Protokoll der Sitzung vom 16.07.2008

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 129. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Sie ist erteilt.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf:

Gesetzentwurf der Abg. Margarete Bause, Dr. Sepp Dürr, Maria Scharfenberg u. a. u. Frakt. (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Aufnahme ausländischer Flüchtlinge sowie deren Versorgung mit Wohnraum (Flüchtlingsaufnahmege- setz – FlAufnG) (Drs. 15/10436) – Zweite Lesung –

Ich eröffne die Aussprache. Im Ältestenrat wurde eine Redezeit von 10 Minuten je Fraktion vereinbart. Erste Rednerin ist Frau Kollegin Ackermann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! 2002 wurde die Aufnahme von Flüchtlingen in die Zuständigkeit des Bundes überführt, das heißt, die Zuständigkeit für die Unterbringung, Verteilung, Aufnahme und soziale Versorgung ausländischer Flüchtlinge wird bundeseinheitlich geregelt. Der Staat hat diese Regelung zum Anlass genommen, auch festzulegen, dass künftig alle Flüchtlinge in Gemeinschaftsunterkünften unterzubringen sind und das Verlassen einer Gemeinschaftsunterkunft nur im begründeten Einzelfall möglich ist. Die Forderungen von Wohlfahrtsverbänden, die bei Anhörungen geäußert wurden, schutzbedürftige Menschen von dieser Regelung auszunehmen und ihnen eine dezentrale Unterbringung in Wohnungen zu ermöglichen, fanden keinen Eingang in das Gesetz. Zudem gab es keine gesetzliche Festschreibung von Unterbringungsstandards.

Die Folge davon war, dass sich die Zustände in den Gemeinschaftsunterkünften stets verschlechtert haben. Festbauten sind geschlossen worden, und die Flüchtlinge wurden in Container verlegt, obwohl im Gesetz steht, dass sie nicht in Wohnungen untergebracht werden dürfen, die nur für eine vorübergehende Nutzung gedacht sind. Nach meinem Dafürhalten kann man Container aber nur für eine vorübergehende Nutzung überhaupt in Betracht ziehen. Die Menschen wohnen – wohnen ist eigentlich geschmeichelt –, sie hausen in diesen Containern teilweise bis zu zehn Jahren und manchmal sogar noch länger. Das sind unzumutbare Zustände. Das ist nicht nur die Meinung der GRÜNEN, sondern auch den Menschenrechtskommissar des Europarats hat es gestört, und er hat die Unterbringung als nicht geeignet im Sinne der EUAufnahmerichtlinie bezeichnet. Trotzdem hat sich nichts an der Situation geändert. Noch immer gibt es Gemeinschaftsunterkünfte, die aus Containern bestehen, noch immer sind Menschen dort zusammengepfercht. Weil wir der Meinung sind, dass das unzumutbare Zustände sind, weil wir der Meinung sind, dass alle Menschen ein Recht auf eine menschenwürdige Unterbringung haben, haben wir versucht, die Lücke in diesem Bundesgesetz

zu schließen und Standards festzulegen, nach denen die Menschen dort leben können.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir haben nicht nur versucht, Standards festzulegen, sondern auch Ausnahmen für besonders schutzbedürftige Menschen zu formulieren. Wir wollen von der Pflicht, in einer Gemeinschaftsunterkunft leben zu müssen, unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, schwerbehinderte Menschen, die bereits das 65. Lebensjahr vollendet haben, Schwangere, Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern und Traumatisierte ausnehmen. Wir wollen auch, dass sogenannte Mischfamilien – das sind Familien, von denen ein Mitglied bereits eine Aufenthaltsgenehmigung hat, die anderen aber noch nicht – nicht getrennt werden und sie diese Unterkünfte verlassen können. Wir haben Standards festgelegt, die besagen, dass Wohn- und Schlafzimmer in Gebäuden pro Person mindestens 10 qm haben müssen, ohne Flure, Toiletten und Küchen einzurechnen, und dass Ehepaaren oder Lebenspartnern eine gemeinsame Unterbringung in getrennten Wohneinheiten ermöglicht wird. Ausnahmen und Standards sind leider nötig, weil die Praxis beweist, wie menschenunwürdig Flüchtlinge oft viele Jahre untergebracht sind.

(Beifall bei den GRÜNEN – Christine Kamm (GRÜNE): Viel zu lange!)

