Protokoll der Sitzung vom 22.04.2004

(Beifall bei der CSU)

Frau Staatssekretärin, ich muss Sie kurz unterbrechen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, bei einem solchen Geräuschpegel können wir keine Sitzung durchführen.

Ich möchte wiederholen: Wir wollen den Schutz der Gesundheit unserer Verbraucher, und wir wollen den Schutz der Umwelt. Wir wollen aber auf keinen Fall Innovationen behindern. Frau Kollegin Paulig, Sie haben gefragt, wozu wir die Gentechnik bräuchten. Sie stellen alles infrage. Ich möchte dazu sagen: Wir müssen unsere Spritzmittel reduzieren. Notwendig ist auch eine Förderung der nachhaltigen Rohstoffe. Sie fordern das immer. Deshalb brauchen wir gentechnisch veränderte Pflanzen mit neuen Inhaltsstoffen, um regenerative Energien zu fördern.

Sie haben auch vom Hunger in der Welt gesprochen. Auf unserem Globus leben derzeit 6,5 Milliarden Menschen. Im Jahr 2030 werden es bereits 9 Milliarden Menschen sein. Durch die Urbanisierung werden wir Flächen und damit auch Anbauflächen verlieren. Deshalb brauchen wir Pflanzen mit anderen Inhaltsstoffen, die auch in Problemzonen in Afrika und der Sahelzone wachsen können.

(Zuruf von den GRÜNEN: Diese Pflanzen gibt es doch!)

Diese Pflanzen gibt es, aber sie müssen angebaut werden. Das ist das Problem. Ich möchte noch kurz auf die Vitamine eingehen, die Sie vorhin erwähnt haben. Wir alle nehmen ganz selbstverständlich Vitamine ein, ob sie nun gentechnisch hergestellt sind oder nicht. Wir nehmen Pharmazeutika ein, ob sie gentechnisch hergestellt werden oder nicht. Dieses Thema hat eine völlig andere Qualität als das Thema, über das wir jetzt reden.

Ich bin der Auffassung, dass wir vonseiten der Europäischen Union die gesetzlichen Vorgaben haben. Wir müssen für eine vernünftige Umsetzung der Gentechnik sorgen. Ich gebe zu bedenken, dass Europa die LissabonStrategie verfolgt. Danach soll Europa zur wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsregion der Welt werden. Davon sind wir noch weit entfernt. Wenn wir so weitermachen, wie Sie das wollen, schaffen wir das nie.

(Beifall bei der CSU – Margarete Bause (GRÜNE): Mein Gott, diese Ansichten sind doch von vorgestern!)

Damit ist die Aussprache zu diesem Antrag geschlossen. Ich darf darauf hinweisen, dass die Fraktion der CSU über eine Restredezeit von 15 Minuten, die SPD über eine Restredezeit von 17 Minuten und die GRÜNEN über eine Restredezeit von 5 Minuten verfügen.

Wir werden zunächst über die beiden Anträge zur Gentechnik abstimmen. Danach werden wir die namentliche Abstimmung zum vorherigen Antrag durchführen.

Wer dem Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 15/787 seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN. Gibt es

Gegenstimmen? – Das ist die CSU-Fraktion. Gibt es Stimmenthaltungen? – Ich sehe keine. Damit ist der Dringlichkeitsantrag mit Mehrheit abgelehnt.

Nun lasse ich über den Antrag der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN auf der Drucksache 15/80 – das ist der Tagesordnungspunkt 10 – abstimmen. Der federführende Ausschuss für Umwelt und Verbraucherschutz empfiehlt eine Neufassung des Antrags. Ich verweise insoweit auf die Drucksache 15/695. Wer dieser Neufassung zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind alle Fraktionen. Gibt es Gegenstimmen? – Ich sehe keine. Gibt es

Stimmenthaltungen? – Auch keine. Damit ist der Antrag einstimmig so beschlossen.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Dringlichkeitsantrag der SPD-Fraktion „Wiedergewinnung und Stärkung der kommunalen Investitionskraft in Bayern – Abschaffung der doppelten Benachteiligung bayerischer Kommunen durch die Kosten für die Deutsche Einheit und das Fördergefälle zwischen den alten und neuen Bundesländern“ auf Drucksache 15/786. Für die Stimmabgabe sind die entsprechend gekennzeichneten Urnen bereitgestellt. Die Ja-Urne befindet sich auf der Seite der Opposition, die Nein-Urne auf der Seite der CSU. Die Enthaltungsurne steht auf dem Stenografentisch. Mit der Abstimmung kann begonnen werden. Dafür stehen fünf Minuten zur Verfügung.

