Protokoll der Sitzung vom 03.03.2005

Es sind also nicht, wie es immer wieder behauptet wird, willfährige Gutachter.

(Ulrike Gote (GRÜNE): Reden Sie doch zur anderen Seite hinüber; das kam von Herrn Herrmann!)

Ich dachte, Sie wollten sachlich über diesen Fall sprechen. Mich wundert schon sehr, was Sie unter „sachlich“ verstehen.

(Beifall bei der CSU – Zurufe – Glocke des Präsi- denten)

Ich spreche also nach der anderen Seite; da fi nde ich mehr Sachlichkeit vor.

Die Gutachter erstellen unabhängig ihre Gutachten. Wir müssen einfach, auch wenn es schwer fällt, den Tatsachen ins Auge schauen und damit leben, dass es hoch gefährliche, grausame Täter gibt, die gerade nicht psychisch krank sind und die deswegen ins Gefängnis und nicht in die Psychiatrie gehören.

Ein Polizeipsychologe aus Regensburg hat darauf hingewiesen, hier sei eine tickende Zeitbombe. Man sollte aber vielleicht doch ein wenig hinter die Kulissen schauen und feststellen, dass diese Äußerung von einem Polizeipsychologen kommt, der den Täter selbst nie gesehen hat, der ihn nie untersucht hat, sondern der aus der Theorie heraus etwas behauptet hat. Das ist Punkt eins. Zweitens sind diese Behauptungen dieses Polizeipsychologen selbstverständlich zur Kenntnis unserer Gutachter gekommen. Unsere Gutachter haben diese Äußerungen im Rahmen ihres Gutachtens berücksichtigt.

(Christine Stahl (GRÜNE): Davon reden wir doch überhaupt nicht!)

Die Zeitfolge ist also eine andere, als Sie es dargestellt haben, Frau Stahl. Was Sie gesagt haben, ist schlicht nicht richtig gewesen.

Nach vollständiger Verbüßung seiner Strafe mussten wir deshalb den Täter entlassen, unabhängig von seiner Gefährlichkeit, das möchte ich hier einmal betonen. Es gab keine Möglichkeit, etwas zu verhindern und den Täter nicht in die Freiheit zu entlassen. Das heißt: Nach der Ent

lassung standen uns nach geltendem Recht nur die Kontrollmechanismen der Führungsaufsicht zur Verfügung, das heißt: Therapieweisungen, die auch erteilt worden sind. Verstößen gegen diese Therapieweisungen konnten wir aber nicht nach geltendem Recht entgegenwirken, weil diese Therapieweisungen nicht strafbewehrt sind. Es zeigt sich also: Wer nach dem Jugendstrafrecht verurteilt ist und wer nicht psychisch krank ist, der muss selbst dann, wenn er gefährlich ist, nach Vollverbüßung seiner Haft in die Freiheit entlassen werden. Und da, meine ich, ist dieser Fall doch wirklich exemplarisch, so traurig er ist, nämlich dafür, dass das rechtliche Instrumentarium für die Justizbehörden völlig unzureichend ist. Deshalb ist es für mich unverständlich, wenn die Bundesjustizministerin behauptet, für schärfere Gesetze gebe es im Moment keinen Bedarf. Wo kommen wir denn da hin, wenn das jetzt so zu sehen ist?

(Beifall bei der CSU)

Die Bundesjustizministerin hat sich bislang darauf beschränkt, aus der Ferne Fehler bayerischer Behörden zu diagnostizieren. Da muss ich sagen: Damit liegt sie komplett falsch. Zu Recht hat die „Abendzeitung“ ihr Verhalten als stur bezeichnet und von einem unwürdigen Streit gesprochen.

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Es geht doch nicht an, der Justiz kein ausreichendes Instrumentarium an die Hand zu geben und sie hernach noch dafür zu schelten, wenn das Instrumentarium nicht ausreicht.

Der Dringlichkeitsantrag der CSU zeigt in aller Deutlichkeit die Defi zite des geltenden Rechts auf. Entgegen der Ansicht von Frau Stahl muss ich sagen: Wäre das heute schon geltendes Recht, hätten wir die heutigen Probleme nicht gehabt. Das beginnt bereits damit, wie wir auf schwere Straftaten von Heranwachsenden reagieren. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Die Staatsregierung fordert seit Jahren die regelmäßige Anwendung des Erwachsenenstrafrechts auf Heranwachsende, auch bezüglich der Sicherungsverwahrung. Entgegen Ihrer Ansicht, meine Damen und Herren von der SPD, rüttelt das in gar keiner Weise an den Grundprinzipien des Jugendstrafrechts. Es bedeutet lediglich, dass man Erwachsene zwischen 18 und 21 Jahren, so wie im täglichen Leben auch, im Strafrecht als Erwachsene behandelt. Die Erhöhung der Höchststrafe von 10 auf 15 Jahre für höchst kriminelle heranwachsende Täter, die nach Jugendstrafrecht verurteilt wurden, ermöglicht hier erst eine der Schuld angemessene Strafe für schwerste Straftaten. Lassen Sie mich da nur an den traurigen Mord an Vanessa erinnern, wo der Richter sehr deutlich gesagt hat, dass der Strafrahmen, der ihm zugewiesen ist, zu gering ist.

