Ich sage noch einmal: Wir brauchen Reformen innerhalb der Europäische Union und natürlich auch bei uns selbst. Es kann niemand bestreiten, dass Deutschland in den letzten Jahren einen Reformstau hatte und auch noch hat und dass wir bei Veränderungen mit vielen Ländern in Europa nicht mehr konkurrieren können. Ich spreche häufig mit Leuten aus dem osteuropäischen Raum und werde dies auch in den nächsten Wochen wieder tun. Dabei höre ich immer: Ihr redet ständig von Besitzstandswahrung. Das sagen mir die Polen oder auch die Tschechen. Und sie fügen hinzu: Wir haben keinen Besitz und nichts zu bewahren. Wir wollen nach vorn schauen. Hier stoßen Mentalitäten aufeinander, die es für uns schwierig machen. Wir brauchen einen stärkeren Veränderungswillen.
Herr Maget, es ist ja recht nett – polemisch ausgedrückt –, wenn Sie kritisieren, dass die Staatsregierung dieses oder jenes eingespart hätte. Das ist alles in Ordnung. Aber Sie müssten sich einmal die Grundsatzfrage stellen, die da lautet: Ist das in Ordnung, was gegenwärtig in Teilen Deutschlands von der Bundesregierung gemacht wird, nämlich jedes Problem, das man bekommt, mit neuen Schulden zu lösten, weil die Strukturfragen nicht geklärt werden? Das ist in meinen Augen gegenüber den nachfolgenden Generationen unverantwortlich.
Sie können sich natürlich über Aufsteigerregionen wie Niederbayern oder die Oberpfalz oder Oberfranken lustig machen. Aber eines will ich doch klarstellen. Gemessen am Durchschnitt Deutschlands,
gemessen zum Beispiel an Niedersachsen, RheinlandPfalz, Schleswig-Holstein oder am Saarland stehen unse
Ich bin dem Kollegen Döhler sehr dankbar, dass er hier als junger Grenzlandabgeordneter, der auch aus großer Erfahrung auf der europäischen Ebene hier sprechen kann, auf diesem Gebiet einige Dinge zurechtgerückt hat. Ich will das allerdings nicht weiter vertiefen.
Da sind wir uns einig! Ich glaube allerdings, dass mit Bulgarien, Rumänien und Kroatien, die die Europäische Kommission noch relativ günstig beurteilt hat, ein klarer Schlussstrich gezogen werden muss. Wir haben eine tiefe Meinungsverschiedenheit in punkto Türkei. Da können Sie zitieren, wen immer Sie wollen. Jetzt ist die Entscheidung zu treffen; denn jetzt will die Europäische Kommission eine Vorlage erarbeiten,
und der Gipfel entscheidet dann auf der Grundlage eines Berichtes der Kommission, ob die Verhandlungen aufgenommen werden oder nicht.
Das heißt, wir stehen jetzt vor einer entscheidenden Weichenstellung; denn wenn jetzt die Verhandlungen aufgenommen werden – das habe ich aufgeführt –, dann kommen die Verhandlungen auch zu einem Ergebnis, zu einem Ende. Und sie enden dann auch immer in einer Mitgliedschaft. Das ist die Erfahrung aus fast 50 Jahren nach den Römischen Verträgen. Hier sind wir in einer unterschiedlichen Position. Ich will das noch einmal deutlich machen. Ich gebe Ihnen Recht, dass Helmut Kohl in den Jahren 95/96 zunächst in vertraulicher Runde das Wort vom „Christenklub“ geprägt hat. Darüber gab es tief greifende Auseinandersetzungen. Und später gab es dann die Auffassung von ihm, der ich als bayerischer Ministerpräsident widersprochen habe, dass die Türkei ein Teil der Europäischen Union werden sollte. Das war sicherlich ein Dissens.
Er ist der entscheidende Mann; er hat das sozusagen als Bundeskanzler gefordert. Aber ich habe mich gegen diese Auffassung als Ministerpräsident Bayerns ebenso wie die CSU-Fraktion in diesem Hohen Hause immer klar und deutlich positioniert: privilegierte Partnerschaft ja, aber Aufnahme der Türkei nach dem Big Bang nein.
