Protokoll der Sitzung vom 16.07.2008

Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Der DGB, ver.di und Beschäftigte verschiedener Münchener Unternehmen halten eine Woche lang, vom vergangenen Freitag bis morgen, eine Mahnwache für den Erhalt der Versammlungsfreiheit in Bayern, und zwar vis-a-vis vom Landtag am Maxmonument auf der anderen Isarseite. Die Mahnwoche ist ein eindrucksvolles Zeichen des Protestes, den eine breite Bewegung von Gewerkschaften, Verbänden, Initiativen und unzähligen Bürgerinnen und Bürgern gegen das bayerische Versammlungsverhinderungsgesetz zum Ausdruck bringt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Diese Mahnwache ist ein eindrucksvoller Ausdruck des Protestes gegen den Inhalt des CSU-Gesetzes, sie ist aber auch ein eindrucksvoller Protest gegen die unsäglich arrogante und undemokratische Art und Weise, in der die CSU hunderte von Eingaben ungelesen und unbehandelt in die Tonne getreten hat.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Kolleginnen und Kollegen von der CSU, mit dem Inhalt des Gesetzes und ebenso mit diesem Verfahren versündigen Sie sich an der demokratischen Kultur Bayerns.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Weil das so ist, ist es umso unterstützenswerter, dass die Vertreterinnen und Vertreter der Gewerkschaften auf der anderen Seite der Isar Ihrer Arroganz der Macht die Stirn bieten und ihren Protest in dieser Form öffentlich machen. Im Namen der Landtagsfraktion der GRÜNEN bedanke ich mich deshalb ausdrücklich bei ver.di und bei der Streikleitung in München für die Mahnwache als Form des zivilen Widerstandes gegen das CSUVersammlungsverhinderungsgesetz.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich stehe heute auch hier, um den vielen Petitionen und den abertausenden unterstützenden Unterschriften aus dem Kreis der Arbeitnehmervertretungen ein Gesicht und eine Stimme zu geben, ihnen das Gehör zu verschaffen, auf das sie einen demokratischen Anspruch haben, den ihnen die CSU aber verwehrt.

Ich nenne beispielhaft die Petitionen des DGB Bayern, der IG Metall Bayern, von Ver.di Bayern, Niederbayern und München, des Landesfachbereichs Telekommunikation Informationstechnologie. Das Innenministerium hat im Gesetzgebungsverfahren nur die kommunalen Spitzenverbände und nicht etwa die Gewerkschaften angehört, obwohl diese von Ihrem Versammlungsverhinderungsgesetz ganz besonders und häufig betroffen sind.

(Prof. Dr. Hans Gerhard Stockinger (CSU): Schade, dass Sie den Senat abgeschafft haben!)

Das erklärt auch, lieber Kollege, warum die Gewerkschaften eine herausragende Rolle im sehr breiten Bündnis

Verbot aggressiv auftretender Versammlungen enthält. Aufgrund dieser Regelung müssen die Gewerkschaften befürchten, dass öffentlichkeitswirksame Aktionen als einschüchterndes Auftreten ausgelegt werden können und die Behörden einschränkende Auflagen verhängen. Die Möglichkeit, unliebsame Redner von Versammlungen auszuschließen, gibt Behörden ebenfalls die Befugnis, in Tarifaktionen und Streikversammlungen einzugreifen. In mehreren Petitionen wird betont, dass diese Einschränkung des im Grundgesetz garantierten Streikrechts völlig inakzeptabel ist.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Mindestens ebenso einschneidend dürfte sich die im Verfahren etwas relativierte Regelung auswirken, dass Einschränkungen der Versammlungsfreiheit möglich sind, wenn Rechte Dritter beeinträchtigt werden, wobei die Staatsregierung zudem noch im Begründungstext erklärt hat, dass diese schutzwürdigen Drittrechte der Versammlungsfreiheit nicht gleichrangig sein müssen. Mir ist im Übrigen auch nicht bekannt, dass dieser Text, der ja zeigt welche Geisteshaltung Sie eigentlich haben, in der Begründung gestrichen wird.

