Protokoll der Sitzung vom 28.05.2008

(Beifall bei der SPD)

Dazu muss ich auf Bayerisch sagen: Da werd’s hint höher wia vorn. Das muss ich wirklich so sagen. Damit ist niemandem gedient.

(Joachim Wahnschaffe (SPD): Das ist hartherzig!)

Ja; das ist hartherzig, nicht halbherzig.

Am Montag habe ich mich so gefreut, als ich die Nachricht bekam, dass auch die CSU für den kostenfreien Kindergarten eintritt. Aber jetzt muss ich erleben, dass alles scheibchenweise weniger wird. Jeden Tag wird es ein bisschen weniger. Gestern waren es die Kommunen, die die Kosten mitzutragen hatten. Und heute heißt es: Man muss erst einmal Verbandsanhörungen und was weiß ich durchführen, bis mittelfristig irgendetwas geschieht. Ich muss ganz ehrlich sagen: Wenn man die Kostenfreiheit gewollt hätte, dann hätte man dafür etwas bei den Beratungen zum Nachtragshaushalt machen müssen.

(Beifall bei der SPD)

Das sage ich nur nebenbei. Das ist nicht Thema des Antrags, gehört aber mit dazu.

Ein wichtiges Recht besteht darin, dass wir die Kinder vor Gefährdungen schützen. Mit den Kinderrechten ist auch gemeint, dass wir für ein gesundes Aufwachsen sorgen und die Kinder vor Armut schützen. Ich darf etwas Alltägliches ansprechen: Wir müssen den Kindern ein kostenloses Mittagessen in den Einrichtungen wie Ganztagsschule zur Verfügung stellen.

Man kann die theoretisch formulierten Kinderrechte, die ins Grundgesetz kommen sollen, mit Leben füllen und für alle nachvollziehbar machen.

Eine Riesenchance sehe ich darin, dass wir politisch Verantwortlichen die Kinderrechte in der Öffentlichkeit, in der Gesellschaft mit vielen anderen diskutieren; denn dadurch stellen wir die Kinder in den Mittelpunkt. Wir machen damit deutlich, dass uns die Kinder wichtig sind.

besonderen Schutz der Kinder betont, vor allem aber die eigenständigen Persönlichkeitsrechte der Kinder formuliert. Bis dahin waren die Kinder nämlich nur Regelungsgegenstand und nicht Rechtssubjekt. Ich bin zwar keine Juristin, aber ich denke, das stellt eine entscheidende Veränderung dar. Im Grundgesetz sollten Kinder in Artikel 6 nicht als Regelungsgegenstand gesehen werden, sondern als Rechtssubjekte. Die bisherige Regelung ist unwürdig, da müssen wir etwas ändern. Das ist für die Kinder richtig und notwendig.

Wir alle beklagen, dass es zu wenige Kinder gibt, dass wir eine kinderentwöhnte Gesellschaft haben, dass Kinder mehr und mehr als störend empfunden werden. Weil so wenige Kinder da sind, weil sie nirgends mehr in Erscheinung treten, werden sie als störend empfunden, wenn sie auftreten. Wenn wir in Deutschland und in Bayern über die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft debattieren, dann spielen die wachsende Kinderarmut und die Verbesserung der Kinderbetreuung eine Rolle, die Angebote zur Bildung und die verwahrlosten Kinder.

Da ist es ganz wichtig, dass wir das Recht eines jeden einzelnen Kindes ins Zentrum unserer Diskussion rücken. Das können wir mit den Kinderrechten im Grundgesetz deutlich machen.

(Beifall bei der SPD)

Warum wollen wir das? – Kinder sind auch Menschen. Da könnte man sagen: Die Menschen stehen doch bereits im Grundgesetz. Im Übrigen sind da auch die Frauen genannt. Demnach bräuchte man eigentlich auch keinen Hinweis auf die Rechte der Frauen. Also: Warum wollen wir die Kinderrechte im Grundgesetz verankert haben?

Es geht um den Vorrang des Kindeswohls vor allem anderen. Dazu gehört eben, dass wir die eigene Persönlichkeit des Kindes betonen. Dabei dürfen wir nicht im Blickpunkt haben, dass ein Kind ein Anhängsel der Familie oder der Mutter oder wovon auch sonst sei. Wir müssen das Recht des Kindes auf Entwicklung und Entfaltung und sein Recht auf Schutz und angemessenen Lebensstandard sehen. Wir alle bedauern die Kinderarmut in unserem Land. Aber wenn wir die Rechte des Kindes deutlich ins Grundgesetz schreiben, haben wir einen Angelpunkt und vielleicht auch ein Klagerecht geschaffen.

