Protokoll der Sitzung vom 22.04.2004

(Franz Maget (SPD): Das habe ich nicht gesagt!)

Doch, das haben Sie, ich habe es mitgeschrieben. Moment, werden wir ganz konkret, wir wollen schließlich fair miteinander umgehen, auch bei schwierigen Auseinandersetzungen.

(Heiterkeit bei der SPD)

Da können Sie sicher sein. Die Länder werden beim Wohngeld um 1,9 Milliarden Euro entlastet, der Bund um denselben Betrag. Die Länder haben bei Hartz IV ausgemacht, dass sie 1 Milliarde dieser Entlastung an die neuen Bundesländer weitergeben, weil die neuen Länder hier stärker belastet werden, denn sie haben mehr Arbeitslosenhilfeempfänger.

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Maget?

Ja, ich möchte nur diesen Satz zu Ende bringen. Vor diesem Hintergrund sind es noch 900 Millionen Euro, die bei den Ländern verbleiben, insbesondere bei den alten Ländern. Das bedeutet, wir machen in Bayern ein Minus-Geschäft. Der Freistaat zahlt 15 Millionen drauf. Deshalb kann ich Ihnen gleich sagen, Herr Kollege Maget, dass das Land Bayern bei diesem Geschäft nicht entlastet, sondern belastet wird. Das sollten Sie auch so darstellen. Nun zu Ihrer Zwischenfrage.

Bitte, Herr Maget.

Sie wissen aber, dass andere Länder entlastet werden? – Ich will Sie nur fragen, weil Herr Kollege Kreuzer den Punkt 2 unseres Antrags extra herausgegriffen hat und sagte, dem könne er nicht zustimmen. Ich lese Ihnen diesen Abschnitt vor und bitte Sie um Beantwortung der Frage, warum Sie dem nicht zustimmen können. Es heißt hier wörtlich:

Ungeachtet der Frage, ob die Kommunen die Umsetzung dieses Gesetzes in Kooperation mit der Bundesagentur für Arbeit oder in alleiniger Trägerschaft vollziehen werden

ungeachtet davon –,

ist es unerlässlich, dass die Kommunen die zugesagte finanzielle Entlastung in Höhe von 2,5 Milliarden Euro erhalten und dass die Voraussetzungen für diese neue Arbeitsmarktpolitik umgehend geschaffen werden.

Was ist an diesem Satz nicht zustimmungsfähig?

Frau Staatsministerin.

Eines sage ich Ihnen, Herr Kollege Maget, schon allein, dass Sie in dem Nebensatz mit dem Wort „ungeachtet“ unterstellen, dass eine alleinige Trägerschaft der Kommunen vom Bund auf den Weg gebracht wird, halte ich für scheinheilig. Der Bund legt Gesetze vor, in denen von einer alleinigen Trägerschaft und Alleinverantwortung überhaupt nicht die Rede ist. Der Bund hat doch überhaupt nicht vor, die Kommunen in die Lage zu versetzen, eigenverantwortlich tätig zu werden. Das ist genau das Problem, das Sie in Ihrem Antrag aufzeigen.

Abgesehen davon muss ich noch einmal sagen: Das Finanztableau, das im Vermittlungsausschuss vorgelegt worden ist, wurde vom Bundesarbeitsministerium und vom Bundesfinanzministerium berechnet. Wir lassen uns nicht in eine Mitschuld hineintreiben, auch nicht durch Ihren Antrag. Die Schuld dafür tragen wir nicht. Das sage ich hier ganz klar und deutlich. Das ist genauso wie bei der Steuerreform. Damals hat sich der Bund um 1 Milliarde verrechnet. Jetzt hat er sich schon wieder verrechnet.

(Franz Maget (SPD): Wie bei der Gesundheitsreform oder bei der Praxisgebühr?)

Es gehört endlich exakt gesagt, wie die Kommunen entlastet werden. Der Bund verrechnet sich ununterbrochen. Da muss ich schon einmal sagen: Da wird maßlos schlampig gearbeitet.

(Beifall bei der CSU – Franz Maget (SPD): Wie bei der Praxisgebühr? Das waren wohl auch wir?)

Nein, denn bei der Praxisgebühr waren wir das gemeinsam. Das sage ich auch immer wieder. Das war ein Kompromiss, der gemeinsam ausgearbeitet wurde. Das sollten wir gemeinsam tragen, auch die Auswirkungen.

Lassen Sie mich aber noch einmal auf die Regierungserklärung 2010 eingehen, die haben Sie auch angesprochen. Der Kanzler hat klar und deutlich gesagt: Bei Hartz III und IV werden die Kommunen um mehrere Milliarden entlastet. Übrigens hat auch Ihr Parteichef Franz Müntefering auf dem letzten SPD-Parteitag, bei dem er zum Parteivorsitzenden gewählt worden ist, gesagt: Wenn wir sagen, 2,5 Milliarden Euro, dann meinen wir auch 2,5 Milliarden Euro. Ich frage mich, warum Sie diese Informationen aus Ihrem Internetprogramm herausgenommen haben, desgleichen die Pressemitteilungen.