Das alles betrifft die gewerkschaftlichen Handlungsmöglichkeiten massiv. Denn jede gewerkschaftliche Aktion tangiert die Rechte Dritter, insbesondere der Arbeitgeber. Gewerkschaftliche Aktivitäten wie Streiks, Streikversammlungen und Streikposten können also von den Behörden und der Polizei eingeschränkt oder ganz verboten werden. Die Wirkung von Streikmaßnahmen verpufft.

(Prof. Dr. Hans Gerhard Stockinger (CSU): Sprechen Sie für eine Gewerkschaft?)

Ich spreche hier für die Petenten. Das habe ich einleitend gesagt. Aber da Sie eben noch an Ihrem Laptop gearbeitet haben, sehe ich Ihnen gerne nach, dass Sie nicht auf der Höhe des Themas sind.

(Prof. Dr. Hans Gerhard Stockinger (CSU): Danke für die Nachsicht, aber ich kann sowohl hören als auch schreiben!)

Dann sind Sie ein Genie. Oder Sie schreiben das mit, was ich sage. Das wäre klug.

Auch hier sind die Befürchtungen, die ich gerade angedeutet habe, keineswegs aus der Luft gegriffen. Denn bereits nach dem bisherigen Recht müssen Streikende oftmals Einschränkungen hinnehmen. So wird in einer Petition des Landesfachbereichs Telekommunikation Informationstechnologie von Ver.di darauf hingewiesen, dass die Polizei beim Streik bei einer T-Punkt-Gesellschaft gegen Streikposten und Streikende einschüchternd vorgegangen ist, weil sich die Ladenleitung, also der Ladeneigentümer, über eine angebliche Beeinträchtigung des Geschäfts beschwerte. Mit dem Versammlungsverhinderungsgesetz würden die Eingriffsmöglichkeiten und die Eingriffsaufträge der Polizei systematisch zugunsten von Arbeitgebern und deren Interessen verschoben. Streikende und Streikposten laufen damit schneller Gefahr, kriminalisiert zu werden. Für Arbeitnehmerinnen und

Es ist ein Armutszeugnis für Ihre demokratische Grundhaltung, wenn Sie vor dieser Kritik und vor diesem Déjàvu der Älteren und Alten Augen und Ohren verschließen.

Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich nun mit einigen Worten die Behauptung von Innenminister Herrmann kommentieren, das Gesetz betreffe die Gewerkschaften nicht. Diese Behauptung ist natürlich nicht richtig. Gewerkschaftliche Aktionen sind wie die Versammlungen anderer Gruppen vom Gesetz erfasst. Eine Pressemitteilung des Innenministers, dass – ich zitiere – Warnstreiks bereits nach bisherigem Recht und genauso nach dem neuen Bayerischen Versammlungsgesetz keine Versammlungen und damit auch nicht anzeigepflichtig seien, eine Pressemitteilung des Ministers ersetzt nicht eine unmissverständliche Klarstellung im Gesetzestext. Diese fehlt.

(Beifall der Abgeordneten Ruth Paulig (GRÜNE))

Tatsache ist vielmehr, dass bereits nach der bisherigen Rechtslage Gewerkschaften regelmäßig mit der Rechtsauffassung konfrontiert werden, dass Streikposten bzw. Versammlungen von Streikenden vor einem bestreikten Unternehmen als Versammlung anzuzeigen seien. Deshalb ist es in der Tat notwendig, die Versammlungsfreiheit nicht ausgerechnet auf Pressemitteilungen des bayerischen Innenministers zu stützen, sondern eine Konkretisierung im Gesetz dahingehend einzufordern, dass Streikposten oder Versammlungen von Streikenden keine anzeigepflichtigen Veranstaltungen sind.

Es gibt weitere Beispiele dafür, dass bereits die geltende Rechtslage oft zu Problemen bei der Durchführung von Aktionen und Versammlungen geführt hat und dass sich diese Probleme mit dem Versammlungsverhinderungsgesetz drastisch verschärfen werden.

So hat Ver.di beim Telekom-Warnstreik im Frühjahr 2008 eine Versammlung auf dem Marienplatz durchgeführt. Erwartet wurden rund 2000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Deshalb mussten 30 Ordnerinnen und Ordner benannt werden. Nach dem geplanten Gesetz müssten der Versammlungsbehörde nunmehr die persönlichen Daten aller dieser Ordnerinnen und Ordner mitgeteilt werden. Diese Daten können gespeichert werden. Es gibt keine Löschvorschrift. Es ist doch völlig klar, dass das dazu führen wird, dass Gewerkschaften künftig gar nicht oder nur unter großen Mühen Personen finden werden, die bereit sind, als Demo-Ordnerin oder -Ordner, als Streikposten usw. zur Verfügung zu stehen.