Der CSU-Antrag zieht aber auch die Konsequenz daraus, dass Jugendliche nach Jugendstrafrecht verurteilt werden müssen, wenn sie entsprechende Reiferückstände haben. Deswegen muss hier, wie auch die Fachwelt bestätigt, die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung möglich werden, und zwar zum Schutz der Menschen,

aber auch zur Resozialisierung und zur Besserung der Täter.

Hinter diesen Maximen bleibt der SPD-Antrag zurück. Joachim Herrmann hat plastisch dargestellt, wie es ist, wenn ein 17 ½-Jähriger eine Tat begeht und dann mit der Höchststrafe belegt wird. Mit 27 Jahren könnte er dann nicht in die nachträgliche Sicherungsverwahrung kommen.

Meine Damen und Herren von der SPD, ich verstehe überhaupt nicht – da fehlt mir das Verständnis für Ihre Systematik –, dass Sie zwar auf der einen Seite in begrenztem Maße die nachträgliche Sicherungsverwahrung fordern, was ja die Ultima ratio, das allerletzte Mittel ist, wenn es gar nicht mehr anders weitergeht, dass Sie aber auf der anderen Seite die Stufen vorher ausklammern und sagen: Das geht nicht. Damit meine ich die weniger gravierenden Maßnahmen wie die Straferhöhung oder aber das Erwachsenenstrafrecht für Heranwachsende.

Die Führungsaufsicht nach dem geltenden Recht ist ein stumpfes Schwert. Der Verstoß gegen wichtige Weisungen, wie etwa gegen das Kontaktverbot, steht nicht unter Strafe. Das heißt, dass wir hier etwas unternehmen müssen. Die Justizministerkonferenz hat bereits 2004 die Bundesregierung und die Bundesjustizministerin aufgefordert, hier entsprechend vorzugehen.

(Franz Schindler (SPD): Seit 30 Jahren wird das gefordert!)

Passiert ist nichts. Auch die Forderung, den Verstoß gegen eine Therapieweisung unter Strafe zu stellen, blockiert die Bundesjustizministerin. Sie behauptet vielmehr, alle Experten seien sich einig, dass eine erzwungene Therapie nichts bringe. Auch damit liegt sie falsch. Das Thema Zwangstherapie muss man einmal deutlich beleuchten. Dann, wenn ein Täter grundsätzlich willig ist, eine Therapie zu machen, und wenn er grundsätzlich auch fähig ist, therapiert zu werden, macht es sehr wohl Sinn, wenn wir entsprechenden Druck ausüben können. Denn der Täter wird dann zur Zuverlässigkeit angeregt. Dann schaffen wir es, dass er seine Therapie tatsächlich wahrnimmt. Hier kann der Zwang zur Therapie bewirken, dass der Betroffene eben gerade doch noch die Bereitschaft entwickelt, konsequent an der Therapie mitzuarbeiten. Das ist im stufenweisen Vorgehen nach dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit der richtige Weg. Deswegen brauchen wir da die entsprechende Unterstützung.

Für die Bayerische Staatsregierung hat der Schutz der Bevölkerung oberste Priorität. Deswegen werden wir das Paket an Maßnahmen so, wie wir es Ihnen vorgeschlagen haben, auch im Bundesrat einbringen und darum kämpfen. Ich muss eines dazu sagen: Ich fi nde es schon ein wenig witzig, wenn Sie zwischen dem Herrn Bundeskanzler und der Justiz in Bayern Vergleiche ziehen.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Da haben Sie Recht!)

Es ist doch ein Unterschied, ob ein Bundeskanzler vollmundig ankündigt, Täter wegzusperren, und hernach überhaupt nichts tut, oder ob sich eine Staatsregierung

fortwährend darum bemüht, notwendige Änderungen im Bundesrecht durchzusetzen und dabei ständig blockiert wird.

(Beifall bei der CSU – Franz Maget (SPD): Stimmt doch überhaupt nicht!)

Hernach geschieht überhaupt nichts, obwohl es möglich wäre. Der Bundeskanzler hat auch nicht mit seiner Justizministerin geredet, damit sie hier entsprechend vorgeht. Das halte ich für inkonsequent.

(Beifall bei der CSU)

Tun Sie doch nicht so, als ob uns die nachträgliche Sicherungsverwahrung nachgeworfen worden wäre. Im Gegenteil, wir haben über Jahre hinweg darum gekämpft, wir haben die Bundesregierung über Jahre hinweg auf ihre Gesetzgebungskompetenz und auf die Gesetzeslücke aufmerksam gemacht.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Stimmt doch nicht!)

