Protokoll der Sitzung vom 16.12.2004

Ihr Antrag heißt: „Spitzenstellung des dreigliedrigen Schulsystems in Bayern weiter ausbauen“.

Ich nehme zunächst zum Text Stellung. Ich bin auch für den Aufschlag, weil wir – so schrieb eine Dame im „Stern“ – 200 Jahre für Reformen brauchen, nämlich 100 Jahre, um einzusehen, dass wir sie brauchen, und 100 Jahre, um sie umzusetzen. Es ist also allerhöchste Zeit.

Die erste Pisa-Studie, Herr Schneider, hat das bayerische System nicht bestätigt. Wir lagen im internationalen Vergleich gesehen im Durchschnitt.

(Widerspruch bei der CSU – Zuruf von der CSU: Bleiben Sie bei der Wahrheit!)

Innerdeutsch gesehen waren wir vorne. Auf das Schulsystem übertragen, bekamen wir die Note 2 bis 3. Sie freuen sich nun, dass Ihre anderen 15 Klassenkameraden schlechter waren. Ich sage Ihnen ehrlich: Mir genügt es nicht, wenn ich innerhalb meines eigenen Raumes die beste bin, weil es eine Umwelt gibt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wenn Sie das nicht zur Kenntnis nehmen wollen, werden Sie irgendwann feststellen müssen, dass die Schüler/ innen der Parallelklassen an Ihnen vorbeiziehen.

Sie sehen sich gerne als die Partei der Wirtschaft. Ihr derzeitiges Beharren auf dem dreigliedrigen Schulsystem würde für die Wirtschaft folgendes bedeuten: Wir konstatieren, dass die Japaner besser produzieren. Wir wollen uns aber nicht darum kümmern, weil uns nur der innerdeutsche Vergleich interessiert.

Aus der zweiten Pisa-Studie heute schon eine Bestätigung für den bayerischen Weg abzuleiten, ist auch falsch, weil die länderspezifischen Ergebnisse noch nicht vorliegen. Sie werden also ein wenig warten müssen.

(Zuruf des Abgeordneten Eduard Nöth (CSU))

Das machen Sie schon, Herr Kollege Nöth. Sie müssen den Antrag lesen.

Ihr Antrag ist darüber hinaus nur ein Lippenbekenntnis. Zu den Hauptschulen heißt es dort:

Der Landtag bekennt sich deshalb ganz ausdrücklich zu den Hauptschulen.

Fakt ist – Kollege Pfaffmann hat dies schon gesagt –, Sie lösen Teilhauptschulen auf und streichen 500 Stellen. Zu der Aussage, zur R 6 und G 8 seien grundlegende Reformentscheidungen getroffen, kann ich nur ein Prinzip erkennen: die Personalknappheit. Die Realschulklassen liegen im Durchschnitt bei 29 Schüler/innen, und auch bei den Gymnasien gibt es zu wenig Lehrer. Ich erkenne keine Reform, sondern nur einen roten Faden. Er hat den Namen „Personalmangel“. Sie haben momentan kein anderes Konzept als Mangel zu produzieren, um ihn mit viel Realitätsverlust zu verwalten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Im letzten Absatz Ihres Antrages bekennen Sie sich zur Förderung der Sprachkompetenz der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund. Ich stelle die Frage, die ich schon am Donnerstag im Bildungsausschuss gestellt habe, wo das Geld dafür ist. Vielleicht wäre jemand geneigt, uns das zu sagen. Wo ist das Konzept für den vorschulischen Bereich? Wo im Kindertagesstätten-Finanzierungsgesetz sind die Mittel eingearbeitet? Diese Frage haben Sie nicht beantworten können.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Integration beginnt durch und mit Sprache. Deswegen finde ich den Satz in Ihrem Antrag nicht in Ordnung:

Mangelnde Deutschkenntnisse sind aber nicht nur für die ausländischen Schülerinnen und Schüler selbst ein Handicap, sondern auch für ihre deutschen Klassenkameraden.

Ich finde den Satz nicht in Ordnung, weil die Botschaft, die Sie übermitteln, heißt, die Ausländer seien schuld. Sie verwechseln Ursache und Wirkung, weil die Kinder nicht schuld sind, wenn Sie ihnen zu wenige Angebote machen, um Deutsch zu lernen.

(Beifall bei den GRÜNEN – Widerspruch bei der CSU)

Nun kommen wir zur Debatte über die Schulstruktur. Ich nehme Ihren Vorwurf des ideologischen Klassenkampfes erst gar nicht auf; denn ich bin ein vernünftiger, pragmatischer Mensch und kann gut ohne ideologische Scheuklappen überlegen, wie eine Sache gut gemacht werden könnte. Darüber hinaus geht es um unsere Kinder, und für unsere Kinder debattiere ich gerne und streite mich auch um gute Pädagogik.

Bei dieser Debatte in Bayern muss man vorweg schicken, dass in Bayern folgendes gilt: Bildungsarmut wird stärker als im Rest der Republik vererbt. Das liegt aus meiner Sicht am frühen Sortieren und

(Zuruf des Abgeordneten Siegfried Schneider (CSU))

Ich könnte Ihnen auch Wissenschaftler und „FAZ“-Artikel zitieren, möchte mir das aber aus Zeitgründen ersparen.

daran, dass unsere Kinder mit 10 Jahren entscheiden müssen: Uni oder nicht Uni.

(Beifall bei den GRÜNEN – Widerspruch bei der CSU)

Sie können sich gerne ein bisschen künstlich aufregen.