Nach geltendem Recht müssen Versammlungen 48 Stunden vorher angemeldet werden. Künftig beträgt die Frist der Anzeigepflicht 72 Stunden. Wer dagegen verstößt, macht sich strafbar. Eine solche Zeitspanne und der Umstand, dass die Behörde betroffene Dritte informiert, kann die Wirkung von Streikaktionen einschränken oder verhindern, da die Arbeitgeber oftmals bewusst nicht über Zeit, Ort, Leiter oder Leiterin und Ordner und Ordnerin einer Streikaktion informiert werden, um den Streikerfolg sicherzustellen.

Der vorliegende Gesetzentwurf tangiert auch Tarifaktionen und Streikversammlungen, indem er das allgemeine

tag einige Punkte zu dieser Diskussion beizutragen. Ich wehre mich deswegen auch gegen die Unterstellung, die Petitionen seien in irgendeiner Art und Weise von den GRÜNEN organisiert worden.

Wir haben im Laufe der Diskussion einiges Trennende zu den Petitionen gehört und werden sicherlich noch einiges hören. Lassen Sie mich deshalb mit einer Feststellung beginnen, bei der wir uns hoffentlich einig sind: Demonstrationen und Kundgebungen sind ohne Zweifel auch ein Ort des Lernens und des Erfahrens von Politik und politischer Teilhabe junger Menschen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich greife hier aber nicht dem Bericht der Enquete-Kommission „Jungsein in Bayern – Zukunftsperspektiven für die kommenden Generationen“, der morgen gegeben wird, vor. Ich halte vielmehr fest, dass es etwas ist, wo wir uns wahrscheinlich auch ohne den Bericht dieser Enquete-Kommission einig sein können.

Wir mögen über die Inhalte bestimmter Demonstrationen, zum Beispiel des Bayerischen Jugendrings, unterschiedlicher Meinung sein. Aber angesichts des großen Interesses und des großen Engagements unserer bayerischen Jugend müssen doch vor allem Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der CSU, stolz über die Teilnehmerzahlen sein, die der Bayerische Jugendring für Ihre Kundgebungen organisieren konnte. Sie beweisen – und wir werden das morgen im Rahmen des Berichts der Jugend-Enquete bestätigen –, dass wir keine gleichgültige, desinteressierte Jugend, sondern eine interessierte, engagierte Jugend haben; also: Bayern vorn, und zwar im positiven Sinne gegen die Politikverdrossenheit, auch wenn sich diese Demonstrationen manchmal gegen die Staatsregierung gerichtet haben, wie zum Beispiel 2003 nach der Sparorgie der Bayerischen Staatsregierung beim Jugendprogramm.

Der Bayerische Jugendring kann solche Demonstrationen sicherlich auch weiterhin mit großen bürokratischen Hemmnissen und Hürden organisieren. Aber wie sieht es denn vor Ort aus? Wer den Stadtjugendring in Augsburg ansieht, stellt fest, der hat noch einen gewissen hauptamtlichen Apparat, der das Ganze vielleicht übernehmen könnte. Aber viele Bezirksgeschäftsstellen der Jugendverbände haben das schon nicht mehr und sehen sich außerstande, etwa Demonstrationen zu organisieren. Wir stellen fest, gerade außerhalb bayerischer Zentren sind in Jugendzentren und Jugendverbänden fast ausschließlich Ehrenamtliche tätig. Was wollen wir diesen Ehrenamtlichen denn noch zumuten? Viele Ehrenamtliche werden eine solche Vorbereitungsarbeit nicht mehr in Kauf nehmen und sie einfach sein lassen. Das ist doch wohl nicht unsere Absicht, oder? Denn damit tragen wir wiederum dazu bei, dass sich junge Menschen weniger für Politik interessieren werden. Jugendliche werden uns, wenn wir zu ihnen in ein Jugendzentrum oder zu den Jugendverbänden gehen, vollkommen zurecht entgegenhalten, die – damit sind die Politiker und Parteien gemeint, die sich angeblich gegen Politikverdrossenheit wehren – wollen unsere Meinung doch gar nicht hören, sonst würden sie es uns nicht so schwer machen, diese

Arbeitnehmer, die während eines Streiks ohnehin einem permanenten Druck der Arbeitgeber ausgesetzt sind, ist das eine enorme zusätzliche Belastung.