(Namentliche Abstimmung von 16.55 Uhr bis 17.00 Uhr)

Meine Damen und Herren! Der Wahlgang ist geschlossen. Die Stimmen werden außerhalb des Plenarsaals ausgezählt. Wir fahren in der Tagesordnung fort. Ich bitte Sie, wieder die Plätze einzunehmen und die Randkonferenzen einzustellen.

Ich rufe auf:

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Joachim Herrmann, Thomas Kreuzer, Renate Dodell und anderer und Fraktion (CSU)

Die Kommunen wie versprochen entlasten – „Hartz IV“ korrigieren (Drucksache 15/788)

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Franz Maget, Helga Schmitt-Bussinger, Jürgen Dupper und anderer und Fraktion (SPD)

“Hartz IV-Gesetz“ (Drucksache 15/796)

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Margarethe Bause, Dr. Sepp Dürr, Ulrike Gote und anderer und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Kommunen müssen entlastet werden (Druck- sache 15/797)

Ich eröffne die gemeinsame Aussprache. Erste Wortmeldung: Herr Kollege Kreuzer.

Herr Präsident, Hohes Haus! Wenn in Deutschland nicht grundlegend politisch etwas geschieht, werden wir zu Beginn des neuen Jahres einen finanziellen Kollaps unserer Kommunen erleben.

(Wolfgang Hoderlein (SPD): Dagegen hätten Sie gerade etwas tun können!)

Wir werden einen finanziellen Kollaps erleben, weil durch die in „Hartz IV“ vorgesehene Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe statt der versprochenen Entlastung allein den bayerischen Kommunen eine Mehrbelastung droht, die nach jetzt vorliegenden Berechnungen 576 Millionen Euro betragen wird. Unsere Kommunen sind nicht in der Lage, diesen Betrag aufzubringen. Dies bedeutet in mittleren Städten Mehraufwendungen in Millionenhöhe. Die Stadt Kempten mit 60 000 Einwohnern muss dreieinhalb Millionen Euro mehr aufbringen. Das Gleiche gilt für die Landkreise. Letztendlich trifft es über die Kreise auch die einzelnen Gemeinden, weil in solchen Fällen der Kreis zwangsläufig die Kreisumlage erhöhen muss, um die Beträge aufbringen zu können. Das ist die Situation, wie sie sich heute darstellt und wie sie auch durch die Berechnungen aller Landkreise und Städte bestätigt wird.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Entwicklung hat sich seit geraumer Zeit abgezeichnet. Die ersten Städte haben bereits zu Beginn des neuen Jahres vorläufige Berechnungen angestellt und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass Belastungen zu befürchten sind. Dies war in der politischen Auseinandersetzung zu Beginn dieses Jahres aber noch nicht Allgemeingut. Das Sozialministerium hat zwar schon am 12. Februar eine Presseerklärung herausgegeben mit dem Titel „Möglicherweise neuer schwerer Berechnungsfehler – es drohen Millionen Mehrzahlungen der Kommunen.“ Dort ist die Entwicklung schon erkannt worden, und es wurde ihr auch sofort nachgegangen, um verlässliche Zahlen vorlegen zu können. Die SPD in Bayern ist einen anderen Weg gegangen. Sie hat diese Warnungen nicht besonders ernst genommen – auch nicht die Warnungen, die aus SPD-regierten Städten gekommen sind.

Ich habe einmal versucht zu rekonstruieren, was zunächst in der Presse geäußert worden ist. Die Pressemitteilung des Sozialministeriums war vom 12. Februar. Es war nicht einfach, die Pressemitteilungen zu recherchieren; denn die SPD macht es Historikern nicht leicht. Wenn man auf

der Homepage und im Archiv Pressemitteilungen abruft, findet man keine Pressemitteilungen zu „Hartz IV“ mehr. Glücklicherweise haben wir aber ausgedruckte Pressemitteilungen gehabt, und darin heißt es noch am 19. Februar: „Maget – In jedem Fall Verbesserung der Kommunalfinanzen durch Zusammenlegen von Sozial- und Arbeitslosenhilfe.“ Die Kollegin Christa Naaß hat auch noch nach den Warnungen des Sozialministeriums, wie sich der Presse entnehmen lässt, folgende Erklärung abgegeben: „Naaß. – Denk- und Rechenfehler bei der CSU.“ Die Zusammenlegung von Sozial- und Arbeitshilfe werde – so Frau Naaß – dem Landkreis Weißenburg/Gunzenhausen helfen.

