Protokoll der Sitzung vom 05.06.2008

Das Bundesverfassungsgericht hat in einer Entscheidung am 23.02.2007 darauf hingewiesen, dass diese Vorschriften in diesen Gesetzen als Grundlage für die Videoüberwachung auf öffentlichen Plätzen nicht ausreichen. Das Bundesverfassungsgericht hat allerdings aber auch betont, dass die Videoüberwachung öffentlicher Einrichtungen mit Aufzeichnung des gewonnenen Bildmaterials auf der Grundlage einer hinreichend bestimmten und normenklaren Ermächtigungsgrundlage materiell-verfassungsgemäß sein kann.

Dies wird mit dem vorliegenden Gesetzentwurf aufgegriffen, und es wird ein Artikel 21 a eingefügt, der die Zulässigkeit der Überwachung unter Beachtung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts festlegt.

Im Gesetzentwurf ist klar geregelt, wo und unter welcher Voraussetzung die Überwachung und Speicherung zulässig ist. Es werden hier – auch wenn es die Opposition nicht wahrhaben will – juristische Fachbegriffe verwendet, die sich im Einklang mit den bundesgesetzlichen Regelungen halten, und ich habe eigentlich noch nie gehört, dass Sie sich mit den entsprechenden Formulierungen in Bundesgesetzen irgendwann einmal kritisch auseinandergesetzt haben. Ich darf Sie bitten, hier dieselben Maßstäbe anzulegen, wie Sie das auch auf Bundesebene tun.

Es ist geregelt, dass die betroffenen Personen über die Überwachung zu informieren sind, und es ist genau festgelegt, wann die gespeicherten Daten zu löschen sind.

Wir müssen festhalten – und ich habe es vorhin schon gesagt –: Der Entwurf ermöglicht fl ächendeckende Überwachung im öffentlichen Raum und in öffentlichen Gebäuden und de facto eine anlasslose Überwachung. Das heißt aber auch, dass Überwachungsmaßnahmen, wie sie in der letzten Zeit in der Presse und auch in der öffentlichen Meinung kritisiert worden sind, wie sie bei Lidl durchgeführt worden sind, mit diesem Gesetzentwurf in öffentlichen Gebäuden legalisiert werden. Diese Art von Überwachungsmaßnahmen, wie sie Lidl durchgeführt hat, können in öffentlichen Gebäuden auf der Grundlage dieses Gesetzentwurfs ganz legal vonstatten gehen. Ich denke, dass das nicht das Ziel einer solchen Regelung sein kann.

Unserer Auffassung nach widerspricht der Gesetzentwurf, der vorgelegt wurde, allen Anforderungen und allen Ansprüchen an den Datenschutz, die sowohl von fachlicher Seite als auch – ich verweise wieder auf das Bürgergutachten – von den bayerischen Bürgerinnen und Bürgern erhoben werden. Deshalb werden wir diesen Gesetzentwurf ablehnen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das Wort hat Frau Kollegin Stahl.

Herr Präsident, meine Herren und Damen! Im Bundestag und im Innenausschuss hier im Landtag haben wir leider in den vergangenen Wochen eine ganze Reihe unheiliger Beschlüsse gefasst: von der Rasterfahndung über die Online-Durchsuchung bis zum Kfz-Kennzeichen-Scanning. Ich werde heute wohl feststellen müssen, dass wir eine weitere Fehlentscheidung von Ihrer Seite dazuzählen müssen.

Sie signalisieren damit überhaupt nicht mehr Sicherheitskompetenz, wie Herr Herrmann ja immer von sich selbst behauptet, dass die CSU eine solche habe, sondern Sie legen ein für unsere Demokratie äußerst bedrohliches Verhalten an den Tag. Mit einer Welle neuer Beschränkungsgesetze überziehen Sie kurz vor der Sommerpause den Landtag. Aber Herr Herrmann ist für diese Welle nicht der perfekte Surfer, das muss man feststellen.

(Heiterkeit der Abgeordneten Maria Scharfenberg (GRÜNE))

Entweder haben Sie Angst, nach der Sommerpause keine Gesetze mehr allein auf den Weg bringen zu können, oder ich frage mich: Aus welchen Gründen legen Sie bei vielen Gesetzentwürfen diese Eile an den Tag? Wir haben heute früh festgestellt: Für andere Dinge, wenn es um Bürgerrechte geht, brauchen Sie Jahre, bis sie installiert sind, wenn es denn überhaupt geschieht. Aber bei Beschränkung, Gängelung, Kontrolle, Bespitzelung sind Sie sofort dabei, egal ob es Sinn macht oder nicht.

