Protokoll der Sitzung vom 27.01.2005

Ich glaube, dass diese Gesetzesvorlage sehr moderat ist, vor allem vor dem Hintergrund, dass beispielsweise bei den so genannten Juli-Kindern bereits 50 % schon heute eingeschult sind. Die Eltern sind also bereits vorbereitet und werden somit von diesem Gesetzentwurf, der in der Öffentlichkeit schon lange intensiv diskutiert worden ist, nicht mehr überrascht.

Ich bitte das Parlament um Unterstützung bei diesem Gesetzesvorhaben.

(Beifall bei der CSU)

Ich eröffne die Aussprache. Erste Wortmeldung: Frau Kollegin Schieder.

Sehr geehrter Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Bereits in seiner ersten Regierungserklärung im November 2003 hatte Ministerpräsident Stoiber angekündigt, dass unsere Kinder zukünftig bereits mit fünfeinhalb Jahren eingeschult werden sollen. Seitdem ist viel Zeit vergangen, ohne dass den von dieser Entscheidung Betroffenen – den Eltern, den Kindern, den Verantwortlichen in den Kindergärten und Kindertagesstätten sowie den Grundschullehrerinnen und Grundschullehrern – gesagt werden konnte, was nun wie geschehen soll. Von verschiedenen Stellen erhielt man verschiedene Antworten. Ich selbst habe drei- bis viermal versucht, vom Ministerium eine konkrete Auskunft zu bekommen. Das ist mir leider nicht gelungen.

Eltern, Kindergärten und Grundschulen sind seitdem tief verunsichert und ratlos; denn niemand kann sich so recht vorstellen, wie es ohne angemessene Vorbereitung möglich sein soll, den Kindern gerecht zu werden, die nun ein halbes Jahr früher eingeschult werden sollen. Viele Elterninitiativen haben sich an Abgeordnete gewendet und versucht, über Petitionen und andere Aktivitäten zu erreichen,

dass von den Plänen einer früheren Einschulung Abstand genommen wird. Jetzt aber, genau zu der Zeit, zu der allerorten über den dramatischen Lehrermangel an unseren Schulen diskutiert wird und die Staatsregierung selbst zugeben muss, dass zwischen 800 und 900 Lehrerinnen und Lehrer fehlen, genau zu der Zeit, zu der von der Staatsregierung angekündigt wird, dass man darüber nachdenkt, einen Teil der an den weiterführenden Schulen fehlenden Stellen von den Grundschulen abzuziehen, eben zu diesem Zeitpunkt wird angekündigt, dass das Kabinett beschlossen habe, mit der früheren Einschulung nun doch zum Schuljahr 2005/2006 zu beginnen. Na bravo, kann ich da nur sagen: wieder eine Baustelle eröffnet, wieder eine Reform angefangen, und wieder kein Konzept in Sicht, wie diese Reform sinnvoll durchgeführt und zu Ende gebracht werden soll und kann.

(Beifall bei der SPD)

Abgesehen davon, dass Sie, wie eben dargestellt, angekündigt haben, Grundschullehrerinnen und Grundschullehrer abzuziehen, um wenigstens teilweise den allgemeinen Lehrermangel beseitigen zu können, enthält auch Ihr Vorschlag für den Haushalt 2005/2006 die Streichung von Stellen für Grund- und Hauptschullehrer. Sie räumen selbst im Text des Gesetzentwurfs ein, dass bereits alles an Stellen abgezogen wurde, was sich ausrechnen lässt, wenn man den in Bayern sich abzeichnenden Geburtenrückgang berücksichtigt. Sie räumen also selbst ein, dass es pro Geburtsmonat ungefähr 10 000 Kinder an den Schulen mehr geben wird, wenn man die frühere Einschulung durchführt. Dafür berechnen Sie – das schreiben Sie selbst – einen zusätzlichen Bedarf von 130 Grundschullehrerstellen im Schuljahr 2005/2006, von 320 Grundschullehrerstellen im Schuljahr 2006/2007, von

