Protokoll der Sitzung vom 29.06.2004

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 19. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Wie immer haben Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde erteilt.

(Die Anwesenden erheben sich)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Am vergangenen Sonntag erreichte uns die traurige Nachricht, dass der frühere Vizepräsident des Bayerischen Landtags, Dr. Helmut Rothemund, nach einer langen, schweren Krankheit verstorben ist. Noch vor knapp drei Monaten hat hier im Haus ein Empfang anlässlich seines 75. Geburtstages stattgefunden. Wir trauern um einen verdienten Parlamentarier, der dem Hohen Haus von 1962 bis 1992 angehörte und den Wahlkreis Oberfranken vertrat.

Im Namen des gesamten Bayerischen Landtags spreche ich Ihnen - seiner Witwe, verehrte Frau Kollegin KönigRothemund und dem Sohn Peter, die hier anwesend sind - das herzliche Beileid und unser Mitgefühl aus.

Bevor Helmut Rothemund in die Landespolitik wechselte, war der Jurist Dr. Rothemund im Alter von 29 Jahren zum jüngsten Landrat Bayerns gewählt worden. Zwölf Jahre stand er dann an der Spitze des Kreises Rehau. Als junger Landtagsabgeordneter engagierte er sich zunächst im Ausschuss für kulturpolitische Fragen, danach in verschiedenen anderen Ausschüssen, vor allem in dem für Landesentwicklung und Umweltfragen, dessen stellvertretender Vorsitzender er seit der Einsetzung war. Gerne erinnere ich mich an unsere gute Zusammenarbeit an der Spitze dieses Gremiums. Fragen der Raumordnung, der Landesplanung und des Umweltschutzes waren Themenbereiche, denen er sich besonders verschrieben hatte und in denen er auch aus der Opposition heraus deutliche Impulse gab. Der mit seinem Namen verbundene „Rothemund-Plan“ ist hier ebenso zu nennen wie sein beharrliches und schließlich erfolgreiches Bemühen, den Umweltschutz in der Bayerischen Verfassung zu verankern. Dies war vor allem seine Initiative und letztlich seine bleibende Spur in der Bayerischen Verfassung.

Andere Schwerpunkte seines parlamentarischen Wirkens waren die Solidarität mit den Schwächeren, die Sicherung der Bürgerrechte sowie der Ausbau und Schutz der parlamentarischen Demokratie. Im Parlament, in seiner Fraktion und in seiner Partei hatte Helmut Rothemund herausragende Ämter inne: 1976 wurde er

Fraktionsvorsitzender und ein Jahr später

Landesvorsitzender der SPD. Das Amt des

Landtagsvizepräsidenten übte er von 1970 bis 1976 und danach wieder von 1986 bis zu seinem Abschied aus dem Parlament aus. Seine Amtsführung war gekennzeichnet durch Souveränität, durch persönliche Integrität und die Bereitschaft zum vernünftigen Ausgleich.

Dr. Helmut Rothemund hat in seinem politischen Leben wesentliche Beiträge für die Entwicklung seiner

oberfränkischen Heimat und des gesamten Landes, für das Wohlergehen der Menschen in Bayern und das

Ansehen der bayerischen Volksvertretung geleistet. Der Bayerische Landtag wird ihm ein ehrendes Gedenken bewahren. – Sie haben sich zu Ehren des Toten von Ihren Plätzen erhoben, ich danke Ihnen.

Wir kommen damit zu unserer Tagesordnung. Ich rufe auf:

Tagesordnungspunkt 1 Aktuelle Stunde

Für die heutige Sitzung ist die Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN vorschlagsberechtigt. Sie hat das Thema gewählt: „Kein bayerisches Geld für

Atomkraftwerke – zum Landesbank-Kredit für den Europäischen Druckwasserreaktor EPR“. Die

Modalitäten sind bekannt. Kein Redner spricht länger als fünf Minuten. Auf Wunsch der Fraktion kann ein Redner zehn Minuten sprechen. Die Gesamtredezeit der Fraktionen ist Ihnen ebenfalls bekannt. Ich bitte Sie, jeweils auf mein Signal zu achten. Erste Wortmeldung: Frau Kollegin Paulig.

Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir sind der Meinung: kein bayerisches Geld für Atomkraftwerke!

(Beifall bei den GRÜNEN)

Nach uns vorliegenden Berichten ist die Bayerische Landesbank an einem Konsortium beteiligt, das dem Betreiber des neuen finnischen Atomkraftwerkes einen Kredit in Höhe von 1,95 Milliarden Euro zu einem Zinssatz von 2,6 % gewähren wird. Dies ist nach Einschätzung von Wirtschaftszeitungen, zum Beispiel der führenden

finnischen Wirtschaftszeitung „Kauppalehti“, billiges Geld, das dieses Projekt überhaupt erst finanzierbar macht. Es ist wirklich bezeichnend für die Politik hier im Freistaat, dass wir dies hier in Bayern erst dank guter internationaler Beziehungen erfahren. In der finnischen Presse wird dies offen debattiert. Aber was dort offen debattiert wird, ist hier in Bayern Verschlusssache.

Es ist schon erstaunlich, dass sich die Bayerische Landesbank bis heute nicht bemüßigt gefühlt hat, dazu Stellung zu nehmen.

Die beiden schwedischen Banken, die am Konsortium beteiligt sind, haben die Beteiligung gegenüber

Greenpeace offen zugegeben. Die Bayerische Landesbank macht eine Verschlusssache, ein Geschäftsgeheimnis daraus.

Ich fordere die Vertreter der Bayerischen Staatsregierung im Verwaltungsrat auf – zwei Minister und drei weitere Vertreter aus drei Ministerien – heute zu dieser Kreditvergabe Stellung zu beziehen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir sagen ganz klar: Keine bayerischen Subventionen für ein finnisches Atomkraftwerk!

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dieses Atomkraftwerk ist alles andere als ein

marktgängiges Produkt. Es existiert erst auf dem Papier. Der Europäische Druckwasserreaktor – European

Pressurized Watercooled Reactor – EPR – ist eine Neuentwicklung der Firma Framatom ANP. Beteiligt daran ist die Firma Siemens AG mit einem Drittel. Die finnische Betreiberfirma TVO – Teollisuwden Voima – hat den Reaktor zu einem Festpreis von 3 Milliarden Euro bestellt. Sämtliche darüber hinausgehende Kosten trägt die Herstellerfirma Framatom. Diese Firma ist jedoch froh, dass überhaupt jemand diesen Reaktor bestellt.

Vom Gesamtkaufpreis von 3 Milliarden Euro werden 2,5 Milliarden Euro über Kredite finanziert, davon 550 Millionen Euro über bilaterale Kredite und knapp 2 Milliarden Euro über das Konsortium. Als einzige deutsche Bank ist die Bayerische Landesbank daran beteiligt. Beteiligt sind außerdem zwei schwedische Banken, eine französische und eine US-amerikanische. Obwohl TVO in der Rankingliste betreffend Bonität und Kreditwürdigkeit weit hinten an vierter Stelle rangiert, beträgt der Zinssatz nur 2,6 Prozent. Es ist nicht einzusehen, dass diese Förderung zu den Aufgaben der Bayerischen Landesbank gehören soll.

(Beifall bei den GRÜNEN)

In Artikel 2 Absatz 1 des Bayerischen Landesbankgesetzes, das die Geschäftstätigkeit der Bayerischen Landesbank regelt, heißt es unter „Aufgaben“ – ich zitiere:

Die Bank hat insbesondere die Aufgaben einer Staatsbank sowie einer Kommunal- und Sparkassenzentralbank. Sie hat durch ihre Geschäftstätigkeit den Freistaat Bayern und seine kommunalen Körperschaften einschließlich der Sparkassen in der Erfüllung öffentlicher Aufgaben, insbesondere der Strukturförderaufgaben, zu unterstützen.