Auch das Recht auf Beteiligung ist wichtig. Man muss die Meinung der Kinder hören, natürlich unter dem Gesichtspunkt ihres jeweiligen Alters. Jedenfalls ist die Beteiligung der Kinder und Jugendlichen an unserer Gemeinschaft wichtig; dafür muss ein Recht geschaffen werden.

Das Wichtigste ist die Verpfl ichtung des Staates, dafür Sorge zu tragen, dass kindgerechte Lebensbedingungen geschaffen werden.

gen im Bildungssystem entnehmen. All das sind Verletzungen von Kinderrechten. Solange in einer Gesellschaft Kinderrechte so gering geachtet werden, ist es dringend nötig, diese Rechte in der Verfassung hervorzuheben.

Natürlich sind die Menschenrechte dort verankert. Aber es geht darum, hervorzuheben, dass Kinder besonders schutzbedürftig sind, dass sie mehr als erwachsene Menschen Anspruch auf Schutz haben. Dazu gehört sehr viel. Dazu gehört nicht nur, diese Rechte festzuschreiben. Dazu gehört viel mehr, insbesondere, dass Taten folgen, Taten in Form von Gesetzen, aber auch in Form von Maßnahmen für Kinder; denn unsere Kinder brauchen unsere Fürsorge von Anfang an.

Deshalb gehört zu den erforderlichen Maßnahmen die Förderung der frühkindlichen Bildung. Dazu gehört, die Eltern von Anfang an zu begleiten. Dazu gehört, das Bayerische Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz – BayKiBiG – endlich zu reformieren, damit es zu einem Gesetz wird, das Eltern, Kindern und Erziehern nützt. Es darf nicht bei einem Gesetz bleiben, das Eltern, Kindern und Erziehern schadet.

Dies alles sind Maßnahmen, die sich automatisch davon ableiten, dass man sich mehr bewusst macht, dass Kinder Rechte haben. Diese Rechte müssen wirklich im Vordergrund stehen.

Wir brauchen – ich will es weiter ausführen – auch ein anderes Schulkonzept. Zu Kinderrechten gehört nämlich auch, dass Kinder, deren Eltern einen nicht so dicken Geldbeutel haben, in der Bildung nicht zurückbleiben. Da hat unsere Gesellschaft noch einen weiten Weg vor sich. Wir müssen uns jetzt daranmachen. Die Festschreibung der Kinderrechte in der Verfassung ist nur ein äußerlich sichtbares Zeichen. Wichtiger ist, dass unsere Gesellschaft endlich anfängt, Kinder ernst zu nehmen und sie nicht nur unter Kostenaspekten zu sehen.

(Zurufe von der CSU)

Sie müssten es eigentlich wissen. Aber Sie haben natürlich den Geldbeutel, mit dem Sie Ihren Kindern die angemessene Ausbildung zukommen lassen können. Andere Eltern haben diesen Geldbeutel nicht und tun sich hier sehr schwer.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Gerade alleinerziehende Mütter sind am Rande der Armut, obwohl sie arbeiten. Am Rande der Armut sind sie nur deshalb, weil sie Kinder haben.

Solange in unserer Gesellschaft so etwas noch möglich ist, haben Kinder zu wenige Rechte, und solange ist es auch notwendig, diese in der Verfassung festzuschreiben; denn offensichtlich ist diese Notwendigkeit weder in den Köpfen noch in den Herzen wirklich angekommen.

Wir müssen sie in den Mittelpunkt unserer Diskussion stellen.

Wenn wir die Kinderrechte im Grundgesetz verankert haben, kann es Verfassungsbeschwerden geben. Die sind ein gutes Mittel, den Kindern zu ihren Rechten zu verhelfen. Kinderrechte im Grundgesetz wären ein Signal für die gesamte Gesellschaft.

Weil ich mit einem bestimmten Gegenargument rechne, will ich eines klarstellen. Wir wollen nicht die Rechte der Eltern schwächen. Daran ist gar nicht gedacht. Wir wollen vielmehr die Verantwortung der Eltern und des Staates durch die Aufnahme in das Grundgesetz besonders herausstellen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß, dass einige aus der CSU-Fraktion, an erster Stelle die Frau Justizministerin, dafür eintreten. Es würde uns ganz gut anstehen, wenn Bayern die Initiative im Bundesrat ergreift.