611 Grundschullehrerstellen im Schuljahr 2007/2008 und von 828 Grundschullehrerstellen im Schuljahr 2008/2009.

Sie sagen im Gesetzentwurf, dass es sich dabei um einen echten Zusatzbedarf handelt, weil Sie die durch den Geburtenrückgang frei werdende Kapazität bereits herausgerechnet haben. Auf meine heutige Mündliche Anfrage haben Sie mir geantwortet, dass Sie im nächsten Doppelhaushalt 67 zusätzliche Stellen vorgesehen haben. Im Gesetzentwurf stehen für das Schuljahr 2005/2006 130 Stellen, für 2006/2007 320 Stellen. Ich bitte Sie also, mir einmal zu erklären, woher Sie die zusätzlichen Lehrerinnen und Lehrer nehmen wollen und wie Sie die bezahlen werden. Sie wissen doch bis heute nicht, wie Sie den Mangel von 800 bis 900 Lehrern beseitigen wollen. Dazu machen Sie alle möglichen Vorschläge, nur keine brauchbaren. Jetzt kommen noch 450 Stellen für Grundschullehrerinnen und Grundschullehrer hinzu. Ich bin einmal gespannt, Frau Ministerin, mit welchen neuen Zahlentricks Sie uns glaubhaft machen wollen, dass diese Anzahl von Lehrerinnen und Lehrern wirklich zur Verfügung gestellt wird.

Ihre Berechnungen gehen, nebenbei gesagt – es ist schon wichtig, das herauszustellen –, natürlich davon aus, dass die Rahmenbedingungen an den Grundschulen nicht besser werden, sondern gleich bleiben. Das heißt, dass die Klassen groß sind, dass es so gut wie keine individuelle Förderung gibt und dass es einen enormen Unterrichtsausfall gibt. Dabei wissen Sie doch alle, dass die Einschu

lung jüngerer Kinder mehr individuelle Förderung erfordert und dafür wiederum mehr Lehrerinnen und Lehrer notwendig sind. Darüber müssen wir diskutieren. Dazu haben wir im Ausschuss und bei der Zweiten Lesung ausreichend Gelegenheit.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Nächste Wortmeldung: Frau Kollegin Sem.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Marianne Schieder, wir sollten nicht schon das Kind mit dem Bade ausschütten, ehe wir überhaupt zur Tat schreiten. Die Anforderungen der Berufs- und Lebenswelt an die jungen Menschen haben in den vergangenen 20 Jahren extrem zugenommen. Zum einen verdoppelt sich die Menge an verfügbarem Wissen in immer kürzeren Zeiten. Zum anderen ist unsere Wirtschaft – Stichwort globalisierte Welt – einem stärkeren Wettbewerbsdruck ausgesetzt.

(Widerspruch bei den GRÜNEN – Marianne Schieder (SPD): Lehrer braucht man immer!)

Das erhöht letztlich den Arbeitsdruck auf die Arbeitnehmer. Wir wissen sehr wohl, dass unsere Kinder immer schneller lernen und viel aufgeschlossener sind.

(Marianne Schieder (SPD): Aber ohne Lehrer nicht!)

Liebe Marianne Schieder, Sie können den Kolleginnen im Kindergarten und den Eltern ruhig zutrauen, dass sie die Förderung ernst nehmen.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Das ist doch nicht der Punkt! – Weitere Zurufe von der SPD)

Darf ich bitte ausreden? Dieses Haus würde ein gutes Beispiel geben, wenn wir Achtung voreinander bewahren. Auch das hat etwas mit Förderung zu tun.

(Beifall bei der CSU)

Liebe Kollegin Schieder, beim Thema Erziehung und Schulpolitik bitte ich wirklich darum, denjenigen reden zu lassen, der gerade dran ist. Ich tue das auch.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Das sollten Sie Ihren Kollegen von der CSU auch einmal sagen!)