Auf Antrag meiner Fraktion hat der Sozialausschuss des Landtags die Gemeinschaftsunterkunft in der Waldmeisterstraße besucht. Das war ein deprimierender Besuch, obwohl die Zustände in der dortigen Gemeinschaftsunterkunft Monate vorher noch viel schlimmer waren. Es wurde dort massiv renoviert, aber auch die besten Renovierungsarbeiten können nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich um einen Containerbau handelt, dass die Menschen auf engstem Raum zusammenleben müssen, dass sie keine Sozialbetreuung haben, dass es keine Spielmöglichkeiten für Kinder gibt, dass die Küche nur aus wenigen Kochplatten für zig Bewohner besteht und dass die sanitären Verhältnisse untragbar sind. Ich denke, es war für etliche Mitglieder des Sozialausschusses ein schockierendes Erlebnis, die Gemeinschaftsunterkunft in der Waldmeisterstraße zu sehen. Ich hoffe, dass sich aus diesem Besuch die Bereitschaft entwickelt hat, für eine bessere Unterkunft dieser Menschen zu sorgen.

Die grüne Landtagsfraktion hat darüber hinaus eine von uns so genannte Lagertour gemacht. Wir sind durch Bayern gefahren und haben viele Gemeinschaftsunterkünfte besucht. Wir mussten feststellen, dass – von wenigen Ausnahmen abgesehen – die Zustände in Bayern äußerst schlecht sind, die Menschen wirklich schlecht untergebracht sind und dass Familien auf engstem Raum leben müssen. Wenn man weiß, was diese Menschen, bis sie hierher kamen, oft durchgemacht haben, und dass es sich um sehr viele traumatisierte Menschen handelt, und wenn man weiterhin weiß, dass in diesen Unterkünften der Lärmpegel bis in die Nacht hoch ist, dann kann man sich vorstellen, dass sich dort wieder neue Probleme, Aggressionen, Krankheiten und Depressionen entwickeln. Es kann nicht im Sinne von Menschen eines zivilisierten

Wie ist die Beschlusslage? Der Gesetzentwurf wurde im federführenden sozialpolitischen Ausschuss sowie im Kommunalausschuss und im Haushaltsausschuss beraten, und die Endberatung hat im Rechts- und Verfassungsausschuss stattgefunden. Alle Ausschüsse haben den Gesetzentwurf mit den Stimmen von CSU und SPD abgelehnt.

Die Begründung der Ablehnung: Der Gesetzentwurf zielt darauf ab, das Gesetz über die Aufnahme und Unterbringung der Leistungsberechtigten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, das sich bewährt habe, zu ersetzen. Die festgelegten Standards sind unpraktikabel. Insbesondere sind bei Flüchtlingswellen Containerlösungen unverzichtbar. – Dies haben wir oft erlebt. – Die Feststellung genauer Mindestquadratmeterzahlen für Wohn- und Schlafräume sind zu starr.

Zudem ist darauf hinzuweisen, dass – wie derzeit – nur in zwölf Gemeinschaftsunterkünften Containerbauten benutzt werden.

Insgesamt muss darauf hingewiesen werden, dass die vom Gesetzentwurf mehrfach suggerierte Situation – ich habe zu Beginn davon gesprochen, dass Asylbewerber derzeit nicht menschenunwürdig und in gesundheitsgefährdender Weise untergebracht sind – nicht den Tatsachen entspricht.

Gestatten Sie mir noch einen Hinweis zu etwas, was auch die Kollegin angesprochen hat. Das Gesetzesvorblatt des Entwurfs bezieht sich auf den Bericht des Menschenrechtskommissars des Europarates, der unter Bezugnahme auf die im Freistaat Bayern angetroffenen Unterkunftsverhältnisse seine tiefe Besorgnis ausgedrückt und geäußert hat, die Verhältnisse seien nicht geeignet, die EU-Aufnahmerichtlinie zu erfüllen. Dies ist richtig. Allerdings hat der Menschenrechtskommissar einschränkend darauf hingewiesen, dass er nur eine einzige Einrichtung besucht habe, sodass keine verallgemeinernde Beurteilung möglich sei.

Ich wiederhole: Wir lehnen den Gesetzentwurf ab. Ich weise noch einmal darauf hin, dass selbstverständlich jedem Missstand, wenn er gemeldet wird, nachgegangen wird.