Dies war natürlich grundfalsch. Sie haben die Warnungen nicht ernst genommen, und das ist symptomatisch für Sie. Sie haben auf Berlin vertraut. Sie haben sich dort erkundigt und haben die Behauptungen immer und ewig aufrechterhalten, was sogar so weit ging, dass die Familienministerin immer von 1,5 Milliarden gesprochen hat, die aus diesen enormen Gewinnen für die Kinderbetreuung eingesetzt werden könnten. So ist die Entwicklung gelaufen. Gott sei Dank haben wir aber inzwischen belastbare Zahlen: 576 Millionen Euro an Mehrbelastung drohen den Kommunen.

Dies muss korrigiert werden. Es muss der Zustand erreicht werden, der versprochen worden ist. Es muss zu einer Entlastung der Kommunen im versprochenen Umfang kommen. Deswegen muss das Gesetz nachgebessert werden. Es muss zunächst im Bundestag und im Bundesrat nachgebessert werden. Mit diesem Antrag fordern wir die Staatsregierung auf, sich um diese Nachbesserung zu kümmern und die dafür erforderlichen Initiativen zu ergreifen, um diesen unhaltbaren und für die Städte und Landkreise nicht verkraftbaren Zustand baldmöglichst zu verändern. Das ist das Ziel, welches aus den Anträgen insgesamt hervorgeht. Es muss eine finanzielle Änderung vorgenommen werden. Ich hoffe, dass wir uns entsprechend einigen können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, klar ist, dass wir nachforschen müssen, wohin das Geld gekommen ist. Die von der Zusammenlegung der Arbeitslosenhilfe und der Sozialhilfe Betroffenen haben nicht zu viel Geld erhalten und werden auch nicht zu viel erhalten.

(Franz Maget (SPD): Es ist doch überhaupt noch nirgendwo Geld hingegangen!)

Irgendjemand ist übermäßig entlastet worden, und dem müssen wir nachgehen.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Es ist doch noch nichts passiert! Es hat doch noch niemand Geld bekommen!)

Diese übermäßige Entlastung muss auch dem Ausgleich zugrunde gelegt werden. Wir müssen darüber nachdenken, wem heute Einkünfte und Vermögen angerechnet werden. Wer hier im Gegensatz zu den ursprünglichen Berechnungen einen Vermögensvorteil erzielt, muss auch den Ausgleich zugunsten der Kommunen leisten. Wer jetzt im Gegensatz zu den ursprünglichen Berechnungen

profitiert, muss die Mehrbelastungen der Kommunen finanzieren.

Wir werden Ihren Anträgen in dieser Angelegenheit nicht zustimmen können. Ich werde dies ganz kurz begründen. Zum einen ist unseres Erachtens und meines Erachtens nach der gegenwärtigen Lage für langzeitarbeitlose Menschen keine gute Grundlage geschaffen – zumindest solange nicht, solange das Optionsgesetz so umgesetzt wird, dass die Kommunen eine originäre Zuständigkeit mit vollem finanziellen Ausgleich bekommen. Wir haben hier eine völlig ungeklärte Situation. Wir sind der Auffassung, dass die Vereinbarungen im Vermittlungsausschuss zur Ausgestaltung des Optionsgesetzes nicht eingehalten werden und dass die Organleihe hier keine Lösung des Problems darstellt. Ich weise schon heute darauf hin, dass meines Erachtens ab dem 1. Januar eine schwierige Situation im praktischen Vollzug auftreten wird, wenn nicht eine vernünftige Regelung erfolgt; denn die Arbeitsämter werden nicht in der Lage sein, ab 1. Januar 2005 dieser Aufgabe nachzukommen.

Dann werden wir große Probleme haben, die am Ende auf dem Rücken der Betroffenen ausgetragen werden müssen.