Erst, als das Bundesverfassungsgericht der Bundesregierung den Weg gewiesen hat, hat sie sich tatsächlich auch einmal bewegt. Wir haben darum gekämpft, für Heranwachsende die nachträgliche Sicherungsverwahrung in das Gesetz mit einzubringen. Die Bundesregierung war es, die uns wieder die Hürde einer Strafzeit von einer Gefängnisstrafe von fünf Jahren in dieses Gesetz geschrieben hat. Sie hat sich gewehrt, das anzuerkennen, was wir vorgeschlagen haben.

Frau Staatsministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wörner? – Sie sind so im Fluss der Rede, dass ich Sie fast nicht unterbrechen konnte.

Nein, ich möchte zum Ende kommen, denn die Damen und Herren haben jetzt schon lange gesprochen.

Ich habe mich zum ersten Mal zu Wort gemeldet und muss schlichtweg sagen, es tut verdammt weh, wenn hier so getan wird, als ob wir die nachträgliche Sicherungsverwahrung quasi im Handumdrehen bekommen hätten. Es war ein jahrelanger Kampf, und wir haben längst nicht das erreicht, was wir wollten, weil uns die Bundesregierung stark blockiert hat, sodass wir nicht zu dem erwünschten Ergebnis gekommen sind. Deswegen muss ich sagen: Sehr geehrter Herr Maget, das, was Sie mir vorgeworfen haben, weise ich massiv zurück. Wir haben uns intensiv bemüht. Hätte man alle unsere Forderungen, nämlich die Anwendung von Erwachsenenstrafrecht auf Heranwachsende, die Erhöhung der Höchststrafen und die Strafbewehrung für Weisungen, rechtzeitig erfüllt, dann wäre die Situation bei hochkriminellen Jugendlichen heute um ein Vielfaches besser. Ich schließe hier unsere Vorschläge zum Maßregelvollzug ein, die ebenfalls in Berlin liegen und nicht bearbeitet werden.

Insofern muss ich sagen, ich wünsche mir sehr, dass der Druck der Öffentlichkeit doch noch dazu führt, dass sich die Bundesregierung und die Bundesjustizministerin endlich darüber klar werden, was zu tun ist und was an Gesetzeslücken zu schließen ist. Wir werden hierzu mit unserem Antrag im Bundesrat den richtigen Weg weisen.

(Anhaltender Beifall bei der CSU)

Weitere Wortmeldung: Herr Kollege Schindler.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Staatsministerin, nach Ihrem Beitrag kann ich nur noch wenige Feststellungen treffen.

Erstens. Ihre Äußerungen zur Qualität von Gutachten und zur Auswahl von Gutachtern stellen das Gegenteil dessen dar, was der Fraktionsvorsitzende der CSU hierzu gesagt hat.

(Beifall bei der SPD)

Die Vorwürfe gegenüber Gutachtern sind nicht von mir gekommen, sondern von Herrn Herrmann und anderen in der Presse. Ich stelle fest, Sie sagen genau das Gegenteil. Ich nehme das mit Befriedigung zur Kenntnis.

Zweitens. Ich nehme auch zur Kenntnis, dass Sie die von mir in den Raum gestellte Behauptung nicht widerlegt haben, dass es keine einzige Forderung der CSU und der Staatsregierung gegeben hat, die blockiert worden ist und mit deren Hilfe – wenn sie also nicht blockiert worden wäre – der Fall Prinz nicht entstanden wäre. Ich nehme zur Kenntnis, dass Sie die Tatsachen, die ich geschildert habe, akzeptieren, weil es nämlich so ist.

(Beifall bei der SPD)

Und weil das so ist, sind die Vorwürfe, die in den letzten Wochen erhoben worden sind, der Mordfall sei nur passiert, weil es ein Versäumnis gegeben habe, nicht haltbar. Sie haben die Unwahrheit gesagt.

(Beifall bei der SPD)

Drittens. Sie werfen der jetzigen Bundesregierung vor, dass sie Dinge nicht umsetzt, die sie während ihrer sechzehnjährigen Regierungszeit mit der damaligen Koalition auch nicht umgesetzt haben.

(Beifall bei der SPD)

Wenn Sie das damals schon so präzise gefordert haben, wie Sie jetzt behaupten, dann sind Sie damals jedenfalls von Ihren Koalitionspartnern an der Umsetzung gehindert worden. Jetzt werfen Sie einer anderen Regierung vor, dass sie das nicht tut, was Sie in Ihrer eigenen Regierungszeit nicht geschafft haben. Meine Damen und Herren, es ist gut, dass hier das Augenmaß behalten wird.

Frau Staatsministerin, zu Ihrer Forderung, dass bei Heranwachsenden grundsätzlich das Erwachsenenstrafrecht