Ich bin sehr zufrieden damit, dass die Vorsitzende der CDU und die Gesamt-CDU heute eine andere Meinung vertreten, als Kohl im Jahre 1997, nämlich die Meinung, die Bayern schon immer vertreten hat. Dass die CDU Kohl wirklich viel zu verdanken hat, brauche ich hier nicht mehr auszuführen. Aber in dieser Position schreiben wir nicht mehr das Jahr 1997, sondern wir schreiben das Jahr 2004, und hier finden Sie all die Schwierigkeiten innerhalb der Europäischen Union in wirtschaftlicher und struktureller Hinsicht, bei denen wir uns klar werden müssen, ob es trägt, wenn wir Länder aufnehmen, die zu 95 % in Asien liegen und einen anderen historischen und kulturellen Hintergrund haben als die übrigen Länder in Europa.
Die Sicherheitsargumente, die Herr Fischer vorbringt – das habe ich auch in der Bundestagsdebatte zu ihm gesagt -, die auch Sie heute vorgebracht haben, kann man nicht als unsinnig bezeichnen; das tut keiner. Wir haben aber die NATO und die privilegierte Partnerschaft. Die französische Position wird sich ändern, falls der nächste französische Ministerpräsident Sarkozy heißt.
Ich will Ihnen noch etwas sagen, damit Sie ein bisschen schmunzeln können. Am Montag dieser Woche haben alle österreichischen Parteien – die ÖVP, die SPÖ, die FPÖ, welche auch immer – ganz klar erklärt, dass sie alle gegen einen Beitritt der Türkei zur Europäischen Union sind.
- Ihr Kollege Gusenbauer am allermeisten, völlig richtig. Ihr Kollege Schüssel hat sich differenziert eingelassen; er hat gesagt, das müsse man jetzt erst einmal sehen, und er halte nichts von einer virtuellen Volksabstimmung. Ich bin hier anderer Meinung. Es ist auch schön, dass Herr Gusenbauer, der SPÖ-Vorsitzende, die Meinung von Herrn Schüssel für empörend hält, die Wahl nicht zu einer Abstimmung in Österreich über den Beitritt der Türkei zu nutzen. Er ruft alle Mitglieder der SPÖ dazu auf, zur Wahl zu gehen und die SPÖ zu wählen, damit klar und deutlich wird, dass Österreich nicht den Beitritt der Türkei zur Europäischen Union will. Nur so viel will ich zur Richtigstellung sagen. Vielleicht können Sie ein bisschen darüber schmunzeln. In diesem Punkt haben SPÖ und CSU eine einheitliche Meinung, auch der Spitzenkandidat der ÖVP.
(Beifall bei der CSU – Franz Maget (SPD): Endlich mal in guter Gesellschaft! – Konrad Kobler (CSU): Frech ist der!)
Erneut haben Sie heute eine Mindestbesteuerung in Europa gefordert. Das klingt gut. Wir könnten sie heute haben, wenn Sie nicht immer gegen Brüssel, Zentralismus … wären.
Nein, habe ich nie. Ich habe das differenziert. Ich habe immer gesagt, dass wir eine Mindestquote der direkten Unternehmenssteuern am Nationalaufkommen brauchen; wenn jemand diese Quote nicht erreicht, hat er auch keinen Anspruch auf volle Fördermaßnahmen aus den Strukturfonds. Das ist etwas ganz anderes. Sie werfen mir hier vor, ich würde eine Mindeststeuer fordern – was ich gar nicht tue -, gleichzeitig fordert die Bundesregierung, nämlich der Bundeskanzler und der Bundesaußenminister, eine Mindeststeuersätze, um Steuerdumping auszuschließen. Sie müssen sich jetzt schon mal entscheiden: Unterstützen Sie hier Ihren Bundeskanzler, oder kritisieren Sie ihn? Wir wollen keine Mindestbesteuerung, weil der Steuerwettbewerb nicht beeinträchtigt werden darf. Wenn aber jemand zu wenig Steuern verlangt, hat er meines Erachtens keinen Anspruch auf hohe Fördersummen aus den europäischen Fonds, die zu einem Fünftel vom deutschen Steuerzahler bezahlt werden. Dafür hat die deutsche Bevölkerung kein Verständnis.
- Das war ein Fehler. Irland ist aber ein kleines Land. Jetzt kommen zehn Länder, und damit stellt sich die Problematik in einer ganz anderen Weise als im Falle Irlands, wo das leider im Toleranzbereich gelegen ist.