(Franz Maget (SPD): Warum denn? Das ist alles in Ordnung! – Thomas Kreuzer (CSU): Warum haben Sie es herausgenommen?)

Warum haben Sie alle Pressemitteilungen herausgenommen, in denen die Summe von 2,5 Milliarden steht? Offensichtlich stehen Sie nicht mehr hinter der Summe.

(Zuruf der Abgeordneten Johanna Werner-Mug- gendorfer (SPD))

An dieser Stelle muss ich noch etwas sagen, was ich für besonders unglaublich halte. Die Bundesfamilienministerin läuft herum und sagt, 1,5 Milliarden Euro werden für die Kinderbetreuung der unter Dreijährigen zur Verfügung gestellt. Der Städtetag rechnet mit einer Belastung der Kommunen von circa 5 Milliarden Euro. Den Kommunen sind 2,5 Milliarden Euro versprochen worden. Das bedeutet, wir haben ein Delta von 7,5 Milliarden Euro. Vor diesem Hintergrund verspricht Bundesfamilienministerin Renate Schmidt virtuelles Geld für die Betreuung der unter Dreijährigen. Sie verspricht Geld, das überhaupt nicht vorhanden ist, und dies angesichts der Tatsache, dass wir alle genau wissen, dass die Kommunen stärker belastet werden. Ich meine, hier sollten wir schon mehr Redlichkeit einfordern.

(Beifall bei der CSU)

Es gibt hier einen massiven Realitätsverlust der Bundesregierung. Das ärgert die Kommunen. Wenn Sie sagen, die Kommunen wissen, dass der Bund sie entlasten wird, dann sage ich Ihnen, und das gilt für die bayerischen kommunalen Spitzenverbände – ich habe aber auch mit den kommunalen Spitzenverbänden auf Bundesebene, insbesondere in der Arbeitsgruppe, beim Optionsgesetz geredet –, die glauben dem Bund gar nichts mehr. Sie glauben auch keineswegs, dass der Bund hier noch einmal entsprechend tätig wird.

Das heißt, tätig wird er. Das möchte ich dazu sagen. Aber Sie glauben nicht an die Entlastung in den angegebenen Summen.

Heute tagt die Arbeitsgruppe Quantifizierung. Der Bundeswirtschaftsminister hat sie einberufen. Aber, Herr Maget, wer ist denn als Erster tätig geworden? Wer hat denn die Kommunen aufgefordert, belastbares Zahlenmaterial zu nennen? Wer hat denn Bundeswirtschaftsminister Clement aufgefordert, bundesweit abzufragen? Das war die bayerische Sozialministerin. Wer hat sich denn mit den kommunalen Spitzenverbänden zusammengesetzt und hat den Erhebungsbogen gemeinsam entwickelt? Das war die bayerische Sozialministerin. Deswegen fordere ich vom Bund ganz konkret, dass er uns eine Möglichkeit aufzeigt, wie die Verbesserung der finanziellen Situation der Kommunen gerade in Bezug auf „Hartz IV“ zu erreichen ist.

Das könnte zum Beispiel zu erreichen sein, indem eine andere Rangfolge bei der Anrechnung des vorhandenen Vermögens und Einkommens in „Hartz IV“ zugrunde gelegt wird. Wir wissen, dass jetzt die Bundesagentur für Arbeit das Geld abschöpft. Für die Sozialhilfeempfänger

haben dies bislang die Kommunen gemacht. Nun wird komplett durch den Bund abgeschöpft. Eine Verbesserung wäre beispielsweise zu erreichen, indem der Bund bei der Anrechnung von Vermögen und Einkommen der AlG-II-Empfänger auf die Abschöpfung verzichtet. – Das wären konkrete Dinge. Den Kommunen würde es wesentlich mehr helfen, wenn Sie tatsächlich einmal etwas Konkretes vorschlügen. – Oder nehmen Sie die Unterkunftskosten. Würde man die Belastungen für die Kommunen tatsächlich verringern, so wäre dies ein konkreter Punkt, den Sie einbringen könnten, anstatt hier ständig schöne Sätze zu formulieren.

Ich halte es auch für wichtig, eine Revisionsklausel in „Hartz IV“ einzufordern. Durch eine solche Revisionsklausel muss die Bundesregierung verpflichtet werden, anhand der sich im Jahr 2005 ergebenden Daten die jährlichen Kosten, die Ent- und Belastung der Kommunen, die sich aus „Hartz IV“ ergeben, zu evaluieren und bis zum 30. April 2006 darüber Bericht zu erstatten. Beträgt die jährliche unmittelbare Kostenentlastung der Kommunen – unabhängig von der Frage der Weitergabe der Wohngeldeinsparungen der Länder – weniger, als bislang versprochen worden ist, oder liegt eine Kostenbelastung darüber hinaus vor, so muss der Bund in dieser Revisionsklausel verpflichtet werden, hierfür einen besonderen Ausgleich zu schaffen.