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, vor diesem Hintergrund müssen wir unsere Maßstäbe setzen. Die Pisa- und Iglu-Studie haben es uns sicher ganz deutlich vor Augen geführt. Eine Maßnahme zur Verbesserung ist die Vorverlegung des Einschulungsalters. Dadurch wird die Zeit, in der die Kinder nach wissenschaftlichen Aussagen besonders aufnahmefähig sind, besser genutzt. Auch die Ergebnisse im internationalen Schulvergleichstest stützen die Vorverlegung. In erfolgreichen Nationen wer

den die Kinder frühzeitig gefördert. Aus diesen Gründen bin ich der Meinung, dass wir die Eltern ermutigen sollen.

(Marianne Schieder (SPD): Lehrer brauchen wir!)

Eine weitere Steigerung der Einschulung auf freiwilliger Basis ist kaum noch möglich, wie unsere Kultusministerin gerade ausgeführt hat; denn Eltern machen von dieser Möglichkeit schon ganz großen Gebrauch.

Die Einführung des neuen Stichtages wird aus personellen und räumlichen Gründen auf sechs Schuljahre gestreckt. Dabei wird das Alter pro Jahr jeweils um einen Monat vorverlegt. Für das kommende Schuljahr ist der 31. Juli der Stichtag. Gleichzeitig sollen Eltern, deren Kinder nach dem 30. September das sechste Lebensjahr vollenden, ab dem Schuljahr 2007/2008 mitentscheiden, ob sie ihre Kinder sofort oder ein Schuljahr später einschulen lassen.

(Unruhe)

Das ist sicher eine Stärkung des Elternwillens.

Abschließend gehe ich auf die Sorgen im Zusammenhang mit der Zurückstellung ein. Die Zurückstellung zählt nicht als Wiederholung. Vielmehr beginnt die Schulpflicht in diesen Fällen ein Schuljahr später. Sie spielt auch keine Rolle für die Höchstausbildungsdauer.

Liebe Frau Schieder, schauen wir erst einmal, dass wir die Lehrer bekommen, die wir zurzeit brauchen. Dann werden wir das andere auch noch packen. Miteinander geht es bekanntlich besser.

(Beifall bei der CSU – Marianne Schieder (SPD): Stimmt! Die haben wir auch noch nicht!)

Als Nächste hat Frau Tolle das Wort.

Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Sem, ich möchte mit einem Punkt beginnen; erstes Semester BWL: Die Wirtschaft ist für die Menschen da und nicht umgekehrt. Zu diesem Denken sollten wir wieder zurückkehren. Sie nehmen immer wieder die Globalisierung als Kronzeugin für irgendetwas her – das machen Sie ja bei allem –, aber für die Abschaffung des dreigliedrigen Schulsystems taugt sie als Kronzeugin nicht.

Vor Weihnachten – ich möchte mich ganz herzlich für meinen ersten Nachtragshaushalt bedanken – kam ein internes Papier des Kultusministeriums heraus, in dem der Stellenmangel beziffert worden ist. Darauf beziehe ich mich. Demnach fehlen für die frühere Einschulung 65 Menschen. Ich rufe die Nachschubliste in Erinnerung, die heute an unsere Haushälter herausgegangen ist. Demnach fehlen auch bei den Volksschulen 64 Menschen. Mein Argument für die Ablehnung des Gesetzentwurfes ist, dass Sie die erforderlichen Stellen nicht bereit haben. Ich lehne den Entwurf auch ab, weil Sie die bayerischen

Kinder immer früher in ein System hineinjagen, in dem schlichtweg Notstand herrscht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich bedauere, dass Sie unseren Kindern einen immer früheren Übergang in die Grundschule zumuten, obwohl Sie mit diesem Papier schwarz auf weiß zugegeben haben, dass Sie nicht die erforderlichen Ressourcen bereitstellen können.