In der Summe kommen die Petitionen aus dem Kreise der Gewerkschaften und der sonstigen Arbeitnehmervertretungen zu einem vernichtenden Urteil über das Versammlungsverhinderungsgesetz der Staatsregierung.

Exemplarisch darf ich hier die Petition von Ver.di Niederbayern zitieren: „Der Gesetzentwurf steht im Gegensatz zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Rang des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit als ein Stück ursprünglich ungebändigter, unmittelbarer Demokratie und den Anforderungen an die Versammlungsbehörden und die Polizei, dieses Grundrecht zu gewährleisten.“

Die Gewerkschaften haben sich in ihrer Geschichte ihre Partizipationsrechte stets gegen jene erkämpfen müssen, die für obrigkeitsstaatliches Denken standen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Deshalb müssen wir es als Demokraten sehr ernst nehmen, wenn die Vertreterinnen und Vertreter der Arbeitnehmer diesen Gesetzentwurf zur Verhinderung von Versammlungen als einen Gesetzentwurf aus der Feder von Sicherheits- und Polizeibehörden empfinden und ihn als Ausdruck obrigkeitsstaatlichen Denkens entlarven. Weil wir auch aus dieser historischen Genese der Bewegungen der Gewerkschaften bzw. der Arbeitnehmer heraus deren Bedenken in diesem Punkt sehr ernst nehmen, setzen die GRÜNEN dem vorgelegten Versammlungsverhinderungsgesetz ein klares Nein entgegen. Unser Bestreben geht dahin, dieses Gesetz nach der Landtagswahl umgehend wieder abzuschaffen, wenn wir es nicht schon heute Abend verhindern können.

(Anhaltender Beifall bei den GRÜNEN)

Ich darf jetzt Herrn Kollegen Dr. Förster das Wort erteilen, bitte schön.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir, dass ich in meinem Redebeitrag vor allem auf die Petitionen eingehe, die die Falken, die Stadtjugendringe Augsburg und Regensburg – denn Kollege Obermeier hat hier auch den Stadtjugendring Regensburg als positives Beispiel besonders hervorgehoben –, der BDKJ und als Dachorganisation der Bayerischen Jugendverbände der Bayerische Jugendring formuliert haben. Diese Organisationen haben ihre Petitionen im Namen der bayerischen Jugendverbände an uns adressiert. Gestatten Sie mir, dass ich darauf eingehe, um zu verdeutlichen, dass es sich nicht um Massenpetitionen handelt, die von irgendjemand initiiert oder gar vorgeschrieben wurden, sondern dass es sich hierbei, wie der Herr Kollege Obermeier selber angemerkt hat, um fundierte Beiträge zu einer Gesetzesinitiative handelt, die sich „Versammlungsgesetz“ nennt.

Ich möchte versuchen, in deren Sinne, aber auch ein wenig aus Sicht der SPD-Fraktion im Bayerischen Land

Das Gesetz ist stark verbesserungsbedürftig. Wir haben in unseren Änderungsanträgen auch die Bedenken aus der Jugendarbeit aufgenommen. Ohne diese Änderungen ist das Gesetz nicht zustimmungsfähig.

(Beifall bei der SPD)

Nächste Wortmeldung: Frau Kollegin Paulig, bitte schön.

Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich noch einmal mit Artikel 113 der Bayerischen Verfassung beginnen – man glaubt es nicht –: „Alle Bewohner Bayerns haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder besondere Erlaubnis friedlich und unbewaffnet zu versammeln.“

(Engelbert Kupka (CSU): So ist es und so bleibt es auch!)

Das ist die Grundlage eines Gesetzes, das wir, von Ihnen aufgedrückt, zu verabschieden haben. Was wir GRÜNE heute nicht verabschieden wollen, ist ein Gesetz, das genau diese Versammlungsfreiheit künftig enorm behindern wird.