regierungsbank keine Zwischenrufe und keine Dialoge genehmigt sind.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, diese Wahlfreiheit besteht nicht dadurch – das ist der entscheidende Unterschied zwischen Ihrer und unserer Position –, dass Sie ein Betreuungsgeld anbieten.

Diese Wahlfreiheit besteht doch nur, wenn es Kinderbetreuungseinrichtungen gibt, in die man die Kinder guten Gewissens geben kann.

(Beifall bei der SPD)

Wenn es diese Kinderbetreuungseinrichtungen nicht gibt, gibt es keine Wahlfreiheit. Das ist unser Thema.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Mit dem Wählen kennen sie sich nicht so gut aus!)

Sie weigern sich seit Jahren beharrlich, die für Bayern notwendigen Kinderbetreuungseinrichtungen staatlich so zu fördern, dass sie durch die Kommunen tatsächlich hergestellt werden können. Da weigern Sie sich.

(Beifall bei der SPD)

Es ist doch ein Skandal, dass der Bund, obwohl er dafür gar nicht zuständig ist, in den nächsten Jahren dreimal so

viel Geld für den Ausbau von Kinderkrippen zur Verfügung stellt wie der eigentlich zuständige Freistaat Bayern.

(Zurufe von der SPD: Allein in Bayern!)

Jawohl, allein in Bayern! Das ist skandalös, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der SPD)

Sie wollen Kinderbetreuungseinrichtungen nach wie vor aus ideologischen Gründen nicht. Das ist eine Sünde gegenüber den jungen Familien, insbesondere aber gegenüber den jungen Frauen.

(Beifall bei der SPD)

Die Verantwortung für die Kinderbetreuungseinrichtungen schieben Sie alleine den Kommunen zu. Das wird ihnen aber nicht gefallen. Was schreibt Herr Dr. Beckstein zu diesem Thema? Er schreibt:

In Bayern müssen Kommunen und freie Träger nicht auf einen Rechtsanspruch warten, sondern können sofort den notwendigen Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen auf den Weg bringen.

Sie können!

Die Kommunen können sogar nach dem Gesetz verpfl ichtet werden, ausreichend und rechtzeitig Kinderbetreuungseinrichtungen zur Verfügung zu stellen.

(Barbara Stamm (CSU): Was ist daran falsch?)

Was ist daran falsch? – Wenn Sie den Kommunen nicht die notwendige staatliche Förderung dafür geben, dass sie diese Aufgaben auch schaffen, entziehen Sie sich Ihrer Verantwortung. Das ist daran falsch.

(Beifall bei der SPD)

Nicht der Verweis auf die Kommunen ist richtig; richtig wäre das Bekenntnis zur eigenen Verantwortung auf diesem Gebiet und zur notwendigen Investitionsbereitschaft für Kinderbetreuungseinrichtungen. Diese Bereitschaft bleibt aber weiterhin aus. Auch heute haben Sie leider die Gelegenheit versäumt, Verbesserungen anzukündigen.

Das zweite Thema, das für die Kommunen bitter ist, ist das Thema Schule. Sie sagen, Kinder müssen Deutsch können, bevor sie eingeschult werden. Das ist richtig. Warum ist das aber in den letzten 20 oder 30 Jahren versäumt worden?

(Beifall bei der SPD)

Wer ist in diesem Lande dafür verantwortlich, dass Kinder ohne ausreichende Deutschkenntnisse eingeschult werden? Wir fordern schon lange ein verpfl ichtendes und kostenfreies letztes Kindergartenjahr, damit es wenigstens ein gemeinsames Jahr für alle Kinder aus allen sozialen Schichten und auch für Migrantenkinder gibt, damit diese wenigstens ein Jahr Zeit haben, Deutsch zu lernen, ehe sie eingeschult werden. Aber auch dagegen verweigern Sie sich beharrlich.

(Beifall bei der SPD)

Wir brauchen Ganztagsschulen. Wir brauchen ganztägige schulische Angebote und keine „halbscharige“ Mittagsbetreuung, die zwar auch schon oft ein Vorteil, aber keine Lösung ist. Ganztagsschulen sind die Lösung des Problems. In der Grundschule müssen sie zwar nicht Pfl icht sein, aber sie müssen angeboten werden. Sie genehmigen Ganztagsangebote an den Grundschulen aber gar nicht.

(Beifall bei der SPD)

Eine Kommune, die eine Ganztagsgrundschule will, darf sie gar nicht einrichten. Besonders schlimm für den ländlichen Raum ist, dass Sie keine regional passenden Schulmodelle genehmigen. Sie sagen zwar immer, Sie wollten die Hauptschulstandorte retten. Das können Sie aber nur, wenn Sie endlich Anträge auf Zulassung von Regionalschulen genehmigen, bei denen auch die Mittlere Reife möglich ist

(Beifall bei der SPD)

und bei denen die Realschule und die Hauptschule unter einem Dach sind. Nur so können Sie verhindern, dass Schulstandorte geschlossen werden müssen und dass noch mehr Kinder zu Fahrschülern werden. Nur so können Sie eine passgenaue regionale Schulstruktur in Bayern herstellen. Ihr Vorwurf, dass durch unser Schulmodell – das sagen Sie wörtlich – viele Schulstandorte in Bayern von der Bildfl äche verschwinden würden, ist absurd. Das Gegenteil ist der Fall.

(Beifall bei der SPD)

Durch Ihr Festhalten am dreigliedrigen Schulsystem verschwinden die Schulstandorte in Bayern.

Noch ein Wort zur Hauptschule. In verleumderischer Absicht tun Sie immer so, als würden wir die Hauptschule konsequent schlechtreden. Das tun wir nicht. Das Problem besteht nicht darin, dass wir die Hauptschule schlechtreden, sondern darin, dass Sie die Hauptschule am langen Arm verhungern lassen.