(Maria Scharfenberg (GRÜNE): Ganz fi x!)

Nächster Redner: Herr Kollege Ritter.

Sehr geehrter Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Bei dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ging es nicht um eine nötige Neuregelung von Überwachungen, die in U-Bahnen stattfi nden – da gibt es tatsächlich eine bestehende Regelung, auf die man in dem Fall zurückgreifen kann –, sondern es wurde auf einen spezifi schen Fall rekurriert, nämlich auf die Überwachung im öffentlichen Raum, und darauf ist auch dieser Gesetzentwurf mit Sicherheit ausgerichtet.

Nun kann man einen Gesetzentwurf – wenn man denn sagt, man brauche zusätzliche Überwachungsmöglichkeiten im öffentlichen Raum – so oder so gestalten. Jetzt sage ich Ihnen einmal, wie man es auch gestalten kann. Eine Antwort darauf geben nämlich die bayerischen Bürgerinnen und Bürger, die an dem Bürgergutachten mitgearbeitet haben, das gestern unter großem Pomp, mit viel Beifall der CSU und der Behauptung, hier würde die gesamte Politik der CSU Bestätigung fi nden, vorgestellt worden ist. Wie sehen die das? Die Bürgerinnen und Bürger, die an diesem Bürgergutachten mitgearbeitet haben, sagen nämlich: Überwachung soll nur da stattfi nden, wo ein konkreter Verdacht vorliegt,

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Das sind gescheite Leut’!)

wo eine konkrete Gefahr vorliegt, und es soll keine fl ächendeckende Überwachung stattfi nden.

Dieses Bürgergutachten und diese Aussagen der Bürgerinnen und Bürger, die sie da getroffen haben, sind letztendlich nichts anderes als eine wirklich schallende Ohrfeige für die CSU und für die Staatsregierung, wie die immer mit dem Datenschutz umgehen.

(Beifall bei der SPD)

Sie legen hier einen Gesetzentwurf vor, der Videoüberwachung in Bayern fl ächendeckend und ohne konkreten Verdacht ermöglicht. Es ist erstens keine zeitliche und keine räumliche Begrenzung der Maßnahmen vorgesehen. Zweitens: Die nötigen Gründe für eine Überwachung sind so weitgefasst, dass letztendlich eine Überwachung ohne Anlass durchgeführt werden kann.

Löschungsvorschriften sind in diesem Gesetzentwurf zwar vorhanden. Allerdings heißt es da auch, dass natürlich zur Geltendmachung von Rechtsansprüchen weiter gespeichert werden kann. Welcher Art diese Rechtsansprüche sein müssen, wo es da Beschränkungen gibt, ist nicht ausgeführt. Ebenfalls ist nicht ausgeführt, wann denn diese Daten, die länger gespeichert bleiben sollen, dann tatsächlich zur Löschung kommen sollen.

ment tatsächlich braucht neben den bereits existierenden Überwachungsmöglichkeiten durch die Polizei.

Dieser Mühsal verweigern Sie sich, aus welchen Gründen auch immer. Aber so schnell, wie Sie, gleichsam im Schweinsgalopp, immer wieder neue Forderungen aufstellen, so schnell trocknet keine Tinte unter einem Verfassungsgerichtsurteil, weshalb Sie die Geschichte vielleicht doch einmal so angehen sollten, dass Sie einzelne Gesetze evaluieren.

Wir halten es für überfällig, noch mal zu überlegen, ob man einzelne Gesetze braucht. Ich möchte Ihnen das am Beispiel der Videoüberwachung deutlich machen. Das wäre ein guter Anlass, über Sinn und Zweck nachzudenken. In Großbritannien – das ist ein wunderbares Beispiel – gibt es mittlerweile 4,2 Millionen staatliche und privatwirtschaftlich betriebene Videokameras. Alle 4,8 Minuten wird eine Bürgerin/ein Bürger erfasst. 8000 Geräte können bereits Kfz-Kennzeichen lesen. Allein in Liverpool sind das 240 neue Kameras mit einem hundert Kilometer langen Glasfaserkabel.