(Beifall bei der CSU)

Nächste Rednerin: Frau Kollegin Weikert.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Erst einmal schönen guten Morgen! Frau Ackermann, wir werden Ihrem Gesetzentwurf nicht zustimmen, weil er das Problem falsch beschreibt und der falsche Lösungsansatz ist. Ich werde jetzt versuchen, dies mit ein paar Stichworten deutlich zu machen.

Sie sagen, besonders schutzbedürftige Menschen müssten aus der Gemeinschaftsunterkunft herausgenommen werden. Wenn Sie tatsächlich ernsthaft an das Problem herangingen – aber soviel Mut haben Sie nicht –, dann würden Sie Gemeinschaftsunterkünfte generell ablehnen.

Landes sein, dass man einen Teil der Menschen, die zu uns kommen, so unwürdig leben lässt.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Im Grunde fordert dieser Gesetzentwurf keine große Leistung, im Grunde fordert er eine Selbstverständlichkeit. Er fordert nur die einfache, aber menschenwürdige und hygienisch einwandfreie Ausstattung von Unterkünften für Flüchtlinge – mehr nicht. Deswegen glaube ich, dass unser Gesetzentwurf zustimmungsfähig ist.

Denn ich kann mir nicht vorstellen, wer sich einer Forderung nach einem Mindestwohnraum von 10 Quadratmetern verweigern will. Und wer will sich dem verweigern, dass eine schwangere Frau oder eine unbekleidete Minderjährige oder Mütter mit minderjährigen Kindern ordentlich untergebracht werden? Bestimmt möchte in diesem Haus niemand, dass Menschen, die nach Deutschland, die nach Bayern kommen – Bayern rühmt sich immer, spitze zu sein –, weiterhin so vegetieren müssen.

Ich bitte Sie also um Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das Wort hat Frau Kollegin Matschl.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Frau Ackermann, wir haben diese Thematik sehr oft diskutiert, auch im Ausschuss. Wir sind natürlich in Zusammenarbeit mit dem Sozialministerium und den zuständigen Behörden allen Vorgängen, die Sie so stark kritisieren, nachgegangen. Falls Missstände auftreten, versucht man doch immer wieder, sie zu beheben. Mein Kollege Unterländer und die Frau Ministerin waren vor Ort in der Waldmeisterstraße; sie sind also sehr gut informiert.

In Zweiter Lesung behandeln wir jetzt den Gesetzentwurf der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN über die Aufnahme ausländischer Flüchtlinge sowie über deren Versorgung mit Wohnraum. Wir haben im Jahr 2002 das Aufnahmegesetz im Parlament verabschiedet. Es hat sich bewährt. Wir sehen demnach keine Veranlassung, das Gesetz aufzuheben.

Der Gesetzentwurf legt die Mindestwohnstandards für alle ausländischen Flüchtlinge einschließlich aller nach dem Asylbewerberleistungsgesetz leistungsberechtigten Personen fest. In einem Flüchtlingsaufnahmegesetz ist insbesondere zu regeln, dass als Aufnahmeeinrichtungen, Regierungsaufnahmestellen und Gemeinschaftsunterkünfte nur Gebäude errichtet werden dürfen, die nicht zur vorübergehenden Wohnnutzung bestimmt sind. Also: Keine Containerbauten mehr! Wohn- und Schlafräume müssen pro Person jeweils mindestens 10 Quadratmeter aufweisen.

ums auf eine von Ihnen zu diesem Thema gestellte Anfrage bestätigt worden.

Der Gesetzentwurf geht aber auch wegen ganz anderer Dinge letztlich an dem Problem vorbei. Deshalb lehnen wir ihn ab. Er baut einen Bürokratismus zum Thema der Unterbringung von Flüchtlingen auf. Sie sagen zum Beispiel, dass keine Unterbringung in Containern erfolgen solle. Damit kann ich ganz wenig anfangen. Es gibt viele tolle Schulbauten, die aus Containern bestehen.

Die sind wunderbar. Ich würde mich freuen, wenn alle Schulhäuser in Bayern den Standard der verschiedenen Containerbauweisen, die es gibt, hätten.

(Maria Scharfenberg (GRÜNE): Das kann doch nicht wahr sein!)

Sind Sie in der Lage, einmal zwei Minuten ruhig zu sein?