Zu Punkt 3, meine Damen und Herren, will ich zu meinen vorherigen Andeutungen deutlich auf Folgendes hinweisen: Wir sind der Auffassung, dass sich zwar alle bemühen müssen, den Ausgleich zu schaffen, dass aber derjenige, der aufgrund des Rechenfehlers profitiert hat, das Geld aufzubringen hat. Es darf nicht so sein, dass man die Finanzierungslücke zwischen dem Bund und den Ländern nach dem üblichen Schlüssel aufteilt, sondern derjenige, der aufgrund des Rechenfehlers profitiert hat, hat die Angelegenheit auszugleichen. Ich weise auch darauf hin – deshalb werden wir dem Antrag der GRÜNEN ebenfalls nicht zustimmen –, dass der Freistaat Bayern keine Verantwortung für die Zahlen hat, die vom Arbeitsministerium in den Verhandlungen vorgelegt worden sind. Sie erwecken den Eindruck, als wäre es ein gemeinsames Verschulden gewesen. Die Zahlen, die vom Arbeitsministerium vorgelegt wurden, sind übernommen worden.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Das war eine gemeinsame Arbeitsgruppe!)

Somit muss eine Mitverantwortung für die Falschberechnung abgelehnt werden. Wir haben die Verantwortung für unsere Kommunen, dafür zu sorgen, dass nachgebessert wird. Das werden wir auch versuchen.

Des Weiteren glaube ich nicht, dass es bei dieser im Moment ungeklärten Lage jetzt schon richtig ist – wie im Antrag der GRÜNEN gefordert –, den genauen Weg aufzuzeigen. Sie fordern die Übertragung der vollen Unterkunftskosten und weitere Details, wie sie das Problem regeln wollen. Erst müssen wir feststellen, warum die Rechnung nicht stimmt, warum die Zahlen nicht richtig sind und wie wir die Zahlen so korrigieren können, dass diejenigen, die vielleicht entgegen ihrer eigenen Erwartung profitiert haben, die entsprechenden Mittel den Kommunen zufließen lassen.

Im Übrigen sind wir zur Zusammenarbeit zwischen den Kommunen und den Arbeitsagenturen der Auffassung, dass der dem Bundestag vorliegende Gesetzentwurf für die Kommunen völlig unannehmbar ist. Wir fordern eine klare Optionsregelung. Wenn Kommunen diese Aufgaben übernehmen, müssen die Aufwendungen zur Gänze ausgeglichen werden. Sie müssen aber zuständig sein und über die Maßnahmen bestimmen können, die sie für richtig halten. Dass die Bundesagentur für Arbeit sie bei der Arbeit unterstützt, wie dies zwischen Behörden notwendig ist, ist selbstverständlich. Dem wird dieser Gesetzentwurf nicht gerecht. Meine Damen und Herren, die Kommunen befinden sich hier in einer schwierigen Situation. Ich hoffe, dass die rot-grüne Bundesregierung in der Lage ist, dies zeitgerecht zu lösen.

Wir haben ein Parallelbeispiel bei der Erhöhung der Gewerbesteuerumlage. Sie haben die Gewerbesteuerumlage erhöht mit der Ankündigung, dass die Gewerbesteuereinnahmen steigen werden und dass dies durch die Beseitigung von Abschreibungsmöglichkeiten verstärkt wird. Jedermann war kurze Zeit später klar, dass dies nicht eintritt, sondern dass die Kommunen die erhöhte Umlage zahlen müssen und weniger Gewerbesteuer einnehmen als vorher und viel weniger als prognostiziert wurde. Sie haben sich jahrelang Zeit gelassen und die Kommunen auf dieser Angelegenheit sitzen lassen. Diese haben Millionen und Millionen abgeführt. Sie waren über Jahre hinweg nicht in der Lage, die Angelegenheit vernünftig zu regeln.

Ich hoffe, dass dies diesmal besser läuft. Ich hoffe, dass Rot-Grün in der Lage ist – und deshalb fordern wir die Staatsregierung auf, sich dafür einzusetzen – die Angelegenheit zeitnah zu regeln. Ansonsten haben Sie die finanziellen Folgen, die die Kommunen ab dem nächsten Jahr treffen, alleine zu verantworten.

(Beifall bei der CSU)

Als nächster Redner hat Herr Kollege Maget das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kreuzer hat jede Menge Krokodilstränen vergossen wegen der Finanzsituation der Kommunen. Wir hätten uns gewünscht, dass er mit entsprechenden Möglichkeiten Abhilfe schafft und einen Beitrag leistet, dass die Finanzsituation der Kommunen besser wird. Dies hätte zum Beispiel durch die Initiative geschehen können, die Sie vor zehn Minuten abgelehnt haben.