Ich meine, wir müssen an ein Bildungssystem zwei Anforderungen stellen. Erstens. Es muss sozial gerecht und erfolgreich sein. Die GRÜNEN ziehen diese zwei Dimensionen in ihren Blick; Sie nur den Erfolg. Ob das System sozial in Ordnung ist, interessiert Sie anscheinend nicht. Wir müssen auch über die Pädagogik reden, weil sich die Gesellschaft verändert hat. In der Industriegesellschaft hat das dreigliedrige Schulsystem getaugt. Nun haben wir aber die Wissens- und Informationsgesellschaft, was an die Schule andere Erfordernisse stellt.

(Zuruf des Abgeordneten Helmut Brunner (CSU))

Die veränderten Erfordernisse in Gesellschaft und Arbeitswelt erfordern einen anderen Unterricht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ihr unbeirrtes Weitermachen steht unter dem Motto: Früher haben wir das Mammut auch mit der Keule erschlagen. Aber es gibt kein Mammut mehr. Wir haben andere Methoden, um uns das Futter zu besorgen.

Ich vermisse bei der CSU die Überlegung: Wie sieht die Gesellschaft im Jahr 2020 aus, und wie wollen wir unsere

Schülerinnen und Schüler darauf vorbereiten? – Ich warte, bis die Herren ihre Gespräche eingestellt haben.

Die Vermittlung von reproduzierbarem Fachwissen nimmt ab, weil die Halbwertzeit des Wissens immer kürzer wird. Das bedeutet: Das, was Sie Beschulung nennen, hat sich erübrigt. Um für eine globalisierte Arbeitswelt und Gesellschaft fit zu sein, brauchen wir andere Eigenschaften, nämlich das, was man in der Pädagogik gemeinhin Schlüsselqualifikationen nennt. Die Schule muss Lernprozesse schaffen, die genau diese Eigenschaften trainiert. Herr Kollege Schneider, das geht nicht im 45-MinutenFrontalunterricht, und das geht auch nicht in homogenen Lerngruppen.

Zur Kenntnis nehmen Sie auch – Sie werden es nicht wollen –, dass unsere Kinder am besten in so genannten heterogenen Lerngruppen lernen und dass davon nicht nur Schwache profitieren, sondern im Gegenteil auch Starke. Ein Beispiel war Ihr Modellversuch „Jahrgangskombinierte Klassen“, bei dem es explizit geheißen hat, dass die Starken ein Jahr überspringen können.

Gehen wir nun zurück zu Pisa. Der eigentlich Zweck von Pisa ist ja das so genannte Benchmarking, das heißt, man betrachtet die ersten Plätze und versucht, von diesen besseren Plätzen zu lernen. Pisa ist anscheinend nicht so schlecht ausgefallen. Wir liegen deutschlandweit im Durchschnitt. Da wir in Mathematik auf Platz 19 von 40 –

(Siegfried Schneider (CSU): Bayern!)

ich spreche von Deutschland –

(Thomas Kreuzer (CSU): Wir sind aber in Bayern!)

und im Lesen auf Platz 18 von 40 sind, meine ich, dass wir uns schon überlegen sollten, ob wir nicht ins obere Drittel kommen wollen.

(Zuruf von der CSU: Bayern!)

Genau! Auf Bayern bezogen gibt es aber noch keine Antwort. Diese kommt erst nächstes Jahr.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Sepp Dürr (GRÜ- NE))

Herr Schneider, Sie haben sehr richtig Kompetenzzuwächse bei Gymnasien und Realschulen festgestellt. Die Hauptschule aber ist in Deutschland abgesackt. Wenn aber die Hauptschule für Sie so wichtig ist, dann müsste Ihnen doch zu denken geben, dass gerade die Hauptschulen nach Pisa anscheinend an Kompetenz verloren haben. Ich meine, es besteht Bedarf an Handlung, nicht nur an Lippenbekenntnissen.

(Beifall bei den GRÜNEN und des Abgeordneten Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD))

Nach wie vor hängen die Chancen für einen Besuch des Gymnasiums auch von der sozialen Herkunft ab. Ich mei

ne: Angesichts der Tatsache, dass bei Pisa für Deutschland herauskommt, dass die Ergebnisse in Mathematik bei 21,6 % der Schüler und im Lesen bei 22,3 % der Schüler besorgniserregend sind, können Sie nicht so tun, als sei die Welt noch in Ordnung. Wenn die Ergebnisse bei einem Fünftel aller Schüler besorgniserregend sind, können Sie nicht sagen, dieses System sei toll. Das ist es nicht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Pisa, aber auch, wie ich meine, unsere Bildungsstudie bestätigen, dass in Bayern gilt: Zeig mir deine Eltern, und ich sage dir, welche Chancen du hast. Wir haben in der Aktuellen Stunde über den Zusammenhang von sozialer Herkunft und Bildungschancen diskutiert. Ein Fakt ist, wie ich meine, dabei sehr gut herausgekommen: Das bayerische Schulsystem ist nur in eine Richtung durchlässig, und zwar nach unten. Nach oben hat sich nichts verbessert. Die Übertrittsquote auf das Gymnasium ist seit Jahren konstant, und – ich meine, auch das gibt Anlass zur Besorgnis – das Gymnasium verliert von der fünften bis zur zehnten Klasse 30 % seiner Schülerinnen und Schüler. Das spricht nicht für die Qualität des bayerischen Gymnasiums.