(Heiterkeit und Beifall bei SPD und CSU)

Also kann ich in einem Gesetzentwurf nicht sagen: Containerbauweise ist ausgeschlossen. Würde das Gesetz so beschlossen, so würde es das Sozialministerium und alle, die damit umgehen müssen, in erheblichem Maße einengen.

Über einen anderen Punkt bitte ich Sie, wirklich nachzudenken. Wir, die SPD-Fraktion, sagen: Die Bundesrepublik Deutschland, das Land Bayern, muss für Flüchtlinge aus der ganzen Welt, die wirklich in großer Not zu uns kommen, aufnahmebereit sein. Dabei denke ich zum Beispiel an die Auseinandersetzungen vor unserer Haustür, im ehemaligen Jugoslawien, also auf dem Balkan. Wenn wir diesen Grundsatz voranstellen, müssen wir vielleicht innerhalb kurzer Zeit viele Flüchtlinge bei uns aufnehmen. Das Land Bayern müsste, würde Ihr Gesetz beschlossen, sagen, dass dies nicht möglich ist, weil wir leider aufgrund dieses Gesetzes keine Container haben dürfen und beispielsweise auch zehn Quadratmeter pro Person vorsehen müssen. Mit all diesen Auflagen sind wir nicht in der Lage, diese Flüchtlinge aufzunehmen, und müssten sie abweisen. So stellen wir uns eine Flüchtlingspolitik, die auf das, was in der Welt notwendig ist abstellt, nicht vor.

Frau Kollegin Stewens, ich gehe davon aus, dass Sie sich noch in die Debatte einmischen werden. Ich habe eine Frage an Sie.

Das Thema Asyl und damit auch das Thema der Gemeinschaftsunterkünfte hat sich in den letzen Jahren rasant verändert. Auch dies wird in dem Gesetzentwurf der GRÜNEN überhaupt nicht beachtet. Die Zahl der Asylbewerber – sie liegt mir vor – ist von 160 000 auf aktuell 9000 zurückgegangen. Ich habe es mir gestern aus der Statistik des BAMF herausgesucht; das ist der Stand vom Mai 2008. Schon deshalb sind Gemeinschaftsunterkünfte, so denke ich, ganz anders zu beurteilen.

Denn jede Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften ist ein Problem, weil dort viele Menschen unter einem Dach leben. Da kommen unterschiedliche Kulturen und unterschiedliche Nationen zusammen.

(Zuruf der Abgeordneten Maria Scharfenberg (GRÜNE))

Frau Scharfenberg, ich bitte Sie, mir zuzuhören!

Aber so weit gehen Sie nicht. Es gibt Flüchtlingsorganisationen, die so weit gehen. Aber Sie nehmen einige Personenkreise heraus. Ich meine, das machen Sie bei Weitem nicht vollständig. Sie nehmen zum Beispiel unbegleitete minderjährige Flüchtlinge heraus. Aber wo sind in Ihrer Aufzählung die jungen erwachsenen Frauen, die gerade mal nicht mehr minderjährig sind, die hoch attraktiv sind und mit vielen alleinstehenden Männern in Gemeinschaftsunterkünften leben müssen? Diese Personen müsste man in eine vollständige Aufzählung einbeziehen.

Ich meine aber auch, dass das Problem von Ihnen, Frau Kollegin Ackermann, nicht richtig beschrieben worden ist. Das Problem ist nicht so, wie Sie es dargestellt haben. Es gibt keine minderjährigen Flüchtlingskinder in Gemeinschaftsunterkünften, zumindest nicht über längere Zeit. Das weiß ich definitiv, weil ich mich auf diesem Feld sehr gut engagiere.

Schade, dass wir dieses Thema nicht gestern behandelt haben. Gestern hatte ich zehn minderjährige Flüchtlingskinder aus meinem Verein in Nürnberg hier zu Besuch. Die haben oben von der Tribüne aus zugehört. – Also diesen Personenkreis gibt es in Gemeinschaftsunterkünften nicht, zumindest nicht über längere Zeit. In Erstaufnahmeeinrichtungen gibt es diese Personen zwar, aber danach nicht mehr.

Zur Frage der Schwerbehinderung. Ich gehe davon aus, dass für Gemeinschaftsunterkünfte auch das gestern verabschiedete Gesetz gilt. Da geht es auch darum, dass an der Barrierefreiheit gearbeitet wird.

(Zuruf der Abgeordneten Renate Ackermann (GRÜNE))

Können Sie denn nicht einmal für zwei Minuten ruhig sein?