In Artikel 6 des Grundgesetzes könnte folgende Formulierung stehen: „Jedes Kind hat ein Recht auf Entwicklung seiner Persönlichkeit, auf gewaltfreie Erziehung und auf besonderen Schutz vor Gewalt, Vernachlässigung und Ausbeutung.“

Dagegen kann man überhaupt nichts sagen. Ich möchte einmal wissen, was Sie in der Fraktion der CSU dagegen zu sagen haben.

Ich wünsche mir nur noch eines. Wenn wir diese Grundgesetzänderung schaffen, sollte ihr Erfolg nicht so lange dauern, wie es bei den Frauenrechten gewesen ist. Wir haben seit 1949 das Grundrecht der Gleichheit der Geschlechter. Aber erfolgreich ist dieses Projekt noch nicht abgeschlossen. Ich hoffe, dass es bei den Kinderrechten ein bisschen schneller geht.

(Beifall bei der SPD)

Der Ordnung halber gebe ich bekannt, dass die SPD-Fraktion zu diesem Dringlichkeitsantrag namentliche Abstimmung beantragt hat. Im Hause wurde dies bereits durchgegeben. Wir werden die namentliche Abstimmung gleich im Anschluss an die Beratung durchführen.

Als Nächster darf ich Frau Kollegin Ackermann das Wort erteilen.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Für das Anliegen, die Kinderrechte ins Grundgesetz zu schreiben, gibt es gute Gründe. Im Moment werden Kinderrechte nämlich sehr gering geachtet. Das können wir den Schlagzeilen über Vernachlässigung von Kindern, über ständig wachsende Kinderarmut, über Misshandlungen und Benachteilun

der Kinder das natürliche Recht der Eltern sind, eine Entsprechung hat.

(Joachim Wahnschaffe (SPD): Das ist unvollständig!)

Herr Wahnschaffe, das mag bis hierher unvollständig sein. Warten Sie erst einmal ab, was ich sonst noch zu sagen habe.

Die Pfl icht der Eltern, so sagt das Bundesverfassungsgericht, hat zur Folge, dass das Kind ein entsprechendes Recht hat, und zwar nicht nur gegenüber dem Staat, dass er die Eltern anhält, ihrer Pfl icht gerecht zu werden, sondern auch unmittelbar gegenüber den Eltern, also beides. So gesehen sind Kinderrechte im Grundgesetz verankert.

Das Bundesverfassungsgericht führt weiter aus, dass mit der Menschenwürde und mit dem allgemeinen Persönlichkeitsschutz ein enger Zusammenhang besteht. Der allgemeine Persönlichkeitsschutz ist nicht etwas, was für jeden Menschen in seiner Ausprägung gleich ist. Vielmehr hat jeder das Recht, dass seine Persönlichkeit in ihrer individuellen Ausprägung geschützt und geachtet wird. Es versteht sich von selber, dass die individuelle Ausprägung der Persönlichkeit eines Kindes etwas anderes ist als die Persönlichkeit eines erwachsenen Menschen. Heute haben Sie es nicht gesagt, aber sonst habe ich es schon öfter gehört: Kinder sind keine kleinen Erwachsenen. Aber Menschenwürde und Persönlichkeitsschutz führen dazu, dass dieses besondere Kindsein eben auch vom Staat respektiert und geschützt werden muss. Es bedarf also keiner zusätzlichen Regelung.

Das Kind, so sagt das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich, hat eigene Würde und eigene Rechte. Was schon in der Verfassung steht – ausdrücklich oder sinngemäß –, werden wir nicht noch einmal hineinschreiben.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Wenn es so ist, kann man es ja hineinschreiben!)

Glauben Sie denn wirklich, dass die Beispiele, etwa in Bezug auf Kindergärten in Wohngebieten, die Sie angeführt haben, Frau Kollegin Werner-Muggendorfer, durch Kinderrechte im Grundgesetz zu bewältigen wären? Menschen werden sich – leider! – immer wieder dagegen wehren, dass in ihrer Nachbarschaft ein Kindergarten entsteht, der natürlich eine gewisse Geräuschentwicklung mit sich bringt. Das Entscheidende ist aber doch nicht, dass es Menschen gibt, die so etwas leider tun, sondern das Entscheidende ist, dass die Gerichte diesen geltend gemachten Anspruch in aller Regel schon jetzt ablehnen. So ist nämlich die Realität.

(Beifall bei der CSU)

(Zuruf von der CSU: Da wäre es wichtig!)

Genau, da wäre es wichtig. Am besten ist es, Sie merken es sich.

Ein weiterer Schritt zur Glaubwürdigkeit wäre allerdings auch, dass die Vorbehaltserklärung in der UN-Kinderrechtskonvention durch die Bundesregierung zurückgenommen wird.