Wir wollen jetzt einmal nicht diskutieren, wer diesen Datensalat anschauen geschweige denn auswerten soll. Aber ich frage mich natürlich schon: Wollen Sie auch nach dem Beispiel Großbritanniens zu einem Netz von zentralen Kontrollzentren kommen, weiteren Überwachungssystemen, und wollen wir zusätzliche Kameras? Hierfür ist ebenfalls in Großbritannien ein schönes Beispiel zu fi nden. Trotz 1000 Kameras in London zusätzlich ist die Verbrechensquote in London immer noch viermal so hoch wie in New York.

Mittlerweile gibt es in Großbritannien mehrere Studien über die Wirksamkeit der offenen Videoüberwachung – und wir gehen ja hier von einer offenen Videoüberwachung aus, wir sind ja nicht bei Ihren noch viel unsäglicheren Vorstellungen der heimlichen Installierung von Trojanern in Online-Durchsuchungsangelegenheiten. Das Ergebnis – das müssen Sie einfach mal zur Kenntnis nehmen, aber ich sehe in eine Reihe unbeteiligter Gesichter, Sie wollen das nicht zur Kenntnis nehmen – dieser Studie ist: Es gibt weder einen Rückgang der Kriminalität noch – das halte ich auch für sehr wichtig – eine Zunahme des Sicherheitsgefühls der Menschen, im Gegenteil: Dort, wo Kameras installiert sind, nimmt die Akzeptanz der Videoüberwachung ab, weil die Menschen feststellen, dass die Kriminalität trotzdem nicht zurückgeht.

(Maria Scharfenberg (GRÜNE): Ja, eben!)

Also sollten wir vielleicht schon einmal überlegen – oder zumindest Sie, wir ja nicht –, ob Sie daraus Konsequenzen ziehen.

Aber ich bin sicher, Sie wollen keine wissenschaftlich fundierte Arbeit, Sie wollen die Debatten, die die konservative Politik so gerne führt. Sie möchten eine Scheinsicher

Ausgerechnet Herr Herrmann wird in der Zeitschrift „Politik und Kommunikation“ mit dem Satz zitiert: „Wir müssen stärker darauf achten, dass die Gesetze sauber ausgearbeitet sind.“

(Maria Scharfenberg (GRÜNE): Genau!)

Lieber Herr Herrmann, was haben wir gelacht, vor allem beim Versammlungsgesetz.

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird die Videobeobachtung und -aufzeichnung nicht beschränkt, sondern ausgeweitet. Sie entspricht aus unserer Sicht nicht den strengen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Art. 21 a Bayerisches Datenschutzgesetz enthält keine Beschränkung auf bestimmte öffentliche Stellen, im Gegenteil: Nach dem Anwendungszweck zu urteilen müssen wir feststellen, dass Sie beispielsweise auch Beliehene oder alle diejenigen mit einer Videoüberwachung befrachten, wenn sie für öffentliche Stellen arbeiten. Es genügt unter Umständen schon die Ausübung des Hausrechts. Es gibt keine echte Einschränkung auf bestimmte Orte, da die Aufzählung in diesem Gesetzentwurf so umfassend ist, dass quasi kein Ort mehr unbeobachtet bleiben wird, wenn man es will. Genau das aber will das Bundesverfassungsgericht auch nicht.

Es gibt keine Beschränkung bei der Gefahr für hochwertige Rechtsgüter, wie Leib und Leben, sondern es ist schon bei Sachbeschädigung und Ordnungswidrigkeiten möglich, eine Videoüberwachung durchzuführen.

Es fehlt – und das ist uns auch besonders wichtig – an einer Abwägung zwischen dem staatlichen Ziel der Gefahrenvermeidung und der Bekämpfung von Straftaten sowie dem Grundrecht der Bürger auf informationelle Selbstbestimmung. Eine Videoüberwachung, die zu jeder Zeit und an jedem Ort stattfi nden darf, enthält eine solche Abwägung nicht.

Meine Herren und Damen, zu sauber ausgearbeiteten Gesetzen gehört nicht nur die Abwesenheit von Eselsohren an denselben, sondern gehört für uns auch, dass über die Konsequenzen nachgedacht wird, die ein solches Gesetz mit sich bringt, und dass nicht wieder nachgebessert werden muss.