Ich hatte gehofft – vielleicht aber auch nur geträumt –, verehrte Kollegin, Sie hätten vom G 8 gelernt. Aber nein, schon wieder rennen Sie sehenden Auges in das nächste Dilemma. Wenn Sie sich den Gesetzentwurf ansehen, werden Sie zugeben müssen, dass Sie die erforderlichen Stellen nicht mehr bereitstellen können. Ich will auch gar nicht näher darauf eingehen – wir werden das im Ausschuss tun –, dass die Kommunen mit Unwägbarkeiten belastet werden. Im Gesetzentwurf werden Container oder ein Ausgleich über Sprengelgrenzen hinweg erwähnt. Der Profi weiß, was das bedeuten könnte.

Ich komme nun zu einem pädagogischen Argument: Kinder freuen sich, wenn sie in die Schule kommen, weil sie damit der Welt der Erwachsenen näher rücken. Sie sind hoch motiviert, sich auf den Lebensraum Schule einzulassen. Der Übergang vom Kindergarten in die Schule ist sehr wichtig. Ich glaube, den müssen wir mit sehr viel Sorgfalt begleiten; denn er birgt Chancen und Gefahren in gleichem Maße. Das heißt, die Kinder müssen in der Schule mit offenen Armen empfangen werden und dürfen nicht mit fehlenden Lehrern, Containern und sonstigen Raumnöten konfrontiert werden.

Ich bestreite nicht, dass Kinder gerade in dem Alter, um das es im Gesetzentwurf geht, in höchstem Maße die Bereitschaft haben, etwas zu lernen. Diese Bereitschaft haben sie aber auch schon früher. Dies zu berücksichtigen, braucht es aber mehr als die bloße Vorverlegung eines Stichtages. Für meine Fraktion darf ich sagen: Wir sind nicht grundsätzlich gegen eine frühere Einschulung. Wir brauchen für eine frühere Einschulung aber einen Rahmen. Wir brauchen ein Bildungskonzept, das verbindlich im Kindergarten beginnt und zur Schule überleitet. Dieses Konzept – zumindest das verbindliche Konzept – beginnt damit, dass Sie den Bildungs- und Erziehungsplan verbindlichen festschreiben. Dieses Konzept fehlt Ihnen; denn Sie geben den Kindergärten nicht die Möglichkeit, durch kleinere Gruppen die Kinder ordentlich auf das Leben vorzubereiten. Die Kooperation zwischen Kindergarten und Schule ist lediglich eine hohle Sprechblase, weil sie die Kooperation überwiegend dem privaten Engagement der Verantwortlichen überlassen und den Kindern keine Zeit zur Verfügung stellen.

Es wird noch Zeit sein, über die Ausgestaltung eines durchgängigen Konzeptes zu reden – im Ausschuss und bei der Zweiten Lesung. Wir lehnen, Herr Kollege Ach, den Entwurf in dieser Form ab, solange Sie keine flankierenden pädagogischen Maßnahmen ermöglichen und die erforderlichen Lehrer verweigern.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Aussprache ist damit geschlossen. Im Einvernehmen mit dem Ältestenrat schlage ich vor, den Gesetzentwurf dem Ausschuss für Bildung, Jugend und Sport als federführendem Ausschuss zu überweisen. Besteht damit

Einverständnis? – Das ist der Fall.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 6 f auf:

Gesetzentwurf der Staatsregierung Bayerisches Gesetz zur Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern in Kindergärten, anderen Kindertageseinrichtungen und in Tagespflege und zur Änderung anderer Gesetze – Bayerisches Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz und Änderungsgesetz (BayKiBiG u. ÄndG) (Drucksache 15/2479) – Erste Lesung –

Mir sei die Anmerkung erlaubt: Kann man solche Überschriften nicht prägnanter und damit besser fassen?