Herr Kollege Maget, wir hier in Bayern nehmen die Entlastung der Kommunen ernst.

(Dr. Heinz Kaiser (SPD): Deshalb habt ihr das FAG gekürzt! – Franz Maget (SPD): Investitionszuschüsse: 500 Millionen!)

Nein, wir haben das FAG nicht gekürzt, sondern wir haben 140 Millionen draufgelegt, und wir haben in Bayern auch durch die der Steuerreform die 150 Millionen, die die Kommunen belastet hätten, abgefangen.

(Franz Maget (SPD): Die Kommunen geschröpft wie noch nie zuvor! – Ludwig Wörner (SPD): Ich sage nur: Schülerverkehr!)

Das sollten Sie endlich einmal zur Kenntnis nehmen. Das hat sonst kein anderes Land in Deutschland gemacht. Sie von Rot-Grün sollten wirklich einmal vor Ihrer eigenen Tür kehren und schauen, was von Ihnen alles in Bewegung gesetzt worden ist.

Wir werden im Rahmen unseres „Paktes für die Kommunen“ eine Verbesserung beschließen und eine Bundesratsinitiative zur Nachbesserung von „Hartz IV“ einbringen.

Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit ist die Aussprache geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Dazu werden die Anträge wieder getrennt.

Wer dem Dringlichkeitsantrag der Fraktion der CSU auf Drucksache 15/788 seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen der CSU sowie Teile der SPD-Fraktion. Gegenstimmen?

Stimmenthaltungen? – Die Fraktion der GRÜNEN. Damit ist dieser Dringlichkeitsantrag so angenommen.

Wer dem Dringlichkeitsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 15/796 seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen der SPD und der GRÜNEN. Gegenstimmen? – Das ist die Fraktion der CSU. Stimmenthaltungen? – Dann ist dieser Antrag abgelehnt.

Wer dem Dringlichkeitsantrag der Fraktion der GRÜNEN auf Drucksache 15/797 seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen der SPD und der GRÜNEN. Gegenstimmen? – Das ist die Fraktion der CSU. Stimmenthaltungen? – Damit ist dieser Dringlichkeitsantrag abgelehnt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in Anbetracht der minimalen verbleibenden Redezeit ist die Behandlung der restlichen in der Liste aufgeführten Dringlichkeitsanträge – dabei handelt es sich um die Dringlichkeitsanträge 15/ 789 bis 15/793 – aus Zeitgründen nicht mehr möglich. Sie sind daher gemäß § 60 Absatz 2 Satz 3 der Geschäftsordnung dem federführenden Ausschuss zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Damit sind die auf der Liste befindlichen Dringlichkeitsanträge für heute erledigt.

Ich rufe auf:

Tagesordnungspunkt 7

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Dr. Sepp Dürr, Ulrike Gote, Renate Ackermann und anderer und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Existenzbedrohung der Sozialpsychiatrischen Dienste (Drucksache 15/115)

Ich weise die Fraktionen darauf hin, dass uns noch 15 Minuten Redezeit zur Verfügung stehen. Ich eröffne die Aussprache. Zu Wort gemeldet hat sich Frau Kollegin Ackermann. Bitte sehr, Frau Kollegin.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Vor 20 Jahren wurden die Sozialpsychiatrischen Dienste gegründet. Viele von ihnen haben in diesen Tagen 20. Geburtstag, haben allerdings überhaupt nichts zu feiern; denn etliche von ihnen wurden bereits geschlossen, andere sind von der Schließung bedroht.

Sie wurden damals entsprechend der Forderung der Psychiatrie-Enquete „ambulant vor stationär“ gegründet, und genau das haben sie auch über die Jahre in hervorragender Weise geleistet. Sie haben in Vorsorge, Krisenintervention und Nachsorge ambulant betreut. Sie haben mit Sicherheit viele Menschen vor der Einweisung in die Klinik bewahrt, und sie haben mit Sicherheit sehr viele menschliche Schicksale gelindert und Katastrophen verhindert. Wenn Ihnen diese menschliche Komponente, diese psychische Komponente und diese medizinische Komponente gleichgültig sind, bleibt immer noch der finanzielle Aspekt; denn diese Sozialpsychiatrischen Dienste waren ein Sparmodell.

Über das Sparen haben wir heute schon sehr viel gehört. Ihnen, meine Damen und Herren von der CSU-Fraktion, liegt es ja auch enorm am Herzen. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass es dann auch sinnvoll wäre, an der richtigen Stelle zu sparen. Gerade bei den Sozialpsychiatrischen Diensten sparen Sie ganz bewusst an der falschen Stelle. Sie sparen nicht nur am Menschen, Sie sparen auch riesige Summen ganz bewusst nicht ein, die Sie künftig für Drehtürpsychiatrie und für stationäre Behandlungen werden mit ausgeben müssen.