Wir wissen mittlerweile, dass nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Februar 2007 eine Videoüberwachung im öffentlichen Raum eine gesetzliche Grundlage braucht, will sie legal sein – bisher war sie also illegal –, und wir wissen auch, dass die Videoüberwachung durch die Polizei schon gesetzlich geregelt ist und dort, wo es notwendig ist, auch stattfi nden kann, darf und soll. Aber weder im Beitrag zur Ersten Lesung noch in der Ausschussdebatte konnte ich auch nur ansatzweise feststellen, dass Sie, meine Herren und Damen von der CSU, ernsthaft und grundsätzlich überlegt hätten, ob es diese Videoüberwachung im öffentlichen Raum als Instru

keinen Anlass, Videoaufnahmen auszuwerten. Wenn der Tag vorübergegangen ist, ohne dass irgendetwas an der Tankstelle passiert ist, und ohne, dass einer ohne zu bezahlen davongefahren ist, wird dieser Tankstellenpächter die Videoaufnahmen in der Nacht löschen, und das hat sich für ihn erledigt. Wenn es am nächsten Tag aber tatsächlich vorkommt, dass einer davonfährt, ohne zu bezahlen, hat er den Vorteil, dass er auf den Videoaufnahmen das Kennzeichen nachsehen und den Kfz-Besitzer herausfi nden kann. Er kann die Polizei alarmieren und anzeigen, dass gerade einer ohne zu bezahlen davongefahren sei, der das Kennzeichen sowieso habe. Das ist der ganz konkrete Nutzen von der Videoüberwachung für den Tankstellenpächter.

Sie können das Problem natürlich völlig theoretisch betrachten und sagen, da würden über die Woche hinweg hunderte von Autos aufgenommen werden, die an der Tankstelle gehalten haben. Die Videos muss man gar nicht auswerten, weil jeder, der die Rechnung bezahlt hat, den Tankstellenpächter nicht interessiert.

Genauso ist es an vielen anderen Einrichtungen auch.

(Christine Stahl (GRÜNE): Das hat mit dem Thema nichts zu tun!)

Die Landeshauptstadt München wertet die Videoaufnahmen von einer U-Bahnhaltestelle, an der in den letzten drei Tagen überhaupt nichts passiert ist, es keine Schlägerei, keinen Unfall, keinen Drogendeal und auch sonst nichts gegeben hat, weiter nicht aus, sondern wird sie spätestens zu dem gesetzlich festgelegten Zeitpunkt löschen.

Wir haben gerade bei den Vorfällen kurz vor Weihnachten und nach Weihnachten erlebt, wie wichtig es ist, dass es in der Münchner U-Bahn die segensreiche Einrichtung der Videoaufnahmen gibt. – Wohl gemerkt in einer Einrichtung der Landeshauptstadt München, deren Stadtrat, Frau Kollegin Stahl, mit seiner rotgrünen Mehrheit inzwischen unumstritten die Videoaufnahmen akzeptiert und sie auch von den GRÜNEN im Münchner Stadtrat nicht in Zweifel gezogen werden.

Meine Wahrnehmung ist folgende: Wenn nachts ein Fahrgast sich alleine am Bahnsteig befi ndet, wie das an außenstehenden U-Bahnstationen schon vorkommt, empfi ndet er es als Gewinn für seine Sicherheit, dass wenigstens diese Kameras aufgestellt sind und er weiß, dass in der Leitstelle der U-Bahnhof überwacht werden kann und festgestellt werden kann, wenn ein Schlägertrupp daherkäme.

(Beifall bei der CSU)

Das ist ein Gewinn für die innere Sicherheit und das Sicherheitsgefühl der Menschen in unserem Land. Deshalb gehen Sie mit Ihrer Argumentation völlig an der Realität

heit garantieren, wissend, dass es die nicht gibt. Ähnlich handeln auch die Berliner Verkehrsbetriebe. Sie wissen zwar nach einem Bericht eines Forschungsinstituts, das sie extra gebeten haben, Daten zu erheben und auszuwerten über die Videoüberwachung in U-Bahnen, dass letztendlich eine Verbesserung der objektiven Sicherheit für die Fahrgäste nicht nachgewiesen werden konnte. Aber was soll’s? Man will etwas suggerieren. Man will so tun, als ob, und das ist Ihre Politik.

Ihr Gesetzentwurf wird den Anforderungen an eine freiheitliche Bürgergesellschaft nicht gerecht. Sie wollen die Überwachung perfektionieren, und dafür nehmen Sie auch die Missachtung von Spielregeln in Kauf.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Das Wort hat Herr Staatsminister Herrmann.