Ich verweise auf die Drucksache 14/9969. Hier steht kein Wort von externer Finanzierung, die dem bayerischen Mittelstand, unserem Handwerk, unseren Investoren in Bayern nicht zugute kommt, Geld das ihnen fehlen wird. Jeder Häuslebauer wäre froh, wenn er einen Kredit zu 2,6 % Zinsen erhalten würde.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Jeder Betreiber einer Windkraft- oder Biogasanlage, jeder, der in Nullenergiehäuser investieren will, jeder

Handwerksbetrieb, jeder Kleinbetrieb wäre für solche Konditionen dankbar. Schauen Sie sich an, wie der Mittelstand mit den Sparkassen kämpfen muss, um derzeit einen Kreditzins von unter 4 % zu kommen. Es ist unglaublich, dass das Geld des bayerischen Steuerzahlers für ein fragwürdiges finnisches AKW verschleudert wird.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielleicht führen Sie ja das Argument an, dass bei diesem Darlehensvolumen 2,6 % Zinsen angemessen seien. Ich frage Sie deshalb, weshalb die Deutsche Bank, die Commerzbank oder die Hypo-Vereinsbank den Kredit nicht übernommen haben. – Nein, es war die Bayerische

Landesbank, weil diese anscheinend nichts von

Gelddingen versteht und bayerisches Geld gerne verprasst.

Dazu passt ein weiterer Artikel in der „Westfälischen Rundschau“ vom 16.06.2004. Darin heißt es:

Atommeiler sind für Banken ein zu hohes finanzielles Risiko.

Auf einer Tagung der Europäischen Vereinigung der Elektrizitätsunternehmen (Eurelectric) erklärte der Direktor von Oxford Economic Reserve Associates – OXERA –, dass Neubauten im bestehenden System der liberalisierten Strommächte nicht mehr stattfinden könnten, weil sie nicht finanzierbar seien. Um die Option Kernenergie offen zu halten, fordert er Einschränkungen des liberalisierten Strommarkt und staatliche Garantien für Atomkraftwerke. Daran sehen Sie, dass die Atomkraft subventioniert existieren kann. Wir sollten das Geld besser in zukunftsfähige, zukunftsweisende und nachhaltige Energietechnologien stecken.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Lassen Sie mich noch anführen, wie unrentabel die Atomkraftwerke tatsächlich sind: Nur mit Subventionen laufen sie. Circa 20 Milliarden Euro staatliche Subventionen wurden für Entwicklung und Bau der deutschen Atomkraftwerke ausgegeben. Die versteckte Sub

ventionierung gibt es heute noch. Es gibt keine risikogerechte Haftpflichtversicherung. Die deutschen Atomkonzerne horten steuerfreie Rückstellungen in Höhe von 35 Milliarden Euro, die sie eigentlich für die Entsorgung des Atommülls ausgeben sollten. Der Brennstoff Uran ist bevorzugt und wird nicht besteuert.

Im europäischen Ausland sieht es nicht besser aus: Der französische Staatsbetrieb EdF produziert Strom mit 70 % Atomenergie und ist heillos überschuldet. 12,2 Milliarden Euro Eigenkapital stehen circa 45 Milliarden Euro Schulden gegenüber, obwohl in der Sache 30 Milliarden Euro als zinsverbilligtes Darlehen an EDF geflossen sind. Schauen wir nach Großbritannien. „British Energie“, die Betreiberfirma der britischen Atomkraftwerke, ist seit zwei Jahren zahlungsunfähig und konnte nur mit staatlichen Geldern gerettet werden. Angesichts dieser Finanzbeispiele ist es unverständlich, dass die Bayerische Landesbank bayerisches Geld ausgibt, das für öffentliche Fördermaßnahmen und Strukturaufgaben notwendig ist. Es sollte unserer bayerischen Wirtschaft, unserem Mittelstand und den privaten Investoren zur Verfügung stehen.

(Beifall bei den GRÜNEN)