Zur Daseinsvorsorge: Das Europäische Parlament hat, anders als Sie behauptet haben, im Januar diesen Jahres eine Entschließung der Europäischen Volkspartei angenommen und deutlich gemacht, dass die Richtlinie, welche die Kommission vorschlägt, nicht einheitliche Standards definieren darf und den Ländern nicht die Kompetenz wegnehmen darf. Das war eine klare Entscheidung des Europäischen Parlaments, ausgehend von der Entscheidung der Europäischen Volkspartei und damit auch der CSU. Sie haben hier gerade das Gegenteil gesagt, und das möchte ich nicht so stehen lassen. Die CSU-Kollegen im Europäischen Parlament und die CSU-Kollegen im Deutschen Bundestag vertreten die Meinung: Daseinsvorsorge darf nicht dem Wettbewerb von Privaten überlassen bleiben, sondern gerade die Wasserversorgung muss in der kommunalen Kompetenz bleiben.
Trotz allen Streites haben wir die große Aufgabe, den Menschen die inneren Probleme der europäischen Integration nahe zu bringen. Ich habe am letzten Donnerstag den großen Energiekongress der Staatsregierung eröffnet, an dem etwa 600 exzellente Fachleute aus den verschiedensten Bereichen teilgenommen haben. Es ging dabei zum Beispiel darum, wie der Energiemix aussehen soll. Ich habe mir den „Spaß“ erlaubt, aus dem europäischen Verfassungsvertrag zu zitieren, um zu zeigen, wie die nationale Kompetenz in der Energiepolitik im Falle der Annahme sein würde. Da herrschte größtes Erstaunen. Wenn diese Passage des Verfassungsvertrags so angenommen würde, dann hätte der deutsche Energieminister allenfalls noch eine Durchführungskompetenz von europäischen Entscheidungen darüber, wie Standards – bis hin zur Kernenergie - ausschauen sollen. Leider werden die Veränderungen, die derart substanziell sind, in einem hohen
Ich sage noch eine letzte Bemerkung zum Stichwort „Referendum“. Dazu haben Sie sich genüsslich verbreitet. In der Tat gibt es innerhalb der CDU/CSU eine große Mehrheit dafür, in Deutschland aus einer Reihe von Gründen, zum Beispiel aus historischen Gründen, auf Bundesebene nicht mit Plebisziten zu arbeiten. Das ist bekannt. Ich habe hierzu eine differenzierte Meinung, aber der CSU-Vorsitzende versucht sich nicht in allen Dingen durchzusetzen. Es gibt Fragen, die sehr unterschiedlich bewertet werden können. Hier haben wir aber einen anderen Fall. SPD und GRÜNE wollen zwar plebiszitäre Elemente in der Verfassung,
aber in diesem Fall verstoßen sie gegen ihre eigene Koalitionsbestimmung; denn hier sagen Schröder und Fischer: kein Plebiszit über die europäische Verfassung. Das ist ein Widerspruch zur grundsätzlichen Auffassung der SPD.
Dieses Problem könnte dadurch gelöst werden, dass die europäischen Regierungschefs – Herr Blair, Herr Chirac, Herr Schröder – am Ende des europäischen Verfassungsvertrags hineinschreiben: Das soll gleichzeitig den Parlamenten der Staaten Europas vorgelegt werden.
Das wäre eine Möglichkeit für diesen Sonderfall. Man müsste für diesen Sonderfall das Grundgesetz ändern, was im Zusammenhang mit der Ratifizierung ohnehin gemacht werden müsste. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist mein Vorschlag, den Sie eigentlich unterstützen sollten; denn er kommt Ihren generellen Intentionen – mehr plebiszitäre Elemente – entgegen. Meine Damen und Herren der Opposition, ergreifen Sie doch die Hand, die Ihnen die kluge CSU ausstreckt!
Wir unterbrechen jetzt die Sitzung für eine Mittagspause. Die Fraktionen haben sich auf eine Stunde verständigt. Ich darf daran erinnern, dass sich die Kolleginnen und Kollegen der CSU in den Konferenzsaal zur Fraktionssitzung begeben möchten.
Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Franz Maget, Marianne Schieder, Dr. Linus Förster und anderer und Fraktion (SPD) Lernmittelfreiheit (Drucksache 15/926)